Читать книгу Die römischen Bürgerkriege - Dominik Maschek - Страница 14
Spanien und Gallien
ОглавлениеIm Westen der Mittelmeerwelt herrschten ganz andere Verhältnisse. Nicht zuletzt bedingt durch die starke geographische Gliederung der Iberischen Halbinsel hatten sich für Rom hier bereits mit dem Ende des Zweiten Punischen Krieges nebeneinander mehrere Einflusszonen herausgebildet. Die spanische Mittelmeerküste stand im Osten und Süden seit dem Sieg über Karthago unter unmittelbarer römischer Kontrolle. Dasselbe traf für das Tal des Guadalquivir zu, der in der Sierra de Cazorla entspringt und unweit von Cádiz in den Atlantik mündet. Wurden die spanische Südküste und ihr Hinterland klar vom ostwestlichen Verlauf des Guadalquivir dominiert, so fehlte eine vergleichbar günstige Erschließungsachse entlang der Ostküste etwa ab der Höhe von Carthago Nova. Hohe Gebirgszüge schlossen hier die Küstenzone, abgesehen von wenigen Stellen, gegen das Hochland der Submeseta Meridional und der weiter westlich liegenden Sierra Morena ab. Erst das Flusstal des von Nordwesten nach Südosten und annähernd parallel zum Gebirgszug der Pyrenäen verlaufenden Ebro ermöglichte südlich der Stadt Tarraco wieder eine tiefere Durchdringung des Binnenlandes.32
Nach diesen Gegebenheiten richtete sich seit 197 v. Chr. auch die römische Kommando- und Verwaltungsstruktur. Zunächst war die Teilung in zwei Provinzen vorgesehen: Hispania Citerior im Norden und Hispania Ulterior im Süden. Ein vergleichsweise schmaler Küstenstreifen diente der Verbindung zwischen den beiden Gebieten. In einer Reihe von Kriegen gegen die hier ansässigen keltiberischen Stämme dehnten die Statthalter die Grenzen der beiden spanischen Provinzen sukzessive nach Westen und Norden hin aus. Die Wichtigkeit dieser Kriegszüge wurde dadurch unterstrichen, dass im Zweijahresrhythmus jeweils ein ehemaliger Konsul oder Prätor die militärischen und administrativen Belange von Hispania Citerior und Ulterior übernahm. Bis in die Siebzigerjahre des 2. Jh.s v. Chr. waren die Prokonsuln und -prätoren bis auf wenige Ausnahmen beinahe jährlich in Feldzüge gegen verschiedene Stämme und deren befestigte Hauptorte verwickelt. Allein aus der Zeit zwischen 195 und 175 v. Chr. sind acht Triumphe überliefert, die aufgrund von Siegen in Spanien gefeiert wurden und große Mengen an Beute nach Rom brachten, allen voran die 10.000 Pfund Silber und 5.000 Pfund Gold, die der Proprätor Appius Claudius Centho im Jahr 174 v. Chr. in seiner ovatio über die Keltiberer mit sich führte.33
Im Zentrum der saisonal betriebenen Feldzüge standen einerseits die Plünderung und Verwüstung ganzer Landstriche, andererseits die gezielte Eroberung der befestigten Hauptorte (oppida) der einheimischen Bevölkerung.34 Erst in jüngster Zeit lässt sich durch archäologische Untersuchungen besser abschätzen, was diese aus den Schriftquellen bekannte Strategie für die betroffenen Gemeinden bedeutete. Ein frühes Beispiel bietet das oppidum von Castellet de Banyoles am Unterlauf des Ebro im heutigen Katalonien. Die Existenz dieser stark befestigten Siedlung fand zu Beginn des 2. Jh.s v. Chr. ein gewaltsames Ende: Waffenfunde, vergrabene Wertsachen, eingestürzte Gebäude und Spuren von Bränden deuten auf schwere Kampfhandlungen innerhalb des Ortes und somit auf das dramatische Ende einer Belagerung hin. Katapultgeschosse, die von außerhalb in die Siedlung geschleudert worden waren, machen deutlich, dass es sich bei den Angreifern um römische Soldaten gehandelt haben muss. Auch Spuren eines entsprechenden Truppenlagers konnten nachgewiesen werden.35
