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0x02: Die Missgeburt

Knaggels erblickte als eines von sieben Geschwistern an einem strahlenden Frühlingsmorgen das Licht der Welt.

Liebevoll leckte ihm seine Mutter über den Kopf und wunderte sich, dass er bereits ein Fell trug und er sie, im Gegensatz zu seinen Geschwistern, die nackt und blind neben ihm lagen, aus zwei vorn am Kopf liegenden orange leuchtenden Augen anblickte.

Wie groß er auch schon war!

Sie überlegte stirnrunzelnd, als Wievielten sie ihn wohl geboren hatte, verwarf den Gedanken dann aber schnell wieder. Zählen war noch nie ihre Stärke gewesen.

Knaggels glänzendes tiefschwarzes Fell war von einem feinen blauen Muster durchzogen und wenn man genau hinblickte, konnte man erkennen, dass es dem eines Leoparden ähnelte.

Unheimlich war jedoch, dass er die Farbe und die Oberfläche seines Fells wie ein Krake seiner Umgebung anpassen konnte und dadurch nahezu unsichtbar wurde.

Oft erschrak seine Mutter fast zu Tode und klopfte sich ihre Hinterläufe wund, wenn er wie aus dem Nichts neben ihr auftauchte.

Des Weiteren hatte er einziehbare spitze Krallen an seinen vier Pfoten, welche ihm ermöglichten, flink wie ein Eichhörnchen auf Bäume hinauf und kopfüber wieder herunter zu klettern.

Leider weigerte sich sein linkes Ohr beharrlich nach oben zu stehen und fiel ihm immer wieder wie ein Monokel vor sein linkes Auge, insbesondere wenn er nach unten blickte. Er schüttelte das Ohr deshalb in unregelmäßigen Abständen in die korrekte Position zurück.

Da er sich, um das Herabfallen des Ohres zu vermeiden, immer sehr aufrecht hielt und deshalb etwas eitel und hochnäsig wirkte und mit dem Monokelohr wie ein alter Lord aussah, hatte er bald den Spitznamen Sir Knaggels bekommen.

Dies ärgerte ihn überhaupt nicht, sondern gefiel ihm sogar so gut, dass er sich bald selbst nur noch als Sir Knaggels vorstellte, wenn andere ihn nach seinem Namen fragten.

»Mein Name? - Sir Knaggels – Sie haben schon richtig gehört«, pflege er dann in seinem etwas näselnden Tonfall zu sagen.

Dieser entstand, weil seine riesigen Augen derart viel Platz in seinem Kopf einnahmen, dass sich die Nasengänge wohl irgendwie um sie herumgeschlängelt haben mussten.

Ansonsten war er in Größe, Gewicht, Ohrenlänge und anderen Äußerlichkeiten nicht von seinen Hasengeschwistern zu unterscheiden.

In seinem Kopf sah es jedoch völlig anders aus. Während sich das Gehabe und tumbe Gelaber der anderen Tiere seiner Rotte lediglich um Hüpfen, Fressen, Schlafen, Angst und Verstecken drehte, zählte Sir Knaggels bereits als kleines Häschen alle Blüten auf der Wiese und berechnete die Anzahl der Bäume im Wald.

Sein Rechengenie bewahrte ihn eines Tages davor von Claas dem Roten, dem schlauesten Fuchs des Waldes, gefressen zu werden.

Denn als Claas sich einmal unbemerkt an Sir Knaggels herangeschlichen hatte, der völlig blind für seine Umgebung aus der Länge des Schattenwurfs eines Baumes dessen Höhe zu errechnen versuchte und dazu mit einem Stöckchen seine Formeln in den Boden ritzte, erhaschte der Fuchs kurz vor dem tödlichen Angriff einen Blick auf Sir Knaggels Formeln.

Jeglicher Hunger und jegliche Mordlust verließen ihn augenblicklich.

Vorsichtig kroch Claas neben das Häschen, kratzte sich seinen Bart und versuchte die Rechnung zu verstehen.

»Außergewöhnlich elegant gelöst«, murmelte er über Sir Knaggels Schulter hinweg in dessen Ohr.

Sir Knaggels wäre vor Schreck beinahe in Ohnmacht gefallen: »Wie Sie meinen Herr Fuchs«, stotterte er und vergaß vor lauter Angst sich zu tarnen.

»Keine Sorge! Ich fresse niemanden, von dem ich etwas lernen kann! Im Übrigen kannst du mich Claas nennen!«

Und so kam es, dass Sir Knaggels endlich einen fast ebenbürtigen Gesprächs- und Rechenpartner gefunden hatte.

Leider sollte diese Bekanntschaft der Tropfen sein, der das Fass innerhalb der Hasenrotte zum Überlaufen brachte.

Ein paar Tage später, als er munter hopsend von einem Ausflug mit Claas zurückkam, erwartete die vollversammelte Rotte Sir Knaggels auf der Waldlichtung.

Streng blickte der Älteste in seine Richtung, während Sir Knaggels Mutter weinend neben ihm stand.

»Was ist passiert? Hab´ ich etwas angestellt oder falsch gemacht?«, näselte Sir Knaggels und blickte fragend in die Runde.

Besorgte und traurige Hasengesichter starrten ihn an. Ganz hinten schniefte jemand.

»Lange, lange, laaaange haben wir deine Anomalie erduldet, aber nun ist es damit vorbei!«, krächzte der Alte, sichtlich bemüht respektvoll zu klingen. »Die Rotte hat genug, sie hat Angst vor dir!«

»Vor mir? Wieso? Ich tue doch niemandem etwas!«, stammelte Sir Knaggels.

»Du weißt Dinge, die kein Hase wissen kann, die kein Hase wissen darf! Dinge, die wir alle nicht verstehen…«

»Und Claas der Rote hat gestern seinen Schwager gefressen, den fetten alten Herrn Möhrerich hi,hi«, hörte Sir Knaggels weiter hinten jemanden flüstern.

»…und deshalb ist es leider meine Pflicht, dich aus der Rotte zu verbannen«, fuhr der Älteste fort.

»Und damit dürfte dann auch sein einfältiger Sohn als nächster Rottenführer feststehen«, flüsterte es noch einmal.

»Ruhe! Die Vollstreckung des Urteils erfolgt sofort. Sir Knaggels kann sich verabschieden und hat dann aufzubrechen. Zerstreut euch, die Versammlung ist geschlossen«, endete der Alte und verschwand nach einer schwankenden Drehung von der Bildfläche.

Sir Knaggels und seine Mutter blieben allein auf der Lichtung zurück.

Fassungslos blickte sie Sir Knaggels aus verweinten Augen an. »Der Alte will nur seine Nachfolge sichern, keiner hat Angst vor dir! Keiner!«, brach es aus ihr heraus.

»Mach dir keine Sorgen um mich, ich wollte sowieso von hier fortgehen und die Welt entdecken. Wir werden uns ganz bestimmt wiedersehen«, sagte Sir Knaggels und drückte ihr einen Kuss auf das Schnäuzchen.

Rasch drehte er sich um, damit sie nicht sehen konnte, wie ihm die Tränen die Wangen hinunterkullerten und ohne ein weiteres Wort zu sagen, hoppelte er schnell davon.

FRANKLIN BENJAMIN UND DAS RAUMZEIT-PUZZLE

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