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22. An Karl und Paula Bonhoeffer
Оглавление13. September 1943
Liebe Eltern!
Auf meinen in einem der letzten Briefe geäußerten Wunsch, etwas mehr Post zu bekommen, habe ich dieser Tage nun wirklich eine ganze Reihe von Briefen gekriegt, über die ich mich sehr gefreut habe. Fast komme ich mir vor wie Palmström, der sich „ein Quartal gemischte Post“ bestellt. Aber im Ernst, ein Tag mit Briefen hebt sich aus der Monotonie der übrigen immer sehr fühlbar hinaus. Nun kam auch noch die Sprecherlaubnis dazu, so ist es mir wirklich sehr gut gegangen. Nach der unangenehmen Verzögerung der Postbestellung in den letzten Wochen habe ich das sehr dankbar empfunden. Ich fand Euch auch ein bisschen besser aussehend, und das hat mich sehr gefreut; denn mir ist immer noch die Tatsache, dass Ihr in diesem Jahr ganz um die so nötigen Ferien gekommen seid, der Hauptdruck bei meiner ganzen Geschichte. Vor dem Winter müsst Ihr doch noch einmal etwas heraus, und am liebsten käme ich mit. Heute kamen Briefe von Euch und K. Friedrich vom 3. 9. und Christoph hat sogar zweimal geschrieben, was ich furchtbar nett von ihm finde und wofür ich ihm sehr danke. Dass Ihr nun ohne meine Hilfe meine Sachen weggeschafft habt, ist natürlich auch noch ein großes Stück Arbeit gewesen und ich danke Euch sehr dafür! Es ist ein merkwürdiges Gefühl, schlechthin in allem auf die Hilfe der anderen angewiesen zu sein. Aber jedenfalls lernt man in solchen Zeiten dankbar werden und wird das hoffentlich nicht wieder vergessen. Im normalen Leben wird es einem oft gar nicht bewusst, dass der Mensch überhaupt unendlich viel mehr empfängt, als er gibt, und dass Dankbarkeit das Leben erst reich macht. Man überschätzt wohl leicht das eigene Wirken und Tun in seiner Wichtigkeit gegenüber dem, was man nur durch andere geworden ist.
Die stürmischen Ereignisse in der Welt, die die letzten Tage gebracht haben, fahren einem hier natürlich in alle Glieder und man möchte an irgendeiner Stelle etwas Nützliches leisten können; aber diese Stelle kann eben im Augenblick nur die Zelle des Gefängnisses sein, und was man hier tun kann, spielt sich im Bereich des Unsichtbaren ab und gerade da ist der Ausdruck „tun“ sehr unangemessen. Ich denke manchmal an Schuberts „Münnich“ und seinen Kreuzzug.
Im Übrigen lerne und schreibe ich so viel wie möglich, und ich bin froh, dass ich in den mehr als 5 Monaten noch nie einen Augenblick Langeweile empfinden musste. Die Zeit ist immer ausgefüllt, aber im Hintergrund steht eben doch von morgens bis abends das Warten. Vor einigen Wochen bat ich Euch mal um die Besorgung einiger neu erschienener Bücher: N. Hartmann: „System der Philosophie“, „Das Zeitalter des Marius und Sulla“ im Dieterich-Verlag, nun bitte ich noch um R. Benz: „Die deutsche Musik“. Ich möchte diese Sachen nicht gern ungelesen vorbeigehen lassen und wäre froh, sie hier noch lesen zu können. K. Friedrich schrieb mal von einem allgemeinverständlichen physikalischen Buch, das er mir schicken wollte. Auch Klaus macht doch von Zeit zu Zeit schöne Bücherentdeckungen. Was hier an Brauchbarem ist, habe ich fast alles gelesen. Vielleicht versuche ich es doch noch mal mit Jean Pauls Siebenkäs oder Flegeljahren. Sie stehen in meinem Zimmer. Später entschließt man sich wahrscheinlich nie mehr dazu; und es gibt ja viele belesene Leute, die ihn sehr lieben. Mir ist er trotz mehrerer Anläufe immer zu langatmig und manieriert erschienen. – Da es aber inzwischen Mitte September geworden ist, hoffe ich ja, dass alle diese Wünsche schon überholt sind, bevor sie erfüllt werden.
Eben kommt wieder ein kurzer Gruß von Christoph. Ich habe schon großes Verlangen, ihn und alle die Kinder wiederzusehen. Sie werden sich in diesen Monaten auch verändert haben. Christoph erfüllt seine Pflichten als Patenkind wirklich besser als ich die meinen als Patenonkel; aber ich freue mich schon, mit ihm irgendetwas zu unternehmen, was ihn freut.
Wenn Ihr Maria sprecht oder seht, grüßt sie bitte sehr! Der Großmutter danke ich herzlich für ihren Brief! Bitte grüßt alle Geschwister und Kinder. Euch dankt für alles
Euer Dietrich
Wohin ist Karl-Friedrich eigentlich berufen worden? Nimmt er es an? – Bitte um Briefpapier!