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„Helmut, wir dürfen den nicht abgeben.“
ОглавлениеIm Übergang vom ersten zum zweiten Jahr C-Jugend, also von der U14 zur U15, droht Neuer auf Schalke das Aus. Der 13-Jährige wird für „zu klein“ befunden. Man legt ihm einen Wechsel zu einem anderen Verein nahe. Aber im Verein gibt es mit Matuschak, Osigus und Hüneborn Trainer, die einen jungen Spieler nicht nur in der Momentaufnahme betrachten, sondern auch perspektivisch.
Doch selbst Matuschak ist zunächst irritiert, als er bei der Sichtung für den älteren C-Jugend-Jahrgang Neuer begegnet. Als sich aus einer Gruppe von Spielern „so’n Kleiner rauslöste“, hofft er zunächst, dass das nicht der Torwart ist. Matuschak fragt sich, warum ausgerechnet dieser Junge Torwart werden wolle. Der Kerl sei „kaum größer als eine Tischkante“ gewesen und habe eine „piepsige Stimme“ und ein „Milchgesicht“ gehabt. Aber der Kleine ist auch ein Schelm, ein großes Schlitzohr, ein pfiffiger Kerl. Fleißig, aber nicht übermäßig fleißig. Schon gar nicht verbissen. Eher etwas phlegmatisch. Aber der Junge sei auch dazu in der Lage gewesen, sich auf den Punkt zu konzentrieren. Und: Er habe einen guten Charakter besessen. Irgendwie imponiert ihm der Kleine. Matuschak erkennt schnell: „Alles, was ein Torwartspiel ausmacht, steckte in ihm. Man konnte sehen, dass er gleich mehrere Veranlagungen hatte. Also habe ich ihn gefragt: ,Willst du Torwart werden?‘ Er antwortete: ,Ja.‘ Dann habe ich ihm gesagt: ,Komm, ich helfe dir.‘ Wenn ich ehrlich bin: Das habe ich zu jedem unserer jungen Torhüter gesagt.“
Neuers Befürworter ernten Skepsis und müssen sich fragen lassen, „ob wir Eishockeytorhüter ausbilden wollten“ (Osigus). Hüneborn: „Wir sagten: Manuels Eltern sind doch groß, sein Opa ist es auch. Da würde also noch etwas kommen.“
In dieser Situation registrieren die Trainer die mentale Stärke ihres Schützlings. Als dessen Zukunft heiß und kontrovers diskutiert wird, scheint dies eine Person überhaupt nicht zu tangieren: Manuel Neuer. „Er ist in dieser Situation überhaupt nicht nervös geworden“, erzählt Osigus: „Er hat einfach sein Ding weiter gespielt.“ Aber Matuschak ist auch überzeugt: „Manuel hätte Rotz und Wasser geheult, hätte man ihn weggeschickt. Er war doch schon so lange im Verein.“
Eigentlich hat man für die U15 bereits zwei Torhüter. Und in der Regel sind auch nicht mehr als zwei vorgesehen. Matuschak geht nun zu Helmut Schulte: „Helmut, wir dürfen den nicht abgeben. Den müssen wir behalten. Auch wenn wir dann in dieser Altersgruppe drei Keeper haben und er nur der dritte Torwart ist.“ So wird mit Neuer eine Ausnahme gemacht.
Die Karriere junger Fußballer ist manchmal extrem abhängig von den Entscheidungen anderer Menschen. Hätte sich Lothar Matuschak nicht durchgesetzt oder „auf Schalke“ eine andere Torwartphilosophie geherrscht, hätte man den Torwart Neuer möglicherweise auf der großen Bühne nie gesehen. Neuer wäre zu einem kleineren Verein gegangen und dort vermutlich den Talentspähern entgangen. Denn ab einem gewissen Alter sind in der Regel nur noch Spieler im Fokus von Scouts und Auswahltrainern, die in der Jugend eines Profivereins kicken. Wer es schon mal dorthin geschafft hat, besitzt einen Bonus. Die Auslese beginnt früh – häufig viel zu früh.
„Auf Schalke“ darf Neuer bleiben, doch in der Westfalenauswahl kennt man keine Gnade. Als 13-Jähriger misst Neuer erst 1,74 Meter – zu wenig für die Auswahltrainer. Neuer: „Ich wurde aus der Westfalenauswahl geworfen, weil die anderen Torhüter größer waren.“