Читать книгу Wellengrab - Edith Kneifl - Страница 19

13.

Оглавление

Laura hatte beschlossen, eine kleine Inselrundfahrt zu machen und sich selbst einen Strand zu suchen. Sie hatte einen von Theos Reiseführern mitgenommen.

Zuerst wollte sie zum Kloster Panagia Tourliani in Áno Merá. Vor allem das Innere der Kirche war angeblich einen Besuch wert. Sie hatte gelesen, dass es wahre Kunstschätze beherbergte, die meisten angefertigt in Florenz. Das größte Heiligtum des Klosters, die Ikone der Heiligen Jungfrau von Toúrlos, wurde als wahres Schmuckstück aus Holz und mit einem Mantel aus Silber beschrieben. Das Antlitz der Madonna sei inzwischen schwarz, hatte sie gelesen. Es wurde behauptet, dass dieses zweitausend Jahre alte Kunstwerk eine Arbeit des Apostel Lukas persönlich war.

Die vielen Touristenbusse auf dem Parkplatz vor dem Kloster ließen Laura von einem Besuch Abstand nehmen. Sie fuhr weiter zum Nonnenkloster von Paleókastro, einem Frauenkloster aus dem dreizehnten Jahrhundert, das von einer einzigen Nonne bewohnt wurde, die seit vielen Jahren ihre Zeit damit verbrachte, den Klosterhof zu bemalen.

Laura klopfte an das Tor. Niemand öffnete. Sie klopfte heftiger. Keine Reaktion. Mit Klöstern schien sie heute kein Glück zu haben.

Auf einer kurvenreichen Straße kehrte sie zurück in die Hauptstadt. Supermärkte, Glücksspielhallen, Raceland, Bikecenter … Sie bog auf eine Nebenstraße ab.

Von dem Wohlstand der Insel war bald nicht mehr viel zu bemerken. Eher verwahrlost wirkende Orte, unbebaute Felder, dazwischen unfertige Neubauten. Wahrscheinlich war den Besitzern das Geld ausgegangen.

An der Küste angekommen, nahm sie die Straße zum Leuchtturm am Kap Armenistis. Sie kam vorbei an hübschen, einsamen Buchten, die sich jedoch zu nahe am Neuen Hafen befanden, wo die Kreuzfahrtschiffe ankerten und das Wasser daher nicht sehr sauber war.

Als sie sich unterhalb des Leuchtturms einparkte und ein paar Schritte den Hügel hinaufspazierte, fühlte sie sich wieder versöhnt mit Mykonos. Der Wind spielte mit ihrem langen Haar, die Luft war klar und frisch. Sie war der einzige Mensch weit und breit.

Vor dem Leuchtturm setzte sie sich auf einen Stein, ließ ihre Blicke über die Inseln zu ihren Füßen schweifen. Sie sahen aus wie Mondlandschaften. Keine Häuser, nur Wasser, Gestein und Stille, abgesehen vom Pfeifen des Windes. Laura empfand plötzlich ein Gefühl von Freiheit.

Nach einer halben Stunde tauchten die ersten Touristen auf. Sie ging zu Theos Wagen, fuhr den ganzen Weg vom Kap Armenistis zurück nach Mykonos-Stadt und weiter auf die gegenüberliegende Seite der nordwestlichen Landzunge. Den Stausee Marathi ließ sie rechts liegen.

Die Straße endete an der Agios Sostis Beach. Ein netter Strand, weniger touristisch als die Pánormos Beach, an der sie gerade vorbeigekommen war. Dennoch entschied sie sich dafür, umzukehren und zur Ftelia Beach zu fahren. Nicht wegen der archäologischen Fundstätte, sondern weil sie schwimmen gehen wollte und es am Beginn der Bucht sicher weniger windig war als hier.

