Читать книгу Essentielle Schriften - Dionysius Areopagita - Страница 52
§ 20.
ОглавлениеDarauf wird die wahre Beweisführung115 erwidern, daß das Übel, sofern es Übel ist, keinerlei Wesenheit und Entstehung bewirkt, sondern nur, soweit es an ihm liegt, die Substanz der Dinge verschlechtert und verdirbt. Wenn aber jemand behauptet, das Übel bewirke Entstehen und verleihe durch Zerstörung des einen dem andern ein Werden, so lautet die richtige Antwort: Nicht insofern das Böse zerstört, schafft es ein Entstehen, sondern als Verderben und Übel kann es nur verderben und verschlechtern, Entstehen aber und Wesenheit entsteht wegen des Guten, und so wird das Übel wegen seiner Natur Verderbnis, wegen des Guten aber Entstehen bewirken. Insofern es Übel ist, hat es kein Sein und kann nichts Seiendes hervorbringen. Wegen des Guten aber hat es Sein und ist gut und bringt Gutes hervor. Ja, es wird auch nicht ein und dasselbe in ein und derselben Rücksicht gut und böse zugleich sein, und nicht ein und dieselbe Kraft wird in ein und derselben Rücksicht zugleich Verderbnis und Hervorbringung sein, weder als selbstwirkende Kraft noch als selbstwirkende Verderbnis. Das absolut Böse hat kein Sein, keine Güte, keine hervorbringende Kraft, keine Fähigkeit, Seiendes und Gutes zu schaffen. Das Gute dagegen macht alles, worin es vollständig eintritt, vollkommen und zu einem unvermischten, allseitigen Guten. Was aber am Guten weniger Anteil hat, ist auch unvollkommen und ein gemischt Gutes wegen des Defektes im Guten. Überhaupt ist das Böse weder ein Gutes, noch schafft es Gutes, sondern was dem Guten mehr oder weniger sich nähert, wird im entsprechenden Grade gut sein. Denn die alles durchwaltende, ganz vollkommene Güte dringt nicht bloß bis zu den ganz guten Wesen, die sie umstehen,116 sondern erstreckt sich hinaus bis zu den entferntesten Dingen; den einen ist sie ganz gegenwärtig, den andern in vermindertem Grade, anderen im äußersten Abstand, je nachdem jedes Wesen an ihr teilnehmen kann. Die einen haben nach jeder Beziehung am Guten Anteil, die anderen sind dessen mehr oder weniger beraubt, andere genießen eine trübere Mitteilung des Guten, und wieder anderen wohnt das Gute nur mehr inne wie ein entlegenster Widerhall.117 Denn wenn das Gute nicht einem jeden Wesen dessen Natur entsprechend118 innewohnte, so nähme das Göttlichste und Vornehmste die äußerste (letzte) Stelle ein. Wie wäre es denn auch möglich, daß alles auf gleichförmige Weise am Guten Anteil hätte, da nicht alles auf gleiche Weise für die Aufnahme des Guten befähigt ist? Nun ist aber die Macht des Guten von einer solchen überschwenglichen Größe, daß es auch die des Guten beraubten Wesen und die Privation seiner selbst (des Guten) in den Stand setzt, überhaupt an ihm teilzunehmen. Ja, wenn man kühn die Wahrheit sagen soll, selbst das, was dem Guten widerstreitet, hat nur durch dessen Macht sein Dasein und die Möglichkeit, wider das Gute zu kämpfen. Um es kurz zu sagen, es ist vielmehr alles Seiende, soweit es ist, gut und aus dem Guten; soweit es aber des Guten beraubt ist, ist es weder gut, noch hat es ein Sein. Denn bei den andern Zuständen, z. B. der Wärme oder Kälte, bleiben doch die erwärmten Gegenstände zurück, auch wenn die Wärme von ihnen weicht, und so bleiben viele Wesen, wenn sie des Lebens und der Vernunft auch nicht mehr teilhaftig sind. Gott selbst aber ist über die Wesenheit erhaben und überwesentlich. Kurz, bei allen übrigen Wesen, mag auch der betreffende