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Der griechischsprachige Osten bis zur Zerstörung von Korinth
ОглавлениеDie prägende Rolle der Geographie ist nicht nur maßgeblich für das Verständnis der vergleichsweise defensiven römischen Politik nach dem Dritten Makedonischen Krieg, sondern auch für die weiteren politischen und militärischen Ereignisse in Griechenland bis zur Mitte des 2. Jh.s v. Chr. Westgriechenland und Epirus waren überwiegend nach Westen hin ausgerichtet, Makedonien hingegen nach Osten. Die trennende Landmasse des Balkans ließ beide Zonen über lange Zeit hinweg nicht wirklich in unmittelbare räumliche Nähe zueinander treten. Die Via Egnatia bildete zwar eine Route für Reisende und für die Kommunikation zwischen den einzelnen Regionen, und natürlich nicht zuletzt für das Militär. Handelsgüter und Rohstoffe wurden allerdings mit Sicherheit vorrangig auf Flüssen und zur See befördert. Hier war für Makedonien vor allem das Tal des beim modernen Gostivar entspringenden Flusses Axios (Vardar) von Bedeutung, der westlich von Thessalonika in den Thermaischen Golf mündet. Mehrere seiner Zubringerflüsse waren an die wichtigsten makedonischen Bergwerksgebiete angeschlossen.
Anders gestaltete sich die Situation in Westgriechenland und Epirus. Hier gab es mehrere Flüsse, deren Täler den Zugang in das bergige Hinterland bestimmten. Der Aoos, der bei Apollonia in die Adria mündete, war eine bedeutende Transportroute. Einen weiteren, wenngleich schwerer zu passierenden Korridor in das nördliche Epirus bildete das Flusstal des Drinos. Dyrrhachium war über den Fluss Erzen an die Adria angebunden, doch dessen Verlauf ließ ein tieferes Vordringen in die östlichen Gebirgsketten kaum zu. Dies war erst wieder weiter nördlich über die Flüsse Drilon (Drin) und Naro (Neretva) möglich, die bei Lissus beziehungsweise bei Narona in die Adria münden. Somit orientierten sich die wichtigsten See- und Flussverbindungen von den alten römischen Stützpunkten in Apollonia und Dyrrhachium allesamt nach Nordwesten, nach Illyrien, beziehungsweise nach Süden und Südosten, in das epirotische Gebiet und in den korinthischen Golf. Diese geographische Situation war für die weitere römische Strategie in Griechenland von zentraler Bedeutung. Denn nach der Zerschlagung des makedonischen Königreiches verfolgte Rom im Großen und Ganzen zwei große Linien: Erstens versuchte der Senat, durch militärische Interventionen und durch die Unterstützung lokaler starker Männer, wie etwa des durch seine Brutalität berüchtigten Charops, jede Bildung eines größeren zusammenhängenden politischen Verbundes in Epirus zu verhindern. Das war eine Politik der bewussten Destabilisierung ohne unmittelbare Gebietskontrolle.66
Zweitens wurden die wirtschaftlichen Kontakte zu Makedonien in den auf die Schlacht von Pydna folgenden Jahrzehnten kontinuierlich intensiviert und ausgebaut. Auch die makedonischen Minen wurden schließlich 158 v. Chr. für die römischen Steuerpachtgesellschaften wieder geöffnet. Dieses steigende wirtschaftliche Interesse an Makedonien und die weitgehende, geographisch bedingte Entkoppelung zwischen den zwei Wirtschaftszonen Westgriechenland und Makedonien kommt bereits in der Einrichtung des Freihafens auf Delos im Jahr 166 v. Chr. zum Ausdruck. Dabei ging es Rom zunächst darum, ein politisches Zeichen zu setzen und die Position seines ehemaligen Verbündeten Rhodos als Haupthandelshafen des östlichen Ägäisraumes zu schwächen. Durch den bewussten Verzicht auf Hafensteuern wurde die Rolle der winzigen Insel Delos gegenüber Rhodos enorm aufgewertet. Aus einer ursprünglich außenpolitisch motivierten Entscheidung ergaben sich auf diese Weise gravierende wirtschaftliche Konsequenzen. In kurzer Zeit entwickelte sich Delos zum wichtigsten Handelszentrum der Ägäis.67 Dem neuen Freihafen wurde eine Schlüsselrolle im mediterranen Seehandel zuteil. Nominell stand die Insel zwar unter