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Beginn der römischen Bürgerkriege

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Vor dem Hintergrund der geschilderten Vorgänge im Verlauf des 2. Jh.s v. Chr., in dem Rom zur mediterranen Großmacht aufgestiegen war, sind wir also wieder nach Italien zurückgekehrt. Dieser scheinbare Umweg über Spanien, Nordafrika und den griechischen Osten entpuppt sich bei näherem Hinsehen als fundamental für ein tieferes Verständnis jenes Ereignisses, das den Ausgangspunkt des Kapitels gebildet hat: die Vernichtung der unweit von Rom gelegenen latinischen Kolonie Fregellae im Jahr 125 v. Chr. In den römischen Schriftquellen wird die Eroberung von Fregellae nämlich in einem Atemzug mit der Belagerung und Zerstörung von Karthago, Korinth und Numantia genannt. Dies eröffnet einen bemerkens- und beachtenswerten Blick auf das Geschehen: Zweieinhalb Generationen nach ihrem Ende hatte sich das Schicksal der so nahe an Rom gelegenen Stadt offenbar gleichsam sprichwörtlich in die römische Erinnerung gegraben, sodass Fregellae nun auf einer Stufe mit dem Erzfeind Karthago, dem 21 Jahre lang umkämpften spanischen Numantia und der im selben Jahr wie Karthago dem Erdboden gleichgemachten griechischen Metropole Korinth gesehen wurde. Dieser Sachverhalt zeigt deutlich, dass diese Vernichtung nicht nur bei den Besiegten, sondern auch bei den Siegern ihre Spuren hinterlassen hatte. Die kompromisslose Zerstörung einer alten Bundesgenossenstadt durch ein römisches Heer war ein Ereignis, das ganz offensichtlich nur durch den Vergleich mit den im Laufe des 2. Jh.s v. Chr. kapitalsten Gegnern Roms ins rechte Verhältnis gerückt werden konnte.

Die Zerstörung von Fregellae ist also nicht bloß eine unbedeutende Episode. Vielmehr kreuzt sich in diesem Ereignis eine Vielzahl historischer Faktoren, von denen die Zeit der römischen Bürgerkriege auch in den folgenden Jahrzehnten geprägt werden sollte. Einer in weiten Kreisen der römischen Gesellschaft beobachtbaren religiösen Unsicherheit und einer Brutalisierung der römischen Außenpolitik standen dabei tief greifende gesellschaftliche Veränderungen in den mit Rom verbündeten Gebieten gegenüber. Die militärischen und wirtschaftlichen Interessen Roms und seiner Bundesgenossen, die seit dem 4. Jh. v. Chr. ständig aufeinandergetroffen waren, hatten sich nämlich durch die Expansion des römischen Machtbereiches im westlichen und östlichen Mittelmeerraum in ausgewachsene Überlebens- und Bereicherungsstrategien verwandelt. Die Einsätze in diesem Spiel waren so hoch, dass soziale Eliten innerhalb kurzer Zeit massiv an Prestige und materieller Begüterung gewinnen oder verlieren konnten. Dies betraf sowohl die Führungsschichten in Rom als auch jene in den Städten und Gemeinden Italiens, deren Selbstverständnis und Selbstdarstellung aus den verfügbaren historischen und archäologischen Quellen zumindest ansatzweise rekonstruiert werden können. Diese Gruppen waren in der zweiten Hälfte des 2. Jh.s v. Chr. durch Kontakte und Beziehungen auf eine dermaßen dichte Art und Weise miteinander vernetzt, dass eine rein auf Rom konzentrierte Betrachtung zwangsläufig ein unvollständiges Bild ergeben würde. Zugleich ist die historische Quellenlage für diesen Zeitraum gerade im Hinblick auf die römische Senatselite und ihre Politik allerdings um einiges ergiebiger als für die restlichen Städte und Gemeinden Italiens.