Tatsächlich war in Ftelia von dem starken Wind, der am Kap geweht hatte, kaum etwas zu spüren. Weit draußen waren die bunten Segel einiger Windsurfer zu sehen. Im Wasser tummelten sich ein paar Jungs. Auch sie waren weit weg. Auf einem flachen Felsen im Meer hatte sich eine Möwenkolonie angesiedelt. Die strahlend weißen Tupfen passten perfekt in diese Idylle. Dank der neolithischen Siedlung, deren Überreste in der Mitte des Strandes standen, war diese Bucht nicht verbaut worden. Die Wellblechdächer, mit denen die Archäologen die Ausgrabungsstätte geschützt hatten, waren verrostet und zum Teil von Stürmen zerstört worden. Das türkisfarbene Wasser war kristallklar. Nur der Plastikmüll störte sie.

Sie sammelte einige Mineralwasserflaschen ein, brachte sie zu einem Müllcontainer an der Straße. Dann schickte sie Alexander ein SMS.

***

Beschwingt durch Lauras SMS und durch die wundervolle Stimme von Maria Farantouri, die aus dem Autoradio erklang, fuhr Alexander zum Strand von Ftelia.

Die Gegend wurde bald einsamer. Karges Land. Steinig und ausgedörrt. Braun die Felder, bereits jetzt im Frühling. Vereinzelt Betonruinen, aus denen hässliche verrostete Eisenstangen in den Himmel ragten.

Er hatte Durst, die Flasche Perrier hatte er an der Super Paradise Beach vergessen. Obwohl er an Hitze gewöhnt war, wurde ihm schwindlig. Der Horizont verschwamm zu einem zittrigen Gebilde aus Dunst und Wellen. Wieder fiel ihm eines der Gedichte ein, das sein Vater ihm vorgelesen hatte, nachdem er von Makronissos zurückgekehrt war.

„(…) Und das Meer der Ägäis war blau wie immer,

sehr blau, nur blau.

Ach ja, wir sprachen einmal von der Ägäis-Poesie,

von der nackten Brust der Nixe, auf die ein Anker gestickt war,

vom Licht des Meeres, das Gardinen für die Möwen häkelt. –

300 Ermordete.“

Als Alexander sich der Küste näherte, kamen mehrere Häuser in Sicht. Diese den alten Inselhäusern nachempfundenen Neubauten waren von hohen Mauern umgeben und wirkten nicht sehr einladend.

Auf dem staubigen Parkplatz vor der Bucht gab es kaum Schatten. Er ließ den Suzuki in der prallen Sonne stehen und ging zum Meer.

Der langgestreckte, elegant geschwungene Sandstrand war fast menschenleer. Er entdeckte Laura sofort. Ihr hellblondes Haar schimmerte im Sonnenlicht.

Sie saß mit ausgestreckten Beinen auf einer Felsplatte, ihre Arme hatte sie um ihre Brust geschlungen. In ihrem grünen Bikini erinnerte sie ihn an eine Nixe. Er rief ihren Namen.

Sie zuckte zusammen, drehte sich um. Als sie aufstand, schlang sie den Pareo, auf dem sie gesessen war, um ihren Körper. Die vielen Narben unter ihrer Brust und auf den Armen und Beinen waren ihm nicht entgangen, obwohl er sie nur ein paar Sekunden lang aus der Nähe gesehen hatte.

„So schnell habe ich Sie nicht erwartet“, sagte sie.

„Ich bin geflogen wie Ikarus“, scherzte er.

„Verbrennen Sie sich nur nicht Ihre Flügel!“, konterte sie. „Ist diese Bucht nicht wunderschön?“

„Sie sind wunderschön.“ Ihm war bewusst, dass sein Kompliment etwas plump klang. Auf die Schnelle war ihm keine bessere Formulierung auf Deutsch eingefallen.

„Und Sie sind ein Charmeur. Ich werde nicht auf Ihren Charme reinfallen, das garantiere ich Ihnen. In Österreich trage ich übrigens meistens einen hochgeschlossenen Badeanzug, damit man meine Narben nicht sieht. Hier in Griechenland sind mir meine Narben komischerweise fast egal.“

Er ging nicht auf ihre Worte ein, fragte, ob sie mit ihm schwimmen gehen möchte.

