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„Trainer, lass mich auch mal vorne spielen“
ОглавлениеEs gibt Kinder, die wollen nur im Tor stehen. Die wollen gar nicht im Feld spielen und hinter dem Ball herlaufen. Noch heute sind es manchmal die Großen und die Dicken, die schon im frühesten Alter im Tor landen. Und dann auch dort bleiben. Wenn sie mal mitspielen wollen, lassen die Trainer dies nicht zu.
Leider kann man dies auch noch heute beobachten. Ein Samstagmorgen irgendwo im Münsterland. Auf einem gediegenen Rasenplatz stehen sich zwei U9-Mannschaften gegenüber. Die Sonne scheint, die Temperatur liegt schon bei über 20 Grad. Aber im Tor steht ein kleiner Wicht, der gekleidet ist, als ginge es in den Schnee hinaus. Lange, gepolsterte Hose (trotz des Rasens), langärmeliges, gepolstertes Trikot, Mütze auf dem Kopf. Ein Torwart in einer Ritterrüstung, die seine Bewegungsfreiheit einschränkt. Schon von seiner Kleidung her ein Sonderling in seinem Team, kein richtiger Spieler. Während seine Mannschaft am anderen Ende des Spielfelds einen Eckstoß ausführt, bewacht der kleine Ritter die eigene Torlinie. Der Trainer lehnt am Pfosten und macht keinerlei Anstalten, ihn dazu aufzufordern, doch mal 15 Meter nach vorne zu gehen. Damit er Konter ablaufen kann. Damit er am Spiel teilhaben kann. Macht so etwas einem echten Fußballer auf die Dauer Spaß?
Manche begnügen sich damit. Viele nicht. Und haben irgendwann keine Lust mehr auf die Bude. Sie sind es leid, wenn die zuschauende Mutti den 10:0-Sieg mit den Worten kommentiert: „Du hattest ja gar nichts zu tun!“ Sie hätte auch sagen können: Du hast zum Sieg deiner Mannschaft nichts beigetragen. Einige hören dann irgendwann auf. Oder sie wollen ins Feld, um Teil des Spiels zu werden. Hier hinken sie nun aber den anderen hinterher, weil sie im Training bisher nur ins Tor durften. Höhepunkt der Bewegung war dort das zehnminütige Torschusstraining.
Der kleine Neuer gehört zu den Keepern, die sich nicht ans Tor ketten lassen wollen. Denen es nicht ausreicht, die Schüsse der anderen zu parieren, so schön das Fliegen zwischen den Pfosten auch sein mag. Neuer will auch im Feld spielen. „Trainer, lass mich auch mal vorne spielen“, bettelt er bei Siggi Hüneborn. Zum Ende der Saison spielt die Schalker E-Jugend beim Konkurrenten Beckhausen 05. Zur Halbzeit führen die kleinen Knappen mit 2:0. Neuer hat keine Lust mehr, beschäftigungslos im Kasten zu stehen. Hüneborn hat ein Erbarmen und lässt ihn ab Mitte der zweiten Halbzeit im Feld spielen. „Er wollte doch unbedingt auch mal ein Tor schießen. Das mit dem Tor wurde an diesem Tag aber leider nichts.“
Siggi Hüneborn verliert mit der Zeit die Lust am Mannschaftstraining. Nicht zuletzt wegen der überehrgeizigen (aber häufig ahnungslosen) Väter und Mütter am Spielfeldrand: „Ich hatte von den Eltern die Nase voll.“ Hüneborn erinnert sich an ein Spiel, wo er den Libero, den es damals noch gab, anwies, sich weiter nach vorne zu orientieren. „Schließlich hatten wir den Manu im Tor.“ Irgendwann stand der Junge heulend da und wusste nicht mehr, was er machen sollte. Denn von der Seitenlinie aus erteilte ihm sein Vater die Order, gefälligst hinten zu bleiben. Der Junge kam völlig von der Rolle: „Du sagst, ich soll nach vorne gehen – mein Papa sagt, ich soll hinten bleiben.“