Anhand des Schicksals von Fregellae erschließt sich ein Ausweg aus dieser potenziellen Sackgasse: Die Kombination von schriftlichen und archäologischen Zeugnissen. Nur durch eine solche Vorgehensweise wird es möglich, die Geschehnisse des Jahres 125 v. Chr. in ihrer ganzen Tragweite zu bewerten. Welche Gründe und Ursachen hatte die Zerstörung der Stadt einerseits in kurzfristiger, andererseits in langfristiger, also sozusagen systemischer Perspektive? Welche Aufschlüsse über den Umgang mit Störfällen vonseiten der römischen Elite sowie über die Hoffnungen, Wünsche und Ambitionen ihrer italischen Pendants lassen sich ausgehend von der Zerstörung gewinnen? Welche Spuren hat die Auslöschung der Stadt hinterlassen, und lassen sich diese vielleicht über die Generationen hinweg in eine Kette ideengeschichtlicher Abhängigkeiten bringen? Aus der Beantwortung dieser Fragen werden sich erste Strukturen und Muster identifizieren lassen, die wichtige Bestandteile einer spezifischen „Kultur“ der römischen Bürgerkriege waren, und die den Blick auf die politische und kulturelle Großwetterlage jener Zeit lenken.

Der genaue Anlass für die Rebellion der Stadt lässt sich aus der historischen Überlieferung nur noch unscharf erahnen. Unbestreitbar ist die Tatsache, dass die Revolte nur vor dem Hintergrund einer politischen Debatte zu verstehen ist, die in erster Linie nicht in Fregellae selbst, sondern in Rom geführt wurde. So hatte sich die römische Volksversammlung im selben Jahr geweigert, einen Gesetzesvorschlag des Konsuls Marcus Fulvius Flaccus anzunehmen und damit den latinischen Bundesgenossen das volle Bürgerrecht zu verleihen.130 Dieses Privileg, die civitas Romana, gewährte den damit Ausgezeichneten das Wahlrecht, den Zugang zur römischen Ämterlaufbahn, die Befreiung von lokalen Steuern, den Schutz vor Folter und Todesstrafe sowie weitere erhebliche wirtschaftliche und fundamentale juristische Vorteile. Seit dem Jahr 167 v. Chr. waren römische Bürger außerdem aufgrund der enormen Beute aus dem Dritten Makedonischen Krieg von der direkten Besteuerung im Kriegsfall, dem sogenannten tributum, entbunden.131

Im Licht der historischen Entwicklungen ist völlig klar, dass die civitas Romana im späten 2. Jh. v. Chr. für ihre Träger nicht bloß ein ideelles Privileg war. Stattdessen wurden römische Vollbürger – wenngleich naturgemäß nicht aus jeder sozialen Schicht – in die Lage versetzt, auch in materieller Hinsicht massiv von den Gewinnen der römischen Expansion des späten 3. und des 2. Jh.s v. Chr. zu profitieren. In einer Reihe von Kriegen in Spanien, Nordafrika, Griechenland und Kleinasien war Rom in dieser Zeit zur dominanten Macht des Mittelmeerraumes geworden und hatte begonnen, immer mehr und immer weiter gefächerte Ressourcen und Gebiete zu kontrollieren. Noch vor dem Zweiten Punischen Krieg im späten 3. Jh. v. Chr. war mittels des Bundesgenossensystems die faktische Hegemonie Roms in Italien hergestellt worden. Bei den Bundesgenossen handelte es sich um Städte und Gemeinden, die durch Verträge in unterschiedlicher Form an Rom gebunden waren. In den meisten Fällen gingen solche Bündnisse aus einer kriegerischen Auseinandersetzung des betroffenen Gemeinwesens mit Rom hervor. Die daraus resultierenden Verträge waren zumeist asymmetrisch formuliert, ihr zentrales Element bestand in der Verpflichtung der mit Rom verbündeten Gemeinde zur Stellung von Soldaten im Kriegsfall.132

In den 200 Jahren vor der Revolte von Fregellae war das volle römische Bürgerrecht einer fremden Gemeinde nur in absoluten Ausnahmefällen verliehen worden. Häufiger, wenn auch selten genug, wurde verbündeten Städten vom Senat der Rang einer civitas sine suffragio, also eines Gemeinwesens mit eingeschränktem römischem Bürgerrecht, zugesprochen. Auch Fregellae als Kolonie latinischen Rechts war Teil dieses Systems. Seit dem späteren 4. Jh. v. Chr. versuchte Rom, die Kontrolle über strategisch wichtige Gebiete in Mittel- und Süditalien durch die gezielte Gründung solcher Kolonien im Territorium besiegter Feinde zu festigen. Bis in das 2. Jh. v. Chr. entstand auf diese Weise vor allem in den Küstenzonen, Flusstälern und Ebenen der Apenninenhalbinsel ein stellenweise dichtes Netz von neuen, nach systematischen Kriterien geplanten Pflanzstädten.133

