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Psychotherapeutische Unschärfen

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Weltweit steigt die Zahl krankheitsbedingter Arbeitsausfälle aufgrund psychischer Probleme geradezu explosionsartig an. Dabei sind noch nicht einmal all diejenigen Fälle berücksichtigt, in denen nur eine körperliche Diagnose angegeben wird, die aber Ausdruck einer seelischen Belastung ist.

Immer mehr Menschen haben dementsprechend dringenden Bedarf an therapeutischer Unterstützung. Dabei müssen Betroffene in Deutschland, wenn ihnen überhaupt eine psychotherapeutische Begleitung empfohlen und nicht nur Psychopharmaka verordnet werden, oft ein halbes Jahr und länger auf einen Therapieplatz warten. Das liegt natürlich an dem Mangel an Therapieplätzen – und dieser wiederum hängt nicht nur von der Zahl der Therapeuten ab, sondern auch vom psychotherapeutischen Regelwerk innerhalb unseres Gesundheitssystems: Wenn eine Therapie bewilligt wird, bedeutet das eine längerfristige Bindung zwischen Therapeut und Patient mit sehr engmaschigen Begegnungen. Dadurch werden therapeutische Kapazitäten für neue Patienten blockiert. Was in Einzelfällen durchaus berechtigt sein kann, ist für viele andere Betroffene jedoch weder notwendig noch sinnvoll. Dass die üblichen psychotherapeutischen Leitlinien nicht längst überarbeitet worden sind, sehe ich wiederum in einer noch tiefer liegenden Schwierigkeit begründet, nämlich in mehreren Unschärfen innerhalb der „Materie“ Psyche und ihrer therapeutischen Begleitung:

1. Eine erste zeit- und kostenträchtige Unschärfe liegt in der Psyche selbst: Sie bietet kaum konturierte Ansatzpunkte, lässt sich nicht durch Röntgen oder Labor darstellen. Gefühle, Psyche und Seele sind nicht recht fassbar, oft muss man lange im Trüben fischen, „herumstochern“, ausprobieren, mutmaßen, um voranzukommen – nach meiner Erfahrung oft unnötig lange. Damit will ich nicht bestreiten, dass manche Menschen in manchen Situationen eine solche Begleitung brauchen. Ebenso berücksichtige ich, dass seelische Entwicklungsprozesse so wenig zu beschleunigen sind, wie das Ziehen an Grashalmen diese schneller wachsen lässt.

Aber einer großen Zahl von Menschen in seelischer Not wäre durchaus mit zeitlich weit geringerem Einsatz wirkungsvoll zu helfen – was allerdings einen geeigneten Ansatz voraussetzt. Das betrifft viele Menschen mit Ängsten und Phobien, in depressiven Episoden und Lebenskrisen, und ganz besonders gilt es für viele psychosomatisch Erkrankte. Hier konkreter werden zu können, gezielter zu verstehen und zu fördern, das wäre also eine lohnende Herausforderung.

2. Für letztere, die psychosomatischen Erkrankungen, kommt noch eine weitere „Unschärfe“ hinzu, nämlich die Unsicherheit der Indikation zur Psychotherapie. Trotz vieler nachgewiesener Heilungsprozesse: Wie kann man im Einzelfall vorab einigermaßen sicher sein, dass die organischen Manifestationen wirklich psychischen Ursprungs sind, sodass der aufwendige Einsatz von Psychotherapie gerechtfertigt ist? Man kann Psychotherapie nicht, wie eine Tablette, ein paar Tage „ausprobieren“, ob sie hilft, sondern muss sich in der Regel eine ganze Weile darauf einlassen, um einschätzen zu können, ob sich dieser Weg als heilsam erweisen könnte. Die Entscheidung für eine Psychotherapie muss also gut untermauert sein; benötigt würde schon vorab mehr Sicherheit in der Beurteilung, bevor man diesen kostenträchtigen Weg wählt. Auch hier wäre also eine „Leerstelle“ zu füllen, nämlich die Erleichterung einer solchen Entscheidung.

3. Eine letzte „Unschärfe“ geht von unserem Gehirn als Schaltstelle für automatische Reaktionsmuster aus. Immer mehr bestätigen die Neurowissenschaften, wie erstaunlich plastisch unsere Gehirnfunktionen sind, verbunden mit der großen Chance, selbst eingefahrene Verhaltensmuster zu verlassen und neue Wege zu bahnen. „Bahnen“ ist dabei ein entscheidendes Wort: In der Unzahl von synaptischen Verbindungen, die sich im menschlichen Gehirn zwischen Milliarden von Nervenzellen verschalten, laufen eingeübte emotionale Verarbeitungsweisen und Verhaltensgewohnheiten geradezu über „Autobahnen“ im Kopf ab. Wenn demgegenüber eine bekannte hinderliche Reaktionsweise durch ein gesünderes Verhalten ersetzt werden soll, muss dieses zunächst mühsam noch „unscharfe“ neuronale Trampelpfade betreten. Es wäre ein großer Gewinn, wenn innerhalb einer Therapie der Start in die richtigen Pfade „angebahnt“ werden könnte, indem geeignete synaptische Verknüpfungen begünstigt – die neuen Wege also „geebnet“ – werden.

Genau an diesen drei „Unschärfen“ setzen die Instrumente Stress Release und Muskeltest an: Das Stress Release scheint im Gehirn tatsächlich neurophysiologische Funktionen zu unterstützen, wie ich sie im dritten Punkt angesprochen habe. Und der Muskeltest fördert in der psychotherapeutischen Begleitung das Verstehen innerseelischer Zusammenhänge, indem er unterbewusste Informationen zu einem bestimmten Thema ins Bewusstsein hebt. Darüber hinaus dient er der Klärung, inwieweit überhaupt psychische Einflüsse für ein Krankheitsgeschehen ausschlaggebend sind.

Praxisbuch psychologische Kinesiologie

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