Noch deutlichere Hinweise auf die Brutalität des römischen Vorgehens ergaben die Ausgrabungen in der Höhensiedlung von Cerro de la Cruz bei Almedinilla in Andalusien. Dieser Ort wurde in den Jahren zwischen 150 und 130 v. Chr. zerstört, möglicherweise im Zusammenhang mit dem Feldzug, den der Prokonsul Quintus Fabius Maximus Servilianus im Jahr 140 v. Chr. gegen mehrere keltiberische oppida führte. In den Straßen von Cerro de la Cruz stießen die Ausgräber auf die Skelette der massakrierten Einwohner. Tiefe Spuren von Schwerthieben, die sowohl vor als auch nach dem Tod zugefügt wurden, zeigen, dass diese Menschen nicht nur getötet, sondern teilweise regelrecht in Stücke gehackt worden waren. Danach hatte man die Leichen unbestattet in der zerstörten und offenbar entvölkerten Siedlung zurückgelassen.36 Der archäologische Befund deckt sich mit dem Bericht des Zeitgenossen Polybios über die übliche römische Vorgehensweise bei der Eroberung feindlicher Städte. Es sei „der römische Brauch“ gewesen, zunächst alle Stadtbewohner zu töten und nicht eher mit dem Plündern zu beginnen, bevor nicht ein entsprechendes Signal gegeben worden sei: „Sie tun dies, so denke ich, um Schrecken zu verbreiten, sodass man in Städten, die von den Römern erobert worden sind, oft nicht nur die Leichen von Menschen antrifft, sondern auch zerstückelte Hunde und die abgetrennten Gliedmaßen anderer Tiere […]“37 Solche Vernichtungsaktionen standen, so wird aus den historischen Berichten und den archäologischen Befunden deutlich, auch im Spanien des 2. Jh.s v. Chr. an der Tagesordnung. Nur besonders hinterhältige Massaker, wie etwa jenes, das der Proprätor Servius Sulpicius Galba im Jahr 150 v. Chr. an bereits entwaffneten lusitanischen Kriegern und ihren Frauen und Kindern anrichten ließ, fanden die Missbilligung der römischen öffentlichkeit.38
Doch nicht nur die aggressive Form der ständigen Kriegsführung an nicht eindeutig definierten Fronten war typisch für das spanische Grenzgebiet, sondern auch die gezielte Erschließung der neu eroberten Gebiete. Neben der Errichtung von Straßen und Häfen ist hier vor allem die Ausbeutung der spanischen Bodenschätze von Bedeutung. Literarische und archäologische Quellen zeigen, dass sie von Rom bereits früh und in großem Maßstab betrieben wurde. Naturwissenschaftliche Untersuchungen unterstützen dieses Bild: So haben sich ab etwa 150 v. Chr. signifikante Mengen an Bleirückständen in der grönländischen Eisdecke angesammelt, von denen bemerkenswerte 70 % den Silberlagerstätten der in dieser Zeit von den Römern kontrollierten Rio-Tinto-Region in Spanien zugewiesen werden konnten. Diese Daten finden ihre Bestätigung in der von Strabon überlieferten Angabe des Polybios, dass zu dessen Lebzeiten, also ebenfalls um die Mitte des 2. Jh.s v. Chr., die enorme Zahl von 40.000 Arbeitern – wohl zum Großteil Sklaven – in den Minen rund um Carthago Nova täglich Silber im Wert von 25.000 Drachmen gefördert hätten.39 Diese Summe entsprach 4 Talenten pro Tag – die enorme Summe von 35 Tonnen Silber im Jahr. Nach knapp sieben Jahren hätte man aus den Minen also bei gleichbleibendem Ertrag die Strafzahlungen von Karthago nach dem Zweiten Punischen Krieg gewinnen können, und nach elf Jahren sogar jenen gewaltigen Betrag, den der geschlagene Seleukidenkönig Antiochos III. nach dem Frieden von Apamea als Kriegsentschädigung an Rom hatte zahlen müssen.
