Читать книгу Hypnotherapie bei Depressionen - Dirk Revenstorf - Страница 17
2.2 Die Haltung des Therapeuten
ОглавлениеIn der traditionellen Hypnose des 19. und 20. Jahrhunderts wurde Hypnose als autoritäres Verfahren der Fremdsuggestion verstanden, die durch die in Trance erhöhte Suggestibilität besser rezipiert wird. Dagegen kann das Vorgehen Ericksons dadurch charakterisiert werden, dass es an die Eigeninitiative des Patienten appelliert. Ericksons Grundhaltung beinhaltet, den Patienten auf seine bereits erlernten Möglichkeiten zurückzuführen und ihn dabei zu unterstützen, einen Weg zu beschreiten, der ihm möglichst entgegenkommt (Pacing). Der Hypnotherapeut versucht es dem Patienten leicht zu machen, die Therapieangebote im Rahmen seiner kognitiven, emotionalen und sozialen Möglichkeiten anzunehmen. Einem kontrollbewussten Menschen wird er z. B. die Alternativen anbieten, mit offenen oder geschlossenen Augen in Trance zu gehen, um ihm so die Kontrolle zu überlassen. Mit einem skeptischen Menschen wird er dessen Zweifel teilen (z. B. »Ich weiß nicht, ob Sie heute schon wirklich tief in Trance gehen können«). Er wird ihn nicht belehren, selten gut zureden und darauf bedacht sein, ihm nichts überzustülpen. Hypnotische Induktionen sind mütterlich fürsorglich und zugleich väterlich Sicherheit gebend (Ferenci 1909). Es wird versucht, dem Patienten mit Hilfe von Utilisation, Beiläufigkeit und minimalen Schritten weiterzuhelfen. Der Therapeut wird dabei im Auge behalten, Hypnose nicht im Dienste des eigenen Narzissmus zu verwenden und darauf verzichten, die Deutungshoheit an sich zu nehmen. Er ist bereit, zurück zu rudern, wenn der Patient signalisiert, dass der Rapport verloren zu gehen droht.
Der Therapeut suggeriert nicht Veränderungen, die vernünftig erscheinen, sondern überlässt es den internen Suchprozessen des Patienten, was der nächste Schritt ist und welcher Lösungsweg für ihn passt. Die drei Prinzipien Ressourcenorientierung, Utilisation und Anregung von Suchprozessen entsprechen weitgehend dem, was auch Humanisten wie Roger oder Perls von einer angemessenen Psychotherapie verlangen.
Der Therapeut geht grundsätzlich davon aus, dass das Symptom ein Lösungsversuch ist, der unter bestimmten Umständen und zu einer bestimmten Zeit funktional gewesen sein kann, aber obsolet geworden ist. Beispielsweise wird dem sehr strengen und strafenden Gewissen vieler Depressiver (Über-Ich Kap. 3.3, »Genug-Ort« Kap. 6.8) eine gute Absicht unterstellt – etwa dafür zu sorgen, dass der Patient Anerkennung erhält, er nicht abgelehnt wird etc. Diese gute Absicht gilt es zu utilisieren und auf anderem Wege zu erreichen. Dadurch kann das Gewissen mit der Zeit milder und vielleicht sogar unterstützend werden. Es geht also nicht um die Beseitigung eines Defizits, sondern um eine Erweiterung des Erfahrungsspektrums. Dabei kommen Ericksons strategische Prinzipien zur Anwendung, hier noch einmal zusammengefasst:
• Utilisation: Die individuellen Merkmale (z. B. Werthaltungen) und Interaktionsmuster (z. B. Kontrollbedürfnis) inkl. des Symptoms und des Widerstands werden für die Veränderung genutzt. Ein Sonderfall der Utilisation ist die Technik des »Pacing« und »Leading«, wobei der Therapeut den Patienten zunächst spiegelt und dann allmählich kleine Veränderungen in die Darstellung einfließen lässt.
• Minimale Veränderung mit Kaskadeneffekt: Um die Veränderung einzuleiten, wird oft an einer scheinbar irrelevanten Stelle, auf die Patienten nicht vorbereitet sind, sozusagen auf einem Nebenschauplatz begonnen. War das erfolgreich, ergibt sich u. U. eine Neuorganisation des Gesamtsystems im Sinn eines Kaskadeneffektes.
• Destabilisierung: Um das Aufgeben festgefahrener Positionen und Verhaltensmuster zu erleichtern, kann durch affektive, kognitive oder interaktive Destabilisierung im Rahmen einer Konfusion die mentale Beweglichkeit des Patienten wiederhergestellt werden. In der Folge ist die Problemlösung oder Annahme einer Suggestion erleichtert. Destabilisierung eignet sich als therapeutisches Prinzip bei Vorliegen einer rigiden Persönlichkeitsstruktur. Bei emotionaler Instabilität hingegen, bei der es eher um Förderung einer besseren Strukturiertheit geht, ist eine Destabilisierung nicht empfehlenswert.
• Beiläufigkeit: Um den Widerstand zu umgehen hat Erickson diverse Kommunikationsmuster eingeführt, die die relevante Information indirekt vermitteln (Einbettung, Implikation, Stellvertreter, Negation der Negation, Pacing und Leading).
