Читать книгу Die Katholizität der Kirche - Dominik Schultheis - Страница 58
II. Kirche als „Volk Gottes“ des neuen Bundes
oder: Der Bundescharakter der
Heilsgeschichte als Voraussetzung der
Katholizität Israels und der Kirche
ОглавлениеDas Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) legt mit seiner Konstitution „Lumen Gentium“ erstmals in der Geschichte der Kirche eine lehramtliche Ekklesiologie vor, in der das kirchliche Selbstverständnis der Kirche der Väter mit dem der Apologetik nachtridentinischer und neuscholastischer Theologie in eine Synthese gebracht wird und in der die mit der Gregorianischen Reform begonnenen juridisch-hierarchologischen Engführungen zu überwinden versucht werden. Die Konzilsväter bestimmen Die Kirche „von ihrer Rolle in der Gesch[.][ichte] des universalen Heilswillens Gottes her, was formal in einer […] dialogischen Relationalität nach außen und nach innen, konkret in den Selbstbezeichnungen ‚Communio’, ‚Volk Gottes’ u[.][nd] ‚Sakrament des Heils der Welt’ (Ursakrament) zum Ausdruck kommt.“380
Diese drei Begriffe zur Beschreibung des Wesens der Kirche wähle ich zu Ausgangspunkten weiterer Überlegungen, die darauf zielen, die im vorherigen Kapitel zur Diskussion gestellte These zu stützen. Methodisch soll das vom Konzil mit dem Begriffen „katholisch“ bzw. „Katholizität“ Gemeinte mit den in der innerkatholischen Wissenschaft etablierten konziliaren Leitbegriffen „Volk Gottes“, „Grundsakrament“ und „Communio“ in Zusammenhang gebracht werden.381 Von dieser systematischen Zusammenschau erhoffen wir uns, die Katholizität noch deutlicher als integrale Größe, als inneren Interpretationsschlüssel aller wesentlichen Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils herausstellen und sie als eine alternative ekklesiologische Leitkategorie in die theologische Diskussion einbringen zu können.
Bei dieser Betrachtung geht es nicht mehr um eine erneute textkritische Analyse der Konzilsdokumente.382 Vielmehr sollen die wesentlichen Grundzüge der konziliaren Lehre über die Kirche unter dem Aspekt ihrer Katholizität systematisch beleuchtet werden. In diese systematische Zusammenschau werden ausgewählte deutschsprachige Beiträge nachkonziliarer katholischer systematischer Theologie einbezogen. Solche Beiträge stellen – wie auch diese Untersuchung selbst – immer schon unterschiedlich akzentuierte Interpretationen und womögliche Fortschreibungen der Konzilstexte dar. Diese Tatsache stellt weder die Qualität noch die Seriösität solcher nachkonziliaren Forschung und ihrer jeweiligen Interpreten in Frage. Es bleibt zu betonen, dass das Konzil mit vielen seiner Bestimmungen oft nicht mehr als nur einen Rahmen vorgeben konnte und wollte, den zu füllen der nachkonziliaren Theologie bis heute aufgegeben ist.383 Dabei kommt die theologische Wissenschaft nicht umhin, die relevanten nachkonziliaren Dokumente des Lehramtes zu Fragen der Ekklesiologie miteinzubeziehen, bieten diese doch maßgebende Interpretationshilfen, wie die Texte des Konzils zu lesen und zu deuten sind. Folglich werden auch unsere Untersuchungen gehalten sein, derartige Texte des Lehramtes zu berücksichtigen.
Eine unter den Leitbildern „Volk Gottes“, „Grundsakrament“ und „Communio“ seriöse Betrachtung der Katholizität der Kirche wird ferner die virulenten innerkatholischen Diskussionspunkte nicht aussparen können, die in der nachkonziliaren Ekklesiologie aufgetreten sind und sowohl das Selbstverständnis als auch die innere Struktur der (römisch-)katholischen Kirche bis heute nachhaltig beeinflussen. Jedes der drei folgenden Kapitel widmet sich daher in einem je abschließenden Exkurs je einem in den letzten Jahren in der theologischen Wissenschaft kontrovers diskutierten ekklesiologischen Problem, das die Frage nach der Katholizität der Kirche berührt und möglicherweise Auswirkungen auf ihre Bestimmung hat. Auch wenn diese Ausführungen nicht alle Aspekte beachten können, bieten sie aufschlussreiche Kenntnisse, die für unseren Untersuchungsgegenstand von Bedeutung sind. Gleichzeitig vermögen sie, die innere Dynamik der Kirche zu verdeutlichen, die in ihrer Katholizität begründet liegt. Und sie machen exemplarisch deutlich, auf welch steinigem Weg eine Interpretation und Fortschreibung der konziliaren Lehre über die Kirche vorankommt.
Widmen wir uns nun dem vom Konzil entfalteten Selbstverständnis der Kirche. Die Frage nach diesem bliebe unvollständig, würde nicht nach seinem theologischen Fundament gefragt: Welches Gottesbild hat das Konzil seinen ekklesiologischen Aussagen – vornehmlich dem von der Sakramentalität der Kirche – zugrunde gelegt? Dieser Frage soll im Sinne eines Präludiums kurz nachgegangen werden.