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Evolutionsbiologische Sicht von Sein und Werden

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Im evolutionsbiologischen Werden spielt die Vorzugsrichtung der Zeit eine entscheidende Rolle. Sie ist nach Manfred Eigen auf allen Organisationsstufen der Lebenserscheinungen erkennbar, insbesondere in der selektiven Selbstorganisation des molekularen Reproduktionsapparates (genetischer Code und Proteine), in dem baumartigen Auffächern der Arten (Phylogenese), in den Mechanismen der Ausdifferenzierung der Zellen (Ontogenese), in den Organfunktionen (darunter der Stoffwechsel) und in der selektiven Informationsverarbeitung des Zentralnervensystems.7

Entstehung und Evolution des Lebens sind irreversible Prozesse. Die zeitliche Vorzugsrichtung erhielt der Evolutionsprozess durch das Auftreten selbstreproduktiver Strukturen. Selbstreproduktion ist nach Eigen die Voraussetzung selektiver Informationsbewertung, die sich in der Stabilisierung des jeweils bestangepassten Typs zeigt. Dieser Genotyp einer unter natürlichen Umweltbedingungen lebenden Art, der die Mehrheit ihrer Individuen kennzeichnet, wird »Wildtyp« genannt.

Das Fortschreiten der Evolution wird nach Eigen folgendermaßen beschrieben.7 Neben dem Wildtyp existiert ein molekulargenetisches Mutationsspektrum von Varianten des Wildtyps. Bei begrenzter Populationsgröße treten nur die nächsten Verwandten des Wildtyps auf, diese allerdings in zahlreichen Varianten. Erscheint in diesem nicht determinierten »Rauschspektrum« eine Variante mit verbesserter Anpassung an veränderte Umweltbedingungen, dann löst dies einen deterministisch sich selbst verstärkenden Prozess aus. Ein neuer Wildtyp mit Mutationsspektrum von Varianten wird selektiert.

Die unumkehrbare Zeitlichkeit und somit Einzigartigkeit der auf Selektion beruhenden makroskopischen Evolution beruht auf der Unumkehrbarkeit der auf mikroskopischer Ebene sich vollziehenden Abfolge von Mutationen. Die Abfolge wird durch Fluktuationen bestimmt, also durch Elementarereignisse, die nicht voraussagbar sind. Selektion und Evolution sind dagegen gesetzmäßig ablaufende makroskopische Prozesse, deren Ziel die Anpassung an eine sich verändernde Umwelt ist. Makroskopisch erscheint ein Zusammenwirken von Zufall und Notwendigkeit. Daraus folgt die Unbestimmtheit der Zukunft ebenso wie die Nichtrekonstruierbarkeit der Vergangenheit (sofern nicht fossile Zeugnisse vorliegen). Der zeitlich gerichtete Evolutionsprozess führt unter günstigen Umweltbedingungen zu immer höheren Organisationsformen, die sich als optimal innerhalb der physikalisch bedingten Grenzen erweisen.7

Die unumkehrbare Zeitlichkeit der Evolution kommt ebenso in den baumhaften Verzweigungen der Phylogenese zum Ausdruck. Die Topologie phylogenetischer Verwandtschaftsbeziehungen lässt sich heute über die Bestimmung übereinstimmender Sequenzen der Gene eindeutig festlegen. Dabei wird festgestellt, dass bestimmte Sequenzen für ganze Artgruppen weitgehend identisch sind, etwa für die Gruppe der Säugetiere, während andere Sequenzen stark variabel sind, beispielsweise die Gene des Hämoglobinmoleküls innerhalb der Gruppe der Primaten. Bei entsprechender Wahl der zu untersuchenden Sequenzen lassen sich die baumhaften Verzweigungen eindeutig bestimmen.7

Unumkehrbar sind auch die zur Ontogenese des Individuums führenden Prozesse der Zelldifferenzierung, die Organfunktionen selbst und die Informationsverarbeitung im Gehirn (»Lernen« heißt »Umprogrammieren«).

Aus den vorstehenden Ausführungen zur Evolutionsbiologie nach Manfred Eigen geht hervor, dass die Vorzugsrichtung der Zeit auf allen Organisationsstufen des Lebens erkennbar ist, insbesondere aber in der selektiven Selbstorganisation des molekularen Reproduktionsapparats und in der baumartigen Auffächerung der Arten. Selektive Informationsverarbeitung ist Voraussetzung für die Stabilisierung des jeweils bestangepassten Typs.

Philosophische Grundbegriffe der Naturwissenschaften

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