Читать книгу Big Ideas. Das Wissenschafts-Buch - Douglas Palmer - Страница 22
ОглавлениеIN DER MITTE ABER VON ALLEN STEHT DIE SONNE
NIKOLAUS KOPERNIKUS (1473–1543)
IM KONTEXT
GEBIET
Astronomie
FRÜHER
3. Jh. v. Chr. In seinem Buch Der Sandrechner berichtet Archimedes von Ideen des Aristarch von Samos, wonach das Universum viel größer sei als geglaubt und die Sonne in ihrem Zentrum liege.
150 n. Chr. Claudius Ptolemäus von Alexandria beschreibt mathematisch ein geozentrisches Modell des Weltalls.
SPÄTER
1609 Johannes Kepler löst die Widersprüche des heliozentrischen Modells des Sonnensystems, indem er elliptische Bahnen fordert.
1610 Nachdem Galileo Galilei die Jupitermonde beobachtete, ist er überzeugt, dass Kopernikus recht hatte.
Seit der frühen Geschichte war das Denken der westlichen Welt durch die Vorstellung geprägt, die Erde sei der Mittelpunkt der Welt. Dieses »geozentrische Denken« erwuchs aus alltäglichen Beobachtungen und dem gesunden Menschenverstand: Wir fühlen keine Bewegung des Bodens, und auch die Beobachtung der Himmelskörper liefert keine Hinweise darauf, dass die Erde sich bewegt. Was sonst sollte also die Erklärung sein, als dass die Sonne, der Mond, die Planeten und Sterne sich in unterschiedlicher Geschwindigkeit um die Erde drehen? Dieses System scheint in der Antike weithin akzeptiert gewesen zu sein und es wurde im 4. Jahrhundert v. Chr. in der klassischen Philosophie durch die Werke von Platon und Aristoteles vertieft.
Doch als die alten Griechen die Bewegungen der Planeten zu vermessen begannen, zeigten sich die Probleme des geozentrischen Modells. Die Wege der bekannten Planeten – fünf »Wandelsterne« am Himmel – folgten sehr komplizierten Bahnen. Merkur und Venus waren immer am Morgen- und Abendhimmel zu sehen. Mars, Jupiter und Saturn hingegen benötigten 780 Tage sowie zwölf beziehungsweise 30 Jahre für eine Umkreisung des Fixsternhimmels, und ihre Bahn wurde durch »Rückwärtsschleifen« verkompliziert, in denen sie sich langsamer und entgegen der üblichen Richtung bewegten.
»Wenn der allmächtige Gott mich gefragt hätte, bevor er sich an seine Schöpfung machte, ich hätte ihm etwas Einfacheres empfohlen.«
Alfons X. König von Kastilien
Das ptolemäische System
Um diese Komplikationen zu erklären, entwickelten griechische Astronomen die Idee der Epizyklen – kleine »Unterbahnen«, auf denen die Planeten kreisten und deren Mittelpunkte sich ihrerseits um die Sonne bewegten. Im 2. Jahrhundert wurde dieses System von dem griechisch-römischen Astronomen und Geografen Ptolemäus verfeinert.
Doch schon in der antiken Welt gab es andere Ansichten – Aristarch von Samos beispielsweise berechnete im 3. Jahrhundert v. Chr. anhand ausgefeilter trigonometrischer Messungen die Relativabstände von Sonne und Mond. Er erkannte, dass die Sonne riesig sein musste, und kam daraufhin zu dem Schluss, dass sie weit wahrscheinlicher den Mittelpunkt für die Bewegungen im Kosmos bilde.
Doch das ptolemäische System setzte sich durch – mit weitreichenden Folgen. Beim Niedergang des Römischen Reiches in den folgenden Jahrhunderten übernahm die christliche Kirche viele der herrschenden Ansichten. Die Vorstellung, die Erde sei der Mittelpunkt der Welt und der Mensch die Krone der göttlichen Schöpfung mit dem Recht, die Welt zu beherrschen, bildete bis zum 16. Jahrhundert eine der zentralen Lehren des Christentums.
Das heißt allerdings nicht, dass die Astronomie in den eineinhalb Jahrtausenden nach Ptolemäus stagniert hätte. Die Fähigkeit, die Bewegungen der Planeten genau vorherzusagen, war nicht nur ein wissenschaftlich-philosophisches Rätsel, sondern hatte dank des Aberglaubens der Astrologie auch durchaus praktische Zwecke. Damit hatten die Sterndeuter aller Richtungen gute Gründe, sich um immer bessere Messungen der Planetenbewegungen zu bemühen.
