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JOHNNY THE FOOT

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Er kannte die Gerüchte. Er akzeptierte die Gerüchte. Er verinnerlichte die Gerüchte. Welche Gerüchte? Die Gerüchte vom dreckigen Beatnik. In skarabäisch-schmuddeligen Bruchbuden zu hausen — was für ein Kick! Amerika ist ein einziges Computergehirn, tobten die Gedichte. Die Mongoloiden des großen Molochs stakten ihre Flöße durch Kloaken von Reklamezetteln, Zensurverordnungen und Kommunistenhetze. Sie wetzten ihre Schnäbel an den glasigen Augen der Sterbenden und kreisten wie plündernde Geier über dem Sumpf. Und wozu, bitte schön war Waschen überhaupt gut? Etwa um die empfindlichen Nasen von diesen Heinis zu schonen, die sowieso nur bis in Riechweite kamen und dich dann doch fertigmachten?

Mit anderen Worten: die Grenzen existieren immer noch. Wag dich ja nicht in unser Revier! Und wenn du’s schon tust, dann mach mit beinekickender Leidenschaft mit, sonst kannst du gleich wieder abhauen. Aber vergiss nicht — unser Revier ist die Zukunft!

Und sie schlenderten am Provincetown-Theatre vorbei, suchten nach dem Geist von John Reed oder warteten darauf, e. e. cummings bei seinem täglichen Spaziergang über die Sixth Avenue flitzen zu sehen. Sie lungerten in Bistros herum und sahen sich an, wie Poeten mit überschnappenden Stimmen ihre Gedichte zum Besten gaben. Erst schrien sie noch um Hilfe im allgemeinen Zerfall, aber allmählich richteten sie sich häuslich darin ein und genossen Kicks, Dreck und Erregung aus voller Brust. Oder hörten sich in einer schummrigen Jazzgalerie die Songs von Sonny Rollins an und beteten, dass er ihnen den Weltschmerz aus der dunklen Seele fetzen möge.

Yeah, ihr goldenen Prärien, Nebraska hatte seinen vielversprechendsten Künstler verloren, als Johnny seine Skizzen in einen Koffer knallte und in Richtung Greyhound-Busstation verschwand. Und was hatte der Washington Square Park damit zu tun? Ihn machte ein überwältigtes junges Säugetier zu seinem Revier, das sich seine Begeisterung von der Seele schreiben musste und sich Hals über Kopf in ein Paradies von zerstörerischem Solipsismus, Sex, Hasch, Schnaps und selig lächelndem Buddhismus stürzte. Allein die Möglichkeit, in dieser grellen Stadt monatelang unbemerkt herumzulaufen, erschien Johnny unübertrefflich. »Je est un autre. Je est un autre«, flüsterte er leise, während er auf einer Bank saß und seine Skizzen entwarf.

Und erst die Möglichkeiten, sich mit den anderen Flüchtlingen im Park anzufreunden — ahhh, was für ein Hit! Du konntest so ausgeflippt sein, wie du nur wolltest, und warst trotzdem eins mit den anderen Parklingen, und die einzigen, die hier dumme Fragen stellten, waren die Bullen.

Die ganze Energie entstand aus der verzweifelten Suche nach irgendwelchen Hinweisen, dass das Universum doch mehr ist als eine wildgewordene Müllkippe. Im Buchladen an der Achten Straße erstand Johnny obskure, matrizenkopierte Zeitschriften und fing gleich draußen auf der Straße, noch im Gehen damit an, die ersten Informationen zu verschlingen. Das einzige Problem war die Transformation, jenes Prinzip aus der Mathematik, welches besagt, dass bei der Umwandlung von einem System zu einem anderen ein gewisser Ausgleich stattfinden muss. Johnny wünschte nämlich seine Transformation sehnlichst herbei. In den heiligen Versen, wie auch in der Sprache, die er auf der Straße oder in Bistros aufschnappte, suchte er nach Symbolen der Transformation, den Worten der Bop Kabbala, wie ein Barde es einmal ausgedrückt hatte. Außerdem hatte er beschlossen, ein Heiliger zu werden — und wenn schon nicht heilig, dann wenigstens cool, wie es so schön heißt, cool im Kosmos und zwar mindestens so cool wie Siddhartha unten an seinem Fluss. Offenbar glaubte er, man können die »Dornenkrone des Lichts«, die Eliot in Little Gidding beschreibt, einfach im nächstbesten Kaffeehaus bestellen oder wie ein Phantom von der Buchseite zitieren.