Der Betrieb der Silberminen lag sowohl in den Händen großer römischer Pachtgesellschaften, der sogenannten societates publicanorum, als auch von kleineren Unternehmern. Die Aussicht auf schnell erworbenes Vermögen lockte viele Italiker in das Gebiet der spanischen Minen, wo man, wie der in der ersten Hälfte des 1. Jh.s v. Chr. schreibende Poseidonios berichtet, als Einzelperson die unglaubliche Summe von einem Talent pro Tag erwirtschaften konnte. Die regelrechte Goldgräberstimmung, die durch solche Aussichten entstand, wird ebenfalls noch im 1. Jh. v. Chr. und im Anschluss an Poseidonios von Diodor lebhaft beschrieben. Nach ihrer Machtergreifung in Spanien hätten die Italiker in Scharen die Silberbergwerke bevölkert und seien dort zu beachtlichem Reichtum gelangt, indem sie die Betreiber der Minen mit großen Mengen an Sklaven versorgten. Dies findet seine Bestätigung durch Inschriften auf Bleibarren aus Cartagena, die ab dem 2. Jh. v. Chr. eine ganze Reihe italischer Familiennamen nennen, und durch einen gleichzeitigen deutlichen Anstieg an importierter italischer Keramik.40 Zugleich liest man bei Diodor aber auch von den Schattenseiten der mit äußerster Rücksichtslosigkeit vorangetriebenen Ausbeutung: „Die in den Minen Arbeitenden schaffen ihren Herren riesige Gewinne, sie selbst aber müssen sich, Tag und Nacht arbeitend, aufreiben, und viele sterben infolge des Übermaßes der Leiden. Eine Unterbrechung oder eine Pause beim Arbeiten gibt es nicht, sondern angetrieben von den Schlägen der Aufseher müssen sie fürchterliche Strapazen ertragen und verlieren so auf elende Weise ihr Leben.“41
In diesem Klima von aggressiver militärischer und wirtschaftlicher Expansion gewann auch der Städtebau zunehmend an Bedeutung. An den römischen Stadtgründungen, die im 2. Jh. v. Chr. in Spanien vorgenommen wurden, kann in besonderer Klarheit die Entwicklung eines regelrechten Musters römischer Urbanistik nachvollzogen werden.42 Bei der Formgebung städtischer Räume handelt es sich zwar naturgemäß um einen langsamen Prozess, im Zuge dessen die entsprechenden Städte in vielen Fällen erst im 1. Jh. v. Chr. mit typisch römischen Wohngebäuden und öffentlichen Bauten ausgestattet wurden. Doch bereits davor lassen sich die maßgeblichen städtebaulichen Elemente nachweisen, und zwar – in Form von Stadtraster und klar gegliedertem Straßensystem – in erster Linie als Planungskonzept und Raumordnungsprinzip. So waren etwa in Corduba (Córdoba) schon im 2. Jh. v. Chr. das Straßenraster, ein Forum und die Stadtmauern, die eine Fläche von 42 Hektar einschlossen, vorhanden. Die Häuser waren allerdings noch aus Lehmziegeln und luftgetrockneten Ziegeln gebaut. Hinweise auf die Verwendung von Dachziegeln fehlen. Der Aufbau der Wohngebäude ähnelt außerdem noch stark den älteren iberischen Hausformen. Erst im 1. Jh. v. Chr. finden sich in Corduba dann auch Dachziegel sowie verputzte und bemalte Wände. Dies ist vergleichbar mit Carthago Nova (Cartagena), wo punische Hausformen die Stadt des 2. Jh.s v. Chr. dominierten und nur stellenweise „römische“ Akzente gesetzt wurden, etwa in Form der großen Tempel- und Terrassenanlage auf der Akropolis.43
Ein noch eindrücklicheres Beispiel für die planmäßige Urbanisierung der Iberischen Halbinsel bietet der wichtige Handels- und Hafenort Emporiae (Empúries), wo neben der alten griechischen Siedlung Emporion im späten 2. Jh. v. Chr. eine vollständig neu geplante römische Stadt entstand.44 Die Häuserblöcke des neuen rechtwinkeligen Straßensystems folgten dem römischen Maß des iugerum (Joch) mit 35 x 70 Metern Seitenlänge. Aufschlussreich ist insbesondere die monumentale Architektur des Forums mit seinem an drei Seiten von doppelschiffigen Säulenhallen umgebenen Kapitolstempel, dessen Entwurf an die großen mittelitalischen