Im ptolemäischen Modell des Universums steht die Erde unbewegt im Zentrum. Sonne, Mond und die fünf bekannten Planeten umkreisen sie auf kreisförmigen Bahnen. Um diese Vorstellung mit den Beobachtungen in Einklang zu bringen, musste Ptolemäus zu jeder Planetenbewegung kleinere Epizyklen hinzufügen.
Arabische Gelehrsamkeit
Die letzten Jahrhunderte des ersten Jahrtausends fallen mit der ersten Blüte der arabischen Wissenschaft zusammen. Die schnelle Verbreitung des Islam brachte arabische Denker in Kontakt mit den klassischen Texten, darunter auch die astronomischen Schriften von Ptolemäus und anderen.
Die »Positionsastronomie« – die Berechnung der Örter von Himmelskörpern – erreichte ihren Höhepunkt in Spanien, einem Schmelztiegel von islamischem, jüdischem und christlichem Gedankengut. Im späten 13. Jahrhundert regte König Alfons X. von Kastilien die Zusammenstellung der Alfonsinischen Tafeln an, einer Kombination neuer Beobachtungen mit jahrhundertealten islamischen Aufzeichnungen. Sie erhöhten die Genauigkeit des ptolemäischen Systems und stellten die Daten bereit, die bis ins 17. Jahrhundert hinein für die Planetenberechnung verwendet wurden.
Ptolemäus infrage gestellt
Bis dahin war das ptolemäische System allerdings absurd kompliziert geworden, weil immer weitere Epizyklen notwendig wurden, um Vorhersagen und Beobachtungen in Einklang zu bringen. 1377 ging der französische Scholastiker Nikolaus von Oresme, der Bischof von Lisieux, in seinem Livre du Ciel et du Monde (Buch des Himmels und der Erde) diese Frage direkt an. Er zeigte, dass es keine beobachtbaren Hinweise auf den Stillstand der Erde gab, und behauptete, damit gäbe es keinen Grund, nicht auch die Möglichkeit der Bewegung anzunehmen. Obwohl er damit die Grundlage für das ptolemäische System zerstörte, blieb Oresme aber dabei, dass er nicht an eine sich bewegende Erde glaubte.
Zu Beginn des 16. Jahrhunderts hatte sich die Situation grundlegend geändert. Renaissance und Reformation hatten viele alte religiöse Dogmen infrage gestellt. Vor diesem Hintergrund unternahm der Arzt, Astronom und Domherr Nikolaus Kopernikus aus Frauenburg im heutigen Polen die ersten Schritte hin zur modernen heliozentrischen Theorie und verschob den Mittelpunkt des Universums von der Erde zur Sonne.
Kopernikus schrieb seine Ideen zuerst in dem kurzen Pamphlet Commentariolus nieder, der ab etwa 1514 im Freundeskreis zirkulierte. Seine Theorie ähnelte im Wesentlichen dem von Aristarch ausgearbeiteten System. Doch obwohl er viele Fehler älterer Modelle überwand, blieb er doch tief im ptolemäischen Denken verhaftet – hauptsächlich in der Vorstellung, die Bahnen der Himmelskörper würden auf kristallinen Kugeln verlaufen, die sich ihrerseits im Kreis drehten. Daher musste auch Kopernikus eine Art von Epizyklen einführen, um die Planetengeschwindigkeiten in bestimmten Teilen ihrer Bahn anzupassen. Eine wichtige Folgerung seines Modells war eine enorme Vergrößerung des Universums. Wenn die Erde sich um die Sonne bewegte, dann sollte sich das in einer Parallaxe durch die ständig geänderte Blickrichtung äußern: Die Sterne müssten sich dann im Lauf des Jahres am Himmel hin- und herbewegen. Da sie das nicht taten, mussten sie wirklich sehr weit entfernt sein.
»Da die Sonne unbeweglich ruht, muss alles dasjenige, was von einer Bewegung der Sonne erscheint, vielmehr in der Bewegung der Erde seine Wahrheit finden.«
Nikolaus Kopernikus
Das kopernikanische Modell erwies sich bald als weit genauer als das noch so verfeinerte alte ptolemäische System. In den intellektuellen Kreisen in ganz Europa hörte man davon. Die Nachricht gelangte auch nach Rom, wo sie anfangs sogar begrüßt wurde. Das neue Modell erregte solch ein Aufsehen, dass der deutsche Mathematiker Georg Joachim Rheticus nach Frauenburg reiste und ab 1539 Kopernikus’ Schüler und Assistent wurde. Rheticus schrieb 1540 den ersten weitverbreiteten Bericht über das kopernikanische System, die Narratio Prima. Und er drängte den alten Mann, sein Werk selbst zu veröffentlichen. Kopernikus selbst hatte schon jahrelang darüber nachgedacht, doch erst 1543 willigte er ein, als er schon auf dem Totenbett lag.