Die latinischen Kolonien unterschieden sich dabei von den Kolonien römischer Vollbürger durch eine eigene Verwaltungsstruktur und selbstständige städtische Gremien. Die Einwohner einer solchen Stadt genossen alle Vorteile der civitas Romana, konnten allerdings nicht an den Wahlen und Abstimmungen in den römischen Volksversammlungen teilnehmen. In diesen Gremien wurde jedoch über die wichtigsten Ämter und Gesetze entschieden. Deshalb bedeutet die civitas sine suffragio für ihre Träger im Kern nichts anderes als den faktischen Ausschluss von der stadtrömischen Politik und von ihren programmatischen Entscheidungen und Beschlüssen. Eine Einflussnahme auf Senat und Volksversammlung war für die Eliten und für die wichtigsten Familien solcher Städte deshalb nur auf indirektem Wege möglich. Das wichtigste Instrument stellte dabei die Etablierung persönlicher Freundschafts- und Abhängigkeitsverhältnisse zu den maßgeblichen Clans der römischen Senatsaristokratie dar. Trotz der sehr fragmentarischen Quellensituation ist klar, dass auch die Oberschicht von Fregellae seit dem späten 3. Jh. v. Chr. vermehrt solche Verbindungen geknüpft hatte.134 Gerade vor dem Hintergrund der bereits nachgezeichneten politischen und wirtschaftlichen Ereignisse ist dies keineswegs überraschend. Denn einerseits profitierten die Bundesgenossen von den Kriegszügen Roms. Sie waren zwar zur militärischen Hilfeleistung verpflichtet, dafür aber auch zu gleichen Teilen an der Verteilung der Kriegsbeute beteiligt, wovon insbesondere die aus den führenden Familien der einzelnen Gemeinden stammenden Offiziere profitiert haben müssen.135 Im Hinblick auf den Zufluss von Kriegsbeute war das römische Ausgreifen in den Mittelmeerraum aus Sicht der verbündeten italischen Eliten also eine durchaus begrüßenswerte Politik, und auch die Bundesgenossen mussten ihrerseits ein durchaus starkes Interesse daran haben, dass der Prozess aggressiver Expansion nicht ins Stocken geriet. Zugleich hatte der damit verbundene dramatische Zuwachs an Wohlstand allerdings erhebliche Auswirkungen auf die soziale Struktur nicht nur der römischen Nobilität, sondern auch der mit ihr verbündeten italischen Eliten, denn es ergab sich sowohl in horizontaler Richtung, also zwischen Rom und den Bundesgenossen, als auch in vertikaler Richtung in den einzelnen Gemeinden eine Schieflage. Einerseits verteilte sich der neue Reichtum keineswegs gleichmäßig über Römer und Bundesgenossen, andererseits kamen innerhalb der römischen und italischen Eliten nicht alle Familien gleichermaßen zum Zug. Die Folge war nicht nur ein sich zusehends verschärfender politischer Wettbewerb, sondern auch eine intensive moralische Debatte um Wohlstand und Besitz. Dieser Diskurs entwickelte sich parallel zu einer auffälligen Verfeinerung sozialer Gepflogenheiten im Kontext einer immer stärker urbanisierten Gesellschaft.136

