Читать книгу Neuer - Dietrich Schulze-Marmeling - Страница 32
Anders als alle anderen
ОглавлениеAllerdings bemüht sich auch Helmut Schulte in dieser Zeit noch um einen anderen Keeper. Der Chef des Schalker Nachwuchses hat ein Auge auf den deutschen U15-Nationaltorhüter René Adler vom VfB Leipzig geworfen. Adlers Entdecker ist Rüdiger Vollborn, die langjährige Nummer eins von Bayer Leverkusen und Torwarttrainer der U15-Nationalmannschaft und von Bayer. Als Vollborn Adler das erste Mal in Leipzig sah, war er auf den ersten Blick von dessen Sprungkraft fasziniert. „Der war ja eine halbe Stunde in der Luft unterwegs und flog in die Ecken, das war der Wahnsinn.“ Als Vollborn im Sommer 2000 sein Engagement beim DFB beendet, um sich nur noch den Keepern von Bayer zu widmen, nimmt er Adler einfach mit. Schulte ist verärgert: Vollborn habe seine Doppelfunktion dazu missbraucht, um sich das Talent zu sichern.
So entgeht Neuer vorerst der Konkurrenz mit Adler; sie wird ihm Jahre später wieder begegnen. Bei Schalke hat er nach wie vor einen schweren Stand. In der U15 angekommen, fehlt es ihm anfangs nicht nur an Größe, sondern auch an Kraft, weshalb ihn die anderen Spieler manchmal foppen. Matuschak: „Ich habe Manuel gesagt: Wehr dich – mach, mach. Manuel ist schlagfertig und hat sofort mit einem Spruch zurückgeschossen.“
Dritter Torwart in der U15 ist nicht die allerbeste Ausgangsposition. Aber Neuer überlebt nicht nur dank seiner flotten Sprüche, sondern vor allem, weil „wir nun fast von Tag zu Tag eine Entwicklung sehen konnten, dass etwas mit ihm wurde“ (Matuschak). Zur Freude und Erleichterung seiner Fürsprecher. Neuer rechtfertigt die Entscheidung, von der Regel eine Ausnahme zu machen und in dieser Altersklasse mit drei Torhütern zu arbeiten. Matuschak: „Bei allen körperlichen Defiziten – er hat fast immer die richtige Entscheidung getroffen. Als Torhüter musst du bereit sein, Entscheidungen zu treffen. Das tut er. Deshalb ist sein Spiel heute so gradlinig und so gut.“
Als auch die Kraft noch dazukommt, beeindruckt Neuer mit seinen weiten Abwürfen. Matuschak: „Wir sagten uns: ,Das kann eine Waffe werden.‘ Denn mit der Hand kannst du den Ball über weite Strecken präziser zu einem Gegenspieler bringen als mit dem Fuß.“ Neuer ist anders als die anderen Keeper. Matuschak: „Der war schon immer irgendwie anders. Der wollte immer schon ein ganz besonderer Torwart sein.“ Bei Neuer sei auch schon früh der Hang zu erkennen gewesen, „mehr als das Normale zu machen“. Auch habe er vor Ehrgeiz gebrannt. Und manchmal sogar geweint, wenn er ein Tor kassierte.
