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0x04: Kleinstadtgeschichten eines Jungen

Wer 12 Jahre alt ist und seit Jahren die Sprache der Tiere versteht fällt auf, ist eine Sensation, wird weltberühmt. Das möchte man meinen! Weit gefehlt! Wer 12 Jahre alt ist und seit Jahren die Sprache der Tiere versteht, für den wird dies so selbstverständlich und normal sein wie Atem holen. Und ebenso selbstverständlich und normal wird es, dass einem sowieso keiner glaubt. Letztendlich hält man irgendwann den Mund und verschweigt seine Gabe gegenüber anderen.

Nicht anders erging es Franklin Benjamin.

Zahlreiche seiner Beweisversuche waren als süße Zaubertricks beklatscht oder staunend als Zufall belächelt worden. Immerhin war er ja »nur« ein Kind.

Zudem waren auch die Tiere stets darauf bedacht, Franklins Gabe geheim zu halten, weshalb seine Beweise in entscheidenden Situationen einfach nicht funktionieren wollten.

»Es ist besser so, glaub mir«, krächzte mal ein Rabe, nachdem er Franklin total blamiert hatte. »Wenn die Welt von deiner Fähigkeit erfährt, ist es mit deiner und unserer Ruhe vorbei. Sie werden Experimente mit dir und uns machen, und du wirst nie wieder tun und lassen können, was du willst!«

Und so kam es, dass Franklin sich wie jeder andere Sechstklässler vorwiegend mit seinen Alltagsproblemen herumschlug – und davon hat man als 12-jähriger wahrlich genug!

Dennoch kann eine derartige Gabe auch im Geheimen oft nützlich sein.

So auch als an einem Dienstagmorgen der entscheidende Test im Englischunterricht anstand.

Franklin, der tags zuvor wenig Lust auf Wörterübungen gehabt und trotz heftigen Widerstands der Eltern den ganzen Nachmittag im Garten mit seinen Freunden Fußball gespielt hatte, sollte hier kalt erwischt werden.

Frau Lange, die Klassenlehrerin, wie immer in schwarzer Bluse und schwarzem Rock, schüttelte in gewohnter Manier ihr ebenso pechschwarzes schulterlanges Haar und tirilierte, die Hände in die Hüften gestemmt, ihre bereits legendäre Ansage: »So! Heute sind ein paar Wörterchen abzufragen!«

»Was für eine Kacke!«, flüsterte Franklin seinem Sitznachbarn Bernhard zu. »Ich hätte nie gedacht, dass die Lange das heute schon durchzieht. Sonst sind die Klassenarbeiten bei ihr doch immer donnerstags, weil sie freitags zwei Hohlstunden zum Korrigieren hat.«

»War doch klar! Diesen Freitag ist doch Pädagogischer Tag, da will sich keiner von den Lehrern zusätzliche Arbeit aufhalsen«, antwortete Bernhard.

Oh Mann, wie konnte ich das vergessen?, schoss es Franklin durch den Kopf. Das wird dann heute eine schöne Bescherung geben.

Denn Franklin war als äußerst ordentlicher Schüler schlechte Noten eigentlich nicht gewohnt.

»Holt ein liniertes A4 Blatt heraus und schreibt Name und Datum an den Rand. Die Überschrift lautet: Test Nummer vier. Diese bitte mit Lineal unterstreichen. Ich beginne!«, zwitscherte Frau Lange, ohne auf das Murren der Schüler zu achten.

»Es geht um Begriffe aus der Natur. Es ist wie immer ganz einfach, ich sag´s auf Deutsch und ihr schreibt´s auf Englisch hin…«

»…erstens die Nüsse!«

Verdammte Kacke – keine Ahnung, Franklin grübelte vor sich hin.

»…zweitens, der Baum!«, ging es munter weiter.

»…drittens, das Eichhörnchen!«

»…viertens, der Wald!«

»…fünftens, das Getreide!«

»…sechstens, der Regenwurm!«

Franklin trat der Schweiß auf die Stirn.

Das kann doch nicht wahr sein. Ich weiß überhaupt nichts und das ausgerechnet heute. Ich muss mich doch erinnern können. Wir haben das im Unterricht erst neulich durchgenommen.

Aber je mehr er sich das Hirn zermarterte, desto weniger fiel ihm ein.

»Nuts, tree, squirrel, forrest, corn, earthworm!«, piepste es auf einmal in Franklins Kopf.

Franklin blickte sich erschrocken um.

»Nuts, tree, squirrel, forrest, corn, earthworm! Schreib´s halt hin, Doofkopf, es geht ja schon weiter«, fiepte es erneut. »…siebtens, der Nebel!«

»…achtens, der Himmel!«

»…neuntens, die Erde!«

»…und zehntens, das Feuer!«, diktierte Frau Lange.

Da sah Franklin zwei fette Eichhörnchen draußen vor dem geöffneten Fenster auf der Fensterbank, die sich wegen seiner Unwissenheit vor Lachen kugelten.

»Fog, sky, earth and fire«, prustete das dunklere heraus und sah dabei aus, als würde es gleich platzen.

Rasch schrieb Franklin die zehn Begriffe auf sein bis dahin leeres Blatt Papier und schickte ein Danke ihr Moppel in Richtung Fenster.

»Gern geschehen!«, kam es prompt von dort zurück. »Weißt du, wer so lange auf einem Baum vor einer Schule lebt wie wir, schnappt doch so einiges an Bildung durch die oftmals gekippten Fenster auf.«

Damit wäre auch geklärt, warum die Eichhörnchen englisch sprechen, dachte Franklin und reichte Frau Lange, die bereits ungeduldig vor seinem Tisch stand, vergnügt sein komplett richtig ausgefülltes Blatt.

Natürlich vergaß er nicht, am nächsten Tag vor Schulbeginn eine große Tüte Erdnussflips unter dem Baum der Eichhörnchen als Dankeschön zu deponieren.

FRANKLIN BENJAMIN UND DAS RAUMZEIT-PUZZLE

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