Zusätzliche Brisanz erhält die Annäherung der Elite von Fregellae an die stadtrömische Politik seit dem späten 3. Jh. v. Chr., wenn man die spärlichen Aussagen der Schriftquellen noch einmal näher betrachtet. Denn die Anführer der Revolte des Jahres 125 v. Chr. rekrutierten sich zumindest zum Teil aus genau dieser Elite, der die Weigerung der römischen Volksversammlung, dem Gesetzesvorschlag des Konsuls Marcus Fulvius Flaccus zu folgen und den latinischen Kolonien im Jahr 125 v. Chr. das volle Bürgerrecht zu verleihen, am meisten geschadet haben muss.137 Die Entscheidung war ein grober politischer, aber auch wirtschaftlicher Rückschlag für die Bundesgenossen, und hier gerade für viele der prosperierenden Gemeinden in Latium und Kampanien. Der Anlass für die Rebellion hat somit deutlich an Konturen gewonnen: Er ist in der zunehmenden Verflechtung der auf Rom und seine Bürgerschaft zentrierten Politik des römischen Senats mit den führenden Familien der italischen Bundesgenossen zu suchen. Diese Symbiose lag zwar der Expansion in den westlichen und östlichen Mittelmeerraum im 2. Jh. v. Chr. ganz maßgeblich zugrunde, wurde jedoch durch die ungleiche Verteilung von Rechten und Privilegien nicht in adäquater Weise abgebildet. Im Gegenteil: Von römischer Seite wurde das Bürgerrecht im 2. Jh. v. Chr. auch häufig als Mittel eingesetzt, um diese Ungleichheit noch zu verfestigen. Das schwingt etwa in einer 122 v. Chr. von dem Konsul Gaius Fannius gehaltenen Rede an die Volksversammlung mit, die sich gegen die Absicht des Gaius Gracchus richtete, den latinischen Kolonien das volle Bürgerrecht zu verleihen: „Wenn ihr den Latinern das Bürgerrecht gebt, glaubt ihr, dass ihr dann noch immer – so wie jetzt – einen Platz in der Volksversammlung finden würdet oder in der Lage wäret, an den Spielen und Festen teilzunehmen? Glaubt ihr nicht, dass dann diese [neuen Bürger] alle Plätze besetzen würden?“138 Die Folgen dieser Schieflage sollten sich auf längere Sicht als verheerend erweisen. Im Jahr 125 v. Chr. führten sie in Fregellae zu einer ebenso abrupten wie massiven Eskalation der Gewalt, die das seit über 75 Jahren von Krieg vollständig verschonte Mittelitalien in eine tiefe existenzielle Krise stürzte.

Über die Ereignisse nach dem Eintreffen des Prätors Opimius und seiner Truppen herrscht in den historischen Quellen weitgehendes Schweigen. Nur einige wenige Hinweise vermögen uns eine Ahnung davon zu geben, was zwischen dem Eintreffen des römischen Heeres und dem Ende der Belagerung im Detail geschah. Fregellae verfügte mit Sicherheit über Befestigungsmauern, die zwar bislang noch nicht archäologisch belegt, aber aus einer Erwähnung bei Livius bereits für das Jahr 210 v. Chr. gesichert sind.139 Das Stadtgebiet selbst befand sich gegenüber dem Flusslauf des Liris auf einer sanften Anhöhe. Im Westen erschwerte der Fluss den Zugang, im Osten wurde der Stadtrand von einer abfallenden Geländekante begleitet. Ebenfalls im Westen lag der flache Geländesporn mit der künstlich geschaffenen, auf die Stadt hin ausgerichteten Plattform des Aesculapius-Heiligtums. Ein Angriff auf die Stadt war aus diesem Grund nur von Norden oder von Süden her möglich. Tatsächlich geht aus Berichten des 18. und frühen 20. Jh.s hervor, dass eine Sperrmauer aus massivem Quadermauerwerk über das Plateau nördlich des Stadtzentrums verlief und an dieser Stelle die nach Süden führende Trasse der Via Latina blockierte.140

Sofern Opimius sein Heer über die Via Latina an Fregellae herangeführt hatte, musste er etwa im Bereich des modernen Ortes Ceprano den Liris überqueren. Danach galt es, die Stadt zumindest von zwei Seiten einzuschließen, während die Uferbereiche der Flüsse Liris und Trerus unter ständige Bewachung gestellt werden mussten, um Fregellae auch von dieser Seite von der Versorgung abzuschneiden. Ein direkter Angriff war vor allem an den Schmalseiten des Stadtgebietes, also im Norden und im Süden, möglich, wobei die Südflanke durch die Engstelle der Liris-Insel gut geschützt war; die Mauerabschnitte an West- und Ostseite waren zwar länger und deshalb schwerer zu bemannen, allerdings bot hier wiederum das Gelände gewisse Vorteile für die Verteidiger. Ob es im Rahmen der Belagerung zu Angriffen auf die Stadtbefestigungen oder generell zu Kampfhandlungen kam, ist in der Forschung nach wie vor umstritten. Laut dem Bericht des spätantiken Historikers Ammianus Marcellinus sollen vor der Kapitulation der Stadt mehrfach schwere Gefechte stattgefunden haben.141 Gegen den Gedanken einer weitgehend kampflosen Belagerung spricht zudem die Tatsache, dass Fregellae in den Generationen zuvor auf eine durchaus beachtliche militärische Tradition zurückblicken konnte. Kontingente der Stadt und insbesondere ihre Reiterei hatten sich seit dem späten 3. Jh. v. Chr. immer wieder durch Kampfkraft und Tapferkeit im Rahmen der römischen Eroberungsfeldzüge im östlichen Mittelmeerraum hervorgetan.