In der First Christian Church seiner Kindheit war er jeden Sonntag aufgestanden und hatte die Melodie von Beautiful words, wonderful words, wonderful words of life mitgesungen, kurz bevor der Alte mit dem Klingelbeutel vorbeikam. Damals waren das alles böhmische Dörfer für Johnny. Aber wenn er jetzt die Worte des Lebens hörte, so wie sie in der anarchistischen Himmelskunst-Dharma-Kommi-Jazz-Kirche in den Straßen und Apartments von New York verkündet wurden, dann spürte er plötzlich die reine, priesterliche Weite in sich und fühlte sich als Sprosse auf der Himmelsleiter. Das Prinzip der Habgier war besiegt, stattdessen rollte das Auge, das auf der Rückseite des Dollarscheins über dem Gipfel der Pyramide schwebt, heraus aus dem Park, durch den Hollandtunnel und den ganzen Weg bis nach Minneapolis runter, wo es einen Blinden sehend machte. So ungefähr sahen die Zukunftsaussichten aus, wenn Johnny sie sich vorstellte. Sollten die Raumschiffe nur landen — er war bereit.

Er verzichtete auf Seife, vergaß die Jahreszeiten und lebte in den Betonklötzen von Lower New York, als wären sie die Requisiten einer Theatervorstellung. Dreck eroberte seinen Turm. Seine Socken verwandelten sich in zehenlose, ausgefranste, verrottende Fetzen. Sein T-Shirt durchlief auf dem Weg zu anthrazit die gesamte Palette verschiedener Grautöne. Manchmal wusch er sich die Körperteile, die mit der Luft in Berührung kamen, also Gesicht und Hände, aber nur dann, wenn es etwas Wichtiges zu erledigen gab. Beispielsweise, wenn er vorhatte, sich den blauen Bedürftigenausweis fürs Essen zu besorgen. Ansonsten lief er Sommer und Winter in den gleichen Klamotten herum: schwarzer Rollkragenpullover, schwarze, durchlöcherte Arbeitsstiefel oder Adidas-Tennisschuhe, grünes Kordsamtjackett und eine Briefmarke auf der Stirn — eine persönliche kleine Reminiszenz an die Vergangenheit.

Und erst die Füße! In der Zeit zwischen dem 4. April 1959 und dem 15. November 1961 wusch er sie kein einziges Mal. Die Füße hielt er für sein Meisterwerk. Er bildete sich allen Ernstes ein, dass sie Kunstwerke waren. Nach ein paar Monaten ohne Wasser und Seife fingen sie an zu mumifizieren. Eine trockene, kohlschwarze Kruste bildete sich auf der Oberfläche, ähnlich wie bei den Fausthandschuhen von Catchern, wenn sie nicht ordentlich eingefettet werden.

Entgegen der landläufigen Meinung strahlt der professionell gealterte, ungewaschene und mumifizierte Fuß keinen besonders unangenehmen Geruch aus. Johnnys Füße sahen aus und rochen ungefähr so wie verbrannter Toast. Die enorm verkrustete Haut erinnerte an ein Gemälde. Ab und zu wagte ein besonders Mutiger auch schon mal hinzulangen.

Im Sommer 1960 versuchte er, seine Füße in einer Kunstausstellung der Judson Church Gallery unterzubringen. Er bot den Direktoren an, die ganze Zeit friedlich in irgendeiner abgelegenen Ecke auf einer Milchkiste zu verbringen. Er schlug außerdem vor, einen leeren Goldrahmen gegen die Füße zu lehnen, um sie besser zur Schau zu stellen. Er versprach sogar, sie mit Fixativ zu besprühen, damit empfindliche Besucher auch ja nicht durch unschickliche Stinkschwaden beleidigt werden konnten. Die Galerieleitung lehnte höflich ab. Und Johnny rächte sich für seinen Ausschluss, indem er seine Füße mit Goldfarbe aus der Dose besprühte und so während der gesamten Ausstellung im Vorhof der Galerie stand. Zum Zeichen seines Protests hatte er sich einen Streikpostenausweis an den Jackenaufschlag geklemmt.

