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23. An Maria von Wedemeyer

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20. September 1943

Liebste Maria!

Morgen fängt nun der Herbst an. Als in den letzten Wochen die Leute schon dann und wann vom frühen Herbst sprachen, mochte ich dieses Wort gar nicht hören. Der Wechsel der Jahreszeiten wird einem hier schwerer als draußen. Ihr werdet jetzt in den späten Abendstunden und wieder vor Tagesanbruch viel im Walde auf den Wildkanzeln sein. Ich liebe die Herbstmorgen mit ihren Nebeln und dem langsamen Durchbrechen der Sonne so sehr. Aber ich weiß, wo Du jetzt auch sein magst, Du wartest jeden Tag und jede Stunde mit mir. Es wird allmählich ein Warten, dessen äußeren Sinn ich nicht begreife; den inneren Sinn muss man täglich neu finden. Es ist uns beiden durch die vergangenen Monate unendlich viel genommen worden; Zeit ist heute das kostbarste Gut, denn wer weiß, wieviel Zeit ihm noch geschenkt ist. Und doch weigere ich mich zu denken, dass es verlorene Zeit war und ist, in der wir getrennt sind, weder für jeden einzelnen von uns noch für uns beide zusammen. Wir sind in anderer Weise zusammengewachsen, als wir es wohl gedacht und gewünscht haben, aber es sind auch andere Zeiten und werden wohl noch lange solche Zeiten bleiben, in denen alles darauf ankommt, dass man im Letzten eins ist und zueinander steht. Dein Leben wäre sehr anders geworden, leichter, übersichtlicher, einfacher, wenn unsere Wege sich nicht vor einem Jahr gekreuzt hätten. Aber es sind eigentlich nur kurze Augenblicke, in denen mir dieser Gedanke zu schaffen macht. Ich glaube, dass nicht nur ich, sondern auch Du in Deinem Leben an den Punkt gekommen bist, an dem wir uns begegnen mussten. Nach einem leichten Leben hatten wir im Grunde beide kein Verlangen, so sehr wir uns gewiss beide an den schönen und frohen Stunden des Lebens freuen können und heute wohl auch eine große Sehnsucht nach solchen Stunden haben. Aber das Glück liegt, glaube ich, für uns beide an einer anderen, verborgeneren Stelle, die manchem unverständlich ist und bleiben wird. Im Grunde suchen wir beide Aufgaben, bisher jeder für sich, von nun an aber gemeinsame Aufgaben. In denen werden wir erst ganz zusammen wachsen – wenn Gott uns die Zeit dazu schenkt. –

Ich warte wieder sehr auf Post von Dir. Es ist alles jetzt so unregelmäßig. Im letzten Paket fand ich Plätzchen, die ich Dir zugeschrieben habe. Sie erfreuen und erinnern mich jeden Nachmittag. Hab vielen Dank für alles! Sag es bitte auch der Mutter. – Ich habe wieder viel gelesen und geschrieben. Aber das Leben geht eben darin – für mich jedenfalls – nicht auf. Später werde ich Dir aus dem Geschriebenen vorlesen und Du wirst meinen Stil glätten und manchen Gedanken klären helfen! – Was wisst Ihr von Konstantin aus Sardinien? Mein Vetter Hans Christoph v. Hase war zuletzt Divisionspfarrer in Calabrien. Er hat 5 kleine Kinder. Wie mag es ihm gehen? Hast Du Deinem gefallenen Schönrader Vetter nahe gestanden? Wie ist Eure Familie getroffen! – Nun leb wohl, meine liebste Maria, warte noch ein bisschen! Es ist gut zu wissen, dass Du mir wartest! Grüße die Mutter und die Geschwister. Bald wird es soweit sein, dass ich bei Euch sein kann! Es kann nicht mehr lange dauern! Bis dahin Geduld und guten Mut! Von ganzem Herzen

Dein Dietrich

Du wartest jede Stunde mit mir

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