• Schutz des Unbewussten: In hypnotischer Trance gefundene Lösungen können manchmal noch nicht in die Rationalität des Alltagsdenken integriert werden. In diesem Fall sollte eine implizite Konsolidierung der Inhalte gefördert werden. Dazu erweist sich eine vorläufige oder teilweise Amnesie bzw. Ablenkung vom Thema und die Verwendung unwillkürlicher Körperreaktionen als implizites Signalsystem (Ideomotorik) nützlich, bis eine Konsolidierung stattgefunden hat. Dem entspricht in der psychodynamischen Psychotherapie das Phänomen von zu früh angebotenen Probedeutungen, die vom Patienten ignoriert werden, weil sie unliebsame Gefühle, Loyalitäten etc. berühren.
• Nichtwissen und Absichtslosigkeit: Um den Patienten in seiner Kreativität und Selbstheilungskompetenz nicht zu behindern, legte Erickson es nahe, sich als Therapeut soweit wie möglich von diagnostischen Kategorien und von Hypothesen über Motive und Ziele des Patienten freizuhalten bzw. sie kurzfristig zu revidieren. Allerdings ist für depressive Menschen Kreativität ebenso wie Entscheidungsfähigkeit oft eine Überforderung. Daher ist es speziell bei Depressiven oder anderen Menschen in verzweifelter Situation wie bei akutem Trauma oder Verlust u. U. sinnvoll, ihnen direkt und zielorientiert mit Rat und Tat praktisch zur Seite zu stehen.
• Direkte Suggestionen z. B. als posthypnotische Aufträge und indirekte Suggestionen durch Bilder und Metaphern oder eingestreute Suggestionen.
• Anregung von Suchprozessen, bei denen der Hypnotherapeut den Patienten zu Projektionen anleitet (Bildschirmtechniken), bei der progressiven Entwicklung von Zukunftsvisionen oder der regressiven Suche nach Ressourcen bzw. der Aufarbeitung von belastenden Situationen in Trance begleitet.
• Nutzung ideomotorischer Signale als Quelle des impliziten Wissens.
Bei der Anwendung dieser Prinzipien wird klar, dass durch die Einbeziehung unbewusster Prozesse auch das, was im emotionalen Gedächtnis in Form von Bindungsmustern gespeichert ist, in der Hypnotherapie berührt und genutzt wird. Und zwar zum einen als Erfahrungen, die im Hintergrund Handlungen und Befindlichkeit beeinflussen und Ressourcen für einen Veränderungsprozess darstellen, oder die korrigiert werden können. Zum anderen können die angelegten Beziehungsmuster, ohne explizit analysiert zu werden, bei der Gestaltung der therapeutischen Beziehung berücksichtigt werden. D. h., es ist die Psychodynamik der Störung des Patienten und die Beziehung zwischen Patient und Hypnotherapeut (Übertragung und Gegenübertragung) zu beachten. Denn es sollte im Blick behalten werden, dass der Zustand der hypnotischen Trance mit erhöhter Vulnerabilität und vermehrtem Vertrauen zum Therapeuten einhergeht. Manche Techniken sind daher vor allem für Menschen mit guter Integration der Ich-Funktionen hilfreich und müssen im Falle einer geringer integrierten Ich-Struktur im Sinne einer stärkeren Führung und Strukturvorgabe der Suggestionen modifiziert werden ( Kap. 3.4). Hier ist Transparenz der therapeutischen Inhalte tatsächlich wichtig sowie das Angebot von Selbstkontrollmöglichkeiten und das Erlernen von Selbsthypnose. Der Therapeut überprüft ständig, ob die hypnotischen Suggestionen (ebenso wie andere Angebote) rezipiert werden. Anhand von nonverbalen Reaktionen (Atmung, Mimik, Körperbewegungen, Schwitzen, Zeichen von Anspannung usw.) des Patienten achtet er darauf, ob er nachfragen muss oder er verändert auch intuitiv die Vorgehensweise. Ebenso ist wichtig, dass der Therapeut darauf achtet, wann der Patient vom Wert der Behandlung nicht mehr überzeugt ist (Abbruch-Gedanken) und dies als ein wertvolles Signal betrachtet, um eine Bilanz zu ziehen und seine Hypothesen zu revidieren. Zur Fürsorglichkeit gehört auch, dass für eine hypnotische Trance (selbst wenn sie nicht explizit eingeleitet wurde) eine geeignete Rückführung angeboten wird – allein schon aus versicherungstechnischen Gründen, damit keine Schäden aufgrund von mangelnder Wachheit nach Verlassen der Therapiesitzung auftreten.
Zusammengefasst: Wichtig ist, sich während des gesamten Therapieprozesses an den Zielen, Symptomen, den Bedürfnissen und Besonderheiten jedes einzelnen Patienten zu orientieren und innere Suchprozesse anzuregen und nicht pädagogisch, didaktisch oder intellektualisierend vorzugehen. Das bedeutet, dass alle Module mit den aktuellen und konkreten Themen und Problemen des Patienten abgeglichen und auf diese bezogen werden. Hierbei helfen neben dem, was der Patient sprachlich ausdrückt, auch – insbesondere während des Trancezustandes – die körperlichen Reaktionen (Atmung, Mimik) sowie ideomotorische Signale.