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Folgerungen aus dem Dependenzgesetz
ОглавлениеVon den aufgeführten vier übergeordneten kategorialen Gesetzen hat das Dependenzgesetz besondere Bedeutung. Es gilt daher als »kategoriales Grundgesetz«. Bedeutsam sind die Folgerungen aus diesem Gesetz, die nachfolgend in der Reihenfolge der zugehörigen vier Einzelgesetze dargestellt werden.2
Zum Gesetz des Stärkerseins der niederen gegenüber der höheren Schicht: Es gibt den Organismus nur als Überformung des anorganisch Materiellen, das Psychische nur als Überbau des Organischen und den Geist nur als Überbau des Psychischen. Stets wird die höhere Seinsschicht von der niederen getragen. Das geistige Leben beruht nicht nur unmittelbar auf dem psychischen Sein und mittelbar auf dem organischen und materiellen Sein, es greift in die niederen Schichten auch ein, formt im Bereich der Technik die Ding- und Prozesswelt nach seinen Zwecken, bleibt dabei aber an die Eigengesetzlichkeit des niederen Seins gebunden. Letzteres gilt auch für den menschlichen Organismus, dessen Anpassung an die geistige Welt von jedem Individuum neu zu leisten ist.
Zum Gesetz der Indifferenz der niederen gegenüber der höheren Schicht: Die einseitige Abhängigkeit des Höheren vom stärkeren Niederen schließt die Gleichgültigkeit des niederen Seins gegenüber Überformung bzw. Überbauung ein. Das niedere Sein hat keine Disposition zum höheren Sein. Das physisch–materielle Sein tendiert nicht zum organisch-lebendigen Sein, das organisch-lebendige Sein nicht zum Bewusstsein (oder psychischen Sein), das Bewusstsein nicht zum geistigen Sein. Das folgt auch aus der Seltenheit dieser Phänomene im Kosmos. Es gibt also keinen teleologischen Zwang. Der gern beschworene teleologische Stufenbau mit Präformation des Höheren im Niederen (Aristoteles, Plotin, Schelling, Hegel) ist nach Hartmann eine Spekulation, die dem Aufbau der realen Welt nicht gerecht wird.
Zum Gesetz der kategorialen Materie aus niederer Schicht: Das Moment der Indifferenz der niederen Schicht gegenüber Überformung bzw. Überbau ermöglicht der höheren Schicht einen Spielraum für höhere Formung, der allerdings auf das der (kategorialen) Materie Mögliche eingeschränkt ist. Die Determination von unten ist eine notwendige Bedingung für die Ausweitung des in der höheren Schicht Möglichen. Das trifft voll zu für die Überformung des Anorganischen durch das Organische. An der Grenze zwischen Organischem und Bewusstsein tritt dagegen ein »Überbau« auf, der an die Stelle der Überformung der Materie tritt. Die Raumkategorie bricht ab, lediglich die Zeitkategorie setzt sich fort. Das Rätsel des psychophysischen Verhältnisses an der Grenzscheide bleibt im Übrigen ungeklärt. Ein ähnliches Überbauungsverhältnis liegt an der Grenze zwischen geistigem Sein und psychischen Akten vor. Der Geist ist zwar nicht räumlich, aber sein reales Sein in der Welt ist durch das Rückgebundensein an die niedere Seinsschicht des Psychischen dennoch räumlich lokalisiert.
Zum Gesetz der Freiheit der höheren Schicht: Die Autonomie der höheren gegenüber der niederen Schicht drückt sich in ihrem größeren ontologischen Reichtum aus – nicht im Sinn- und Wertgehalt, denn das sind ontologisch irrelevante Größen. Freiheit ist hier die Selbständigkeit in der Abhängigkeit. Die herkömmlichen metaphysischen Systeme verstoßen gegen diese Bedingung. Weder lassen sich ausgehend von den höchsten Seinsformen die niederen verstehen, wie es Aristoteles, Plotin, Thomas von Aquin, Leibniz und Hegel konzipiert haben, noch lassen sich umgekehrt die höchsten Seinsformen ausgehend von den niederen vollständig bestimmen, wie es Materialismus, Naturalismus und Energetik versucht haben. Der fundamentale Fehler des Vitalismus wiederum bestand darin, dass psychische und geistige Prinzipien auf den Organismus übertragen wurden, insbesondere die Kategorie der Zweckorientierung.
Das Bewusstsein ist als psychische Funktion des Organismus nur unzureichend erklärt. Die Heterogenität der subjektiven Innenwelt gegenüber der objektiven Außenwelt wird dabei übergangen. Das psychologische Problem der Einheit der menschlichen Person kommt nicht in den Blick. Ähnlich verhält es sich mit dem Psychismus, der das geistige Sein allein aus dem Gefüge seelischer Vorgänge zu verstehen versucht und dabei das objektive Sein des Geisteslebens übergeht.
Die Willensfreiheit des Menschen ist nach der Hartmannschen Ontologie aus der Abwandlung der Determinationstypen in den Schichten zu erklären.2 Es gibt mindestens ebenso viele Determinationstypen wie Schichten des Realen. Der Kausalnexus beherrscht das physische Geschehen, der Finalnexus das menschliche Wollen und Handeln. Der Nexus der organischen Werdeprozesse ebenso wie der Nexus der psychischen Vorgänge sind vorerst nur unzureichend geklärt. Prinzipiell ist Willensfreiheit ein Spezialfall jener Autonomie, die der kategorial höheren Schicht zugesprochen wird.