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9.

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Alexander hatte sich von dem zahnlosen Taxichauffeur in die Nähe des für Autos gesperrten Alten Hafen bringen lassen.

Als er durch die Altstadt schlenderte, musste er nicht lange suchen. Abseits der belebten Gassen fand er eine Pension namens Eliá.

Der Eingang verschwand beinahe unter wildwuchernden Weinranken. Ein verkümmert aussehendes Olivenbäumchen, dem die Pension ihren Namen verdankte, verstellte ebenfalls die Sicht.

Das zweigeschoßige Haus mit seinen morschen Fensterläden, an denen die blaue Farbe fast zur Gänze abgebröckelt war, machte keinen sehr einladenden Eindruck, aber die Lage war bestens. Zum Kastro-Viertel, dem ältesten Viertel der Stadt, und zum Alten Hafen war es nicht weit.

Alexander hatte genügend Geld, um sich ein schickes Hotel leisten zu können, doch er wollte in Frieden gelassen werden. Keine Lakaien, die permanent um ihn herumwuselten und ihn nach seinen Wünschen fragten oder ihm etwas anzudrehen versuchten, keine Hotelportiere, die seinen falschen Pass genauer unter die Lupe nahmen, und er wollte auch keine Reisebekanntschaften machen. Es war ein Fehler gewesen, mit dieser hübschen Österreicherin in Kontakt zu treten. In seinem Job blieb man besser allein.

Alexander trug sich als Alexandros Kounellis in ein abgegriffenes Gästebuch ein. Das Geld für zwei Nächte legte er auf die Theke. Wie erwartet, verlangte der ältere Mann an der Rezeption keinen Pass.

„Wenn Sie länger bleiben möchten, kein Problem. Wir sind nicht voll“, murmelte der Alte und zog sich in sein Kämmerchen hinter einem blauen Vorhang zurück.

Kurz darauf vernahm Alexander laute Stimmen aus einem TV-Gerät. Grinsend begab er sich die schmale, steile Treppe hinauf in den ersten Stock.

Das schäbige dunkle Zimmer mit dem Gefühl von Hoffnungslosigkeit in den vergilbten Tapeten war eingerichtet wie die meisten billigen Hotelzimmer auf der ganzen Welt: Queensizebett, Schrank, Minischreibtisch, Stuhl. Alexander streckte sich auf der weichen Matratze aus und schlief drei Stunden tief und fest.

***

Abends suchte er sich ein Restaurant in Klein-Venedig. Das im venezianischen Stil erbaute Viertel an der Strandpromenade war total überlaufen. Er betrat eines der Lokale, das weniger voll war als die anderen, bestellte einen Griechischen Salat und verschiedene Mezedes.

In diesem altmodisch eingerichteten Lokal schien es nicht mehr üblich zu sein, mehrere typisch griechische Vorspeisen zu ordern. Die arroganten Blicke des Kellners waren ihm gleichgültig, er hatte Lust auf Sardellen, Oktopus und Tsatsiki. Nach einigem Hin und Her bekam er das Gewünschte.

Die Sardellen waren nicht frisch, im Tsatsiki war zu wenig Knoblauch. Wenigstens der Oktopus war so, wie er ihn gern hatte, bissfest.

Die Rechnung fiel horrend aus. Es war ihm egal. Seine Auftraggeber hatten ihm zusätzlich zu seinem Honorar seine Spesen garantiert.

Nach dem Essen wollte er auf kürzestem Weg in seine Pension zurückkehren. Die Menschenmassen, die sich durch die engen Gassen wälzten, machten ein Durchkommen fast unmöglich.

„Gamoto, fuck“, fluchte er, als er mit einem amerikanischen Paar, das gemeinsam mindestens dreihundert Kilo auf die Waage brachte, zusammenstieß. Genau genommen stieß er gegen den exorbitanten Bauch der Frau.

Er besann sich auf die guten Manieren, die ihm seine Mutter beigebracht hatte, und entschuldigte sich. Auf Englisch. Ein Fehler, wie sich herausstellte. Denn nun versuchte das Pärchen, ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Endlich ein Einheimischer, der Englisch sprach, dachten sie wahrscheinlich und quatschten drauflos. Als sie ihn auf ein Bier einluden, hatte er alle Mühe, ihnen diese Idee auszureden. Sichtlich enttäuscht, zogen sie weiter.

Der Portier in der Pension Eliá schien ebenfalls in Plauderstimmung zu sein. Als Alexander seinen Zimmerschlüssel verlangte, bot er ihm einen griechischen Kaffee an.

Alexander begab sich knapp hinter dem Mann hinaus auf die Straße. Ein säuerlicher Geruch von Alkohol und Schweiß stieg ihm in die Nase.

An einem wackeligen Tischchen unter dem halbvertrockneten Olivenbäumchen tranken sie dann gemeinsam Kaffee.

Die Pension befand sich am Ende einer kurzen, steilen Sackgasse. Unter ihnen auf der Querstraße schoben sich die Touristenströme vorbei. Nicht nur dickbäuchige Amerikaner und Nord- und Mitteleuropäer, auch viele Spanier, Italiener und Franzosen zogen im Gänsemarsch durch die engen Gassen.