der Herrschaft von Athen, doch faktisch waren die negotiatores aus Rom und Italien und die von ihnen gebildeten Vereine (collegia) in einer dominanten Position. Dies gilt freilich nicht nur für den in der Forschung schon oft hervorgehobenen Handel mit Alexandria und der Levante, sondern auch für die Handelsrouten zwischen Rom und Makedonien. Die bereits von dem in augusteischer Zeit schreibenden Geographen Strabon hervorgehobene Bedeutung von Delos im Handel zwischen Italien und Kleinasien ist für die Zeit unmittelbar nach der Einrichtung des Freihafens im Jahr 166 v. Chr. möglicherweise ein Anachronismus.68 Denn ebenso wie Strabon den eigentlichen „Boom“ von Delos mit der Eroberung und Zerstörung von Korinth im Jahr 146 v. Chr. in Zusammenhang bringt, dürfte die Insel erst nach der Einrichtung der Provinz Asia durch die Römer im Jahr 129 v. Chr. ihre zentrale Rolle für den Levantehandel erlangt haben.69 In diesen zeitlichen Zusammenhang gehört dann auch Strabons berühmt-berüchtigte Feststellung, dass auf Delos Tag für Tag Zehntausende Sklaven verkauft würden.70
Im Gegensatz zu dieser späteren Entwicklung ist die Bedeutung von Delos in den Jahren 166 bis 146 v. Chr. weniger im Handel mit Ägypten und Kleinasien als im Zugriff Roms auf die nördliche Ägäis zu suchen. Die in dieser ersten Phase besonders aktive Rolle der römischen und italischen Händler, über die auch Strabon in seiner Schilderung keinen Zweifel aufkommen lässt, wird nur vor dem Hintergrund der bereits beschriebenen geographischen Situation im Balkanraum verständlich: Wie wir gesehen haben, war die wirtschaftliche Erschließung und Ausbeutung Makedoniens nach dem Sieg von Pydna nämlich notgedrungen auf die nördliche Ägäis hin ausgerichtet. Naturgemäß hatte auch diese Entwicklung eine Vorgeschichte, denn schon seit dem ausgehenden 3. Jh. v. Chr. ist die Anwesenheit von Italikern auf den Kykladeninseln Tenos, Thera, Melos und Naxos bezeugt. So wurde etwa ein gewisser Timon aus Syrakus auf Tenos dafür geehrt, dass er um das Jahr 192 v. Chr. beim Ankauf von Getreide für die Inselbevölkerung geholfen hat. Ebenso wie sein Sohn, der später auf Delos inschriftlich bezeugt ist, war dieser Timon offenbar als Bankier tätig.71 Seine Heimatstadt Syrakus stand damals bereits nominell unter römischer Herrschaft und war Teil der Provinz Sizilien. Die Aktivitäten des Timon auf Tenos zeigen also, dass die westlichen Kykladen schon vor der Einrichtung des Freihafens von Delos das Interesse der römischen und italischen Geschäftsleute geweckt hatten.
Doch mit dem Jahr 166 v. Chr. gewann dieses zuvor offenbar noch recht locker geknüpfte System ein neues Gravitationszentrum. Ab jetzt bildete Delos das lebensnotwendige Scharnier für alle Seerouten zwischen Makedonien und der Adria. Dafür zeichneten aber nicht nur politische, sondern auch geographische und klimatische Faktoren verantwortlich. Für die Erschließung der Ägäis von Italien aus waren die etesischen Winde, der sogenannte meltemi, perfekt geeignet. Der Rückweg von Osten nach Westen gestaltete sich für antike Segelschiffe allerdings deutlich kritischer.72 Handelsschiffe mussten in den für die Seefahrt hauptsächlich genutzten Sommermonaten aufgrund der Windverhältnisse teilweise größere Schwierigkeiten in Kauf nehmen, gerade an den Küsten der Levante, aber auch nach Norden in Richtung auf die Dardanellen. Sie bevorzugten deshalb küstennahe Routen, die sie auf der Fahrt von Italien nach Makedonien über Euböa zu den westlichen Kykladen führten.73 Von dort gab es im Wesentlichen zwei Möglichkeiten der Weiterfahrt: Die längere Route um die Küsten der Peloponnes oder die kürzere Strecke über die Landenge von Korinth. Seine strategisch günstige Lage zwischen dem korinthischen Golf und der Ägäis hatte Korinth bis in den Hellenismus zu einem bedeutenden Handelszentrum aufsteigen lassen. Allerdings mussten die Schiffe zwischen den Häfen auf beiden Seiten des Isthmus auf einem speziell ausgebauten Weg, dem sogenannten Diolkos, über Land gezogen werden, ein Transport, der von den Korinthern nur gegen Gebühr geleistet wurde.74
