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4.

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EU-Subventionsirrsinn lautete die Überschrift. „Griechische Fischer in Nöten. Wie erst jetzt bekannt wurde, verbrannten zwei Fischer auf Fourni letztes Wochenende aus Protest ihre Boote. Die EU nahm kürzlich erneut einen Anlauf, die Überfischung in der Ägäis zu bekämpfen. Angeblich wurden Fischern Prämien bis zu zweihundertfünfzigtausend Euro geboten, wenn sie ihre Boote vernichteten.“

Alexander legte die Zeitung beiseite. Er war zu müde, um sich auf den langen Artikel zu konzentrieren. Der Kampf mit dem glatzköpfigen Cowboy hatte ihn mehr angestrengt, als er vor sich selbst zugeben wollte. Außerdem ging ihm die attraktive Touristin nicht aus dem Kopf. Er beschloss, sich auf die Suche nach ihr zu machen.

Zuerst holte er sich an der Theke einen griechischen Kaffee und ein Glas Wasser. Als er mit dem Fuß die Tür ins Freie aufstoßen wollte, wurde diese von außen aufgerissen.

Alexander verlor das Gleichgewicht. Der heiße Kaffee landete auf dem weißen Seidenhemd der hübschen Blondine.

„Können Sie nicht aufpassen?“ Sie funkelte ihn mit ihren wasserblauen Augen wütend an und schimpfte so laut, dass sich einige Gäste in der Bar nach ihnen umdrehten.

Wenn er etwas hasste, war es, Aufsehen zu erregen. Er war immer stolz darauf gewesen, sich beinahe unsichtbar machen zu können.

„Ver…verzeihen Sie bitte“, stammelte er bestürzt.

Ihr Gesicht entspannte sich. Beinahe wäre ihr ein Lächeln entkommen. Sie musterte den großen, schlanken Mann von Kopf bis Fuß. Dieser Tollpatsch sah verdammt gut aus. Schwarzes, an den Schläfen leicht ergrautes, kinnlanges Haar, ebenmäßige Züge, dunkelbraune Augen, eine schöne klassisch griechische Nase, ein dichter schwarzer Schnurrbart.

Er starrte auf ihre Brüste, die sich deutlich unter dem nassen Shirt abmalten. Sie trug keinen BH.

„Ist was?“, fauchte sie ihn an.

Errötend wandte er den Blick ab. Die ganze Geschichte war ihm unerhört peinlich. „Es tut mir so leid …“

„Mir auch.“

„Wie kann ich das wiedergutmachen?“

„Was heißt gutmachen? Das Hemd ist versaut und mein Gepäck befindet sich unten. Ich werde also hinunterlatschen und mir ein frisches Oberteil holen müssen.“

„Ich habe eine bessere Idee. Hier, halten Sie das bitte.“ Er drückte ihr die fast leere Tasse und das Wasserglas in die Hand, begab sich in den Bordshop und verlangte eines der blau-weiß gestreiften T-Shirts mit der Aufschrift I love Greece. Das Wort love war durch ein rotes Herz ersetzt worden. Als ihn der Barkeeper nach der Größe fragte, rief er sich die Brüste der Blondine in Erinnerung und entschied sich für Medium.

„Wie geschmackvoll!“, sagte sie, als er ihr das T-Shirt reichte.

Sie fackelte nicht lange herum, drehte ihm den Rücken zu, zog ihr beflecktes Seidenhemd aus und stopfte es in ihre Umhängetasche.

Er bewunderte die tiefbraune Haut ihres wohlgeformten Rückens, als sie in das gestreifte T-Shirt schlüpfte. Ein Gentleman hätte weggesehen.

***

Die Fähre verließ mit zweistündiger Verspätung den Hafen von Piräus. Das Knarren und Rattern der Motoren war so laut, dass man kaum sein eigenes Wort verstand.

Alexander und die Touristin blieben eine Weile schweigend nebeneinander an Deck stehen und sahen beim Ablegen zu. Die Leichenteile waren längst geborgen worden. Die Schaumkronen auf den Wellen waren wieder strahlend weiß.

„Wie kann das bloß passiert sein?“, fragte sie. „Er muss in dem Augenblick über Bord gestürzt sein, als sich die Fähre gedreht hat“, gab sie sich selbst die Antwort.

„Tja, die Sicherheitsvorkehrungen auf den griechischen Fähren entsprechen offensichtlich bis heute nicht den internationalen Vorschriften …“

„In den USA würde der Reeder von den Angehörigen des Opfers verklagt werden.“

„Eine Amerikanerin hätte mich auch wegen des heißen Kaffeegusses und des ruinierten Hemdes verklagt“, scherzte er.

„Vielleicht werde ich das noch tun“, sagte sie, ohne zu lächeln.

Die Sonne brannte erbarmungslos auf sie herab. Das Wasser glitzerte silbern, wirkte friedlich. Je weiter sie aufs offene Meer hinauskamen, desto wohler begann er sich zu fühlen. Er empfand Hochachtung, Ehrfurcht, ja sogar Liebe für das Meer und wurde leicht sentimental.

Zum ersten Mal seit dreißig Jahren sah er die Ägäis wieder. Sowohl der wilde Atlantik als auch der stürmische Pazifik konnten ihm gestohlen bleiben. Das Mittelmeer mit seinen sich ständig ändernden Farben war eindeutig das schönste aller Meere. Und hier stand er nun am obersten Deck eines modernen Schiffes mit einer aufregenden, erotisch sehr anziehenden Frau an seiner Seite … Beinahe empfand er so etwas Ähnliches wie Glück.