„Die Kreuzfahrtschiffe sind die Pest“, sagte der Portier. „Täglich liegen drei bis vier Riesen in der Bucht. Das bedeutet mindestens zehntausend Menschen, die uns niedertrampeln. Am frühen Abend ist in der Chora kein Durchkommen mehr. Alle Gassen verstopft durch diese Barbaren aus dem Norden …“

Alexander nickte verständnisvoll. Der Alte bot ihm eine filterlose Zigarette an, die er dankend ablehnte. Er kannte dieses Kraut. Sein Vater hatte damit im Winter immer die ganze Wohnung verstunken.

Während der Portier genüsslich an seinem Stummel zog, fühlte er sich bemüßigt, seinen Gast über die Veränderungen auf Mykonos aufzuklären: „Jährlich überfallen uns hunderttausende Touristen. Ich frage mich, wie lange das gutgehen wird. Irgendwann wird es einen Kollaps geben! Kein Wasser mehr, kein Strom … Die Preise, vor allem in den Sommermonaten, kann sich sowieso kein Einheimischer mehr leisten. Ein Café Frappé kostet fast überall acht Euro! Ein Abendessen für zwei Personen ist kaum mehr unter hundert Euro zu kriegen …“

„Das habe ich heute Abend bemerkt“, warf Alexander ein.

„Millionen von Euros und amerikanischen Dollars fließen in die Taschen einiger Weniger. Schauen Sie sich das Innere der Insel mal an. Die Zersiedelung schreitet fort, aber für den Straßenbau ist kein Geld da. Die meisten Straßen befinden sich in katastrophalem Zustand. Das interessiert die Allradfahrer natürlich nicht. Die kommen sich vor wie auf einer Wüstensafari, wenn sie mit ihren dicken Autos über Stock und Stein rasen.“

Die Klagen des Portiers bauten Alexander nicht gerade auf. Er war sowieso nicht in bester Stimmung.

Nachdem er seinen Kaffee und das Glas Wasser ausgetrunken hatte, zog er sich auf sein Zimmer zurück.

Er konnte keinen Schlaf finden, hatte zu viele Kaffees getrunken. Sein Blutdruck bewegte sich bestimmt in schwindelerregenden Höhen.

Wie sollte er morgen vorgehen? Er hatte keine Lust zu töten. Falls die schöne Frau bei dem Gespräch mit dem Hotelbesitzer dabei sein sollte, würde er sowieso keinen Finger rühren. Trotzdem überlegte er sich einige möglichst schmerzfreie Todesarten.

Der Tod des Hotelbesitzers sollte wie Selbstmord aussehen. Was dies betraf, war er beinahe unübertroffen. In seiner besten Zeit waren viele seiner Opfer als Selbstmörder durchgegangen.

Vielleicht musste er diesen Theo gar nicht umbringen? Vielleicht würde er das Angebot, das er ihm im Auftrag von Boris machen würde, freudig annehmen? Er begann sich auszumalen, wie er nach Abschluss seiner Geschäfte mit Laura Mars die Insel erkunden würde …

Auf einmal erschienen andere, weniger romantische Bilder vor seinem inneren Auge: der zerschmetterte Schädel eines kolumbianischen Drogenbarons; der von einem halben Dutzend Kugeln durchlöcherte Körper eines jungen Kolumbianers, der auf eigene Kosten gearbeitet, seinen Boss betrogen hatte; das entsetzte Gesicht des kleinen Mexikaners mit der Kugel im Bauch, der mit der ganzen Geschichte nichts zu tun gehabt hatte, einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war.

Ihm war nicht gut. Womöglich war das Tsatsiki verdorben gewesen?

Er übergab sich auf der Toilette. Danach fühlte er sich keine Spur besser.

Acapulco und die Felsenspringer kamen ihm in den Sinn. Um seiner mexikanischen Geliebten zu imponieren, war auch er gesprungen und hätte diesen Sprung beinahe mit dem Leben bezahlt. Als er in die Tiefe des Ozeans eingetaucht war, wäre ihm fast die Luft ausgegangen, so lange hatte es gedauert, bis er wieder an die Wasseroberfläche gekommen war. Damals hatte er beschlossen, sich ab sofort seinem Alter gemäß zu verhalten. Mit Mitte vierzig musste man nicht mehr von einem hohen Felsen springen, um einer jungen Frau zu imponieren …

Endlich schlief er ein.

Im Traum konnte er fliegen. Er war Ikarus, der Sohn des Dädalus, und hatte mit seinem Vater gerade das Gefängnis, das Labyrinth des Minotaurus auf Kreta, verlassen. Er flog übers Meer, sah unter sich die Schaumkronen auf den Wellen tanzen, fühlte sich frei und glücklich. Als ein Eiland am Horizont erschien, stieg er höher auf in die Lüfte, flog mit seinen gewachsten Flügeln gefährlich nahe an die Sonne heran …

Wellengrab

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