„Später, ich war gerade im Wasser.“ Sie setzte sich wieder hin.

Alexander entledigte sich seiner Kleidung. Sie schaute weg, beobachtete ihn jedoch aus den Augenwinkeln. Verdammt gut gebaut, dachte sie, als er sich in seiner knappen schwarzen Badehose neben ihr niederließ.

Er bot ihr eine Zigarette an. Sie lehnte ab.

Er rauchte und schwieg.

Nachdem sie einige Minuten auf das friedliche Meer geschaut hatten, brach sie das Schweigen: „Ich hatte vor einigen Jahren einen grauenhaften Unfall. Mein Mann ist dabei ums Leben gekommen. Ich habe überlebt. Die Narben sind geblieben.“

Sie war also Witwe. Alexander hatte gedacht, sie wäre bestenfalls geschieden, nachdem sie ihm auf der Fähre von ihrem Neubeginn auf Samos erzählt hatte. Er ließ sich seine Erleichterung nicht anmerken.

Seine Neugier war jedoch geweckt. Er wollte mehr über den Unfall wissen, traute sich aber nicht nachzufragen, denn sie starrte weiterhin aufs Wasser.

„Möchten Sie mir von dem Unfall erzählen?“, fragte er schließlich doch.

Sie machte eine undefinierbare Handbewegung. „Ein Unfall halt. Ich hatte einige Verbrennungen. Vor allem im Gesicht und am Oberkörper. Mein heutiges Aussehen verdanke ich zum Großteil einem geschickten Schönheitschirurgen.“

Mit halb geschlossenen Lidern betrachtete er sie von der Seite. Ihr Rücken war von dem Feuer relativ verschont geblieben. Nur unter den Schulterblättern bemerkte er dunklere Stellen, die wie Striemen von Peitschenschlägen aussahen.

„Ihre Schultern sind leicht gerötet. Soll ich Sie eincremen?“

„Das kann ich …“ Sie überlegte es sich anders, sagte: „Ja bitte“ und reichte ihm eine Flasche Sonnenöl.

Während er das Öl mit sanften Bewegungen über ihren Rücken verteilte, fühlte sie sich erregt. Rasch steckte sie sich das Haar mit einer Spange hoch.

Zärtlich strich er mit seinen feingliedrigen Fingern über ihren Nacken. Bevor sie zu stöhnen beginnen würde, begann sie lieber zu reden, sprach darüber, wie angenehm es für sie als über vierzigjährige Frau sei, sich hier halbnackt bewegen zu können. „Kein Mensch gafft mich an. Keine abschätzigen Blicke wie bei uns in Österreich, wo einen die Leute, vor allem am Land, oft anglotzen, als wäre man ein Wesen von einem anderen Stern, wenn man nicht genauso schlecht gekleidet ist und genauso doof dreinschaut wie sie selbst.“

„Wenn Sie sich da nur nicht irren“, sagte Alexander. „Auch hier wird man angestarrt. Denken Sie an all die alten Frauen, die jeden Fremden kritisch in Augenschein nehmen.“

„Ich meine vor allem die Männer. Hier sind fast alle schwul.“

„Ich fürchte, Sie irren sich tatsächlich“, widersprach Alexander erneut. „Gerade schwule Männer taxieren die Körper der Frauen. Ihre Ansprüche an Perfektion und ihre Abhängigkeit vom gängigen Schönheitsideal sind noch größer als die von uns Heteros.“

Wahrscheinlich hatte er recht. Schließlich konkurrieren die Schwulen mit uns um die Gunst der Männer, dachte sie und sah Alexander in die Augen.

Er schien der einzige heterosexuelle Mann an diesem Strand zu sein – die Jünglinge, die etwa dreißig Meter entfernt im Wasser plantschten, ignorierte er vollkommen, starrte die ganze Zeit nur auf ihren Busen. Zwar vermutete er, dass sie ihre aufregenden Brüste auch einer der zahlreichen Operationen nach ihrem Unfall zu verdanken hatte, aber das schmälerte nicht seine Bewunderung.