Die Eingeborenen vom Washington Square tauften ihn Johnny Filth Feet. Monatelang beobachtete Johnny die Touristenschwärme und kam einfach nicht dahinter, ob er sie nun lieben oder hassen sollte. Schließlich entschied er sich dafür, ihnen den Ekelerreger vorzuspielen. Alles verlief nach Plan, besonders in der sommerlichen Hochsaison, wenn die Touristen ihn mit einem ständigen Strom steuerfreier Einnahmen versorgten. Seine erste und wichtigste Handbewegung jeden Morgen: das nicht wegzudenkende Requisit, den Hut zum Einkassieren der Münzen gut sichtbar auf dem Brunnenrand zu platzieren. Dann stürzte er sich in einen schrillen Singsang, mit dem er garantiert jeden Marktschreier aus dem Feld geschlagen hätte: »Beatnikfüße! Beatnikfüße! Kommt und werft einen Blick auf diese sagenhaften Beatnikfüße! Garantiert noch nie gewaschen! Eine kleine Gabe in den Hut! Beatnikfüße! Beatnikfüße!« Aus irgendeinem mysteriösen Grund strömten daraufhin immer gewaltige Menschenmassen zusammen. Die Leute drängelten sich in einem dichten Kreis um ihn herum, die hintersten stellten sich sogar auf die Zehenspitzen und reckten die Köpfe hoch, um ihn besser sehen zu können. Das Ganze erinnerte an ein Golfpublikum, das versucht, das entscheidende Einlochen bei einem Meisterschaftsspiel mitzukriegen.

Es war einfach nicht zu glauben, aber mit seiner Fußhausiererei konnte Johnny nicht nur nach Herzenslust in Rienzis Kaffeehaus in Cappuccino und Baklava schwelgen — auch die Miete war plötzlich kein Problem mehr. Ständig fielen ihm neue Tricks ein, um die Touristen zu verschaukeln, die in der Beatnik-Ära das Village überschwemmten. Manchmal ließ er sich grunzend und sabbernd einer Gruppe von Passanten vor die Füße fallen, die sich vor lauter Angst an ihre Stadtpläne klammerten. An einem Wochenende im August 1960 sank er mit hin und her pendelndem Kopf in die Knie und fing an, einen Eiscremestiel, der auf der Erde lag, mitsamt der feuchten verkrumpelten Papierhülle abzulutschen. Schleimige Spuckespuren zeichneten sich auf dem Teer ringsum ab. Er stöhnte, er wand sich — und sofort bildete sich eine Menschentraube um ihn herum. Aber dann führte man ihn ab. Die Bullen zerstreuten alle Zuschauer, und die Spießer steckten ihre grünen Scheinchen wieder zurück in die Brieftasche.

Und was hängten sie ihm dann später an? Subversives Züngeln an einer Eiscremeverpackung? Auf der Polizeiwache im Park gegenüber der Judson Memorial Church musste er mit Handschellen herumstehen und warten. Aber als die Wache ihn für einen Moment allein ließ, streifte er schnellstens Schuhe und Socken ab und ließ seine dreckigen Quanten in der Luft herumbaumeln.

Nach einer Weile kamen die Bullen wieder und kippten beinah aus den Latschen, als sie die schmierigen verkrusteten Anhängsel entdeckten. Sie hätten beinah vor Ekel gekotzt. Endlich, nach stundenlangen Beratungen, schlossen sie seine Handschellen auf und gaben ihm den guten Rat, schnellstens aus dem Park zu verschwinden und sich ja nicht wieder hier blicken zu lassen.