Zu der dadurch entstehenden Kostensteigerung kam noch der Zeitfaktor: Zur Hauptsaison, im Juli, kann man für die Fahrt eines Handelsschiffes von Thessalonika über Korinth nach Rom 23 Tage veranschlagen, nach Puteoli 19 Tage. Nahm das von Thessalonika ausgelaufene Schiff hingegen die Strecke über Delos, so benötigte es nach Rom 26 Tage und nach Puteoli knapp 21 Tage. Seine Route führte dabei um die Peloponnes und dann über Kephalonia, Leukas und Korkyra an die Küste Süditaliens. Im Durchschnitt dauerte die Überfahrt von Makedonien nach Rom oder Puteoli über Delos also etwa 2½ Tage länger als über Korinth. Anders verhielt es sich in entgegengesetzter Richtung, also von Westen nach Osten. Gegen die in der Ägäis vorherrschenden etesischen Winde, die vorrangig aus Norden bis Nordwesten wehten, benötigte ein von Rom ebenfalls im Hochsommer über Delos nach Thessalonika fahrendes Handelsschiff knapp 22 Tage, von Puteoli 20 Tage. Bei einer Fahrt über Korinth stieg die Reisedauer bei Abfahrt von Rom auf 24 Tage und von Puteoli auf 22 Tage.75 Die Strecke von Italien nach Makedonien fiel also über den zollfreien Hafen von Delos nicht nur billiger, sondern auch schneller aus als über den gebührenpflichtigen Diolkos von Korinth. Die Einrichtung von Delos als Freihafen im Jahr 166 v. Chr. stärkte folglich in erster Linie die Expansion römischer und italischer Händler in die Ägäis und erst in zweiter Linie den gegenläufigen Warenverkehr.76
Diese neue Rolle der Insel hatte radikale Konsequenzen für den östlichen Mittelmeerraum. Funde von italischer Schwarzfirniskeramik, der sogenannten Campana A, zeigen, dass auf Delos schon bald nach der Einrichtung des Freihafens größere Importe aus Mittelitalien eintrafen. Wie Jean-Paul Morel in einer wichtigen Studie dargelegt hat, kann man daraus aber weder Keramikhandel im großen Stil noch eine reine Bedarfsdeckung der auf Delos niedergelassenen italischen Händler ableiten. Denn einerseits ist die Gesamtmenge der Funde zu gering für rein kommerziellen Export, was durch das sonstige Fehlen von Campana A in der Ägäis und in Kleinasien bestätigt wird. Andererseits war im westlichen Mittelmeerraum des 2. Jh.s v. Chr. diese Art von Keramik auch über die römischen und italischen Gemeinden hinaus weit verbreitet und muss dementsprechend nicht zwangsläufig mit diesen in Verbindung gebracht werden.
Morel interpretierte die Campana A-Funde auf Delos deshalb als Indizien für einen bereits früh aufkeimenden Handel mit ganz anderen Waren: Seiner Meinung nach sei die schwarze Keramik als ergänzende Ladung auf Schiffen mit italischem Wein und Olivenöl nach Delos gekommen, eine Praxis, die in der antiken Schifffahrt weit verbreitet war. Jüngere Studien von John Lund und Philip Bes stützen diese Annahme. Sie zeigen in den Jahrzehnten zwischen 160 und 140 v. Chr. einen dramatischen Anstieg von importierten italischen Wein- und ölamphoren sowohl in der Ägäis als auch in der Levante. Gleichzeitig mit der Einrichtung des Freihafens von Delos wurde also der östliche Mittelmeerraum in einer bis dahin ungekannten Intensität mit Konsumgütern aus Italien versorgt. Betrachtet man in diesem Verteilungsmuster allerdings die Streuung der italischen Keramik vom Typ Campana A und Campana B, so wird deutlich, dass derartige Ess- und Trinkgefäße bei Weitem nicht die Verbreitung der Wein- und ölamphoren erreichten. Campana-A-Ware wurde neben Delos in Athen, Korinth, Rhodos und Tenos gefunden, darüber hinaus sind Exporte bis nach Zypern, Israel, Ägypten, Libyen und in den Libanon nachgewiesen. Funde von Campana-B-Ware sind aus Argos, Athen, Korinth und Gortyn auf Kreta bekannt. Ebenso wie Campana-A- wurden auch Campana-B-Gefäße in Zypern, Israel und Nordafrika gefunden. Auffällig ist aber, dass die