Читать книгу Hypnotherapie bei Depressionen - Dirk Revenstorf - Страница 24
2.5 Therapeutische Geschichten und Metaphern 2.5.1 Funktionen von Metaphern
ОглавлениеGeschichten, Metaphern, Gleichnisse, Märchen, Mythen, Parabeln und Fabeln sind immer in allen Kulturen verwendet worden, um Erfahrungen weiterzureichen, Identität zu schaffen, Veränderungs- und Übergangsprozesse zu fördern und Einfluss auszuüben. Sie werden erzählt, um zu unterhalten und um direkte oder auch indirekte Mitteilungen zu machen. Durch Geschichten und Metaphern Einfluss auf menschliches Verhalten zu nehmen, hat eine lange Tradition. Die historischen Beispiele reichen von Platos »Höhlengleichnis« bis zu den Gleichnissen Jesu und Buddhas. Auch die Erzählungen Homers, die Fabeln Äsops oder Lafontaines enthalten Belehrungen über Lebensphilosophie und moralisch richtiges Handeln. Jeder kennt aus seiner Kindheit Märchen, in denen böses Verhalten bestraft und gutes belohnt wird. Und schließlich kann man die Märchensammlung von 1001 Nacht, die etwa um 800 nach Christus entstand, als erste dokumentierte Therapie mittels Erzählungen betrachten.
Der Pionier der modernen Hypnose, Milton H. Erickson, gilt als Meister der Verwendung von Geschichten zu therapeutischen Zwecken. Er hielt die indirekte Kommunikation in manchen Fällen der traditionellen Hypnose mit ihren direkten Suggestionen für überlegen. Es ließ sich auch empirisch nachweisen, dass dies z. B. für die Bewältigung chronischer Schmerzen zutrifft (Hoppe 1983). Die indirekte, eher permissive Hypnosetechnik hat dem therapeutischen Spektrum neue Behandlungsvarianten hinzugefügt. Im Sinne eines kooperativen Unterfangens von Therapeut und Patient können indirekte und metaphorische Suggestionen sogar angemessener erscheinen als der alltagssprachliche Diskurs, da es dem Zuhörer die Rechtfertigung der Ablehnung erspart und ihm die Freiheit der Interpretation überlässt.
Geschichten lassen sich zu therapeutischen Zwecken in allen Therapiephasen einsetzen. Außerdem weisen das Hypnotisieren und das Erzählen von Geschichten formale Ähnlichkeiten auf. Es gibt jeweils einen aktiven Erzähler bzw. Hypnotiseur und einen passiv-rezipierenden Zuhörer. Der Geschichtenerzähler kann dabei, wie ein Hypnotiseur, auf minimale nonverbale Rückmeldungen achten und dementsprechend den Ablauf der Geschichte modifizieren.
Eine Zusammenstellung verschiedener therapeutischer Geschichten und Metaphern findet sich in den Onlinematerialien.
Die Funktionen von Metaphern sind vielseitig. Sie können einerseits der Distanzierung von einer festgefahrenen Situation dienen, regen andererseits Erinnerungen, neue Assoziationen an und lösen innere Bilder aus. Im Einzelnen ergeben sich folgende Anwendungen:
1. Rapport (durch Aufgreifen von Metaphern und Sprachfiguren des Patienten)
2. Bindung der Aufmerksamkeit durch affektiv geladene Geschichten wie Witze
3. Beiläufigkeit, denn es geht in der Metapher scheinbar nicht um den Patienten
4. Widerstand umgehen, denn Geschichten handeln nicht vom Patienten selbst
5. Konfusion durch Rätsel, Witze
6. Trägermaterial für Einstreuungen (siehe Ericksons Fall »Tomaten-Joe« in Haley 1978)
7. Auslösen von Suchprozessen (»Die drei Türen«, siehe Onlinematerialien, Metapher 31)
8. Stimulation von Umstrukturierungen durch unerwartete Wendungen in der Geschichte
9. Informationsgewinnung, wenn eine bestimmte in eine Metapher verpackte Information angenommen wird
10. Informationsvermittlung
− über psychologische Prozesse (Der Einbeinige, siehe Onlinematerialien, Metapher 32)
− um physiologische Prozesse auszulösen (Organbeschreibung: Blutstillung als Stausee)
− zur Vermittlung allgemeingültiger Moral und ethischer Werte (Fabeln)
− zur Ich-Stärkung, zum Abbau von Hilflosigkeit (»Steinpalme«, siehe Onlinematerialien, Metapher 33)
− um Zukunft zu bahnen (»Raupen-Metamorphose«, siehe Onlinematerialien, Metapher 34)
− um Hausaufgaben vorzubereiten (»Das Portrait des Vogels«, siehe Onlinematerialien, Metapher 35)