Johnny fiel noch etwas anderes auf. Die Touristen waren besonders darauf aus, so nah wie möglich an die Beatniks heranzukommen — ein paar streckten sogar die Hand aus und langten mal kurz zu. Andere waren noch kecker. Nie würde er diese Frau mit der Rasierklingennase und der geflügelten Sonnenbrille vergessen, die eines Tages mit ihrem Mann — einem Prachtexemplar übrigens, in Bermudashorts und Baseballmütze — auf ihn zukam. Johnny saß auf dem Sockel der Statue von Alexander Holley. Als sie nur noch zwei Schritte von ihm weg war, stürzte die Frau nach vorn und wäre um ein Haar hingefallen. Johnny glaubte, sie wäre gestolpert und streckte die Arme aus, um zu verhindern, dass sie mit dem Kopf voran in Holleys Torso knallte. In diesem Moment hörte er den unmissverständlichen, schnüffelnden Laut. Ihr Gesicht war nur noch circa dreieinhalb Zentimeter von der Achselhöhle seines fleckigen Jacketts entfernt, als sie sich gierig die Lungen vollsog. Dann riss sie sich zusammen und folgte würdevoll und diszipliniert ihrem Mann. Zweifellos konnte sie’s kaum abwarten, sich beim Thanksgiving-Dinner vor ihren Verwandten damit zu brüsten, wie sie beinah in eine abscheulich stinkende Achselhöhle gestolpert war.

Nach ein paar Schritten drehten sich die beiden plötzlich noch mal um. Er riss die Kamera hoch und schoss hastig seinen Schnappschuss; dann machten sie kehrt und marschierten Richtung Parkausgang.

Johnny Filth Feet schätzte, dass er in der Goldenen Ära zwischen 1958 und 1961 mindestens zehntausendmal im Washington Square Park fotografiert worden war. Unzählige Urlaubsalben im Mittelwesten mussten Bilder von ihm enthalten, wo er sich in Positur geräkelt hatte, und zwar möglichst so (da war er immer ganz besonders scharf drauf), dass Henry James’ altes Haus am Nordrand des Parks mit aufs Bild kam.

Filth Feets größter Triumph im Park war die Folksong-Demonstration vom 9. April 1961, ein Ereignis, das ihn für die kommenden Jahre in einen disziplinierten, verrückten Rebellen mit einer Vorliebe für Flugblätter verwandelte. Bis zu diesem Tag hatte er nur ein einziges Mal in seinem Leben demonstriert, und das war bei der Sache mit den vergoldeten Füßen vor der Judson-Church-Galerie. Der 9. April war ein Sonntag. Den ganzen Vormittag über saß John mürrisch auf dem Brunnenrand, gefoltert von hämmernden Kopfschmerzen, die seine Freunde als Hasch-Kater diagnostizierten. Das Schlimmste war die Erinnerung an die entsetzliche Ablehnung, auf die sein Körper am Abend zuvor gestoßen war — und das noch wegen einer blöden Unterhose.

Dass er keine Unterhosen trug, störte die meisten Frauen. Schließlich schrieben wir erst 1961. Es ging ja noch, dass seine Bude an der Dritten Straße, einen Viertelstundenmarsch vom Washington Square entfernt, wahrscheinlich ein für allemal einen Rekord für verschissene Rattenlöcher aufstellte. Eins der Schlafzimmer hatte er »Müllzimmer« getauft: Im Verlauf von einem Jahr stapelten sich hier von der Fußleiste bis zur Decke unzählige volle braune Mülltüten. Ratten begingen reihenweise Selbstmord bei dem Versuch, vom Dachsims des gegenüberliegenden Gebäudes ins Müllzimmer zu hechten. Und es war auch nichts dagegen einzuwenden, dass seine Baskenmütze mit Vogelscheiße imprägniert war, dass er die Jeans offenbar schon monatelang hintereinander anhatte oder dass seine Tennisschuhe nur noch ein Flickwerk aus Tesafilm waren, das er mit Wäscheleinen am Auseinanderfallen zu hindern versuchte. Wenn es aber mal so weit kam, dass seine Jeans fielen (ahhhhh) und die Unterhose fehlte, dann packte die Mädels der Schock. Dazu kamen noch andere Probleme, zum Beispiel gewisse Tätowierungen im Genitalbereich, Zitate von Verlaine, deren detaillierte Beschreibung wir lieber stillschweigend übergehen. Wir beschränken uns auf die junge Dame aus Forest Hills, die, als er vorigen Abend aus den Hosen gestiegen war und im Halbdunkel vor ihr stand, sich plötzlich mit seinem erigierten Schwanz konfrontiert sah, der kunstvoll und rosig mit den Worten »Oh! Je serais celui-là qui creera Dieu!« verziert war. Sie flüchtete.

