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0x0F: Ein neuer Freund – Teil 2

1

Sir Knaggels beobachtete die Szenerie aus dem Wacholderbusch, in dem er sich versteckt hatte: Der Junge auf dem Baum gefangen, der Köter unten am Stamm lauernd.

Die Adrenalinwirkung des Kampfes war verflogen und Sir Knaggels Körper hatte sich beruhigt. Erst jetzt wurde ihm klar, wie viel er eigentlich für einen Menschen, den er überhaupt nicht kannte, riskiert hatte.

Aber zwei große Fragezeichen blieben: Warum kannte der Junge die Tiersprache? Und warum konnte er, Sir Knaggels, kämpfen wie ein Raubtier? Tarnung hin oder her! Er war in der Lage gewesen, einen Rottweiler, der fast das Zehnfache von ihm wog, kurz außer Gefecht zu setzen.

Vor seinem inneren Auge lief der Kampf nochmals ab.

Er war mit bestimmt 90 km/hauf den Hund zugerannt. Dabei hatten sein Gehirn und seine Nerven so rasant gearbeitet, dass ihm alles wie in Zeitlupe vorgekommen war. Sein Fell hatte derart schnell Struktur und Farbe gewechselt, dass er nahezu unsichtbar gewesen war. Darüber hinaus war es beim Aufprall hart und stachlig, aber doch elastisch wie bei einem Igel gewesen. Deshalb war fast der komplette Impuls seines Stoßes auf den Hund übertragen worden und Sir Knaggels dabei unversehrt geblieben.

Er blickte hinab auf das bereits getrocknete Hundeblut an seinen Krallen, die tiefe Wunden am Kopf des Rottweilers hinterlassen hatten. Sie waren im Kampf furchtbare Waffen gewesen, und er hatte mit ihnen, ohne zu überlegen, die verwundbarsten Stellen am Hundekörper getroffen.

Unglaublich! Wo ich doch noch nie zuvor gekämpft habe oder zu kämpfen gelernt habe. Ich muss sofort die Impulsgröße meines Angriffs berechnen! Hm, elastischer oder plastischer Stoß? Oder kombiniert? Also: 25 Meter pro Sekunde multipliziert mit meinem Gewicht…

Er schüttelte sich und brach seine Gedankengänge ab. Es gab nun wirklich wichtigere Dinge, um die er sich zu kümmern hatte.

Der Rottweiler musste weggelockt und der Junge vom Baum geholt werden.

Doch so sehr er auch darüber sinnierte, eine brauchbare Idee wollte ihm nicht einfallen.

Schließlich kam ihm wohl der Zufall zu Hilfe.

Der Rottweiler musste irgendetwas in einem Drainagerohr der Flurbereinigung, das in einem Graben unter einem weiter entfernten Feldweg verlief, gewittert haben. Jedenfalls hob er schnüffelnd die Nase und lief wie von der Tarantel gestochen in Richtung Rohr davon.

Der Junge seinerseits stieg daraufhin prompt vom Baum und ging nach einer kleinen Kurve direkt auf das Versteck von Sir Knaggels zu.

Sir Knaggels ganzer Körper spannte sich und er stellte die Ohren auf.

Ihm war im Kampf klar geworden, dass das, was wie eine hartnäckige Made in einem Apfel ständig stärker in ihm gebohrt hatte, seit er Claas den Roten verlassen hatte, die Einsamkeit gewesen war.

Denn auf sich allein gestellt und ohne Freunde war man verloren, egal ob man Hase, Fuchs oder Mensch war.

Sir Knaggels ließ die Tarnung fallen und hüpfte aus dem Wacholderbusch.

2

Ein Wunder ist geschehen, dachte Franklin.

Der Rottweiler schien das Interesse an ihm verloren zu haben und war in Richtung eines Wassergrabens davongeschossen. Aber so sehr Franklin seine Augen auch zusammenkniff, er konnte nicht erkennen, was dort die Aufmerksamkeit des Rottweilers auf sich gezogen hatte. Er hörte ihn nur einmal aufjaulen, kurz nachdem er in einem Drainagerohr verschwunden war.

Was solls!

Franklin stieg den Baumstamm hinunter und wollte sich in Richtung Städtchen wenden. Doch seine Neugier gewann die Oberhand.

Was mochte das wohl für eine Erscheinung gewesen sein, die ihn gerettet hatte?

Also drehte er sich um und ging vorsichtig in Richtung des Wacholderbusches.

Er war ungefähr noch fünf Meter von dem Busch entfernt, als sich das Nadelwerk teilte und eine Kreatur heraushüpfte, die eine Chimäre aus Hase und Panther zu sein schien.

Das lackschwarze, mit einem feinen Leopardenmuster durchzogene, Fell des Tieres glänzte in der Sonne, und es blickte Franklin aus großen, orangefarbenen Augen an.

Franklin starrte zurück. Mit so etwas hatte er nicht gerechnet.

Die spitzen Krallen des Tieres gruben sich aus breiten Pfoten in den weichen Ackerboden, und das Fell schien für einen kurzen Augenblick seine Form und Farbe einem Stein, der hinter ihm lag, anzupassen. Offenbar war auch die Kreatur aufs Höchste angespannt.

Wie lange sie so dagestanden hatten, konnte später keiner von beiden mehr rekapitulieren.

Schließlich setzte sich Franklin auf den Boden, streckte die Hand in Sir Knaggels Richtung und sagte: »Vielen Dank! Du hast mir heute das Leben gerettet. Mein Name ist Franklin, Franklin Benjamin!«

Sir Knaggels zog die Krallen ein und reichte Franklin langsam eine Pfote: »Keine Ursache - gern geschehen. Mein Name ist Knaggels – Sir Knaggels«.

Dabei fiel ihm wie so oft sein Ohr vor das Auge.

Franklin konnte ein Lachen nicht unterdrücken – es sah einfach zu komisch aus.

»Entschuldige!«, prustete er heraus. »Aber dein Ohr ist irgendwie windschief.«

»Ist so angeboren!«, antwortete Sir Knaggels kichernd. »Aber du hast dich direkt in einen Hundehaufen des Rottweilers gesetzt!«

Erst jetzt bemerkte Franklin die Feuchtigkeit an seinem Hosenboden und ein übler Gestank stieg ihm in die Nase.

»Igitt!«

Er sprang auf zog die Hose aus und wischte sie wie wild im Gras ab: »Pfui Teufel! Da hätte er mich doch lieber zerfleischt!«

»Übrigens, schicke Shorts Franklin, sehr passend«, neckte ihn Sir Knaggels, als er Franklins mit kleinen gelben Hündchen verzierte Unterhose sah.

Franklin blickte an sich hinab. Ausgerechnet heute hatte ihm seine Mutter die verhasste Unterhose, die ihm seine Tante schon vor Jahren viel zu groß geschenkt hatte, zum Anziehen hingelegt, und er hatte sie in der Eile nicht wie sonst ausgetauscht.

Franklin wurde knallrot im Gesicht und hielt beide Hände vor seine Unterhose.

»Ähm die gehören eigentlich meinem kleinen Bruder, und heute Morgen in der Dunkelheit muss ich wohl in der Kleiderschublade danebengegriffen und sie äh aus Versehen angezogen haben«, versuchte er verzweifelt die Kurve zu kriegen.

Doch Sir Knaggels kugelte sich bereits vor Lachen und sein Fell hatte den gleichen knallroten Farbton wie Franklins Gesicht angenommen.

Damit war der Bann gebrochen und auch Franklin stimmte in das Gelächter mit ein.

FRANKLIN BENJAMIN UND DAS RAUMZEIT-PUZZLE

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