Diese Darstellung des kopernikanischen Systems aus dem 17. Jh. zeigt, wie die Planeten kreisförmig um die Sonne laufen. Kopernikus glaubte, die Planeten hingen an himmlischen Sphären aus Kristall.
Mathematisches Hilfsmittel
Das posthum erschienene De Revolutionibus Orbium Coelestium (Über die Kreisbewegungen der Weltkörper) stieß anfangs nicht auf Empörung, obwohl die Vorstellung, dass sich die Erde bewegte, in direktem Widerspruch zu einigen Stellen der Bibel stand und daher sowohl für katholische als auch für protestantische Theologen ketzerisch war. Um dieses Thema zu umgehen, bezeichnete das Vorwort das erläuterte heliozentrische Modell als rein mathematisches Hilfsmittel für Berechnungen, nicht als Beschreibung des realen Universums. Zu Lebzeiten hatte Kopernikus keine solchen Vorbehalte gezeigt. Trotz seiner häretischen Konsequenzen wurde das kopernikanische System 1582 sogar bei den Rechnungen zur großen Kalenderreform unter Papst Gregor XIII. verwendet.
Dennoch tauchten nach den akribischen Beobachtungen des dänischen Astronomen Tycho Brahe (1546–1601) bald neue Probleme mit der Vorhersagegenauigkeit des kopernikanischen Modells auf: Er zeigte, dass es die Planetenbewegungen nicht adäquat beschrieb. Brahe versuchte, die Abweichungen mit einem eigenen Modell zu beschreiben, in dem die Planeten sich um die Sonne bewegten, Sonne und Mond aber eine Bahn um die Erde beschrieben. Erst Brahes Schüler Johannes Kepler fand die wahre Lösung – elliptische Bahnen.
Dass der Kopernikanismus sechs Jahrzehnte später zum Sinnbild für die Rückständigkeit der Kirche wurde, hing hauptsächlich mit dem Streit um Galileo Galilei zusammen. 1610 untersuchte er die Phasen der Venus und die Sichtbarkeit der Jupitermonde. Er kam zu der Überzeugung, das heliozentrische Modell sei korrekt, und er brachte seine glühende Unterstützung später in seinem Dialog über die beiden hauptsächlichen Weltsysteme von 1632 zum Ausdruck. Seine Überzeugung brachte Galilei jedoch in Konflikt mit dem Papst. Ein Ergebnis davon war 1616 die nachträgliche Zensur von umstrittenen Passagen in De Revolutionibus. Dieser Bann wurde erst über zwei Jahrhunderte später aufgehoben.
»So lenkt in der Tat die Sonne, auf dem königlichen Throne sitzend, die sie umkreisende Familie der Gestirne.«
Nikolaus Kopernikus
Während sich die Erde um die Sonne bewegt, scheint sich die Position der Sterne in verschiedenen Entfernungen durch die sogenannte Parallaxe zu ändern. Da die Sterne aber so weit entfernt sind, ist der Effekt sehr klein und lässt sich nur mit dem Teleskop nachweisen.
Nikolaus Kopernikus
Kopernikus wurde 1473 als jüngstes von vier Kindern eines reichen Kaufmanns in Thorn (heute Toruń, Polen) geboren. Sein Vater starb, als Nikolaus zehn Jahre alt war. Ein Onkel nahm ihn bei sich auf und sorgte für seine Ausbildung an der Universität Krakau. Nach einigen Jahren in Italien, wo er Medizin und Rechtswissenschaften studierte, kehrte er 1503 zurück und wurde Domherr unter seinem Onkel, jetzt Fürstbischof von Ermland.
Kopernikus beherrschte sowohl Sprachen als auch Mathematik, übersetzte mehrere wichtige Werke und entwickelte Ideen sowohl zur Ökonomie als auch zur Astronomie. Die in De Revolutionibus skizzierte Theorie war mathematisch sehr komplex. Daher wurde ihre Bedeutung zwar anerkannt, für praktische Zwecke wurde sie aber nur selten verwendet.
Hauptwerke
1514 Commentariolus
1543 De Revolutionibus Orbium Coelestium (Über die Kreisbewegungen der Weltkörper)