Die Folksong-Demonstration entzündete sich an einem völlig willkürlichen Beschluss der Parkaufsichtsbehörde von New York, namentlich ihres Leiters Newbold Morris. Dieser Typ hatte in letzter Zeit starken Anstoß genommen an den »widerwärtigen Zuständen im Park, vor allem Sonntags, an denen nur diese herumstreunenden Troubadoure und ihre Gefolgschaft schuld sind«, wie er sich auszudrücken beliebte. Die Folge war, dass die Polizei ab sofort jegliches Gedudel untersagte, obwohl es seit siebzehn Jahren Brauch war, dass die Musiker sich während der warmen Jahreszeit jedes Wochenende hier versammelten.

Während der ganzen Woche vor der Demonstration hatten sich die Folksänger um offizielle Genehmigungen zum Jodeln / Singen / Klimpern bemüht, waren aber alle abgeblitzt. Perfekte Bedingungen also, um mal so richtig auf den Putz zu hauen. Schließlich kam es nicht alle Tage vor, dass alle Voraussetzungen so günstig sind, dass die Demonstranten sich absolut im Recht fühlen konnten. Zwei Ziele verfolgten sie, als sie sich verzweifelt und unglücklich in dem rauhen, sandigen Betonbecken zusammendrängten: erstens die Verteidigung ihrer eigenen, gesetzlosen Kick-Zone und zweitens die Durchsetzung ihrer Musik jenseits aller Gesetze. Einem ungerechten Gesetz zu trotzen, oh yeah, das allein war schon der totale Hit!

Johnny sah sich um und bemerkte, dass es mittlerweile in dem großen runden Brunnen und in den Laubengängen drum herum von potenziellen Jodelkünstlern wimmelte, zusammengetrommelt von aufrührerischen Geheimbotschaften, die irgendwelche radikale Beatnikzellen verschlüsselt in die Medien geschmuggelt hatten, und bis zum Äußersten gespannt und bereit, getreu ihrer obersten Maxime jeden Schmerz zu ertragen.

Die Reporter der New Yorker Zeitungen rückten scharenweise an und notierten in ihren Stenoblöcken pflichtgemäß vor allem den »kaputten« Anblick, den die Musikerhorde bot — mit anderen Worten, ein gefährliches Übermaß an Sandalen, langen Haaren, Barten und verwegen glitzernden Augen. Der New York Mirror schmückte sogar seine Titelseite mit der Demonstration: 5000 BEATNIKS REBELLIEREN IM VILLAGE. Als Johnny Filth die Schlagzeile später sah, fiel er vor Demogasmus beinah in Ohnmacht.

Und dann ging’s los. Innerhalb einer halben Stunde hatte Johnny the Foot den wichtigsten Grundsatz beim Agitieren schon kapiert. Die Regel hieß nämlich nicht, wie er immer geglaubt hatte: »Im Zweifelsfall hilft nur Krawall«, sondern: »Es reichen schon ein paar.« Ein elektrischer Schauer schien durch die Masse zu zucken, als der harte Kern — »ein Trupp von fünfzig Leuten, viele im Beatnik-Outfit und mit Bärten«, wie die New York Times spöttelte, angefeuert von linksgerichteten Folkloristen und prominenten Schriftstellern — sich in Bewegung setzte und von der südwestlichen Spitze des Parks (McDougal und Vierte Straße West) in geschlossener Dudelformation auf den restlichen Musikerhaufen zumarschierte, der noch auf Inspiration wartete.