Die Anführer dieser Einheiten waren Männer, die den führenden Familien von Fregellae entstammten.142 Auf eine militärisch aktive Oberschicht weist nicht nur eine Nachricht des Livius hin, sondern auch die Ausstattung einiger archäologisch erforschter städtischer Wohnhäuser aus dem frühen 2. Jh. v. Chr. Während Livius von einer Kavallerielanze berichtet, die ein gewisser Lucius Atreius aus Fregellae für seinen wehrpflichtigen Sohn gekauft und danach in seinem Haus verwahrt hatte,143 wurden aus einem der Stadthäuser in der Nähe des Forums zahlreiche Fragmente eines Terrakottafrieses mit Kampfszenen geborgen. Dieser Fries gehörte ursprünglich zum Dachschmuck im Atrium, dem zentralen Repräsentationsraum des Hauses. Die gezeigten Szenen lassen sich mit einem der römischen Kriegszüge gegen das hellenistische Königreich der Seleukiden in Verbindung bringen. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit beziehen sie sich sogar auf historisch belegte Ereignisse: Die Präsenz von Elefanten und Schiffen sowie die Bewaffnung der dargestellten Einheiten lassen konkret an zwei zentrale Episoden aus dem Ersten Syrischen Krieg denken – erstens die 190 v. Chr. geschlagene Schlacht von Magnesia, in der Lucius Cornelius Scipio Asiagenus und sein Bruder Publius Cornelius Scipio Africanus den seleukidischen König Antiochos III. besiegten, und zweitens die Seeschlacht von Myonessos, die im selben Jahr ebenfalls siegreich für die Römer und deren italische Verbündeten verlief.144 Diese beiden Schlachten, die den zweiten entscheidenden Sieg der Römer und ihrer Bundesgenossen über ein hellenistisches Königreich innerhalb von sechs Jahren besiegelt hatten, bildeten also den heroischen Stoff für Bilder, die von der Oberschicht von Fregellae dem Besucher mit Stolz präsentiert wurden. Die Darstellung dieser Kämpfe im repräsentativen Trakt eines Wohnhauses verdeutlicht gleich zwei Aspekte, die miteinander untrennbar verwoben sind: Einerseits können die Bilder als Beleg für die große Bedeutung von militärischer Betätigung innerhalb der fregellanischen Oberschicht dienen. Andererseits zeigen sie auf eindrucksvolle Weise, welch hohen Stellenwert die Elite von Fregellae ihren eigenen kriegerischen Leistungen im Zusammenhang mit der römischen Eroberung des östlichen Mittelmeerraums beimaß.

Der Prätor Lucius Opimius hatte es also nicht nur mit Stadtmauern und einer für den Belagerer ungünstigen topographischen Situation, sondern auch mit einer kampfgewohnten Bevölkerung zu tun, deren aus der städtischen Oberschicht stammende Kommandanten seit mindestens drei Generationen mit der römischen Art der Kriegsführung gut vertraut waren. Die von Valerius Maximus, in der frühen Kaiserzeit Sammler historischer Anekdoten, überlieferte Bemerkung, dass Opimius später vor dem Senat in sogar für römische Verhältnisse unbescheidener Art und Weise (editis operibus magnificus) auf seine Leistungen im Kampf gegen die Aufständischen verwiesen habe, mag als zusätzlicher Hinweis auf die Schwierigkeit seiner Aufgabe zu verstehen sein.145 Der Schleier des Vergessens, den das Schweigen der Quellen – geschuldet nicht zuletzt dem Verlust der entsprechenden Passagen bei Livius – über den genauen Verlauf der Belagerung gelegt hat, wird jedenfalls erst mit dem Ende Fregellaes andeutungsweise wieder gelüftet: Jetzt sind es Verrat und Vernichtung, die in den Vordergrund rücken.