Als Athen außer Sicht geriet, bot er ihr eine Zigarette an.

„Rauchen habe ich mir vor drei Jahren abgewöhnt“, sagte sie.

„Ich vor zwei Jahren. Nach diesem Schrecken ist mir jedoch nach ein bisschen Nikotin. Stört es Sie?“

„Im Gegenteil. Ich mag nach wie vor den Geruch.“

Er zündete sich eine an, rauchte schweigend, warf der hübschen Frau nur hin und wieder verstohlene Blicke zu. Sie gefiel ihm ausnehmend gut. So wie viele Männer mochte er blonde Frauen mit großen Brüsten und langen, schlanken Beinen. Selbst ihre unmögliche Frisur gefiel ihm. Lange Haarsträhnen hingen ihr in das ungeschminkte, sonnenverbrannte Gesicht. Das Schönste an ihr aber waren ihre hellblauen Augen.

Er hatte bemerkt, dass sie keinen Ehering trug. Was natürlich nichts zu bedeuten hatte. Mittlerweile wusste er, dass Verheiratete in Mittel- und Nordeuropa oft keine Ringe trugen.

„Lassen Sie mich einmal anziehen?“, bat sie ihn.

Genüsslich zog sie an seiner Zigarette, inhalierte tief und blies ihm den Rauch ins Gesicht. Prompt musste er husten.

„Pardon“, sagte sie, „falsche Windrichtung. Mein Name ist übrigens Laura Mars.“

„Was für ein toller Name!“

„Mein Vater heißt Mars und ist ein Fan von Faye Dunaway. Sein Humor ist gewöhnungsbedürftig. Er hat mich nach der exzentrischen Modefotografin benannt, die Faye Dunaway in dem berühmten Hollywoodfilm Die Augen der Laura Mars verkörpert hat. Sie können sich vorstellen, welch blöde Bemerkungen ich mir deswegen oft anhören muss. Ich habe den Namen trotzdem nach meiner Eheschließung beibehalten, weil mein Label LAMAR damals bereits ein Begriff in der Modeszene war …“

Eheschließung? Hatte er richtig verstanden? „Ich heiße Alexander“, unterbrach er sie.

„Der Große?“, kicherte sie. Sie schien nicht mehr ganz nüchtern zu sein.

Er lud sie auf einen Kaffee ein.

„Hier draußen ist es zu windig. Lassen Sie uns hineingehen“, schlug sie vor.

Auch die alte Frau, über deren Einkäufe er vorhin gestolpert war, saß in der Bar. Ihr halbes Dutzend Säcke und Taschen hatte sie auf den Stühlen um ihren Tisch verteilt. Sie hatte ihre Augen geschlossen, schien im Sitzen zu schlafen.

Da kein anderer Tisch frei war, stellten Alexander und Laura die Taschen und Säcke der Frau auf den Boden und setzten sich zu ihr, ohne zu fragen. Sie wollten sie nicht wecken. Beide konnten nicht ahnen, dass die Alte hellwach war und außerdem Deutsch verstand.

Laura bestellte einen doppelten Metaxa zum Kaffee, stürzte ihn in einem Zug hinunter.

„Den habe ich jetzt gebraucht“, seufzte sie. „Mein Flieger war total überfüllt. Die Wanderer haben mir ihre prallgefüllten Rucksäcke ständig ins Gesicht geknallt, als sie auf der Suche nach freien Gepäckablagen mit ihren schweren Bergschuhen über den Gang getrampelt sind. Ich versuche immer nahe beim Notausgang einen Platz zu kriegen. Ich fliege nicht gerne.“

„Sind Sie mit Aegean Airlines aus Wien gekommen?“

„Ja. Sie etwa auch?“

Er nickte lächelnd.

Alexander war Business Class geflogen und als einer der Ersten eingestiegen. Das hatte er sich so angewöhnt, um die mitfliegenden Passagiere beim Einsteigen abchecken zu können. Er wunderte sich, dass er sie nicht bemerkt hatte. Vielleicht hatte er gerade sein Handgepäck verstaut, als sie an ihm vorbeigegangen war?

Sie fragte ihn, ob er Urlaub in Griechenland machen wolle. „Wie ein Wanderer sehen Sie ja nicht gerade aus. Zum Baden ist es noch zu kalt, außer Sie sind abgehärtet.“

„Ja und nein. Ich bin in der Immobilienbranche tätig, habe auf Mykonos etwas Geschäftliches zu erledigen. Danach will ich nach Hause auf meine Insel.“

„Ihre Insel?“

„Ich bin vor vielen Jahren aus Ikaria weggegangen. Waren Sie einmal auf Ikaria?“

„Nein.“

„Dann sollten Sie demnächst unbedingt einen Besuch dort nachholen. Diese Insel ist eine der schönsten in der Ägäis. Ein schroffes, wildes Eiland mit herrlichen Stränden und von der Außenwelt bis heute ziemlich abgeschnittenen Bergdörfern. Es gibt nicht mehr viele Einwohner. Achttausendfünfhundert oder sogar weniger. Auf der Nordseite fallen die Berghänge sanft zum Meer hinab. Die Südseite ist eher schroff, eine steile, unzugängliche Felsenlandschaft. Aber am Straßenrand gedeihen Feigenbäume, und die Sandstrände sind bewachsen mit Kiefern und Oleandern.“

„Das klingt ja richtig idyllisch. Wieso haben Sie die Insel damals verlassen?“

„Ich hatte triftige Gründe …“

Wellengrab

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