Das Rudel bärtiger Banjoboys und »Mädels mit langen Haaren und Gitarren« (The New York Times) am Brunnen schnappte über. Leute, die normalerweise völlig friedlich waren und ihre Jacken stolz mit Abzeichen der Bronx-Folksängergemeinde geschmückt hatten, gerieten in Rage. Der harte Kern führte Transparente mit, die den Aufstand geschickt rechtfertigten: MUSIK ZÄHMT DIE WILDESTEN BESTIEN hieß es da, und WIR WOLLEN WEITER MACHEN, WAS WIR SCHON IMMER GEMACHT HABEN.

Filth Feets Stimmung hob sich merklich. Seine lange verdrängte Fähigkeit zum Fantasieren brach voll durch und einen Augenblick später hatte er die ersten Halluzinationen. Auf seinem unsichtbaren Bildschirm flackerten Visionen von endlosen Beat-Trupps, die mit glasigen Augen einstimmig Zen-Koane sangen. Sie begruben alle Barrikaden, Steinmauern und Straßensperren unter sich. Sie marschierten und kämpften für ihr heiliges Ziel: ein Bart in jedem zweiten Gesicht, ein Gedicht auf allen Lippen und genug Kohle für alle.

Der harte Kern erreichte jetzt den Brunnen und fing an, zu jodeln, zu klimpern, zu zupfen und zu flöten. Die Sänger unterlegten ihre Stimmen mit einem revolutionären Appalachen-Akzent. Plötzlich stieg eine Zitherspielerin mit geradezu unverschämt langen Haaren auf ein wackliges Podest aus leeren Gitarrenkästen und intonierte We Shall Overcome — viel weiter kam sie auch gar nicht mit ihrem Song, denn augenblicklich war sie von Polizisten umzingelt, die sie am Weitersingen hinderten. Sie zupfte gerade den A-Septimenakkord auf ihrer Zither, als sie sie herunterschubsten, boing! Die Kästen flogen auseinander und einer von ihnen traf prompt Johnnys schmerzenden Katerkopf.

Als die Bullen die Frau wegzerrten, fiel ihre Zither auf die Erde und gab ein atonales Durcheinander von Echos und Nachhall von sich. In Johnnys Mundwinkeln bildete sich Schaum.

Nachdem die Sängerin abtransportiert war, füllte ein hagerer junger Mann die Führungslücke, ein Mitglied aus der Bronx-Folksängergemeinde. Er trat nach vorn und klimperte lässig auf seinem Banjo herum. »Dreht dem Kerl das Banjo ab!«, bellte ein Polizeikäpt’n über Lautsprecher zu Sergeant Mokier vom Dezernat für elitäres Gesocks. Die Bullen stürzten sich auf das einsame Banjo. Johnnys Hirn produzierte rachsüchtige Wahnvorstellungen. Der Banjospieler war nur fünf Schritte von ihm entfernt und er sah die Bullen mit erhobenen Schlagstöcken auf sich zustürmen. Der kleine Schlagabtausch endete mit der triumphalsten Eroberung der ganzen Folksong-Demonstration: Sie eroberten einen Gummiknüppel! Einen Moment schwebte er in der Luft, bereit zum Zuschlagen, als der Banjospieler sich blitzschnell duckte und dabei — wohlgemerkt — keine einzige Note von Down by the Riverside ausließ. Dann knallte er auf den Rand vom Springbrunnen und verpasste dabei dem Officer ein paar schmerzlich-vibrierende Schläge auf die Hand. Plötzlich tanzte er auf der Wasseroberfläche herum — geistesgegenwärtig stürzte der Folksänger aus der Bronx hin, warf die Beute in seinen Banjokasten und rannte, immer noch klimpernd, davon.

Als das passierte, setzte Johnnys Gehirn kurzfristig aus. Schnitt: Halloween ’55. Streifenwagen der Bundespolizei treffen in der aufgeregten Dorfgemeinde ein, um Ruhe und Ordnung wiederherzustellen. Rotierende Scheinwerfer auf den Autodächern markieren eine Kreuzung. Grell flackert das Feuer im geplünderten Dorfladen. Zwei große Windmotortürme aus Metall sind von einem dichten Ring geklauter Holzverschläge umgeben. Der Fahrradständer aus der Grundschule hängt quer über einem Turm. Sechs umgestürzte Buicks und Oldsmobiles liegen in einer perfekten Anordnung von zwei parallelen Reihen auf jeder Seite der Holzverschlags-Windmotorkonstruktion vor Gomells Shop und der Farmers State Bank. Das ist die reinste Form von Umweltkunst, die es überhaupt geben kann, dachte Johnny, als er nach Luft schnappend auf dem Dach eines nahe gelegenen Holzschuppens stand und liebevoll seine Schöpfung betrachtete. Für dieses Meisterwerk hatten er und seine Freunde volle sechs Stunden gebraucht.

