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Der verlängerte Arm des Trainers

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In der Saison 1991/92, Cruyffs erfolgreichstem Jahr als Trainer des FC Barcelona, wird Guardiola Stammspieler. Nach 38 Spieltagen der Primera División stehen 26 Einsätze zu Buche. Im Europapokal der Landesmeister ist er bei allen elf Auftritten dabei.

Cruyff sieht in ihm den Spieler, der seine Ideen auf dem Spielfeld perfekt umsetzen kann. Guardiola wird zum Musterschüler des „Königs“. Mit ihm verbessern sich Cruyffs Chancen, Barça einen Fußball nach seinen Vorstellungen spielen zu lassen. „Der einfache Fußball (ist) häufig der schwierigste“, lautet Cruyffs Credo. Guardiola ist der Spieler, der diesen einfachen und zugleich schwierigen Fußball beherrscht und aufs Feld zaubern kann wie kaum ein anderer. „Er konnte den Ball schnell unter Kontrolle bringen und ihn schnell weiterpassen“, erkennt Cruyff. „In einer Weise, dass ein anderer Spieler mit dem Ball etwas anfangen konnte.“

Guardiola agiert als tiefer Spielmacher vor einer Dreierkette oder als Halbspieler vor einer Viererkette. Guardiola ist die Umschaltstation in Barças Spiel – ein „Standspieler“, der den gegnerischen Angriff bremst, um dann schnell den Gegenangriff einzuleiten. Nicht durch schnelles Laufen, sondern durch schnelles, präzises und strategisch kluges Passen, wodurch er die Struktur des Angriffs seines Teams vorgibt. Sein Nachfolger Xavi wird unter dem Trainer Guardiola die Position des „Quarterbacks“ erheblich höher spielen.

Guardiola wird zum Denker und Lenker des Spiels und verlängerten Arm des Trainers auf dem Platz. Cruyff-Assistent Carles Rexach: „Als Cruyff und ich Trainer waren, dachten wir über eine Strategie nach und erklärten sie den Spielern.“ Wenn die Mannschaft die Kabine verließ, hätten sie Guardiola zurückgehalten, um ihm mitzuteilen: „‚Wir werden so und so spielen, aber in der 20. Minute werde ich dir ein Zeichen geben, und du wirst unsere Strategie ändern.‘ (…) Wenn wir die Taktik ändern mussten, dann ging das immer über Ronald Koeman mit seiner Erfahrung und Guardiola mit seiner Vision.“

Der Trainer Cruyff will, dass die Spieler seine taktischen Anweisungen verstehen. Nur wenn sie deren Sinn erkennen, sind sie fähig, die taktische Marschroute optimal umzusetzen. Cruyff ermutigt die Spieler zum Nachdenken über das Spiel, zur Diskussion und zur eigenständigen Analyse ihrer Fehler. So ist es kein Wunder, dass der Trainer und der wissbegierige und diskussionsfreudige Spieler Guardiola bestens zueinanderfinden.

Seine Position im defensiven Mittelfeld ist eine gute Schule für Guardiolas spätere Trainertätigkeit. Wer hier spielt, muss ein Spiel lesen können und ist taktisch wie strategisch permanent gefordert. Wie einst im Spieler Cruyff steckt auch im Spieler Guardiola bereits ein Trainer. Cruyffs Nummer 4 coacht seine Mitspieler – allerdings leiser und weniger gestenreich als einst der „König“.

Juan Manuel „Juanma“ Lillo, Guardiolas späterer Mentor, sieht eine direkte Verbindung zwischen dem Mittelfeldspieler und dem späteren Trainer. In einem Interview mit Dino Reisner und Daniel Martinez erklärt er Guardiolas Wissbegierde und Ehrgeiz zur „logischen Folge seiner Position auf dem Feld. Fast alle Mittelfeldspieler tendieren dazu, das Spiel aus einer globalen Perspektive zu betrachten und zu verstehen. Rein geometrisch müssen sie das ganze Spielfeld erfassen, sie dürfen ihr Gehirn nicht ausschalten, im Gegenteil: Diese Spieler müssen nicht nur ständig denken und überlegen, sondern gedanklich auch stets einen Schritt schneller und weiter sein als alle anderen. Und das alles nicht nur für sich selbst, sondern vor allem für die Mannschaft, die immer oberste Priorität hat.“

Auch Guardiolas niederländische Mannschaftskameraden beim FC Barcelona sehen einen Zusammenhang zwischen seiner Position im Barça-System und seiner späteren Trainerkarriere. Michael Reiziger: „Er spielte immer vor der Abwehr, und er sah die folgenden drei Spielzüge voraus. Eine typisch niederländische Sache.“ Frank de Boer: „Pep war in Wirklichkeit der Schnellste von uns. Nicht im Rennen, aber im Denken.“ Für de Boer war klar, dass Guardiola mal Trainer werden würde: „Er war schon ein Trainer, als er noch spielte. Er redete ständig, schubste – aber in einer positiven Weise. Er war ein stiller Leader. Einige Spieler waren lautstark, wie ich. Aber Guardiola und Philip Cocu waren leise Anführer. Louis van Gaal und Pep benötigten nur Augenkontakt.“ Und Marc Overmars: „Du wusstest, dass er ein guter Trainer wird. Als Spieler sah er die Lösung immer vor allen anderen. Er geriet niemals in Panik. (…) Ich habe nur wenige Spieler wie ihn gesehen. Ronald Koeman hatte das auch. Barça entwickelt solche Spieler. Ich bin mir sicher, dass auch Iniesta und Xavi wunderbare Trainer werden. (…) Es ist auffallend, dass die meisten dieser Spieler eher langsam sind. Aufgrund dieses Defizits müssen sie vorausdenkend spielen. Sie sind Großmeister, wenn es um taktische Dinge geht.“ Auch der Bundesligatrainer Lucien Favre erinnert sich an Guardiola als einen „sehr langsamen Spieler, aber mit großer Spielintelligenz“.

Als Guardiola 2008 Trainer der Blaugrana wird, mutmaßt er, dass er heute als 21-Jähriger beim FC Barcelona keine Chance mehr besäße. Der Fußball habe sich weiter verändert, heute werde mit einem erheblich höheren Tempo gespielt. Außerdem habe der Mittelfeldspieler vor der Abwehrkette heute Bälle zu erobern und anschließend nach vorne zu stürmen, wie etwa Liverpools Steven Gerrard oder Chelseas Frank Lampard. Eben das habe nicht zu seinen Qualitäten gezählt: „Ich würde niemals Profi werden, es höchstens bis in die dritte Liga bringen. Ich bin nicht schnell, ich habe nicht die Kondition, um 90 Minuten über das Feld zu rennen, wie es die heutigen Mittelfeldspieler tun. Ich bin nicht gut in der Luft, ich bin nicht kräftig. Alles, was ich kann, das ist Passen.“ Aber Passen ist noch heute der Kern des Barça-Spiels.

Guardiola

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