Den Beginn macht Ciceros erstes theoretisches Werk zur Redekunst, das zwischen 85 und 80 v. Chr., also gerade einmal 40 Jahre nach der Belagerung von Fregellae, verfasste Buch „De inventione“. Bereits hier hatte das Schicksal Fregellaes eine geradezu sprichwörtliche Qualität erlangt. So gibt Cicero einem angehenden Redner den Rat, dass durch eine rhetorische Frage die Zuhörerschaft problemlos in die vom Sprecher gewünschte Richtung gelenkt werden könne. Als Beispiel dient ihm nicht nur die griechische Mythologie mit der Frage, ob etwa Odysseus den bekanntermaßen durch Selbstmord ums Leben gekommenen Ajax getötet habe, sondern auch der Satz: „Meinen es die Einwohner von Fregellae etwa gut mit den Römern?“146 Der dunkle Sarkasmus, der selbst dem modernen Leser in Kenntnis der Fakten nicht entgeht, wird für den Zeitgenossen mit Sicherheit noch stärker ins Auge gestochen sein. Der Aufstand von Fregellae verwandelt sich auf diese Weise in einen Topos für Verrat und Hinterhältigkeit, zum Gegenentwurf zu Aufrichtigkeit und Bündnistreue.

Doch Verrat stand nicht nur am Anfang der Rebellion, sondern war als grundsätzliches menschliches Übel auch für den Untergang der Aufständischen verantwortlich, wie die zweite Erwähnung der Stadt in Ciceros Rhetorikhandbuch deutlich macht. Hier begegnet uns ein Mann namens Quintus Numitorius Pullus, dessen Fall nach der Eroberung Fregellaes vor einem Standgericht, bestehend aus Lucius Opimius und seinem Kriegsrat, verhandelt wurde. Numitorius Pullus war zuvor offensichtlich einer der führenden Köpfe des Aufstandes gegen Rom gewesen. Doch obwohl seine Schuld in diesem Punkt außer Frage stand, sprach das Gericht ihn letztlich frei – und zwar unter Hinweis auf einen „später erbrachten Dienst“ (quam ut propter posterius benificium sibi ignosceretur). Der besagte „Dienst“, das geht aus zwei weiteren Erwähnungen in späteren Werken Ciceros hervor, kann nur darin bestanden haben, dass Numitorius Pullus seine Heimatstadt an die Römer verriet und damit den Sieg des Opimius herbeiführte.147 Als proditor (Verräter) kam Numitorius Pullus auf diese Weise zu fragwürdigem Ruhm, der selbst 80 Jahre nach seiner Tat noch ungebrochen anhielt.

Unabhängig vom moralischen Wert solcher Anekdoten ergeben sich aus dem Verrat des Numitorius Pullus für die historische Beurteilung jedenfalls drei wichtige Erkenntnisse: Erstens hatten in Fregellae ohne Zweifel die Mitglieder der städtischen Elite als treibende Kräfte hinter dem Aufstand gegen Rom gewirkt. Zweitens war es Opimius bis zum Schluss weder gelungen, die Stadt im Sturm zu erobern noch auszuhungern. Und drittens hatte die innere Geschlossenheit der fregellanischen Oberschicht im Laufe der Belagerung offenbar zu bröckeln begonnen, was schließlich zum Verrat des Numitorius Pullus und zur Eroberung durch die Truppen des Opimius führte.

Die Folgen dieser Ereigniskette werden in den verfügbaren Schriftquellen zwar nicht explizit beschrieben, doch die benutzten Formulierungen sind ebenso lapidar wie einprägsam: Nach der Kollaboration des Numitorius hatte die Stadt scheinbar noch kapituliert, wie die knappe Formulierung „Fregellanis ad deditionem compulsis“ bei Valerius Maximus sowie bei dem spätantiken Geschichtsschreiber Ammianus Marcellinus belegt.148 Weitere Details zu dieser Kapitulation, ihren Umständen und unmittelbaren Folgen sind freilich unbekannt. Die meisten Quellen betonen einzig und allein den abschließenden Untergang der Stadt. In der Inhaltsangabe zu den für diesen Zeitraum nicht erhaltenen Büchern des Livius heißt es schlicht, Lucius Opimius habe Fregellae zerstört (Fregellas diruit);149 der zur Zeit des Kaisers Tiberius schreibende Historiker Velleius Paterculus spricht von Auslöschung (Fregellas exciderat);150 der namentlich nicht bekannte Autor der Rhetorica ad Herennium, einer weiteren Lehrschrift für Redner aus den Achtzigerjahren des 1. Jh.s v. Chr., benutzt schließlich das brachiale „evertere“ (vernichten, wörtlich: umstürzen) und merkt an, dass sich aufgrund der Maßnahmen des Opimius von der einst so wohlhabenden Stadt zu seiner Zeit kaum noch Reste der Grundmauern erhalten hätten.151 Aus allen Erwähnungen geht also hervor, dass Fregellae von den Truppen des Opimius nach der Kapitulation nachhaltig zerstört worden war. Doch das tatsächliche Ausmaß dieser Vernichtung wurde erst durch die archäologischen Feldforschungen von Filippo Coarelli in aller Deutlichkeit ans Licht gebracht.

