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Rom und Italien

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Angesichts dieses komplexen Bildes und seiner enormen geographischen und militärischen, aber auch gesellschaftlichen und kulturellen Ausmaße darf nicht vergessen werden, dass es eine zentrale Grundlage für die römische Expansion des 3. und 2. Jh.s v. Chr. gab: Italien. Gerade in den südlichen und zentralen Regionen der Halbinsel war im Laufe der Jahrhunderte ein auf Rom ausgerichtetes Bündnissystem entstanden, das die römische Rekrutierungsbasis auf nachhaltige Weise erweiterte und damit die Basis für Roms Vormachtstellung in Italien schuf.120 Zugleich gingen eroberte Landstriche als sogenannter ager publicus in den Besitz des römischen Volkes über. In diesen Gebieten wurden durch die Gründung von römischen und latinischen Kolonien bis in die Siebzigerjahre des 2. Jh.s v. Chr. gezielt strategische Schwerpunkte gesetzt.121 Dabei ging es einerseits um die Kontrolle ausgedehnterer Territorien, wie es etwa in Norditalien in der Poebene der Fall war, wo römische Kolonien als Vorposten gegen die hier ansässigen Keltenstämme fungieren sollten. Andererseits wurden gerade im frühen 2. Jh. v. Chr. auch verstärkt die Küstenregionen in Mittel- und Süditalien durch neue, am Meer gelegene Kolonien unter stärkeren römischen Einfluss gebracht. Gerade diese Küstenstädte zeigen an, dass sich der Fokus der römischen Siedlungspolitik nicht mehr nur auf die verschiedenen Zonen der Apenninenhalbinsel erstreckte. So entwickelte sich etwa das im Jahr 194 v. Chr. gegründete Puteoli (Pozzuoli) mit seinem hervorragenden Hafen innerhalb weniger Generationen zu einer der wichtigsten Handelsstädte des Mittelmeerraumes.122

Einen vergleichbaren Aufschwung nahm die 13 Jahre später an der nördlichen Adriaküste, unweit der venezianischen Lagune, eingerichtete Kolonie Aquileia. Der Anlass für diese Gründung hatte zunächst nur darin bestanden, eine versuchte Ansiedlung von Galliern zu verhindern und somit den Zugriff auf das venetische Gebiet nicht zu verlieren. Doch die günstige Lage der Stadt und ihres Hafens öffnete schon bald eine geopolitische Perspektive. Innerhalb kurzer Zeit entwickelte sich Aquileia zu einem blühenden Wirtschaftszentrum, von dem aus nicht nur der Handel mit Westgriechenland und dem Balkan, sondern auch die weitere römische Expansion in den Ostalpenraum bestimmt werden konnte. Dabei ging es nicht allein um wirtschaftliche Aspekte. Eine Kette von jüngst in der Nähe von Triest entdeckten Truppenlagern ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass Istrien und die nordöstliche Adriaküste im unmittelbaren Hinterland von Aquileia während des gesamten 2. Jh.s v. Chr. von anhaltender Kriegsführung geprägt waren.123

Als erfolgreiche römische Koloniegründungen an den Küsten von Tyrrhenischem Meer und Adria stehen Puteoli und Aquileia beispielhaft für die neue politische Ordnung des frühen 2. Jh.s v. Chr. Doch das kulturelle und wirtschaftliche Aufblühen dieser Städte darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Italien in dieser Zeit keineswegs ein gewaltfreier oder gar aus römischer Sicht „befriedeter“ Raum war. Vielmehr stoßen wir auf Gebiete in Norditalien, die seit dem 4. Jh. v. Chr. von keltischen Stammesgruppen besiedelt waren und während des gesamten bislang behandelten Zeitraumes das Ziel römischer Militär- und Kolonisationspolitik bildeten.124 Konflikte zwischen Kelten und Römern waren hier bereits seit der Gründung der römischen Kolonie Ariminum (Rimini) an der Adriaküste im Jahr 268 v. Chr. zu verzeichnen. Von 225 bis 222 v. Chr. führte Rom dann eine Reihe blutiger Feldzüge, die in der Eroberung von Mediolanum (Mailand) gipfelten. Zur Kontrolle der Poebene gründete man noch unmittelbar vor der Invasion Italiens durch Hannibal die latinischen Kolonien Placentia (Piacenza) und Cremona. In Form der Via Flaminia entstand außerdem eine strategisch wichtige Straßenverbindung zwischen Mittelitalien und der nordöstlichen Adriaküste. Nach dem Ende des Zweiten Punischen Krieges unternahmen römische Truppen bis 190 v. Chr. weitere Kriegszüge, die schließlich zur Unterwerfung der Boier, des größten Keltenstammes in der Poebene, führten.

