Читать книгу Tales of Beatnik Glory, Band I-IV (Deutsche Edition) - Ed Sanders - Страница 38
IV
ОглавлениеAber falls Melpomene Barretts Schreibanfall tatsächlich beobachtete, wäre ihr auch nicht entgangen, wie armselig angezogen er herumlief: seine Jacke, die überall mit Wachs bekleckert war, weil es in seiner Bruchbude keinen Strom gab, und vertrocknete Buchweizennudeln auf dem Kragen, die aussahen wie geschmolzene Anstecknadeln vom Secret Service. Es war schon beinah so weit gekommen, dass er mindestens einmal am Tag eine Kerze umschmiss und sich mit Wachs vollspritzte. Genau das Wahre für einen verhinderten Barden, bildete er sich ein. Außerdem hatte die Jacke, die auch im Winter herhalten musste, im Verlauf ihrer ununterbrochenen Dienstzeit die olfaktorische Ausdünstung eines Zebra-Arsches angenommen und beleidigte so ziemlich jeden, der in ihre Nähe kam.
Diesen Morgen hatte er auch noch einen Absatz am Schuh verloren, und jetzt bohrten sich die herausragenden Nägel langsam in seine Fußsohle. Die Regenschauer des New Yorker Frühlings hatten das Leder aufschwellen lassen und brüchig gemacht. Beide Schnürsenkel waren schon vor langer Zeit gerissen, und Barrett war gezwungen gewesen, die beiden Hälften zu neuen Schnürsenkeln zu verarbeiten, deren Enden nun mit der Zeit ausfransten. Als sie das nächste Mal rissen, blieben nur noch Fetzen übrig, und er konnte knapp zwei Löcher pro Schuh zuschnüren. An nassen Tagen wickelte er sich Silberpapier um die Socken, um zu verhindern, dass die langsam durchsickernde Flüssigkeit die perlgraue Dreckschicht auf seinen Füßen völlig aufweichte.
Wird Zeit fürs katholische Fürsorgeheim, dachte er. Erst stell ich mich zum Essen an, und später kann ich vielleicht noch ein paar Kleider loseisen. Er packte seine Bücher zusammen und ging hinüber zur Bowery, dann weiter nach Osten in die Chrystie Street, wo er hoffte, in eine neue Haut schlüpfen zu können. Dabei spürte er einen leichten Stich von schlechtem Gewissen, das ihn mahnte: »Barrett, du hast eigentlich noch gar keine neue Jacke verdient!« Seine Vorliebe für den Sozialismus beziehungsweise eine Art anarchistische Volksrepublik sollte sich auch erst Jahre später voll entwickeln. Außerdem wusste er ganz genau, dass er der Frau, die für die Kleiderkammer zuständig war, bestimmt erst mal stundenlang die Ohren vollquasseln musste, ehe er den Nerv haben würde, sie nach einer Jacke zu fragen. Und vielleicht auch noch nach einem Paar neuer Schuhe, wenn noch genug Energie übrigblieb.
Er quatschte eine Weile mit den Leuten vom Fürsorgeheim und murmelte was von nolo credere, als einer das Lamm Gottes erwähnte. KonBef! KonBef! Er imitierte Thrills wirklich bis ins kleinste Detail. Da wo Barrett herkam, war Atheismus die coolste Lösung. Er konnte zum Beispiel einen ganzen Umkleideraum voller Fußballspieler nach dem Training in eine wutschnaubende Meute potenzieller Killer verwandeln, wenn er bloß darauf bestand, die Vorzüge des Atheismus zu diskutieren. Aber als er jetzt leise KonBef! KonBef! KonBef! murmelte, bekniete ihn die Frau aus der Kleiderabteilung, ja nicht den Gebetskreis zu vergessen, und tatsächlich erwischte Barrett sich dabei, dass er laut aus der Bibel vorlas, als er an der Reihe war. Er drängte die Tränen zurück, die, wie er sich einreden wollte, von einem Stäubchen im Auge herrührten. Später machte er sich bittere Vorwürfe für diesen Anfall von Weinerlichkeit: »Reiß dich zusammen, Barrett, reiß dich zusammen!«
Schließlich konnte er sich keinesfalls leisten, sich das freie Fürsorgeessen durch die Lappen gehen zu lassen. Er verschlang rauhe Mengen davon und schwindelte sich sogar noch ein paar Scheiben von dem guten, selbstgemachten Fürsorgebrot zusammen, die er hastig in seiner Tasche verschwinden ließ. Später würde er sich eine Dose Ölsardinen und ein paar Kleinigkeiten kaufen und sich am Abend ein Festmahl an den heilsamen Quellen vom Washington-Square-Brunnen genehmigen. Übrigens war er mit Abstand die gesundeste Erscheinung im ganzen Raum, in dem sich rotgesichtige, stoppelbärtige Männer und halb verhungerte Weiber drängelten, die vor lauter Alter und Alkohol nur noch vor sich hin zittern konnten. »Ham! Ham!« machte Barrett und versuchte eine dritte Ladung Erbsensuppe abzustauben, indem er mit der Verteilerin flirtete. Aber glaubt ja nicht, dass er deshalb später auf die Idee gekommen wäre, dem katholischen Fürsorgeheim auch nur einen Cent zu spenden, als er für die Abteilung Dichtung zuständig war und dafür fünfzig Riesen im Jahr kassierte.
Nach dem Essen bahnte sich Barrett einen Weg in die Kleiderkammer, die von den verrücktesten Winterklamotten aus allen Nähten platzte. Er fand ein irres braunes Reitjackett mit einem aufgesteppten Umhang aus rostrotem Stoff und reichlich großen Taschen, ideal also, um darin pfundweise Notizbücher und die ganzen Siebensachen seines Schnorrerdaseins zu verstauen.
Für seine Füße fand er ein Paar uralte Bowlingschuhe von leicht unterschiedlicher Größe. Es mussten ausrangierte Leihexemplare sein, die wohl von einer Bowlingbahn stammten; das linke Exemplar war rot und grün gestreift und hatte eine Neun auf den Absatz gepinselt, während das rechte einfach braun war und die Nummer Vierzehn trug. Sie waren unheimlich bequem, stanken nicht die Spur und schienen durchaus einen apollinairischen Bummel entlang der Bücherstände unten am Fluss wert zu sein. Als er in sein neues Outfit stieg, fühlte Barrett die Schwingen eines seltenen Genius.