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12. An Karl und Paula Bonhoeffer

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3. August 1943

Liebe Eltern!

Ich bin wirklich sehr froh und dankbar, dass ich Euch nun öfter schreiben darf; denn ich fürchte, Ihr macht Euch jetzt Sorgen, erstens wegen der Hitze in der Dachzelle, zweitens wegen der Bitte um den Anwalt. Eben kommt nun Euer herrliches Paket mit Tomaten, Äpfeln, Kompott, Thermosflasche usw. und mit dem fantastischen Kühlsalz, das ich noch gar nicht kannte. Welche Mühe habt Ihr Euch wieder für mich gemacht! Bitte macht Euch keine Gedanken, ich habe ja oft schlimmere Hitze erlebt, in Italien, Afrika, Spanien, Mexiko und am schlimmsten fast in New York im Juli 39, und ich weiß ungefähr, wie man sich am besten verhält; ich trinke und esse wenig, sitze ruhig am Schreibtisch und finde mich in meiner Arbeit eigentlich unbehindert. Zwischendurch erfrische ich Magen und Herz mit Euren schönen Sachen. Um Verlegung in einen andern Stock möchte ich nicht bitten, ich finde das nicht anständig gegen den anderen Gefangenen, der dann in meine Zelle müsste, und vermutlich ohne Tomaten etc.; außerdem macht es objektiv wohl nicht viel aus, ob es 34° oder nur 30° im Zimmer hat. Leider weiß ich aber, dass Hans Hitze immer so schlecht verträgt; das tut mir so leid. Aber es ist eine immer wieder merkwürdige Beobachtung, dass man Unabänderliches ganz anders aushält, als wenn man dauernd den Gedanken hat, man könnte sich irgendetwas erleichtern.

Was nun meine Bitte um den Verteidiger angeht, so hoffe ich sehr, dass Ihr seither nicht in großer Unruhe seid, sondern den Ablauf der Dinge ebenso ruhig abwartet wie ich. Ihr müsst wirklich nicht denken, ich sei nun sehr niedergeschlagen oder unruhig. Natürlich war es eine Enttäuschung, wie vermutlich auch für Euch. Aber in gewisser Weise ist es auch eine Befreiung, zu wissen, dass nun die endgültige Klärung der Sache, auf die wir so lange warten, bald kommen wird. Ich warte täglich auf genaueren Bescheid. Wenn Rüdiger Goltz sich jetzt nicht so plötzlich freimachen kann, so schadet es auch nichts. Herr Dr. Roeder meinte ausdrücklich, es sei eine Sache, die jeder ordentliche Anwalt machen könne, und wenn es ein tüchtiger, warmherziger, anständiger Mann ist, dazu ein ruhiger und vornehmer Verhandler, der den bisher in den Verhandlungen gepflegten Ton einhält – und das könnt Ihr ja am besten beurteilen –, bin ich ganz einverstanden. Persönlich habe ich eigentlich das Gefühl, dass man am besten selbst sagt, was man zu sagen hat; aber für die juristischen Dinge, von denen ich nichts verstehe, ist wohl doch ein Anwalt nötig.

Ich denke jetzt manchmal, ob Ihr nicht doch für die nächste Zeit wegen möglicher Alarme vielleicht nach Sakrow gehen solltet. Maria schlug auch Pätzig vor, aber da sind die Verbindungen so umständlich und reisen werdet Ihr vor Abschluss meiner Sache eben doch nicht wollen. Wäre es nicht auch für Renate vernünftig, sie zöge etwas zu ihrer Schwiegermutter aufs Land und ihr Mann versucht, sich seine Arbeit entsprechend einzurichten? Es ist doch nur 1 Stunde Fahrt. Aber vielleicht sind auch alle Befürchtungen wie so oft ganz unnötig. Hoffentlich!

Ich habe wieder manches Gute gelesen. Mit „Jürg Jenatsch“ habe ich eine Jugenderinnerung mit viel Freude und Interesse aufgefrischt. An historischen Sachen fand ich das Werk über die Venezianer sehr instruktiv und fesselnd. Würdet Ihr mir bitte etwas Fontane schicken: „Frau J. Treibel“, „Irrungen, Wirrungen“, „Stechlin“. Diese starke Lektüre der letzten Monate wird auch meiner Arbeit sehr zugutekommen. Man lernt aus diesen Sachen oft mehr für die „Ethik“ als aus Lehrbüchern. – „Kein Hüsung“ von Reuter habe ich ebenso gern wie Du, Mama. Aber ich bin nun wohl mit den Reuters durch? Oder habt Ihr noch etwas ganz Besonderes?

Übrigens fällt mir noch zur Anwaltsfrage ein: Es wäre gut, wenn der Mann sich etwas Zeit für mich nähme und nicht gar zu hastig ist. Ich glaube, das sollte so sein wie beim Arzt, dem man auch nicht anmerken darf, dass er viel zu tun hat.

Eben habe ich zum Mittag ein paar von den wunderbaren Gartentomaten gegessen und dabei an die Arbeit gedacht, die Ihr beim Ziehen damit gehabt habt. Aber sie sind wirklich ganz herrlich geworden. Habt vielen Dank! Dir, lieber Papa, danke ich sehr für Deinen Brief. In der Liebe zu Friedrichsbrunn will wohl keiner von uns hinter dem andern zurückstehen. In diesem Jahr sind es 30 Jahre, dass Ihr es gekauft habt! Ich hoffe noch sehr auf ein paar schöne Tage dort mit Euch, und vielleicht kuriert das auch meinen Hexenschuss.

Nach dem Wiedersehen mit Maria habe ich ihr schon schreiben können. Darüber war ich sehr froh. Sie tut mir bei dem Gang aufs Gericht immer so schrecklich leid. Aber ich fand sie wohler aussehend.

Sind nun für Renates Zustand diese heißen Tage besonders lästig? Das täte mir sehr leid. Grüßt sie doch sehr samt Mann, auch alle Geschwister natürlich und die Kinder! Im „Grünen Heinrich“ las ich neulich den hübschen Vers: „Und durch den starken Wellengang / der See, die gegen mich verschworen, / geht mir von euerem Gesang, / wenn auch gedämpft, kein Ton verloren.“

In großer Liebe und guter Zuversicht grüßt Euch Euer dankbarer Dietrich

Eben lese ich den Aufruf zur Evakuierung; könnt Ihr nicht eine Zeit lang wenigstens in Sakrow übernachten? Die andern werden ja alle ihre Pläne schon gemacht haben. Es ist wirklich sehr widerwärtig in dieser Zeit hier unnötig sitzen zu müssen und zu warten. Hoffentlich auf baldiges Wiedersehen!

D.

Du wartest jede Stunde mit mir

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