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16. An Maria von Wedemeyer
Оглавление20. August 1943
Meine liebste Maria!
Durch eine gute hilfreiche Idee ist nun, wie Du siehst, die Möglichkeit geschaffen, Dir ohne Absender zu schreiben. Nun sehen für Dich meine Briefe doch äußerlich wenigstens schon so aus, als kämen sie aus der Freiheit. Besser noch wäre es, wenn es mir gelänge, Dir jetzt schon so zu schreiben, dass nur die Dankbarkeit, die Freude, das Glück, Dich zu haben, laut würde und nichts von dem Druck und der Ungeduld dieses langen Zellendaseins mit durchklänge. Aber es wäre nicht ganz echt und das käme mir Dir gegenüber wie ein Unrecht vor. Du musst schon wissen, wie es mir wirklich zumute ist, und mich nicht für einen geborenen Säulenheiligen halten. Ich kann mir übrigens auch nicht vorstellen, dass Du Dich mit einem solchen verheiraten möchtest – und ich würde es nach meinen kirchengeschichtlichen Kenntnissen auch nicht empfehlen. Also, damit Du Dir ein Bild machst: Ich sitze bei 30° mit aufgekrempelten Hemdsärmeln und offenem Kragen nach eben zum Abendbrot genossener heißer Mehlsuppe am Schreibtisch und denke sehnsüchtig an Dich, möchte mit Dir durch den Wald und ans Wasser fahren, möchte schwimmen und dann mit Dir irgendwo im Schatten liegen und von Dir hören, vieles hören und selbst nichts erzählen. Es sind also, wie Du siehst, sehr irdische und greifbare Wünsche, die ich habe, und es ist dementsprechend ein sehr irdischer und lebhafter Widerwille gegen meinen derzeitigen Zustand, dem ich eine Zeit lang durchaus sein Recht einräume. Die Sonne hat es mir von jeher angetan und mich oft genug daran erinnert, dass der Mensch von der Erde genommen ist und nicht aus Luft und Gedanken besteht. Das ging so weit, dass ich einmal, als ich an Weihnachten nach Kuba kam, um dort zu predigen, und aus dem Eis Nordamerikas in die blühende tropische Vegetation gelangte, fast dem Sonnenkult erlegen wäre und kaum wusste, was ich eigentlich predigen sollte. Es war eine richtige Krise; und etwas davon überfällt mich in jedem Sommer, wenn ich die Sonne zu spüren bekomme. Die Sonne ist für mich nicht eine astronomische Größe, sondern so etwas wie eine lebendige Macht, die ich liebe und auch fürchte. Ich finde es so feige, an diesen Realitäten rationalistisch vorbeizusehen. Verstehst Du das? Und so muss eben die Geduld und die Freude und die Dankbarkeit und die Gelassenheit und die Vergebung sich immer wieder neu gegen allerlei Widerstände durchkämpfen, und dass, wie es im Psalm heißt, „Gott Sonne und Schild ist“, das wirklich zu erkennen und zu erfahren und zu glauben, das ist eine Sache hoher begnadigter Augenblicke, aber keine Alltagsweisheit. Ihr werdet nun übermorgen an Vaters Todestag zusammensein. Ich werde die Nachmittagsstunde nicht vergessen, als mir die Großmutter am Telefon die Nachricht sagte; wir saßen mit den Eltern gerade draußen im Garten beim Tee; und ich glaubte in dem Augenblick von ferne zu ahnen, was Du verloren hattest; und habe damals, glaube ich, wirklich selbstlos an Dich denken und an Deiner Trauer teilnehmen können. Liebste Maria, auch bei Dir geht der Glaube und das Vertrauen nur durch Widerstände hindurch. „Den Abend lang währt das Weinen, aber des Morgens ist Freude“, dieser Vers des 30. Psalms ist mir seit einer Abendmahlsfeier besonders lieb. Auch Ihr werdet übermorgen so Eure Abendmahlsfeier halten. Später musst Du mir einmal viel von Vater und vom 22. August erzählen, wenn Du magst. Vielleicht schweigst Du auch lieber darüber. Über manches kann man nicht reden. –
Ich sehe, dass der Bogen sich schon wieder zu seinem Ende neigt. Und wie wenig habe ich Dir sagen können von dem, was mich bewegt, wenn ich an Dich denke. Nun musst Du immer noch warten und ich kann Dir immer noch keine gewisse und frohe Nachricht geben. Dies ist sehr hart. Nachts, wenn die Sirenen gehen, bin ich froh, Dich nicht in Berlin zu wissen. Glaube übrigens bitte nicht, dass ich mich irgendwie beunruhige. Es ist merkwürdig, aber ich denke manchmal, ich bin vielleicht stumpf, dass ich mich so gar nicht aufregen kann. Wenn nur die Eltern bald aus Berlin heraus könnten; sie sind zwar auch bei Alarmen völlig ruhig, aber die gestörten Nächte sind doch sehr anstrengend. –
Im letzten Paket war eine herrliche Erdbeermarmelade und Anisplätzchen. Stammen sie von Dir oder von der Großmutter? Wenn Du kannst, backe mir nur mal wieder etwas Schönes, nicht nur weil es gut schmeckt, sondern weil ich so gern dabei an Dich denke! Grüße die Mutter herzlich und dankbar. Leb wohl, Du liebe gute Maria, warte noch ein bisschen und dann wird es schön werden! Es wartet mit Dir
immer Dein Dietrich
Viele Grüße auch an die Großmutter! Mir fehlen richtig ihre Briefe!