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2.2.2 Johann Hinrich Wichern: Die christliche Gemeinde als Entwicklungsschule der Charismen

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Die Bedeutung der «Inneren Mission» für den sich allmählich abzeichnenden theologischen Bewusstseinswandel kann kaum überschätzt werden. Das hohe Laienengagement und seine theologische Legitimation u.a. durch Johann Hinrich Wichern befreiten die Charismen mehr und mehr vom Schleier des Historischen und bereiteten den Weg für die Wiederentdeckung ihrer gegenwärtigen Bedeutung. Wer in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts über die Charismen reflektierte, musste früher oder später auf die Innere Mission zu sprechen kommen.[168]

Johann Hinrich Wicherns Reformprogramm nimmt seinen Ausgangspunkt beim reformatorischen Prinzip des allgemeinen Priestertums.[169] Es geht ihm immer wieder um den «Beruf der Nichtgeistlichen für die Arbeiten im Reiche Gottes und den Bau der Gemeinde»[170]. Zu seiner theologischen Begründung bezieht sich Wichern nicht konsequent, aber ausführlicher als Philipp J. Spener auf die Charismenlehre. Wichern entwickelt zwar keine eingehende theologische Theorie über die Charismen,[171] doch ihre praktische Freisetzung ist ein zentrales Motiv seiner neuen Vision von Gemeinde und Gesellschaft.[172] In den bekannten zwölf Thesen zum «Beruf der Nichtgeistlichen für die Arbeit im Reiche Gottes und den Bau der Gemeinde» (vorgelegt zum Kirchentag 1867) schreibt Wichern:

«Es kommt darauf an, […] die in der Gemeinde vorhandenen und bis dahin noch vielfach gebundenen Charismen zu erwecken, zu entwickeln und zu verwerten […]. Die Gemeinde selbst mit ihren amtlich geordneten und ihren freien Institutionen […] muß die praktische Erziehungs- und Entwicklungsschule für die geweckten Charismen der Nicht-Geistlichen werden.»[173]

In der darauf folgenden, frei gehaltenen und nur in Nachschrift erhaltenen Rede ermahnt er die Zuhörer, es nicht einem badischen Pfarrer gleich zu tun, der einer engagierten Christin verbat, sich um arme Waisenkinder zu kümmern. Wer so handelt «werde […] nirgends Charismen entdecken»[174]. Vielmehr gilt: «Charismen sollen nicht getötet, sondern erweckt werden.»[175] Wichern ist überzeugt: Wer in der Gemeinde wahrhaft Seelsorge übt, Gottes Wort als lebendiger Zeuge verkündigt und «stille und treu sucht», der wird «die freudige Entdeckung machen, daß ein, ja welch’ ein Reichtum von Gaben in einer solchen Gemeinde aus der Verborgenheit erwacht»[176].

Charisma als Grundbegriff der Praktischen Theologie

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