italische Schwarzfirniskeramik im 2. Jh. v. Chr. offenbar in Kleinasien überhaupt nicht auftaucht. Dies unterstreicht noch einmal, dass der Freihafen von Delos in seinen frühen Jahren für den Handel zwischen Italien und der zentralen bis nördlichen Ägäis eine wesentlich wichtigere Rolle spielte als für die Verbindung zu den kleinasiatischen Absatzmärkten.77 In dieselbe Richtung deuten die Funde von den Kykladen. Wie wir bereits gesehen haben, lässt sich hier auf einigen Inseln die sporadische Präsenz italischer und römischer Händler seit dem 3. Jh. v. Chr. belegen.78 Die Evidenz dafür, dass es auf den Kykladen auch entsprechende fest ansässige Gruppen gab, beginnt allerdings erst im Laufe des 2. Jh.s v. Chr.79 Wie die Auswertung der entsprechenden Inschriften durch Sophia Zoumbaki klar gezeigt hat, handelt es sich dabei keineswegs um permanente, über Generationen hinweg nachvollziehbare Präsenz, sondern um die vergleichsweise flüchtige und von starker Fluktuation geprägte Anwesenheit einer Vielzahl von Personen, die als Bankiers, Geldverleiher, Steuerpächter und Händler tätig waren.80
Wie eng die wirtschaftliche Entwicklung von Delos und der gesamten westlichen Ägäis mit der militärischen und politischen Vernichtung des makedonischen Königreiches zusammenhing, ja ohne sie überhaupt nicht denkbar gewesen wäre, zeigen wiederum die archäologischen Funde, insbesondere die Keramik. Denn sowohl Campana A als auch Campana B begegnen nicht nur auf Delos, sondern auch in Stobi, in der ehemaligen jugoslawischen Volksrepublik Mazedonien, sowie in Pella, der ehemaligen Hauptstadt der Antigoniden. Beide Städte liegen am Fluss Axios, dessen zentrale Rolle für den Gütertransport aus dem makedonischen Hinterland bereits hervorgehoben wurde. Weist schon die Fundverteilung innerhalb der Ägäis für die Mitte des 2. Jh.s v. Chr. eindeutig zwei Zonen auf – nämlich einen von italischer Keramik freien Osten und einen durch solche Importe beeinflussten Westen mit dem Zentrum Delos –, so geben die Funde im Axios-Tal den entscheidenden Hinweis auf das Hauptziel der römischen Interessen: Die Einrichtung einer direkten Seeroute zwischen der makedonischen Südküste und dem Ausgang der Adria.
Entsprechend verteilen sich im 2. und 1. Jh. v. Chr. auch die inschriftlichen Belege für römische und italische Händler im Balkanraum. Die Präsenz einzelner negotiatores oder ihrer Vereine kann in Apollonia und Dyrrhachium, aber auch insbesondere im Axios-Tal und entlang der Route der Via Egnatia beobachtet werden.81 Auffällig ist außerdem die Anwesenheit römischer und italischer Händler in den makedonischen Grenzgebieten zu Illyrien und Thrakien. Daraus geht hervor, dass diese negotiatores nicht bloß den Zwischenhandel mit den makedonischen Rohstoffen übernommen haben können. Mit Sicherheit waren sie auch in einem anderen Geschäft tätig, nämlich dem Handel mit Sklaven, die über den Landweg problemlos an die östliche Adriaküste gebracht werden konnten.82 Diesen Menschenhandel erwähnt bereits der ebenfalls in der Mitte des 2. Jh.s v. Chr. schreibende Polybios. Er konstatiert, dass die Regionen rund um das Schwarze Meer in erster Linie Honig, Wachs, Fisch, Rinder und Sklaven in den Mittelmeerraum lieferten, wobei er die wichtige Rolle der griechischen Stadt Byzantion am Bosporus hervorhebt.83
Die archäologischen Hinweise auf Sklavenhandel stammen zwar aus späterer Zeit, bestätigen aber das von Polybios gezeichnete Bild und zeigen, dass auch der Nordägäis westlich der Dardanellen hierbei eine Schlüsselrolle zugekommen sein muss. Ein einzigartiges Zeugnis dafür ist die aus der späten Republik oder der frühen Kaiserzeit stammende Grabstele des Sklavenhändlers Aulus Capreilius Timotheos aus der makedonischen Stadt Amphipolis an der Mündung des Flusses Strymon (Struma).84 Unter einem großen Relieffeld, das den Verstorbenen auf einem aufwendigen Speisesofa beim Gelage zeigt, sind zwei übereinander