Aber er konnte der Versuchung nicht widerstehen, den Punks da unten noch eins auszuwischen, sprang mit einem Satz von Dach und sprintete auf die Eisenbahngleise zu. »Da ist er!«, brüllten die Bullen. Dann ein scharfer Knall und noch einer gleich hinterher. Sie haben auf mich geschossen! Eine Viertelmeile rannte er die dunklen Schienen entlang und versteckte sich dann in Samsons Obstgarten, selig und übermütig kichernd, während weit unten im Tal die Bullen Türme und Verschläge wegschafften. Die sichelförmigen Ventilatoren an den Windtürmen benutzten sie als Griffe, mit denen sie die Dinger auf Heuwagen hievten und zum städtischen Schrottplatz karrten.

Johnny wurde abrupt aus seinen glücklichen Erinnerungen gerissen und in die grausame Realität vom Washington Square zurückversetzt, als mehrere vom New York’s Finest ihn packten und versuchten, ihn zum Scheuermop zu degradieren. Ruppig zerrten sie ihn an den Beinen und schienen gar nicht zu merken, dass sein Gesicht über das Betonpflaster und durch die ganzen Eisbecher schleifte, die auf der Erde verstreut waren.

»He! Aua! Ich verschwinde ja schon. Ich hau hier ab!« schrie er. Sie ließen ihn los und er rappelte sich hoch. Dann bemerkte er den dichtgeschlossenen schweigsamen Kreis von schockierten Touristen, die wie Pilze um ihn herumstanden.

»Gut so! Schnappt sie euch!« giftete einer von ihnen. »Macht diese Beatniks alle!« schnarrte ein pausbäckiger kleiner Dicker aus dem Ausland mit gedehnter Stimme. Seine robotergleiche Primitivität war wirklich durch nichts mehr zu überbieten. Johnny wurde es allmählich ungemütlich.

Innerhalb der nächsten Viertelstunde lernte er das zweite Prinzip bei Demonstrationen. Es lautete: »Es kann passieren, dass du dich plötzlich im Führungskader wiederfindest und keinen blassen Schimmer hast, wie du da überhaupt reingekommen bist.«

Johnny Filth Feet drängelte sich nach vorn. Er hatte dem Volk etwas zu sagen. Er kippte einen Abfalleimer aus Metall um und stieg obendrauf. »Wir haben das Recht!« schrie er, »und die Pflicht! und den Wunsch! zu singen!«, und dann stieß er einen durchdringenden Tarzanschrei aus Lunge und Kehle hervor — ein Sound, der zwischen hoch und tief schwankte, halb Jodler, halb Triller. Etwa bei der Hälfte des anhaltenden Geheuls setzte jemand den ganzen Mist im Abfalleimer in Brand; die Flammen loderten auf und leckten wie brennende Zungen über seine Füße. Aber ihr mumifizierter Zustand verhinderte wahrscheinlich intensivere Schmerzen, denn Johnny jodelte weiter, als ob er das Feuer gar nicht bemerkte, das seine Gliedmaßen bei lebendigem Leib zu grillen drohte. Dieser Anblick, seine in Flammen gehüllten Füße, während er gleichzeitig der verbiesterten Menschenmenge ungerührt weiterpredigte, sorgte für spontane Wahnsinnsausbrüche im Publikum.

Nichts konnte sich in den folgenden Jahren je damit vergleichen. Weder Sit-Ins in den Selbstbedienungsrestaurants südamerikanischer Busstationen, Wahlkampfreisen durch Mississippi, Friedensmärsche, noch die Sache, als er einen Kriegsforschungscomputer mit Ahornsirup ölen wollte — keiner von all diesen bewusstseinserweiternden Kicks war so einschneidend wie Johnny Filth Feets Auftritt bei der Folksong-Demonstration von ’61.

