Читать книгу FRANKLIN BENJAMIN UND DAS RAUMZEIT-PUZZLE - Dr. Tobias Albrecht - Страница 12
Оглавление0x05: Der Nachbar
Die allermeisten Menschen haben einen oder mehrere Nachbarn. Manche haben nette Nachbarn, sind gar mit ihnen befreundet. Sie feiern zusammen, helfen sich, beraten sich, gießen die Pflanzen oder passen gegenseitig auf ihre Häuser auf, wenn einer mal im Urlaub ist. Manche haben böse Nachbarn. Andere können ihre Nachbarn nicht leiden oder streiten sich mit ihnen wegen allerlei kleineren oder größeren Dingen. Manche wissen nicht einmal, wer ihre Nachbarn sind oder wie sie aussehen. Wiederum andere denken, sie hätten seltsame Nachbarn. Und manche haben tatsächlich seltsame Nachbarn.
Aus Franklins Sicht war der Nachbar der Benjamins jedenfalls super seltsam.
Das Haus der Benjamins war das vorletzte am Stadtrand. Das Grundstück nebenan in Richtung Stadtmitte war noch unbebaut. Somit hatten die Benjamins nur einen direkten Nachbarn, dem das letzte Haus vor dem Ortsende gehörte.
Dahinter begann eine blühende, relativ naturbelassene Wiesen- und Ackerlandschaft mit vielen Hecken und vereinzelten Bäumen, die sich über ungefähr einen Kilometer bis zum Waldrand erstreckte.
Zweihundert Meter vom Nachbarhaus entfernt stand, mitten auf einer Wiese, eine uralte Eiche mir dicken knorrigen Ästen, die wie die Finger einer ausgetrockneten Mumie in alle Richtungen zeigten.
Franklins Vater hatte einmal gesagt, dass ihn die Eiche an einen riesigen über die Jahrhunderte gepflegten Bonsaibaum erinnerte.
Natürlich war dieser Baum ein beliebter Treffpunkt für Franklin und seine Freunde. Man konnte bestens auf ihm herumklettern, sich hinter seinem riesigen Stamm verstecken oder im Sommer einfach nur faul im Schatten liegen und die Wolken betrachten.
Ob ihr Nachbar jemals Notiz von der grandiosen Eiche genommen hatte, wusste Franklin nicht zu sagen. Denn man bekam ihn praktisch nie zu sehen.
Er verschanzte sich hinter einer meterhohen Hecke aus seltsamen Pflanzen, die praktisch das gesamte Grundstück eingrenzten und jeglichen Einblick verwehrten.
Franklin hatte sie einmal komplett umrundet und keinen Eingang ins Grundstück gefunden.
Darüber hinaus konnte Franklin auch nach stundenlanger Recherche im Internet nicht ermitteln, um welche Pflanzen es sich bei der Hecke handelte.
Allerdings musste man irgendwie hindurchgelangen können, denn in seltenen Fällen sah man den Nachbarn, vor allem abends in der Dämmerung, auf den Feldwegen spazieren gehen.
Er wirkte dabei meist irgendwie verkrampft und blickte starr vor sich zu Boden, so als würde er etwas suchen.
Als Franklin ihm eines Tages nachspionierte, beobachtete er, wie der Nachbar sich mit einem Aufschrei unter einen Busch warf, nur um kurz darauf wieder aufzutauchen und erleichtert zu seufzen: »Gott sei Dank, nur ein Maronenröhrling!«
Der Nachbar sah eigentlich nicht besonders furchteinflößend aus. Er war mittelgroß, spindeldürr, aber sehnig und kräftig mit dünnem weißem Haar bis zu den Schultern. Er hatte wettergegerbte Haut und wasserklare große, mandelförmige blaue Augen. Unter seiner etwas zu großen Nase befand sich ein meist freundlich lächelnder Mund und seinem Kinn entsprossen bestimmt 30 cm lange dünne weiße Bartfäden.
»Kinnspaghettis!«, kicherten Carlotta und Franklin oft, wenn der Nachbar wieder einmal an ihnen vorbeigeschlurft war.
Sein Alter war schwer zu schätzen.
»Der kann siebzig oder achtzig Jahre alt sein, vielleicht ist er auch schon hundert«, meinte Franklins Mutter einmal beim Abendessen.
»Aber beweglich ist er noch wie eine Katze. Das hätte ich ihm nicht zugetraut, wenn man ihn sonst so sieht«, entgegnete Franklins Vater Karl, während er auf einem Stück Pizza kaute.
»Ich habe ihn neulich übersehen, als er vor unserer Garage entlangging und ich rückwärts mit dem Auto herausgefahren bin. Da hat sich der Alte wieselflink mit einer Flugrolle in Sicherheit gebracht.«
»Du lieber Himmel! Warum hast du mir das nicht erzählt? Ihm ist doch hoffentlich nichts passiert! Du hast dich doch gleich bei ihm erkundigt und dich entschuldigt, Karl?«, rief Carlotta erschrocken.
»Natürlich! Aber er meinte, es sei kein Problem und hat sich ganz locker den Staub aus den Klamotten geklopft. Dann hat er sich nach unserer Familie und vielem anderen erkundigt. Insbesondere an Franklin hatte er großes Interesse, so schien es mir. Was der alles wusste und wie der geredet hat! Ich sage dir, der ist im Kopf noch hellwach und glockenklar!«
Kein Wunder also, dass Franklin sich nie traute, den Nachbarn anzusprechen und in den seltenen Momenten, in denen eine Begegnung drohte, ihm lieber aus dem Weg ging. Sehr zum Leidwesen des Nachbarn!