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Gesprächsleitfäden

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Wenn wir beim Bild der Schlüssel bleiben, möchte ich Ihnen an dieser Stelle noch einen „Spezialschlüssel“ in zwei Varianten vorstellen, nämlich Gesprächsleitfäden, wie ich sie einmal im Rahmen unserer Ausbildungskurse entwickelt habe. Damit wollte ich eine Verbindung von freiem Gespräch und leitender Struktur anbieten. Was als Übungsgrundlage begann, wurde dann aber sogar von einigen Teilnehmern in ihre therapeutische Praxis übernommen. Denn ein solcher Leitfaden leistet beispielsweise dann gute Dienste, wenn wir ungeplant auf eine akute seelische Notlage eines Patienten eingehen müssen (was üblicherweise unseren gesamten Terminplan zu sprengen droht). Aber mit dem Einsatz von zehn bis maximal zwanzig Minuten können wir einen Menschen in der Regel aus dem gröbsten Tief erstaunlich gut herausholen, wenn wir ihn „an die LEINE“ nehmen.

Die Abkürzung LEINE ist eine Eselsbrücke und steht für die Abfolge der folgenden Gesprächsbausteine:

L: Was ist los? (Den Patienten gefühlte 3 Minuten frei sprechen lassen)

E: Emotion: Was empfinden / fühlen Sie dabei? Wie geht es Ihnen damit?

I: Intensität: Was ist gerade am schlimmsten daran?

N: Nützliches, „Notwendendes“: Was hat Ihnen in ähnlichen Krisen geholfen?

E: Ermutigung (Ausdruck von Empathie; Empfehlen konkreter Maßnahmen)

Als Beispiel dokumentiere ich hier einen Auszug aus einem 20-Minuten-Gespräch inklusive Stress Release:

„Möchten Sie darüber reden?“

Bei einem Routinetermin zum Besprechen von Laborbefunden bricht es aus einem Patienten heraus: „Wenigstens das ist in Ordnung – wenn schon meine ganze Welt gerade zusammenbricht!“ Mit dem Angebot „Möchten Sie darüber reden?“ lade ich ihn ein: „Erzählen Sie mal, was los ist!“

Der Mann erzählt, dass sein erwachsener Sohn sein Examen wiederholt nicht bestanden habe und ihm immer noch auf der Tasche liege, dass er wohl seinen eigenen Arbeitsplatz wegen Umstrukturierung der Firma verlieren werde, die Raten des Hauses dann nicht mehr abtragen könne und dass er sich nicht traue, mit seiner Frau über all das zu reden.

Nachdem durch das Aussprechen der erste Druck genommen ist, stelle ich die Frage nach den Emotionen: „Und wie geht es Ihnen damit?“ Oder: „Und wie fühlen Sie sich bei all dem?“ – Er spricht daraufhin von Verzweiflung, Sorgen, Ausweglosigkeit, Ohnmacht.

Meine nächste Frage, ob er benennen könne, was ihm davon am meisten zu schaffen mache (Intensität), beantwortet er mit der Angst, dass er all dem nicht gewachsen sei und dass daran seine Beziehungen zerbrechen könnten. (Gerade an diesem Punkt ist es meist sinnvoll, etwas länger zu verweilen, weil er zum Ansatz der nötigen Veränderung führt.)

„Ich kann gut verstehen, dass Sie das fertigmacht. Lassen Sie uns deshalb Ausschau halten, was Ihnen im Moment weiterhelfen könnte. Bestimmt haben Sie in Ihrem Leben auch zu anderen Zeiten schon Schwieriges erlebt oder Krisen durchgemacht – was hat Ihnen dabei geholfen?“ (Frage nach „Not-wendendem“, Nützlichem)

Er besinnt sich, dass in Krisen immer ganz besonders wichtig war, sich anderen Menschen anzuvertrauen. Dabei fällt ihm ein Freund ein, mit dem er einiges durchsprechen könnte, aber auch der Gedanke, sich kurzfristig therapeutisch unterstützen zu lassen. Außerdem erinnert er sich an sein grundsätzliches Gottvertrauen und will daran wieder anknüpfen. Und er entscheidet, dass er doch, vielleicht mithilfe eines Therapeuten, das Gespräch mit seiner Frau suchen wolle. Er atmet auf.

Ich versichere ihm noch einmal, dass ich seine Lage verstehe, dass ich aber auch die Hoffnung aus seinen letzten Gedanken heraushöre (Ermutigung). Seinen noch vagen Entschluss, eventuell professionelle Unterstützung in Anspruch zu nehmen, unterstütze ich (Ermutigung) mit dem Angebot, einen weiteren Gesprächstermin zu vereinbaren (oder Kontakte zu Therapeuten herzustellen).