Über dem im Jahr 125 v. Chr. zerstörten Zentrum Fregellaes stießen die Ausgräber zunächst auf eine Villa aus der Kaiserzeit. Die zu dieser Anlage gehörigen Gräber waren unmittelbar in den Überresten der zum Teil kostbar ausgestatteten Stadthäuser angelegt worden. Dabei hatte man stellenweise die Fußböden und die Mauerzüge der älteren Gebäude durchschlagen. Das entspricht in auffälliger Weise der oben bereits angeführten Feststellung in der Rhetorica ad Herennium und zeigt, dass die Bewohner der Villa im 1. und 2. Jh. n. Chr. von der Existenz dieser Häuser nichts mehr wussten. Bei der Villa selbst handelte es sich um einen landwirtschaftlichen Betrieb, umgeben von Weide- und Ackerflächen. Ein ehemals dicht bebautes Wohngebiet hatte sich also, ebenso wie die Bäder und andere öffentliche Bauten, nach der Zerstörung durch Opimius auf nachhaltige Weise in Brachland verwandelt. Die Tatsache, dass diese Situation im gesamten archäologisch untersuchten Areal vorliegt, deutet auf eine systematische und flächendeckende Vernichtung des urbanen Baubestandes hin. Dies war nicht das Wüten einer entfesselten, plündernden Soldateska – für das es aus republikanischer Zeit durchaus nicht wenige Beispiele gibt152 –, sondern eine planmäßig und auf Befehl durchgeführte Auslöschungsaktion.

Insbesondere im Bereich des politischen Zentrums der Stadt erbrachten die archäologischen Untersuchungen diesbezüglich weitere aufschlussreiche Anhaltspunkte. Über den Grundmauern der Curia, des städtischen Rathauses, fanden Filippo Coarelli und seine Grabungsmannschaft eine schwarze Erdschicht, die stark mit Asche und Ruß versetzt war. Diese Schicht beinhaltete eine große Menge an Tierknochen und Keramikscherben. Letztere stammten ausschließlich von zwei Arten von Gefäßen, nämlich von Tassen mit schwarzem Überzug sowie von einfachen Töpfen. Das äußerst begrenzte Spektrum der vertretenen Gefäßformen, der hohe Anteil an Tierknochen und die Menge der gefundenen Brandrückstände geben den klaren Hinweis darauf, dass diese Schicht nicht durch alltäglichen Nahrungskonsum entstanden sein kann. Vielmehr handelt es sich um die Spuren eines großen Opferrituals. Bei römischen Opfern wurden für die Götter bestimmte Tiere – zumeist Schweine, Rinder oder Schafe – geschlachtet, zerteilt und anschließend auf einem oder mehreren Altären rituell verbrannt. Die Verbrennung betraf allerdings mit den Eingeweiden nur einen Teil des Opferfleisches, der Rest wurde unter den Anwesenden aufgeteilt und von ihnen verzehrt. Dem blutigen Schlachtopfer ging üblicherweise ein Trankopfer voraus, und auch während des Opfermahles selbst war der Konsum von Wein und anderen Getränken vorgesehen. Genau diese Phasen und Details einer offiziellen römischen Opferzeremonie sehen wir im archäologischen Befund von Fregellae vor uns: Die Tassen als Hinweise auf Trankopfer und rituelles Trinken während der anschließenden Feier; die Tierknochen und die Töpfe als Indizien für die Schlachtung und den Konsum des Fleisches; und schließlich die Brandrückstände als Zeichen eines oder mehrerer Opferfeuer, die wohl an eigens dafür installierten Altären entfacht worden waren.153

