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Wurzeln in der Kinesiologie –
Wandel in meiner Anwendung

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Der Begriff Stress Release stammt aus der Kinesiologie, dort auch Emotional Stress Release genannt; übersetzt bedeutet er: (Er-) Lösung von emotionalem Stress. Es geht zurück auf die Beobachtung des amerikanischen Chiropraktikers Terrence Bennett, dass sich bei längerer Berührung diverser Reflexpunkte am Schädel die Durchblutung bestimmter Gehirnareale und damit die Gehirnaktivität verändert. Auf dieser Basis entwickelten verschiedene Anwender Systeme mit teilweise recht komplexen Interventionen, um aktuellen emotionalen Stress, seelische Blockaden und psychische Folgen früherer Erfahrungen zu lösen. Wer mehr über diese kinesiologischen Methoden wissen möchte, findet in meinen Literaturhinweisen Empfehlungen dazu.

Nach meiner Kinesiologieausbildung Ende der 1980er-Jahre begann ich nur zögerlich, in meiner damaligen Landarztpraxis die gelernten Abläufe bei Patienten anzuwenden. Zögerlich aus drei Gründen: Zu dieser Zeit waren „alternative“ heilkundliche Praktiken noch wenig geläufig und wurden misstrauisch beäugt, besonders in dem erzkonservativen Einzugsgebiet meiner Praxis. (Mit solchen „Hexereien“ hätte ich leicht meine Existenz aufs Spiel setzen können.) Eng damit verbunden war der zweite Grund: Ich hatte zwar in meiner Ausbildung die Wirkung von Stress Release selbst erlebt, fühlte mich aber zu unsicher, um es nachvollziehbar zu erklären. Damit wiederum verbunden war der dritte Grund: Gelernt hatte ich teilweise sehr komplexe Handlungsabläufe in Verbindung mit dem Stress Release, etwa bestimmte Vorarbeiten mit dem Muskeltest, aber auch Augenstellungen, Farbwirkungen und Reflexzonenbehandlungen, und wegen dieser verschiedenen Komponenten fielen mir Erklärungen noch schwerer. Darüber hinaus forderte die komplexe Methode von mir, eine Fülle von Abläufen im Kopf zu haben und rechtzeitig an alles zu denken, was es beim Stress Release zu tun galt, um auch nichts falsch zu machen. Das war für mich im Rahmen einer Praxis voller Patienten mit Husten, Rückenschmerzen und Bluthochdruck meist nicht zu bewältigen.

„Notgedrungen“ ließ ich mich dann doch hin und wieder darauf ein, mit Patienten auf diese Weise zu arbeiten, vor allem, wenn sie schon eine therapeutische Odyssee hinter sich hatten und für jede mögliche Hilfe dankbar waren. Dabei ertappte ich mich dann das eine oder andere Mal dabei, dass ich irgendetwas aus der Komplexität der Abläufe beim Stress Release vergessen hatte – und es wirkte trotzdem. Irgendwann griff ich schließlich auch einmal ganz ohne sonstige Vorbereitungen zum Halten der Stirnpunkte – und auch das wirkte! Auf diese Weise „verlor“ sich über die Jahre hinweg ein Behandlungselement nach dem anderen; Bestand hatte als einziges die symmetrische Berührung der Stirnbeinhöcker.

Erstaunliche Wende

Auf Empfehlung seiner Frau, die meine Arbeit kannte, suchte mich Gerd P. auf. Von sich aus war er eigentlich therapiemüde, litt aber wie schon seit Jahren unter erheblichen Minderwertigkeitsgefühlen. Oft glitt er in Ängste und Depressionen ab, weil ihm zwar klar war, dass er als Gartenbauarchitekt viele kreative Ideen hatte, er sich jedoch nie traute, damit in die Öffentlichkeit zu gehen. Wegen dieser seelischen Belastung hatte er bereits drei Jahre Psychotherapie hinter sich. Er kam zu mir mit den Worten: „Ich weiß doch, wodurch ich mich so entwickelt habe, ich kenne meine Geschichte in- und auswendig – es nützt mir nur nichts!“ Natürlich mussten wir sein Thema noch einmal aufgreifen, „durchkauen“, mussten es in den Gehirnzentren aktivieren, allerdings diesmal mit der Absicht, dieses erneute Auffrischen der Erinnerung in ein Stress Release zu überführen. Was dann auch geschah.

Zwei Jahre später rief Herr P. mich an mit der Bitte um einen neuen Termin. Die Zeitplanung war schwierig, weil er zu dieser Zeit ständig auf Vortragsreise (!) war. Bei unserem Treffen erzählte er mir, dass wider Erwarten seit dem Stress Release etwas Entscheidendes anders geworden sei: „Meine Erinnerung an die alten Geschichten ist immer noch dieselbe, aber sie belastet mich nicht mehr, ich bin freier geworden.“

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ohne die lange therapeutische Vorarbeit wäre es wohl kaum allein durch Stress Release in einer einzigen Sitzung zu solch einer Wende gekommen. Doch das Stress Release hatte offenbar etwas bewirkt, was die Einsicht in die Zusammenhänge allein nicht bewirkt hatte.

Gerd P. war nicht der Einzige, mit dem ich Ähnliches erlebt habe, aber bei ihm war der Prozess durch die Kürze der Intervention besonders eindrucksvoll. Man stelle sich vor, was gewonnen werden könnte, wenn dieses Stress Release in psychotherapeutische Praxen Einzug halten würde, wenn also die eine oder andere Sitzung nach einem Gespräch mit der Stress-Release-Technik abgeschlossen würde, die offenbar „irgendwie“ eine andere Ausgangsbasis herstellt … Das sollten wir uns genauer ansehen.

Hier stellen sich zwei Fragen: Zum einen wäre zu klären, wieso mir etliche Elemente meiner ursprünglichen Ausbildung „verloren gehen“ durften, ohne dass offenbar – soweit man das überhaupt vergleichen kann – die Ergebnisse darunter gelitten hatten. Auf diesen Aspekt, der vermutlich besonders diejenigen interessieren dürfte, die in Ausbildungen oder als Patienten bereits andere Arbeitsweisen kennengelernt haben, gehe ich im Kapitel „Die Psyche in Resonanz bringen“ ein, weil sich erst dort die von mir vermutete Erklärung erschließt.

Zum anderen wäre natürlich (und hauptsächlich) zu überlegen, wie wir die Erfahrungen mit Stress Release neurophysiologisch erklären können. Dem soll unsere nächste Betrachtung gelten.

Praxisbuch psychologische Kinesiologie

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