Heiligtümer von Tivoli, Gabii oder Fregellae erinnert.45 Außerdem begegnet hier ein weiteres für die Architektur in Mittelitalien typisches Element, nämlich die Kryptoportikus, ein mit Gewölben überdeckter Gang, der als Untergeschoss die Durchdringung und gezielte Erschließung massiver Baukörper erlaubte. Solche Kryptoportiken konnten als klimatisch günstige Lagerräume für Handelswaren, aber auch als zusätzliche Aufenthaltsräume und Transaktionsbereiche genutzt werden. Ebenfalls einem römisch-italischen Konzept entsprach der streng symmetrische und an einer Seite zusätzlich mit Läden (Tabernen) ausgestattete Forumsplatz, den eine der Hauptstraßen der Stadt der Breite entlang querte. An der östlichen Längsseite des Forums lag schließlich noch eine Basilika, in der Gerichtsverhandlungen und Geldgeschäfte abgewickelt werden konnten.46
Dies alles sind architektonische Elemente, auf die noch zurückzukommen sein wird, da sie eine spezifische Gestaltung von städtischem Raum und städtischem Leben erkennen lassen, wie sie für Rom und Mittelitalien spätestens seit dem frühen 2. Jh. v. Chr. typisch waren. Die Stadtanlage von Emporiae zeigt, dass die römische Eroberung der Iberischen Halbinsel und die Erschließung ihrer Handelsplätze und Ressourcen zumindest in einigen Küstenzonen zu markanten kulturellen Veränderungen führten.47 Zugleich kann insbesondere in den ehemals karthagischen Städten und Regionen der Südküste auch für längere Zeit ein Nebeneinander von punischen, iberischen und römischen Traditionen beobachtet werden. Das schlug sich nicht nur in den Bauformen, sondern auch in den Gegenständen des Alltagsgebrauchs und in der Vielfalt der Begräbnissitten nieder. Zudem behielten etliche der alten iberischen Höhensiedlungen (oppida), wie etwa das an der nördlichen Ostküste gelegene Tarraco, bis zum späten 2. Jh. v. Chr. ihre alte Struktur weitestgehend bei.48 Die genannten Beispiele für städtisches Leben im Spanien des 2. Jh.s v. Chr. deuten also bereits auf eine vielschichtige Gesamtsituation hin. Doch die Bedeutung der römischen Herrschaft für die einheimische Bevölkerung kann nicht alleine auf Grundlage der Stadtgestaltung ermessen werden. Vielmehr muss man ganze Landstriche und Territorien in den Blick nehmen. Gerade die neueren archäologischen Untersuchungen in den Flusstälern des Guadalquivir und des Ebro haben exemplarisch gezeigt, dass sowohl die römischen Stadtgründungen als auch das Fortbestehen alter Städte und Siedlungen jeweils nur einzelne Fäden in einem deutlich größeren und komplexen Beziehungsgeflecht darstellten.
Manche der iberischen oppida wurden schon früh während der römischen Feldzüge gezielt attackiert und ausgelöscht.49 Aufschlussreich für diese Strategie massiver Vernichtungsschläge gegen einzelne Zentren ist der Fall der befestigten keltiberischen Siedlung Segeda im Ebro-Tal, in der Nähe des heutigen Saragossa. Wie der Historiker Appian überliefert, errichteten die Bewohner dieses bereits 179 v. Chr. von Rom formal unterworfenen oppidum im Jahr 154 v. Chr. eine mächtige neue Stadtmauer. Außerdem wurden mehrere benachbarte Gemeinden aufgegeben, um den zentralen Ort zu verstärken. Archäologische Untersuchungen unter der Leitung von Francisco Burillo Mozota konnten diesen historischen Bericht bestätigen: Es gibt Hinweise auf eine massive Erweiterung der ursprünglichen Siedlung von Segeda, die innerhalb eines kurzen Zeitraumes vorgenommen wurde und eine Fläche von mindestens 5 Hektar umfasste. Auch die von Appian überlieferte Stadtmauer wurde durch die Ausgrabungen nachgewiesen. Diese urbanistische Entwicklung und der wachsende Einfluss von Segeda in der Region führten dazu, dass Rom der Stadt umgehend den Krieg erklärte. Zunächst konnten sich die Einwohner von Segeda mithilfe verbündeter keltiberischer Gruppen