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2 Die Marginalisierung der Charismenlehre und die Wiederentdeckung ihrer theologischen Relevanz

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Die Charismenlehre wurde im Laufe der Theologiegeschichte nur selten zum Thema eingehender Reflexionen. In den großen theologischen Systemen kam ihr meist nur eine marginale Bedeutung zu. Ihre Behandlung wurde vielmals erst durch Erneuerungsbewegungen angestoßen und gefördert, die innerhalb oder außerhalb der institutionell verfassten Kirche für eine Realisierung des allgemeinen Priestertums und die Freisetzung der charismatischen Vielfalt eintraten.[42] Die Charismenlehre blieb aber weitgehend ein Randthema der akademischen Theologie. Erst im 19. und 20. Jahrhundert kam es allmählich zu einer Wieder- bzw. Neuentdeckung der Charismenlehre und ihrer theologischen Relevanz.[43]

Die Gründe für die Marginalisierung sind vielschichtig. Sie hängen einerseits mit der pastoralen Orientierung der traditionellen Theologie zusammen, sind andererseits aber auch durch eine einseitige Rezeption der Charismenlehre bedingt, die sich bereits seit der Alten Kirche abzuzeichnen beginnt. Die Charismen werden zunehmend als wunderhafte pneumatische Erscheinungen der ersten Christenheit verstanden. Ihre theologische Bedeutung beschränkt sich damit auf die historische Betrachtung der Anfangszeit der Kirche. Charisma wird zu einem musealen Begriff, der im Schaukasten der Geschichte betrachtet werden kann, aber seine grundlegende Relevanz für das kirchliche Leben und die theologische Reflexion verloren hat. Begleitet und begünstigt wird diese Entwicklung durch die allmähliche Übertragung zentraler Gemeindefunktionen auf das kirchliche Amt. Was die paulinische Charismenlehre der ganzen Gemeinde zuspricht, konzentriert und beschränkt sich letztlich auf den in seiner unverlierbaren geistlichen Würde von der Gemeinde unterschiedenen Amtsträger. Das jedem Glaubenden verheißene Charisma wird zum Privileg des kirchlichen Amtes.

Im Folgenden werden die Entwicklung der mirakulösen und pastoralen Usurpation der Charismenlehre und die Wiederentdeckung ihrer theologischen Relevanz skizziert. Angestrebt ist dabei keine erschöpfende kirchen- oder theologiegeschichtliche Studie,[44] sondern ein exemplarischer Überblick in praktisch-theologischem Interesse.[45] Eine Untersuchung zur praktisch-theologischen Rezeption und Relevanz der Charismenlehre muss theologiegeschichtliche Erblasten klären und vergessene Einsichten vergegenwärtigen, wenn überkommene Verengungen aufgedeckt und weiterführende Impulse aufgenommen werden sollen.

Charisma als Grundbegriff der Praktischen Theologie

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