gestaffelte Register von Figuren dargestellt: Im oberen Register bewegt sich eine Gruppe von Männern von links nach rechts. An langen Stangen tragen sie große, bauchige Vorratsgefäße. Ein rechts Stehender schultert eine Amphore, in der anderen Hand trägt er eine einhenkelige Kanne. Im unteren Register sind zwölf ebenfalls nach rechts schreitende Personen – Männer, Frauen und zwei Kinder – dargestellt, die an den Hälsen aneinander gefesselt sind. Da Aulus Capreilius in der zugehörigen griechischen Inschrift ausdrücklich als Sklavenhändler (sômatemporos) bezeichnet wird, können diese Szenen nur in Zusammenhang mit seinem Beruf gedeutet werden. Große Gefäße, wie sie auf dem Relief dargestellt wurden, dienten in der römischen Antike dem Transport von Wein oder Olivenöl. Auf die Beförderung und den Konsum von Wein verweisen auch die Amphore und die einhenkelige Kanne, eine sogenannte Oinochoe. In der Kombination aus Wein, öl und Sklaven liegt schließlich der entscheidende Hinweis auf die Deutung dieser Szenen: In augusteischer Zeit berichtet nämlich der Geograph Strabon davon, dass die Römer im Schwarzmeergebiet Wein und Textilien gegen Sklaven und Tierhäute tauschten.85 Ein vergleichbarer Tauschhandel wurde offenbar auch auf der Grabstele des Aulus Capreilius ins Bild gesetzt. In diesem Fall weist aber der Fundort darauf hin, dass die hier gezeigten Sklaven nicht von den Küsten des Schwarzen Meeres, sondern aus dem thrakischen Bergland und den angrenzenden Gebieten gekommen sein müssen.86 Andere archäologische Funde offenbaren das ganze Ausmaß dieser weit gespannten Geschäfte, die durch die Flusstäler des Strymon und des Axios bis an die Ufer der Donau und darüber hinaus geführt wurden: So liegt beispielsweise im heutigen Rumänien eine auffällig große Menge von republikanischen Denaren vor, die bereits Michael Crawford mit dem Ankauf von Sklaven durch römische Händler in Verbindung gebracht hat. Neuere statistische Analysen von Kris Lockyear untermauern diese Vermutung sowie eine Datierung des massiven Zuflusses von römischem Silbergeld in die entsprechenden Gebiete seit dem früheren 1. Jh. v. Chr.87
Ähnlich wie in Illyrien und an der dalmatischen Küste veränderte also der Sieg Roms über Makedonien ab den Sechzigerjahren des 2. Jh.s v. Chr. auch den östlichen Balkanraum auf fundamentale Weise. Politische Ereignisse wie die Auslöschung des makedonischen Königshauses oder die Einsetzung lokaler Gewaltherrscher waren zwar heftige, aber vergleichsweise kurzlebige Ereignisse dieser Zeit. Viel tief greifender war die Vernichtung alter Kulturlandschaften durch politische und wirtschaftliche Transformation: Nicht nur wurden nun die makedonischen Rohstoffe nach einer kurzen Schonfrist von römischen Pachtgesellschaften ausgebeutet, sondern italische und römische Händler brachten auch gemünztes Silber, Wein und öl in das makedonische Grenzland. Gestützt auf diese Währungen errichteten sie eine ökonomie der Ausbeutung und des Menschenhandels, über die wir aus den Schriftquellen gerade das Nötigste wissen, die den materiellen Hinterlassenschaften jedoch als ständiger Subtext eingeschrieben ist. Anders als von der Forschung oft behauptet, erfolgte die Etablierung dieses Systems vorrangig von Westen nach Osten. Rom und Italien waren darin die treibenden Kräfte. Das zeigt sich nicht zuletzt an der Verteilung der italischen Keramikexporte in Griechenland und in der Ägäis, am Eindringen von italischem Wein und öl in den östlichen Mittelmeerraum und an der bis in die Dreißigerjahre des 2. Jh.s v. Chr. aufrechten Vermittlerfunktion von Delos zwischen Makedonien und der Adria. So wie bereits in Illyrien verzichtete Rom zunächst auch in Makedonien auf die militärische Okkupation von großen Gebieten.88 Stattdessen basierte das römische System darauf, periphere Zonen in wirtschaftliche Abhängigkeit zu bringen, um aus ihnen dauerhaft Rohstoffe und Menschenmaterial zu beziehen.89