zwar noch erfolgreich gegen den Angriff des Konsuls Quintus Fulvius Nobilior wehren, doch nur unwesentlich später wurde die Stadt vollständig zerstört.50 Neben dem Ruinenfeld entstand eine neue, geplante Stadtanlage. Deren Einwohner prägten weiterhin Münzen mit dem einheimischen Namen „Sekeida“ und verwendeten ausschließlich keltiberische Schrift. Die Wohnhäuser und die Stadtmauern zeigen allerdings eine klare Beeinflussung durch römische und italische Architekturformen. Die hier lebende Bevölkerung versuchte also einerseits, eine lokale Identität zu bewahren. Andererseits geriet sie durch die Eroberung und Vernichtung der ursprünglichen Siedlung sowie durch die Neugründung der Stadt aber auch viel deutlicher als zuvor in Abhängigkeit zu Rom, was sich nicht zuletzt in der Gestaltung des Alltagslebens und des Konsumverhaltens äußerte.51
Im Gegensatz zu dem Beispiel von Segeda blieben andere Siedlungen in ihrer alten Form auch nach der römischen Machtergreifung bestehen. Doch auch diese Kontinuität bedeutet keineswegs eine unveränderte Gesamtsituation: So konnte etwa für das oppidum von Giribaile im mittleren Guadalimar-Tal nachgewiesen werden, dass im 2. Jh. v. Chr. eine große Zahl von neuen Siedlungsplätzen rund um den zentralen Ort entstand. Diese Siedlungen standen offenbar nach wie vor in Abhängigkeit zu dem oppidum, besetzten aber nun direkt die landwirtschaftlich ergiebigsten Bereiche des Umlandes. Die Ursache für diesen auffälligen Wandel wurde von Marcelo Castro López und Luis Gutiérrez Solar überzeugend mit der von Rom auferlegten Tributpflicht erklärt. Zur Leistung der fälligen Abgaben reichte das alte Bewirtschaftungsmuster nicht aus. Ein Teil der Bevölkerung des oppidum war deshalb dazu gezwungen, das umliegende Ackerland deutlich intensiver zu bewirtschaften, was in weiterer Folge zur Aufspaltung und wohl auch zu gesellschaftlichen Veränderungen der hier lebenden Siedlungsgemeinschaft führte. Als federführend hinter diesem Prozess können wiederum die lokalen Oberschichten identifiziert werden, deren Machtbasis von einem guten Verhältnis zu den Statthaltern der Provinzen unmittelbar abhing.52
Doch neben Resistenz und Kooperation bewirkte die dauernde Präsenz römischer Truppen in Spanien auch noch eine dritte Form von Kulturkontakt: die Vermischung. Einen besonders bemerkenswerten Fall überliefert Livius für das Jahr 171 v. Chr., als nicht weniger als 4.000 Söhne römischer Soldaten und iberischer Frauen den Senat um das Recht baten, in einer römischen Stadt zu leben. Daraufhin wurde die unweit des heutigen Gibraltar gelegene Siedlung Carteia auf Senatsbeschluss in den Rang einer colonia erhoben, um diesen Männern das römische Bürgerrecht zukommen zu lassen. Dreißig Jahre nach ihrem Beginn hatten die römischen Feldzüge in Spanien also auch eindeutige biologische Spuren hinterlassen.53
Die lange Kette von heftigen Kämpfen, die bis in die späten Dreißigerjahre des 2. Jh.s v. Chr. immer wieder Teile der Pyrenäenhalbinsel erschütterten, beweist jedoch, dass der sozioökonomische Balanceakt für viele der betroffenen keltiberischen Gemeinden letzten Endes nicht erfolgreich zu bewältigen war. Aus römischer Perspektive werden diese Konflikte zwar häufig als Aufstände bezeichnet, doch faktisch handelte es sich um regionale Kriege mit klar definierbaren Parteien, vergleichbar mit den Kämpfen zwischen europäischen Siedlern und amerikanischen Ureinwohnern in der frühen Phase der kolonialen Expansion im 17. Jh. So ging etwa jener Krieg, der 154 v. Chr. ausbrach und unter anderem zur Zerstörung von Segeda führte, gleich von mehreren keltiberischen und lusitanischen Gruppen im südlichen Spanien aus und erfasste schließlich auch Siedlungen in den Flusstälern des Ebro und des Duero, also in der nördlich angrenzenden römischen Provinz.
