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2.1.2 Die Apostolischen Konstitutionen: Ein Demutsappell an die charismatisch begabten Amtsinhaber

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Die Apostolischen Konstitutionen, eine apostolische Verfasserschaft beanspruchende heterogene Sammlung und Überarbeitung verschiedener kirchenrechtlicher und liturgischer Ordnungen aus dem 4. Jahrhundert,[70] enthalten zu Beginn des achten Buches den ersten und einzigen erhaltenen Text aus altkirchlicher Zeit, der die Charismen zum Thema praktisch-theologischer Überlegungen macht. Dabei scheint es, als wäre die sich im zweiten Jahrhundert andeutende Einengung der Charismen auf das Mirakulöse zu einem vorläufigen Abschluss gekommen. Denn unter den von Gott «durch den Heiligen Geist verliehenen Charismen» (τὰ […] διὰ τοῦ πνεύματος διδομένα χαρίσματα) werden zunächst nur die «Zeichen» (σημεῖα) aus Mk 16,17f (Exorzismen, Krankenheilungen und Glossolalie) genannt, die den Aposteln und ihren Schülern zur Überzeugung der Ungläubigen verliehen wurden.[71] Da aber nicht jeder Glaubende einer Gnadengabe gewürdigt ist,[72] führt die ganze Erörterung zu einer Ermahnung an diejenigen, die Charismen empfangen haben (οἱ λαβόντες χαρίσματα), sich nicht über die zu erheben, die sie nicht empfangen haben (οἱ μή λαβόντες).[73] Die Kraft zum Wundertun komme nämlich nicht aus ihnen selbst, sondern ausschließlich von Gott.[74]

Daneben erscheint aber eine andere Argumentation, die ein erweitertes Charismenverständnis zeigt:[75] Es wird ausdrücklich klargestellt, dass die Unterscheidung zwischen Charismatikern und Nicht-Charismatikern eben nur für die wunderhaften Charismen gilt.[76] Geistlicher Hochmut sei weiterhin ausgeschlossen, weil es in einem allgemeinen Sinn keinen zum Glauben gekommenen Menschen gebe, der nicht eine «geistliche Gabe» (χάρισμα πνευματικόν) empfangen habe.[77] Die folgende Ausführung zeigt allerdings, dass der Verfasser hierbei nicht mehr die Vielfalt charismatischer Dienste vor Augen hat, die Paulus jedem Glaubenden in je individueller Verschiedenheit zugesprochen hatte. Das jedem Menschen verliehene Charisma ist vielmehr identisch mit dem Glauben ans christologische Dogma und mit der Abkehr von Judentum, Heidentum bzw. Häresie. Das jedem auf seine Weise verliehene Charisma beruft, ermächtigt und begabt nicht mehr zur Ausübung einer bestimmten Funktion in der Gemeinde, sondern wird hier im allgemeinen Sinn auf den privaten Heilsglauben und an anderer Stelle auf Tugenden eingeschränkt.[78] Von daher ist es fast zwangsläufig, dass die Ermahnung an die Charismatiker, sich nicht über die anderen zu überheben, «unter der Hand»[79] zu einer Ermahnung der «Priester» (ἱερεῖς) wird, sich aufgrund der ihnen verliehenen Gnadengabe nicht über die «Laien» (λαϊκοί) zu erheben.[80] Sie sind im eigentlichen Sinn «diejenigen, die eines Charismas oder einer Ehrenstellung gewürdigt werden».[81] Die Charismen außerhalb des Amtes unterliegen zwar nicht – wie Moritz Lauterburg meint[82] – einer konsequenten «Nichtanerkennung», haben allerdings für die Gemeindepraxis keine wesentliche Bedeutung mehr. Es wundert daher kaum, dass die folgenden Kapitel über die kirchliche Weihe der Bischöfe mit dem Satz eingeleitet werden, dass man nun zu dem «wichtigsten Punkt der kirchlichen Organisation» komme.[83] Somit findet sich in den Konstitutionen neben dem mirakulösen Missverständnis der Charismen als wunderhafte Phänomene auch die Konzentration auf das Amt, wenn auch beides noch nicht in sachlicher und terminologischer Strenge durchgeführt wird.

Insgesamt bleibt diese erste praktisch-theologische Abhandlung über die Charismen auffallend blass. Sie übernimmt aus der paulinischen Charismenlehre letztlich kaum mehr als die Warnung vor geistlichem Hochmut, während die grundsätzliche theologische und praktische Relevanz des Charismabegriffs für das Zusammenwirken der gesamten Gemeinde oder für ein vertieftes Verständnis des geistlichen Amtes weitgehend unbeachtet bleibt.

Charisma als Grundbegriff der Praktischen Theologie

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