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19. An Karl und Paula Bonhoeffer

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31. August 1943

Liebe Eltern!

Wie Ihr ja schon 2 Tage nach meinem vorigen Brief durch Maria, die mich ganz überraschend hier besuchen durfte, gehört habt, bin ich wieder ganz gesund. Aspirin gegen Fieber und Kohle gegen die entsprechenden Beschwerden sind für mich Allheilmittel, und mithilfe Eurer großen Thermosflaschen war ich kurz darauf wieder mobil. Nicht einmal die herrliche Leberwurst brauchte ich mir zu verkneifen. Habt vielen Dank für Eure Mühe. Mir ist jetzt hier sogar Weißbrot verschrieben worden, und ich bitte Dich, liebe Mama, Dir keins mehr für mich abzusparen!

Marias Besuch hier war wunderschön, und ich habe mich so gefreut, dass sie hauptsächlich Euretwegen gekommen war. Schrecklich leid tut es mir, dass Renate in ihrer neuen Wohnung Bombenschaden hatte; auch für Ursel, die mit der Ausstattung so viel Mühe hatte, ist das scheußlich. Ich mache Renate nun den Vorschlag, sie soll sich auf meine Kosten 2 Zinnteller und 2 Zinnbecher zu kaufen versuchen; in dem Geschäft, in dem wir ihr zur Hochzeit die Zinnterrine besorgt haben, gibt es manchmal noch so etwas. Es würde mich sehr freuen, wenn es ihr gelänge, und dafür kriegt sie nichts von mir zum Geburtstag. Sie soll es also wirklich tun.

Meine Überlegungen für Christophs Geburtstag, dem ich gern etwas Hübsches schenken würde, sind leider ganz unfruchtbar geblieben. Ob ihn „Du und das Wetter“ interessiert? Das steht unter meinen Büchern. Vielleicht ist auch in der Plahnschen Buchhandlung (Würdet Ihr dort bitte für mich das eben erschienene Buch „Das Zeitalter des Marius und Sulla“ im Dieterich-Verlag (16 RM) bestellen?) noch etwas für ihn aufzutreiben? Könntet Ihr dort mal anrufen? Die haben mich immer gut beliefert. Jedenfalls grüßt ihn doch sehr, und ich hoffe, dass wir das nächste Mal einen vergnügten Geburtstag miteinander feiern können. Diese Belastungsprobe für die Kinder ist wirklich sehr hart. Aber er ist ja schon erstaunlich vernünftig und weiß, was für eine Haltung er seinen Eltern schuldig ist. Inzwischen habt Ihr bei Schleichers Geburtstag gefeiert, und ich habe natürlich ganz besonders zu Euch hingedacht!

In den letzten Tagen habe ich wieder gut arbeiten können und viel geschrieben. Wenn ich nach ein paar Stunden völliger Versenkung in den Stoff mich wieder in meiner Zelle vorfinde, dann brauche ich immer wieder erst einen Moment, um mich zu orientieren. Das Unwahrscheinliche meines gegenwärtigen Aufenthaltes ist doch immer noch nicht überwunden bei aller Gewöhnung an das Äußere. Ich finde es ganz interessant, diesen allmählichen Prozess der Gewöhnung und Anpassung an sich zu beobachten. Als ich vor 8 Tagen zum Essen Messer und Gabel bekam – das ist eine neue Einrichtung –, schien mir das fast überflüssig, so selbstverständlich war es mir geworden, mit dem Löffel das Brot zu streichen etc.

Andrerseits glaube ich, dass man sich an etwas, was man als sinnwidrig empfindet, also z.B. den Zustand des Gefangenseins als solchen, überhaupt nicht oder doch nur sehr schwer gewöhnt. Da bedarf es immer noch eines bewussten Aktes, um sich zurechtzufinden. Wahrscheinlich gibt es darüber doch auch psychologische Arbeiten?

Die Weltgeschichte von Delbrück liest sich sehr schön. Ich finde nur, dass es mehr eine deutsche Geschichte ist. Die „Mikrobenjäger“ habe ich mit sehr viel Freude zu Ende gelesen. Sonst habe ich mehreres von Storm gelesen, aber im Ganzen doch, ohne davon sehr beeindruckt zu sein. Ich hoffe, Ihr bringt mir noch Fontane oder Stifter.

Leider dauern die Briefe jetzt immer so sehr lange, meist 10–12 Tage. Dafür, dass wir nur 10 km voneinander getrennt sind, scheint einem das etwas reichlich. Aber es ist trotzdem immer die größte Freude, einen Brief zu bekommen. Mir ist nun mitgeteilt worden, dass ich, da Dr. Roeder offenbar nicht in Berlin ist, meine Briefe an Maria über Eure Adresse schicken soll. Da muss sie sich also immer noch etwas länger gedulden. Das tut mir leid für sie. Aber ich hoffe ja nun doch, dass es nicht mehr allzu viele Briefe sein werden, die ich von hier aus schreiben muss. Ich finde, fünf Monate Warten und Ungewissheit sind genug, auch für Euch! Und der Sommer ist bald vorüber. Aber es gibt ja auch noch schöne September- und Oktobertage.

Nun grüßt bitte alle Geschwister und Kinder sehr. Ich habe nun doch schon großes Verlangen, sie alle wiederzusehen. Vor allem bleibt bis dahin alle gesund!

Es grüßt Euch von Herzen Euer dankbarer

Dietrich

Du wartest jede Stunde mit mir

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