Die neu eroberten Territorien wurden nach strengen geometrischen Prinzipien vermessen und in Parzellen eingeteilt.125 Über einen Zeitraum von knapp 40 Jahren kamen Tausende römische Siedler in das norditalische Grenzland, das durch die Anlage neuer Straßen, Städte und Siedlungsplätze immer weiter erschlossen wurde. Positiv formuliert barg diese Situation viele Möglichkeiten zum kulturellen Austausch zwischen keltischen und römischen beziehungsweise mittelitalischen Traditionen und zur Herausbildung ganz spezifischer, regionaler und lokaler Identitäten. Dieser Austausch kann insbesondere anhand der archäologischen Hinterlassenschaften nachvollzogen werden. Veränderungen in den Grabbeigaben, wie etwa bei Trachtelementen und Waffen, aber auch bei Objekten des täglichen Gebrauchs wie Koch- und Essgeschirr, weisen auf gegenseitige Beeinflussungen, aber auch auf das gelegentliche Festhalten an einheimischen Traditionen hin.126 Trotz dieser bemerkenswerten kulturellen Vielfalt, von der uns die Schriftquellen kaum etwas berichten, darf aber auch nicht vergessen werden, dass das Leben im Grenzland von ständigen Ausbrüchen massiver Gewalt geprägt war. Für römische Soldaten, Siedler und Händler und ihre italischen Bundesgenossen boten sich hier also gleichermaßen enorme Möglichkeiten wie nicht zu unterschätzende Gefahren. Anders als im östlichen Mittelmeerraum, aber durchaus ähnlich wie an der spanischen Ostküste, waren die Römer mit der festen Absicht nach Norditalien gekommen, hier dauerhaft zu bleiben. Dies führte zu einer anderen Art der Expansion, geprägt nicht von großen Feldzügen und Schlachten, sondern von Überfällen, Strafexpeditionen, Vernichtungsaktionen und Massendeportationen.

Eine vergleichbare Lage herrschte in Ligurien, im Nordwesten Italiens.127 In den Jahrzehnten zwischen 197 v. Chr. und 154 v. Chr. unternahmen römische Feldherren hier etliche Kriegszüge, bis 172 v. Chr. sogar fast im Jahresrhythmus. Die Eroberung bereits bestehender Zentren, wie etwa Pisae (Pisa), ging dabei Hand in Hand mit der Aneignung von ursprünglich ligurischen Gebieten und der Gründung neuer Kolonien, so zum Beispiel in Luca (Lucca, 180 v. Chr.) oder Luna (Luni, 177 v. Chr.). Die römischen Befehlshaber feierten in dem genannten Zeitraum insgesamt nicht weniger als 12 Triumphe. Im Gegensatz zu den mehr oder minder punktuellen Feldzügen im östlichen Mittelmeerraum entsteht also für Ligurien im Großen und Ganzen ein ähnliches Bild wie es bereits für andere Gebiete Norditaliens skizziert wurde. Es handelte sich, wie auch aus dem Bericht des Livius hervorgeht, um eine sehr komplexe und kleinteilige Art des Grenzkrieges, wobei der Verlauf der umkämpften Grenze als sehr beweglich angesehen werden muss. Die Okkupation ganzer Landstriche und ihre systematische Erschließung durch neue Straßen und Städte standen ebenso im Zentrum der römischen Strategie wie Plünderung, Versklavung und die gewaltsame Umsiedelung von großen Teilen der ursprünglich hier ansässigen Bevölkerung. So wurden nach dem Bericht des Livius im Jahr 180 v. Chr. insgesamt 47.000 Ligurer aus ihren Heimatgebieten in das fast 600 Kilometer entfernte Bergland von Samnium deportiert; weitere Umsiedlungen Tausender Menschen fanden in den Jahren 187 v. Chr. und 172 v. Chr. statt.128

Allerdings wird durch archäologische Forschungen auch klar, dass sich die örtlichen Oberschichten der verschiedenen einheimischen Siedlungen in Norditalien letzten Endes vergleichsweise bruchlos an der Macht halten konnten. Zwar wurden die letzten ligurischen Triumphe von römischen Feldherren in den Jahren 166, 158 und 155 v. Chr. gefeiert, doch eine tief greifende „Romanisierung“ fand außerhalb der neu gegründeten Kolonien nicht statt. Stattdessen ist gerade in der materiellen Kultur das Weiterbestehen keltischer Traditionen zu beobachten, sei es in den Grabbeigaben oder in der Gebrauchskeramik. Römische oder italische Importe tauchen nur als Einzelstücke auf, was ihren fremdartigen Prestigewert deutlich unterstreicht. Trotz der ständigen römischen Expansion und einer mit Sicherheit von Generation zu Generation stärkeren Interaktion der einheimischen Eliten mit Rom kann man erst zu Beginn des 1. Jh.s v. Chr. ein zunehmendes Interesse an kulturellen Produkten der römischen Welt erkennen.129 Sieht man diese Situation in Norditalien im Kontext der gleichzeitigen Ereignisse im westlichen und östlichen Mittelmeerraum, so sticht auf römischer Seite vor allem die Kombination von hartnäckiger Gebietskontrolle und ständiger Kriegsführung hervor, die sich gegen ganze Landstriche und ihre Bevölkerung richtete. Gemeinsam mit Spanien bildete der Norden der Apenninenhalbinsel das Experimentierfeld für eine Politik von Terror und Zerstörung, die seit dem späten 3. Jh. v. Chr. die Erfahrungen mehrerer Generationen von senatorischen Befehlshabern maßgeblich bestimmte.

Die römischen Bürgerkriege

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