Erst Marcus Claudius Marcellus, dreimaliger Konsul und Enkel jenes Marcus Claudius Marcellus, der im späten 3. Jh. v. Chr. in Norditalien gegen die Kelten gekämpft und 212 v. Chr. die blutige Eroberung von Syrakus befehligt hatte, brachte die Kämpfe mit Beginn des Jahres 151 v. Chr. zu einem vorläufigen Ende. Bereits er versuchte, das oppidum Numantia, den Hauptort der keltiberischen Arevaci, zu belagern, was allerdings durch einen eiligen Friedensschluss verhindert wurde. Zugleich wirkte Marcellus auch als Stadtgründer und legte die römische Siedlung Corduba (Córdoba) im Tal des Guadalquivir an.54 In weiterer Folge wurden im Laufe der Vierzigerjahre des 2. Jh.s v. Chr. mehrere römische Heere geschlagen. Diese Misserfolge bewegten den Senat allerdings keineswegs zum Einlenken. Vielmehr intensivierte man die militärischen Anstrengungen noch weiter, selbst angesichts immer stärker zutage tretender Probleme bei der Rekrutierung und Motivation der in Spanien kämpfenden Soldaten. Die Kriegszüge richteten sich nun einerseits gegen das Gebiet der Lusitaner, insbesondere das Tal des Tejo im heutigen Portugal, andererseits gegen das immer wieder heftig umkämpfte Numantia. Nachdem die Lusitaner durch das kompromisslose Vorgehen des Konsuls Decimus Iunius Brutus im Jahr 136 v. Chr. zur Unterwerfung gezwungen worden waren, war nur noch der Widerstand der Arevaci in Numantia zu brechen. Dies gelang freilich erst drei Jahre nach dem Triumph des Iunius Brutus, als Publius Cornelius Scipio Aemilianus das oppidum durch eine Befestigung von der Außenwelt abschnitt und zur Kapitulation zwang. Die Siedlung ließ Scipio systematisch dem Erdboden gleichmachen, die Einwohner als Sklaven verkaufen.55
In Südfrankreich, das von der mit Rom verbündeten griechischen Stadt Massalia (Marseille) dominiert wurde, gab es vor der Einrichtung der Provinz Gallia Narbonensis im Jahr 125 v. Chr. zwar keine römischen Stützpunkte, doch die archäologischen Funde sprechen eine sehr deutliche Sprache: Römische und italische Händler hielten sich nicht nur an der Küste auf, sondern stießen vornehmlich über die großen schiffbaren Flüsse auch schon früh in das gallische Hinterland vor. Insbesondere der italische Wein war bei den Eliten der keltischen Höhensiedlungen sehr begehrt. Eines der wichtigsten Zahlungsmittel für den Wein der römischen und italischen Händler waren gallische Sklaven. Zwischen den Weinanbaugebieten in den mittelitalischen Küstenregionen und der Rhônemündung herrschte ein reger Schiffsverkehr, wie zahlreiche Wrackfunde vor der ligurischen und südfranzösischen Küste belegen. Transportiert wurde der Wein in Amphoren, die, ebenso wie ihr Inhalt, vor allem in Etrurien, Latium und Kampanien produziert wurden. In großen Mengen finden sich solche italische Amphoren seit der Mitte des 2. Jh.s v. Chr. im Rhônetal, aber auch bis in die Bretagne und in ganz West- und Südwestfrankreich. Vor dem Hintergrund dieser intensiven Handelsaktivitäten verwundert es nicht, dass der Senat offenbar zur selben Zeit den Anbau von Wein und Oliven jenseits der Alpen per Gesetz zu verhindern versuchte. Gemeinsam mit dem Wein transportierten die aus Italien kommenden Schiffe aber auch Ess- und Trinkgeschirr aus mittelitalischer Produktion, das zwar keineswegs die geographische Verbreitung der Weinamphoren erreichte, aber dennoch zu tief greifenden kulturellen Veränderungen führte.