Auch Matuschak und Osigus können, wenn sie mit Neuer trainieren, einen Dauergast begrüßen: Wilhelm Leitheiser, Manuel Neuers „Opa Willi“. Noch immer begleitet er seinen Enkel zum Sportplatz. Osigus: „Während seiner ersten Jahre bei mir im Torwarttraining war immer sein Opa dabei. Nach jeder guten Einheit bekam Manu, oder auch der Schnapper, wie er bei uns genannt wird, fünf Mark. Sein Opa war einfach überragend, dankbar und einfach authentisch. Ich freue mich heute noch, wenn ich ihn sehe.“ Matuschak: „Eigentlich waren Verwandte bei uns auf dem Trainingsgelände gar nicht gern gesehen. Aber ich kannte Opa Willi halt, da habe ich eine Ausnahme gemacht.“ Bei Trainingsende sei Opa Willi häufiger auf den Platz gekommen, um Manuel noch einmal ganz genau zu zeigen, wie es richtig geht. „Und uns natürlich auch.“
Was allen Betreuern auffällt, sind Neuers zumindest für einen Torwart überragende Feldspielerqualitäten. Osigus: „Wenn wir Drei-gegen-drei gespielt haben, sah man: Der kann kicken. Er machte Dinge, mit denen andere überfordert waren.“ Und Matuschak erzählt eine Geschichte aus dem Trainingslager der U19-Junioren im münsterländischen Billerbeck. Auf der einen Seite des Spielfelds arbeitet Jugendtrainer Norbert Elgert mit den Feldspielern, auf der anderen Matuschak mit drei Torhütern. Nach einiger Zeit ruft Elgert die Torleute zu sich. Auf dem Weg in die andere Spielhälfte passieren die Torhüter einen einsamen Ball, der in der Mitte des Spielfelds liegt. „Die ersten beiden Keeper laufen an ihm vorbei, während Manu den Ball nimmt und damit Spöksken macht. Da habe ich gedacht: Ja, das ist der Unterschied.“
Neuer liebt das Spiel. Einmal wird ihm im Training durch einen harten Schuss sein Daumen zertrümmert. Der Junge wird im Krankenhaus Bergmannsheil operiert. Die Heilungschancen sind ungewiss. Neuer ist verzweifelt, aber Matuschak tröstet ihn. Der Trainer hat selber Tränen in den Augen, denn er weiß: „Der Ball ist sein Leben.“
Doch Manuel Neuer spielt nicht nur Fußball. Er ist auch ein begeisterter Skiläufer und verbringt mit den Eltern Skiurlaube in Tirol. Bis zum 14. Lebensjahr spielt er regelmäßig Tennis im Verein TG Gold-Weiß Gelsenkirchen. Der Junge hat Talent und ist ein guter Tennisspieler, sein Vorbild ist Boris Becker. Lothar Matuschak ist überzeugt: Neuer hätte auch ein guter Tennisspieler, Basketballer oder Handballer werden können. „Der liebte einfach die Kugel – in jeder Größe.“ Aber mit 14 Jahren muss er sich zwischen dem Fußball und dem Tennissport entscheiden. Beides ist zeitlich nicht machbar.
Letztlich gehört seine Liebe dem Fußball, und nicht nur als Aktiver: Manuel Neuer ist auch als Fan unterwegs. Natürlich ist er Anhänger der „Knappen“ – ein typischer Bueraner Jugendlicher, der sich mit Gleichaltrigen in einem Fanklub namens „Buerschenschaft“ organisiert und in der Kurve steht. „Im Parkstadion saß ich häufig auf dem seitlichen Zaun zwischen den Blöcken, oben im ,Y‘“, erzählt er. „Da musste man einen Pulli reinlegen, um auf den Spitzen sitzen zu können. Ich bin auch zu den Auswärtsfahrten meistens mit dem Bus gefahren.“ Der Schalker Nachwuchsspieler Neuer kennt die Fanszene bestens, einschließlich ihrer Problemfans. Als die Schalker U17 in Dortmund ein Pokalfinale gegen den BVB bestreitet, kommt es nach dem Schlusspfiff zu Hauereien zwischen den verfeindeten Fan-Gruppen. Auf dem Sportplatz herrscht ein einziges Chaos. U17-Trainer Manfred Dubski und Lothar Matuschak bekommen es ein wenig mit der Angst zu tun, als eine Horde raufwilliger Fans in ihre Richtung läuft. Aber der neben ihnen stehende Manuel Neuer gibt Entwarnung: „Ganz ruhig bleiben – das sind unsere.“ Allerdings ist Neuer so manchem Betreuer etwas „zu viel Fan“; man befürchtet, er könne zu stark in die Szene abrutschen.