Es ist schon erstaunlich, in wie vielen Fällen eine solche „LEINE“ genau das Seil ist, mit dem sich ein Patient vor einem Absturz „gesichert“ fühlt! Dabei sind die von mir angegebenen zwanzig Minuten nur ein ungefährer Anhaltspunkt. Oft reichen schon zehn Minuten, um zu einem guten Punkt zu kommen. Andererseits kenne ich einige Therapeuten, die die meisten ihrer Sitzungen an diese Gesprächsstruktur anlehnen, auch wenn sie wesentlich mehr Zeit einräumen. Denn das Prinzip bewährt sich in vielen Situationen:

Aus einer Komplexität von Ereignissen und Umständen führt die Frage „Wie fühlen Sie sich dabei?“ zum Erleben des Patienten zurück. Damit wird er sich seiner selbst im gesamten Geschehen wieder bewusst. Die Frage nach dem Schlimmsten (Intensität) lässt ihn wiederum tiefer nachdenken und -spüren, macht sein Empfinden konkreter und verdichtet es. Für den Augenblick blendet das zwar andere Aspekte möglicherweise aus, aber in dem, was ihn zur Zeit am stärksten bedrängt, kommt er sich selbst am nächsten.

Damit gelangt er ans Innehalten, das als Wendeschleife in Richtung auf die Krisenbewältigung genutzt werden kann. Der Blick nach vorn nährt sich aus Erfahrungen, die der Patient bisher im Leben mit kritischen Situationen oder Seelentiefs gemacht hat. Das heißt, unser Gesprächsbogen geht von der Oberfläche der Geschehnisse aus, führt in die Tiefe der persönlichen Betroffenheit und taucht wieder auf mit ganz praktischen Perspektiven oder Ermutigungen.

Wenn Sie sich von einem solchen Leitfaden angesprochen fühlen, könnten Sie auch eine andere Variante der „LEINE“ nützlich finden, besonders wenn Sie nach Gesprächsbrücken bei psychosomatischen Beschwerden suchen – ja, SUCHEN könnte da hilfreich werden:

S: Symptom, Störung

U: Umstände, Umfeld

C: Chance der Beschwerden

H: Hinweis der Symbolik

E: Einsicht, Erklärung

N: Notwendigkeit

Auch an diesem Gerüst kann man sich im Gespräch entlangbewegen, etwa in dieser Weise:

● Erzählen Sie etwas über Ihre Symptome – welche Störungen machen Ihnen zu schaffen?

● Auf welche Umgebung, welches Umfeld, welche Lebensumstände treffen Ihre Beschwerden?

● Haben Sie eine Idee, welche Chance Ihnen Ihr Körper mit den Beschwerden möglicherweise geben könnte? (Zur Ruhe kommen, sich besinnen, Umkehr …)

● Angenommen, die Beschwerden erübrigen sich, sobald Sie verstehen, welchen Hinweis sie Ihnen geben wollen – was könnten sie Ihnen sagen wollen?

● Inwieweit könnten Sie sich vorstellen, dass hierin eine mögliche Erklärung für Ihr Leiden liegt? – Gibt es eine Erkenntnis dazu?

● Welche Idee haben Sie, womit Sie (momentan oder generell) beginnen könnten, „die Not zu wenden“ und den Hinweis der Krankheit zu nutzen?

Solche Frageschemata wie die LEINE oder das SUCHEN können nichtdirektiv lenken und führen bei überschaubarem Zeitaufwand an einem roten Faden entlang zu einer vorläufigen Perspektive. Die Fragefolge regt den Patienten zwar gezielt an, engt ihn aber zu keinem Zeitpunkt ein und drängt ihn in keine Richtung. Sie erlaubt dem Patienten, ganz bei sich selbst zu bleiben beziehungsweise überhaupt erst einmal dort anzukommen. Wenn ein solches Gespräch mit einem Stress Release abgerundet wird, werden die angesprochenen Gedanken noch einmal gesichtet, geordnet und verankert.

*

Mit diesen Schlüsselelementen der Gesprächsführung können wir eine gute Zuarbeit zum Stress Release leisten und in sehr vielen Fällen werden solche Schlüssel die Türen zu veränderten Reaktionsweisen öffnen. Aber nicht jedem Therapeuten gelingt es von Anfang an, im Gespräch die entsprechenden Resonanzen anzuregen, und nicht jeder Patient ist in der Lage, auf diese Weise „mitzugehen“. Und selbst wenn beide ihr Bestes tun, wird es immer wieder vorkommen, dass man auch trotz offener Fragen, Spiegelungen oder Frageschemata den Eindruck hat, im Trüben zu fischen. Nicht alles in unserem Seelenleben erschließt sich dem bewussten Nachdenken und Nachspüren; manchmal brauchen wir Impulse, die uns noch spezifischer auf die Spur helfen. An dieser Stelle kommt der Muskeltest ins Spiel.

Praxisbuch psychologische Kinesiologie

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