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2.3 Die Wiedergewinnung der theologischen Relevanz der Charismenlehre in der Theologie des 20. Jahrhunderts 2.3.1 Edmund Schlink: Charismatische Erfahrungen der Bekennenden Kirche

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Die Impulse, die einzelne Theologen im 19. Jahrhundert zur Neuentdeckung der Charismenlehre gaben, wurden in der Theologie nach dem zweiten Weltkrieg aufgenommen, so dass es zu einer Wiedergewinnung ihrer theologischen Relevanz kam. In der Diskussion um die kirchliche Reorganisation nach dem Zusammenbruch und vielfachen Scheitern der evangelischen Kirchen unter der nationalsozialistischen Diktatur wurde der Ruf nach theologischen Klärungen laut, die den bisherigen Horizont der konfessionellen Ekklesiologie überblicken und die neuen Erfahrungen reflektieren, die die Gemeinden der Bekennende Kirche gemacht hatten:[262] Als ihnen durch Inhaftierung oder Einberufung die Mehrheit ihrer Pfarrer genommen worden waren, kamen bisher verborgene Charismen zum Vorschein.[263] «Mündige Gemeinde» wurde Wirklichkeit.[264] Edmund Schlink beschreibt diese Erfahrungen in seinem Rechenschaftsbericht über den «Ertrag des Kirchenkampfes» (1947).

«In dieser Situation sind manche Gemeinden zugrunde gegangen. Aber in zahlreichen Gemeinden brachen Dienstleistungen hervor, die in ähnlicher Art zwar schon immer Römer 12 und 1.Kor. 12 bezeugt waren, die man aber bisher nur für die Besonderheit jener urchristlichen Gemeinden gehalten hatte. Es wurden Gaben sichtbar, die zum Teil schon vorher in der Gemeinde dagewesen sein mögen, ohne daß sie unter einem Pfarrer, der alles selbst tun zu müssen glaubt, zur Auswirkung hätten gelangen können; teils wurden diese Gaben in der Notlage der Gemeinden erst von Gott geschenkt. So mancher Kirchenvorsteher begann seinen Auftrag neu zu verstehen als Dienst des Wächters. So mancher, der immer nur Hörer des Wortes gewesen war, trat nun vor die Gemeinde, um mit dem gelesenen Wort, zum Teil aber auch mit eigener Schriftauslegung der gottesdienstlichen Versammlung zu dienen. So mancher, der nie daran gedacht hätte, solches zu tun, begleitete Trauernde zum Grabe […] Neben die schon bestehenden diakonischen Ämter traten nun Lektoren, Katecheten, sowie Männer und Frauen, die Gemeindebezirke als Armenpfleger oder auch als Seelsorger übernahmen, Jugendhelfer, die die Kinder sammelten, sowie sonstige Dienstleistungen in größter Mannigfaltigkeit. In beglückender Weise wurde vielerorts Wirklichkeit, daß jede Gabe der Gesamtheit dient und daß alle Geistesgaben sich gegenseitig ergänzen.»[265]

Die charismatischen Erfahrungen des Kirchenkampfes versteht Edmund Schlink als «Geschenk der Erneuerung», sie bedürfen seiner Einschätzung nach aber dringend einer theologischen Klärung.[266] Diese Aufgabe wurde zunächst von der neutestamentlichen Exegese in Angriff genommen. Die kurz nach dem zweiten Weltkrieg entstandenen Untersuchungen verbinden die historische Rekonstruktion der paulinischen Charismenlehre stets mit einem aktuellen praktischen Interesse. Sie fragen nach dem kritisch-konstruktiven Beitrag der Charismenlehre zur (Neu-)Gestaltung der evangelischen Kirche und ihrer Gemeinden. Beachtet und rezipiert wurden neben Eduard Schweizers Arbeiten vor allem Ernst Käsemanns Vortrag aus dem Jahre 1949 über «Amt und Gemeinde im Neuen Testament» und die Bibelarbeit von Georg Eichholz über die «charismatische Gemeinde» von 1960.[267]

Charisma als Grundbegriff der Praktischen Theologie

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