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15. An Karl und Paula Bonhoeffer

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17. August 1943

Liebe Eltern!

Beiliegend schicke ich eine Vollmacht für Rüdiger für den Fall, dass er es doch einrichten kann; Ihr werdet ja inzwischen von ihm gehört haben; natürlich kann ich es verstehen, wenn er wegen einer solchen Sache nicht extra nach Berlin kommen will, besonders im Augenblick und als Vater von 10 Kindern! Aber Ihr werdet ja mit ihm auch über Dr. Wergin gesprochen haben. Die gestrige Stunde mit Euch war wieder unbeschreiblich schön; ich danke Euch sehr, dass Ihr kamt. Ich finde ja, dass besonders Du, lieber Papa, etwas besser aussehen könntest. Wollt Ihr nicht auch mal eine Zeit lang so wie ich um 8 Uhr oder doch um 9 schlafen gehen und außerdem einen gründlichen Nachmittagsschlaf machen? Die viele Arbeit, die magere Ernährung, die gestörten Nächte und zu all dem noch Eure Sorge um mich – das ist eben einfach zu viel. Besonders aus diesem Grunde bekümmert mich die immer weitere Verzögerung der Entscheidung doch sehr. In normaleren Zeiten sind 4 Wochen gar nichts, in diesen unsicheren bombenbedrohten Zeiten ist jeder Tag lang. Da man aber annehmen darf, dass jedem an möglichst rascher Abwicklung gelegen sein muss, hoffe ich im Stillen, dass wir doch noch schneller zum Ziel kommen. Vor allem macht Euch bitte um mich so wenig wie möglich Sorge. Ich halte alles gut aus und bin innerlich ganz ruhig. Und wie gut, dass wir aus früheren Erfahrungen voneinander wissen, dass uns Alarme wirklich gar nicht beunruhigen. Sehr froh bin ich, dass die Gerichte von Dr. Roeder in Berlin bleiben! Ich stelle es mir für Männer in verantwortlichen Positionen jetzt überhaupt nicht sehr angenehm vor, aus Berlin herausgehen zu müssen. Im Übrigen habt wohl Ihr – wie ich auch – Besseres zu tun, als immerfort über mögliche Alarme nachzudenken. Abstand gewinnen von den Vorgängen und Aufregungen des Tages, das lernt man hier in der Zelle fast von selbst.

Ich vergaß, auf die Geburtstage am 22. und 28. zu sprechen zu kommen. Der Susi, die so oft Mühe mit meinen Paketen gehabt hat, würde ich gern eine Freude machen; aber das Einzige, was mir einfällt, ist eine letzte Flasche Süßwein, die ich habe und ihr gern schenken möchte. Schleichers würden sich wohl über die einbändige, in dickem hellbraunem Leder gebundene neue Bibel, die im Luftschutzkeller steht, freuen; bitte legt sie auf den Geburtstagstisch, und sagt beiden, dass ich mit vielen herzlichen guten Wünschen an sie denke. Wie gern wäre ich dabei! Aber die Geduldsprobe ist eben noch nicht zu Ende. Wenn man bei diesen kleinen Enttäuschungen, die man immer wieder erlebt, nur die großen Maßstäbe nicht aus den Augen verliert, erkennt man schnell, wie geringfügig die eigenen Entbehrungen sind.

Nachdem ich in den letzten 14 Tagen des unsicheren täglichen Wartens kaum zur produktiven Arbeit kam, will ich jetzt versuchen, wieder ans Schreiben zu gehen. Ich hatte in den vergangenen Wochen einen Entwurf zu einem Schauspiel versucht, habe aber inzwischen festgestellt, dass der Stoff eigentlich nicht dramatisch ist und werde ihn nun in die erzählende Form umzuarbeiten versuchen. Es geht um das Leben einer Familie. Da mischt sich naturgemäß viel Persönliches ein.

Ich hätte gern etwas Konzeptpapier und meine Uhr; die andre blieb gestern plötzlich stehen, sie geht nun zwar wieder; aber es ist mir zu riskant, dass ich plötzlich ohne Uhr sitze. Könnt Ihr bitte die „Systematische Philosophie“, herausgegeben von N. Hartmann, Verlag Kohlhammer 1943, für mich kaufen? Ich würde sie gern hier noch durcharbeiten. Sonst darf ich jetzt hier die Personalbibliothek benutzen, in der allerlei Gutes ist, so brauche ich weniger von Euch. Wenn Ihr allerdings von Stifter den „Witiko“ noch auftreibt, wäre es schön.

Von Schleichers war es neulich wirklich rührend, dass sie mir die Kaninchenleber geschickt haben. So ein richtiges Stück Fleisch ist bei den dauernden Löffelgerichten etwas sehr Willkommenes; auch für Plätzchen, Pfirsiche und Zigaretten danke ich ihnen sehr. Hättet Ihr etwa noch ein bisschen Tee? Ich kann hier gelegentlich kochendes Wasser kriegen.

Der Tod der drei jungen Pastoren geht mir sehr nah. Ich wäre dankbar, wenn ihren Verwandten irgendwie gesagt werden könnte, dass ich ihnen jetzt nicht schreiben kann; sie würden das sonst nicht verstehen. Die drei haben mir unter meinen Schülern mit am nächsten gestanden. Es ist ein großer persönlicher und kirchlicher Verlust. Von meinen Schülern sind es nun wohl über dreißig, die gefallen sind, und großenteils die Besten.

K. Friedrich danke ich wieder sehr für seinen Brief; sie sind immer besonders nett. Auch Hans Christoph schrieb sehr nett zu meiner Verlobung; er tut allerdings so, als wäre sie schon veröffentlicht. Vielleicht muss man Onkel Hans sagen, dass das noch nicht der Fall ist. Es gibt hier in der Zelle keine größere Freude als Briefe.

Ich vergaß ganz, nach Onkel Paul zu fragen. Habt Ihr ihm nach dem Tod seiner Mutter eigentlich meine Teilnahme ausgesprochen? Grüßt ihn doch sehr.

Nun danke ich Euch noch einmal sehr für alles! Schließlich kommt ja der Tag des Wiedersehens in Freiheit immer näher, und es wird einer der Tage im Leben sein, die man nicht wieder vergisst. Viele Grüße an alle Geschwister und Kinder. Schreibt doch bald wieder! Der nächste Brief geht wieder an Maria.

Es denkt immer an Euch

Euer dankbarer Dietrich

Du wartest jede Stunde mit mir

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