Die von Coarelli durchgeführten Ausgrabungen haben also nicht nur das in den antiken Schriftquellen angedeutete Bild einer systematisch bis auf die Grundmauern zerstörten Stadt eindrucksvoll bestätigt, sondern sie verweisen auch auf ein großes Opferritual, das die Vernichtung Fregellaes begleitete. Dieser Umstand ist umso bemerkenswerter, als wir Hinweise auf die Ursache für ein solches Opfer wiederum in der schriftlichen Überlieferung zumindest ansatzweise fassen können. Der Beleg findet sich bei dem in der ersten Hälfte des 5. Jh.s n. Chr. schreibenden Philosophen und Grammatiker Macrobius. Im dritten Buch seines an Informationen über die römische Religion und Kulturgeschichte überaus reichen Werkes „Saturnalia“ erwähnt Macrobius die Stadt Fregellae im Zusammenhang mit dem alten Ritual der sogenannten devotio. Bei diesem ging es darum, im kritischen Moment einer Schlacht oder einer Belagerung den Beistand der Götter zu gewinnen und dadurch eine günstige Entscheidung herbeizuführen. Feindliche Städte und ihre Bewohner wurden in ihrer Gesamtheit den Göttern der Unterwelt geweiht. Die Weiheformel konnte nur der Feldherr sprechen, eine priesterliche Pflicht, die vor dem Fall von Fregellae also Opimius selbst übernommen haben muss. Aus der Schilderung des Macrobius geht hervor, dass die Formel nach der sogenannten evocatio, also nach dem sprichwörtlichen „Herausrufen“ der städtischen Schutzgötter, vorgetragen wurde. Macrobius zitiert in diesem Zusammenhang die von Scipio Aemilianus vor der Eroberung von Karthago gesprochenen Worte. Zunächst werden die Götter der Unterwelt angerufen, danach die Bedingungen des Paktes definiert: „Vater Dis, Veiovis, Manen, oder mit welchem Namen sonst man euch anrufen darf! Ich bitte, ihr mögt zusammen jene Stadt Karthago und das Heer, das ich laut nenne, mit Flucht, Angst, Schrecken erfüllen. Auch sollt ihr jene, die gegen unsere Legionen und unser Heer Angriffs- und Verteidigungswaffen führen, dieses Heer, diese Feinde, diese Menschen, ihre Städte und Fluren und alle, die an diesen Orten, Gegenden, Fluren oder Städten wohnen, wegführen und des Tageslichtes berauben, und ihr sollt das Heer der Feinde, ihre Städte und Fluren, die ich laut nenne […], alle ihre Menschen jeglichen Alters als verflucht und als jenen Gesetzen verfallen ansehen, nach denen immer Feinde in höchstem Maße verflucht sind. Und ich übergebe sie, damit sie für mich, mein Amt, meine Befehlsgewalt, für das römische Volk, für unsere Heere und Legionen stellvertretend ein ‚Opfer‘ seien, und weihe sie dem Untergang, damit ihr mich, mein Amt, meine Befehlsgewalt, unsere Legionen und unser Heer, die hier im Kampf stehen, heil und gesund sein lasst.“154

Es handelte sich somit um ein Gelübde, in dem der römische Feldherr den Göttern der Unterwelt die Feinde und ihre Stadt als Ersatz für sich selbst und seine Armee versprach. Sofern die Eroberung gelang, waren die anschließende Zerstörung der Stadt und die Auslöschung ihrer Bewohner die logischen Konsequenzen aus diesem Versprechen. Die Tatsache, dass sich römische Befehlshaber an die Bedeutung des Rituals auch tatsächlich gebunden fühlten, geht aus der von Macrobius erstellten Auflistung der einer devotio unterzogenen Städte eindeutig hervor: Hier wird Fregellae gemeinsam mit Karthago und Korinth genannt, deren radikale Zerstörung durch römische Truppen bereits für die antiken Zeitgenossen zum Sinnbild für physische Auslöschung geworden war. Mit dem Verrat des Numitorius Pullus und der anschließenden Eroberung Fregellaes hatten die Götter der Unterwelt jedenfalls offenkundig ihren Teil der Abmachung erfüllt. Jetzt war es an Opimius und seinen siegreichen Truppen, ihren unsterblichen Helfern einen entsprechenden Beweis der Dankbarkeit zukommen zu lassen. Das Opfer, dessen Überreste sich über den Grundmauern der Curia gefunden haben, diente genau diesem Zweck. Die großen Mengen an Gefäßscherben und Tierknochen zeigen, dass eine beachtliche Menschenmenge an der Zeremonie teilgenommen haben muss. Die Wahl des Ortes war dabei keineswegs zufällig ausgefallen. Denn Opimius und ein beträchtlicher Teil seiner Soldaten zelebrierten den mit göttlichem Beistand errungenen Sieg exakt im ehemaligen Zentrum des politischen Selbstbewusstseins und der urbanen Kultiviertheit der Fregellaner, inmitten einer noch im Vorgang der Zerstörung befindlichen, postapokalyptischen städtischen Wüste.

Die römischen Bürgerkriege

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