Читать книгу Die Katholizität der Kirche - Dominik Schultheis - Страница 64

3. Exkurs: Die schwierige Verhältnisbestimmung zwischen Jesu Sammlung des wahren Israels und der Kirche

Оглавление

Im Rahmen der bis hierher betriebenen Betrachtungen des Volk-Gottes-Begriffs, der vom Konzil in einer patrististischen Rückbesinnung wieder entdeckt und ins Zentrum seiner ekklesiologischen Reflexion gerückt wurde428, bleibt ein kurzer Blick auf eine erste kontrovers diskutierte ekklesiologische Frage zu werfen, nämlich auf die schwierige Verhältnisbestimmung von Israel als dem von JHWH erwählten Volk Gottes zu der von Jesus Christus begründeten Kirche429. Spätestens seit der viel beachteten Rede Johannes Pauls II. vor den Repräsentanten des deutschen Judentums in Mainz am 17. November 1980, in der er von einer „Begegnung zwischen dem Gottesvolk des von Gott nie gekündigten Alten Bundes (vgl. Röm 11,29) und dem des Neuen Bundes“430 sprach, spielt die Frage einer exegetisch fundierten Bundestheologie eine immer wichtigere Rolle. Die Herkunft der Kirche aus Israel und ihre bleibende Heilsgemeinschaft mit Israel als dem wahren Volk Gottes vermochte das Konzil sowohl in der Kirchenkonstitution als auch in der Erklärung über das Verhältnis der katholischen Kirche zu den nichtchristlichen Religionen „Nostra Aetate“ nur bruchstückhaft zu reflektieren; die biblische wie systematische Theologie ist auf diesem Weg in den letzten vierzig Jahren zwar ein beachtliches Stück voran gebracht worden, kann aber – vor allem unter ekklesiologischen Gesichtspunkten – nicht als geklärt und abgeschlossen bezeichnet werden. Die entscheidende Frage lautet nach wie vor: Wie verhält sich die von Jesus Christus intendierte und in seiner Sendung verwirklichte Sammlung des wahren, endgültig wiederhergestellten Volk Gottes, des endzeitlichen Israels, zu der Kirche, die nach Ostern mit dem Pfingstereignis im Heiligen Geist zusammengeführt wird und sich zunehmend als eigene, von Israel verschiedene Glaubensgemeinschaft konstituiert?431 Kann – mit Rekurs auf die Heilige Schrift – (noch) von einer „Stiftung“ der Kirche durch Jesus Christus gesprochen werden oder ist deren Ursprungsgeschehen nicht schon und alleine in Israel als dem wahren „Volk Gottes“ begründet und vorausbedeutet? Dies aber weitet den Fragehorizont unweigerlich aus und ruft eine weitere Frage auf den Plan: Wie viele „Bünde“ Gottes mit den Menschen gibt es nach Christi Tod und Auferstehung überhaupt: einen oder zwei? Sind Juden und Christen Teile einer sich durchhaltenden Bundestradition, die von beiden in jeweils unterschiedlicher Weise angeeignet wird, also parallele Heilswege in ein und demselben Bund, oder muss von der Eigenart zweier Bundestraditionen ausgegangen werden, die in ihrer Diskontinuität beide für das volle Hervortreten der Gottesherrschaft von entscheidender Bedeutung sind?

Eine wie auch immer ausfallende Beantwortung dieser Fragen wird Auswirkungen auf unseren Untersuchungsgegenstand dergestalt haben, dass sie die Überlegung evoziert, ob die Katholizität der Kirche alleine und vornehmlich im Christusereignis gründet oder ob sie sich auch aus der Heilssendung des Volkes Israels ableitet, zu dem Gott zuerst gesprochen hat, was wiederum zur Folge hätte, dass Israel bzw. dem Judentum als nichtchristlicher Religion eine eigene Katholizität zuzusprechen wäre. Oder anders gefragt: Sind die christlichen Kirchen – bei aller Verwiesenheit auf das wahre Volk Israel – unabhängig von diesem „katholisch“, oder ist die Kirche – zumindest in anthropologischer und schöpfungstheologischer Hinsicht – „katholisch“ durch und aufgrund ihrer Verwiesenheit auf das Volk Israel hin, das ja nicht nur Ursprung und Vorausbild der Kirche ist, sondern ihre bleibende Wurzel, der Ölbaum, auf den sie aufgepfropft und dem die Christenheit eingepflanzt (vgl. Röm 11,16–24) wird? Diese Fragestellung erlaubt zumindest, über die Möglichkeit nachzudenken, ob die Qualifizierung des Verhältnisses von Altem und Neuem Bund nicht auch das Verständnis der Katholizität der Kirche einerseits und ihr Verhältnis zu Israel und dem Judentum andererseits differenzierter zu beschreiben vermag.432

Um mögliche Antworten auf diese Frage zu erhalten, sollen nachfolgend der semantische und exegetische Befund zum Bundesbegriff und die daraus ableitbaren Bundestheologien sowohl im Alten als auch im Neuen Testament kurz umrissen werden. Auf eine breite, alle Teilaspekte berücksichtigende Darstellung muss im Rahmen dieser Untersuchung verzichtet werden.433

Die Katholizität der Kirche

Подняться наверх