So hatte importiertes Tafelgeschirr aus Kampanien an den Küsten der Provençe und des Languedoc spätestens seit dem frühen 2. Jh. v. Chr. die einheimischen Ess- und Trinkgefäße zu guten Teilen verdrängt. Die enorme Bedeutung dieser Veränderung wird freilich nur vor dem Hintergrund der traditionellen keltischen Gesellschaft verständlich. Die eisenzeitlichen Siedlungen in den südgallischen Regionen waren nämlich noch von einem vergleichsweise homogenen und beschränkten Spektrum an Gefäßformen geprägt; nichts deutet hier auf besonders komplexe Arten der Zubereitung und des Verzehrs von Speisen hin. Die Möglichkeit, gesellschaftlichen Status durch den Nahrungskonsum auszudrücken, musste sich somit vor allem auf die dargebotene Menge beschränken. Die bis zum Ende des Jahrhunderts immer stärker ansteigenden Importe von kampanischer Keramik veränderten diese Situation nun auf grundlegende Weise. Denn gerade die Formenvielfalt der mittelitalischen Gefäße ermöglichte den lokalen Eliten insbesondere in den großen Zentren nahe der Mittelmeerküste eine neue Strategie, um ihr soziales Prestige zu mehren: das durch raffinierte Rituale der Sichtbarkeit und der Hierarchisierung geprägte Gastmahl im italischen Stil.56
Parallel zu diesen bereits früh feststellbaren Handelsverbindungen wurden die Römer durch ihr Bündnis mit Massalia aber auch immer wieder zu direktem militärischem Eingreifen in Südfrankreich genötigt. Dies lag vor allem daran, dass die griechische Stadt ein traditionell feindschaftliches Verhältnis zu den ihr unmittelbar benachbarten Ligurern pflegte. Schon im Jahr 181 v. Chr. hatte Massalia den Senat um Hilfe gegen ligurische Piraten ersucht. Siebenundzwanzig Jahre später verwüstete eine römische Armee unter dem Befehl des Konsuls Quintus Opimius, Vater des Siegers von Fregellae, die Gebiete zweier ligurischer Stämme. Ein weiteres Hilfegesuch von Massalia erreichte Rom im Jahr 125 v. Chr. Der Konsul Marcus Fulvius Flaccus und sein Nachfolger Gaius Sextius Calvinus führten daraufhin einen Feldzug gegen die Stämme der Vocontier und Salluvier, der schließlich im Jahr 122 v. Chr. mit großen Gebietsgewinnen, der Vernichtung mehrerer ligurischer Hauptorte und der Versklavung der überlebenden Bewohner endete. Damit kam auch die von Rom seit dem frühen 2. Jh. v. Chr. in Südfrankreich praktizierte Politik der indirekten Kontrolle zu einem Ende. Fast drei Generationen nach dem Auftauchen der ersten italischen negotiatores und ihrer Importwaren wurden weite Teile der Provençe und des Languedoc nun in der Provinz Gallia Narbonensis zusammengefasst. Spätestens mit der Gründung der Bürgerkolonie Narbo Martius (Narbonne) im Jahr 118 v. Chr. saß die römische Verwaltung an der gallischen Mittelmeerküste fest im Sattel.57
Es wäre also letzten Endes verfehlt, für Spanien und Südfrankreich von einer linear verlaufenden oder gar „der“ römischen Eroberung zu sprechen. Die von römischen Befehlshabern in regelmäßigen Abständen geführten Kriegszüge waren in beiden Regionen eingebettet in eine sehr wandlungsfähige Form der direkten und indirekten Machtausübung. Gerade im Süden und Osten der Iberischen Halbinsel existierten städtische Zentren, deren Wirtschaft durch die Anbindung an Italien und den weiteren Mittelmeerraum florierte. Dasselbe trifft auf die Umgebung von Massalia und das Rhônetal zu. Im spanischen und südgallischen Hinterland hingegen gab es sowohl Zonen, in denen die Bevölkerung beinahe ständig von Terror, Vernichtung, Umsiedlung oder Versklavung bedroht war, als auch Gebiete, deren Einwohner unter Führung ihrer angestammten Oberschicht eine möglichst vorteilhafte Beziehung zu den angrenzenden römischen Provinzen anstrebten.58