„Wie wäre es mit einer kleinen Abkühlung?“ Sie entledigte sich ihres Pareos und sprang mit dem Kopf voran von der Felsplatte. Er folgte ihr, ohne zu zögern, mit einem mindestens so vollendeten Kopfsprung. Gemeinsam schwammen sie weit hinaus, fast bis zum Felsen der Möwen. Zurück kraulten sie um die Wette.

Als sie aus dem Wasser kamen, zogen sie sich um. Jeder für sich, schamhaft ihre Nacktheit unter ihren Handtüchern verbergend. Aus der Strandbar trug der Wind Soulklänge zu ihnen.

Sie gingen Kaffee trinken, bestellten beide Café Frappé mit wenig Zucker und ohne Milch.

„An sich mag ich keinen Sand, bevorzuge Kiesstrände. Doch dieser Strand ist etwas Besonderes“, sagte Alexander.

„Ich liebe Sandstrände, habe mich deshalb in Samos in der Nähe von Limnionas angesiedelt.“

„Erzählen Sie mir von Samos. Ich kenne diese Insel nicht gut. Wie sind Sie überhaupt auf die Idee gekommen, sich dort niederzulassen?“

„Ich war zu Beginn des neuen Jahrtausends öfter auf Samos. Mein Mann und ich haben dort sogar unsere Flitterwochen verbracht. Nach seinem Tod habe ich unsere gemeinsame Eigentumswohnung in Wien verkauft und seine Lebensversicherung ausbezahlt bekommen. Ich hätte das Geld in mein Geschäft stecken können, aber ich wollte unbedingt weg aus Wien und habe mich an die schöne Zeit, die ich auf Samos verbracht hatte, erinnert. Eines Tages habe ich im Internet einen Olivenhain mit Kalivi gefunden und sofort zugeschlagen. Manchmal kann ich sehr spontan sein. Das Kalivi habe ich dann, wie gesagt, in Windeseile renoviert und gleichzeitig begonnen, ein größeres Haus zu bauen. Ich habe mich in die Arbeit gestürzt, um zu vergessen. Die manuelle Arbeit hat mir gutgetan …“

„Ich bewundere Ihren Mut und Ihre Energie“, warf Alexander ein.

„Da gibt es nichts zu bewundern. Es war ein Akt der Verzweiflung.“

Sie wechselte das Thema und erzählte von ihrem Freund Theo, bei dem sie zu Gast war, erwähnte, dass er finanzielle Probleme hatte.

Alexander nützte seine Chance, bat sie, ihren Freund anzurufen und zu fragen, ob er abends bei ihm vorbeischauen könne.

„Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist. Theo hat sich sehr verändert. Er hat zwar nie durch Bescheidenheit oder gar Understatement geglänzt, doch so frustriert und ekelhaft wie heute war er früher nicht.“

„Vielleicht könnte ich seine Probleme aus der Welt schaffen“, sagte Alexander. Er fühlte sich miserabel, weil er diese wunderbare Frau für seine Zwecke zu benützen versuchte.

Widerwillig griff sie nach ihrem Handy.

Theo war ausnehmend freundlich am Telefon, erklärte sich bereit, den Fremden zu empfangen, nachdem ihm Laura zu verstehen gegeben hatte, dass sie den Mann sympathisch fand. Theo schien bewusst zu sein, dass er nach dem morgendlichen Gespräch, das nicht gerade sehr amikal verlaufen war, bei ihr etwas gutzumachen hatte.

Nach dem Kaffee brachen sie auf. Laura fuhr voran. Alexander folgte ihr, hielt genügend Abstand, damit sie sich ja nicht bedrängt fühlte.

Die Straßen waren auch hier im Nordwesten der Insel in miserablem Zustand. Sie fuhr extrem langsam und vorsichtig. Er nahm an, dass das mit dem Unfall zu tun hatte, über den sie nicht sprechen wollte.

Wellengrab

Подняться наверх