Читать книгу Hygienearzt in zwei Gesellschaften - Dietrich Loeff - Страница 35

Vormilitärische Ausbildung für Ärzte?

Оглавление

Eines Abends sollten wir während einer FDJ-Versammlung wohl überrumpelt werden. Soweit ich mich erinnere, war die Tagesordnung vorher nicht bekannt gegeben worden, obwohl das FDJ-Statut das vorsah. In der Beratung wurden wir dann plötzlich und ziemlich dringlich aufgefordert, uns zur vormilitärischen Ausbildung bereit zu finden. Zwar hatte ich, wie schon beschrieben, vor Studienbeginn eine Ausbildung in der GST durchgemacht, die ebenfalls mit Waffen zu tun hatte. Aber indessen kannten wir ein wenig die Genfer Konvention, die dem Sanitätspersonal allenfalls die Selbstverteidigung bei Übergriffen gegnerischer Truppen gestattet. Genau damit wurde die Aufforderung zur Ausbildung auch begründet.

Aber allzu viel Ausbildung und die drängende Art der Aufforderung waren uns verdächtig. Was steckte wirklich dahinter? So herrschte betretenes Schweigen. Ich brach trotz meiner Furcht vor den Folgen die Stille und erklärte, das sei mit meinem Gewissen unvereinbar, auch weil unter Realbedingungen keine Garantie bestünde, dass es bei Selbstverteidigung bliebe. Ich hatte kaum gesprochen, da brachen die Dämme. Die Masse der Studierenden lehnte die Ausbildung ab. Der vorbereitete Beschluss konnte nicht durchgesetzt werden. Die Versammlung endete ohne Ergebnis und der Verlauf war am nächsten Tag im ganzen Studienjahr bekannt.

Natürlich drängten die staatlichen Oberen und die der FDJ weiter. Allerdings habe ich später erfahren, dass es auch in der Hochschulgruppenleitung der FDJ Widerspruch gegeben hatte, darunter durch eine Studentin, die wir später noch näher kennenlernen werden. Aber auch ohne diese Kenntnis wehrten wir uns weiter, zitierten die Genfer Konvention und manches weitere Argument. Ein Student bemerkte öffentlich: „Ich bin kein Held und will auch keiner werden.“ Andere, mit denen ich mich am Biertisch beriet, waren raffinierter. Einige verstanden angeblich ein wenig von militärischen Dingen. Sie argumentierten genau anders herum. Der militärisch Halbgebildete gefährdet sich bei Waffengebrauch nur unnütz. Er sollte sich besser ergeben. Aus dieser Logik heraus verlangten sie eine komplette Ausbildung, die nur so Sinn hätte. Die war natürlich neben dem Medizinstudium nicht möglich und eine Studienunterbrechung angesichts des Ärztemangels stand nie zur Diskussion. Also liefen diese schlitzohrigen Argumente ebenfalls auf eine Ablehnung hinaus, ohne dass sich die Vertreter dieser Richtung besonders exponierten. Solche aalglatte Taktik hat mir selbst nie gelegen. Ich ging die Dinge immer frontal und dabei oft unklug an. Daran hat sich bis heute wenig geändert.

Es gab in dieser Zeit eine Zwischenprüfung in Gesellschaftswissenschaften. Die Prüfungsfragen waren für mich leicht, da sie sich mit der Geschichte des Dritten Reiches befassten und ich meinen sehr guten Schulunterricht voll anwenden konnte. So steuerte schon alles auf die Note Eins hin, da kam der Schlag: Der Prüfer erwartete nicht nur Kenntnisse, sondern Zustimmung zur Staatspolitik und forderte meine Unterschrift zur vormilitärischen Ausbildung. Sonst wären meine gute Zensur und damit das Leistungsstipendium dahin. Damit wäre das Studium insgesamt in sehr ernste Gefahr geraten. So unterschrieb ich verlogen lächelnd und innerlich zähneknirschend.

Ich konnte die Blamage vor mir selbst und meinen Mitstudenten aber gerade noch so ertragen, denn der Protest gegen unsere vormilitärische Ausbildung hatte indessen so viel Eigengewicht gewonnen, dass das Vorhaben nicht mehr ernstlich durchsetzbar war. Außer ein paar Marschübungen, an denen sich trotz allgemeiner Pflicht nur wenige Kommilitonen beteiligten, und anderen lächerlichen Versuchen, so zu tun, als fände etwas statt, kam nichts von Bedeutung nach. Nur ich hatte den Ärger. Studenten aus gut situierten Arzthaushalten, die meine Geldsorgen gar nicht verstehen konnten, schalten mich ins Gesicht hinein, ich hätte mich verkauft. Das musste ich schlucken, denn sie hatten ja Recht.

Hygienearzt in zwei Gesellschaften

Подняться наверх