Schließlich schleppten sie ihn von seiner Kanzel in einen Polizeibus, während draußen die Leute »Faschisten!« brüllten und »Polizeiterror!«, eine Phrase, die Johnny noch nie gehört hatte. Der Beatnikpöbel umstellte den Bus und schaukelte ihn hin und her. Beinah wäre er umgekippt — für einen Moment balancierte er in der typischen Entweder-oder-Position, der reinste Autoflipper, wo man entweder schnell zur Seite springen muss, wenn er zurückkracht oder triumphierend aufheulen kann, wenn er tatsächlich fällt. Der Bus knallte zurück auf die Räder, und Johnny bahnte sich mit ein paar Kinnhaken einen Weg nach draußen, wo die tobende Menge immer noch seine Rückkehr auf den verkohlten Abfalleimer forderte. Aber er hatte keine Chance. Die Bullen zerrten ihn zurück in den Wagen. Volle zwei Stunden lang hielten die Leute das Auto umstellt und verhinderten, dass es den Park verließ. Und was warf der Richter ihm dann später vor? Dass er ohne Genehmigung eine öffentliche Rede gehalten hatte.

Von den Tausenden, die sich im Park versammelt hatten, waren insgesamt nur zehn verhaftet worden. Noch ein enorm wichtiger Grundsatz: »Du kannst überall Krawall machen und trotzdem entwischen.« In der Verzückung inneren Friedens lachte Johnny den ganzen Weg über, bis sie bei den Tombs angelangt waren. Um Mitternacht hatte ein völlig Fremder die Kaution für ihn bezahlt und kurze Zeit später saß er mit dem Unbekannten schon wieder im Café Figaro und kippte einen Orzata nach dem anderen.

Erst fünfzehn Jahre später zeitigte die Verhaftung im Washington Square Park ein paar unangenehme Folgen für Johnny. Aber die ließen sich schnell vertuschen, er brauchte bloß an den richtigen politischen Fäden zu ziehen, und schon waren die Akten über seine Festnahme ein für allemal versiegelt. Denn letztlich »sickert alles mal durch«, wie Sam Beckett respektvoll bemerkt, und das gilt schließlich auch für ehemals glücklich herumstromernde Beatniks. Innerhalb eines Jahr nach seiner Verhaftung war Johnny Filth Feet ohne ein Sterbenswörtchen aus der Szene verduftet.

Aber was passierte denn mit unserem Mr. Stinkfuß? Kämpfte er sich nach oben und führte Zehntausende in rasende Demonstrationen? Na ja, also erst mal reiste er in den Süden hinunter, wo er ein paar Wahlkampfveranstaltungen organisierte. Und ging er dann zurück? Ließ er sich fürs Repräsentantenhaus von Nebraska aufstellen? Übernahm er einen Verlag in New York? Verschwand er, billigen Fusel saufend, in irgendeiner lausigen Bowery-Imitation von Amerika? Tja, Jungs, um ehrlich zu sein — ich hab ihn vor ein paar Jahren aufgespürt, und ich muss gestehen, es ist schon erstaunlich, wie gründlich man den Lauf seines Lebens verändern kann. Er zeigte mir sogar seine Füße, nachdem ich ihn beim Abendessen eine Weile damit aufgezogen hatte, und sie waren weiß und glänzten wie der Marmor von Carrara.

Aber ich will nicht, dass er sauer wird, wenn ich euch seinen Namen verrate. Er ist nämlich eine der Hauptgeldquellen für viele meiner Projekte. Zum Beispiel hat er damals die Kohle für das LSD in Chicagos Trinkwasservorräten besorgt. Ihr werdet also sicher verstehen, wenn ich seinen Namen nicht in irgendwelchen Akten geheimer Nachrichtendienste herumfliegen haben will. Alles, was ich sagen kann, ist: Im Moment arbeitet er als Vizepräsident in der Kreditabteilung einer prominenten New Yorker Bank. Und hat glänzende Zukunftsaussichten.

Tales of Beatnik Glory, Band I-IV (Deutsche Edition)

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