Zustand weichen oder nicht vollständig eintreten, bleiben doch die seienden Dinge und können sich behaupten; was aber in jeder Weise des Guten beraubt ist, das war nirgends und war ganz und gar nicht; es ist nicht, wird nicht sein und kann nicht sein. Wenn z. B. der Ausschweifende hinsichtlich seiner unvernünftigen Leidenschaft des Guten beraubt ist, so ist er hierin ein Nichts und begehrt nach Dingen, die ein Nichts sind; gleichwohl aber hat er Anteil am Guten, insofern die Verbindung und Freundschaft ein dunkles Echo des Guten bildet. Auch der Zorn hat Anteil am Guten eben in der Erregtheit und in dem Streben, das anscheinende Übel zum anscheinend Guten zu verbessern und zu wenden. Selbst ein Mensch, der nach dem schlechtesten Leben strebt, begehrt doch überhaupt nach Leben, und zwar nach dem, das ihm als bestes erscheint, und deshalb hat er Anteil am Guten, sofern er das Streben selbst hat, Leben erstrebt, und zwar ein bestes Leben beabsichtigt. Nimmst du aber alles Gute hinweg, so bleibt weder Wesenheit noch Leben noch Streben noch Bewegung noch irgend etwas anderes. Mithin bedeutet auch das Werden durch Verderben nicht eine Kraft des Bösen, sondern die Gegenwart eines geringeren Guten, gleichwie Krankheit zwar ein Defekt in der Stufe des Seins, aber nicht ein solcher nach dem ganzen Umfange (des Seins) ist. Denn wenn dieser Fall einträte, dann würde auch die Krankheit selbst nicht mehr fortbestehen. Nun bleibt aber die Krankheit und hat ein Sein, indem sie eine Wesenheit schwächster Abstufung besitzt und in ihr mitsubsistiert. Denn was in jeder Beziehung des Guten unteilhaftig ist, existiert und findet sich auch nicht in den Dingen. Was jedoch mit Gutem gemischt ist, das ist wegen des Guten auch in den Dingen und hat insoweit auch in den Dingen ein Sein, als es am Guten Anteil hat. Oder vielmehr alle Wesen haben in dem Grade ein volleres oder ein schwächeres Sein, als sie am Guten teilnehmen. Wird ja auch in Hinsicht auf das Sein als solches dasjenige, was nirgendwann und auf keine Weise existiert, kein Sein besitzen. Ein solches Ding dagegen, das nach der einen Beziehung ist, nach der andern aber nicht ist, existiert nicht, insoweit es von dem ewig Seienden abgeglitten ist. Soweit es aber am Sein Anteil gewonnen, hat es ein Sein und vermag es sein Dasein überhaupt und das ihm anhaftende Nichtseiende festzuhalten und zu bewahren. Das Übel dagegen, das ganz und gar vom Guten abgefallen ist, wird weder in den einen Dingen mehr, noch in den andern weniger ein Gutes sein. Was hinwieder nach der einen Seite gut, nach der andern nicht gut ist, liegt mit irgendeinem Guten im Streite, aber nicht mit dem Gesamtguten; es behauptet sich selbst durch die Teilnahme am Guten, und das: Gute verleiht eben durch seine Mitteilung auch der Privation des Guten eine Wesenheit. Denn sobald das Gute nach jeder Rücksicht entschwunden ist, wird es überhaupt weder ein Gutes noch ein Gemischtgutes noch ein an und für sich Böses geben. Wenn nämlich das Böse ein unvollkommenes Gut ist, so wird bei einer vollständigen Abwesenheit des Guten auch das unvollkommene und das vollkommene Gut dahin sein. Nur dann wird das Übel ein Dasein haben und sichtbar werden, wann es für die einen Dinge, denen es feindlich gegenübertritt, ein Übel ist, an die andern aber, weil sie gut sind, sich anheftet.119 Denn das ist unmöglich, daß ein und dieselben Dinge in ein und denselben Beziehungen allenthalben sich gegenseitig bekämpfen. Folglich hat das Übel kein Sein.