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8.

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Laura platzte mitten in die Siesta. Theo und Philip dürften auf keinen Fall bei ihrer Mittagsruhe gestört werden, teilte ihr der junge Asiate, der ihr geöffnet hatte, mit und brachte sie auf ihr Zimmer.

Das Hotel Flamingo über den Dächern von Mykonos hatte zweiundzwanzig Suiten mit geräumigen Bädern und riesigen Balkonen. Schlaf- und Wohnraum waren durch eine gläserne Schiebetür getrennt. Von der Badewanne aus konnte man durch ein französisches Fenster auf das Meer blicken. Allerdings war man vom Pool und von der Hotelterrasse aus in der Badewanne zu sehen, falls man die Jalousien nicht schloss. Diese Suiten kosteten, soviel sie wusste, vierhundertsechzig Euro pro Nacht.

Als sich Theo eines Sommers in dieses hübsche Fleckchen Erde verliebt hatte, gab er seine Galerie in der Wiener Innenstadt auf und ließ sich hier ein Hotel bauen. Er führte das Flamingo gemeinsam mit seinem griechischen Freund Philip, der ihm zu dem Grundstück verholfen hatte. Theo hatte ein kleines Vermögen für das karge Stück Land hingelegt, das sich im Besitz von Philips Großeltern befunden hatte.

Laura war froh, den beiden nicht sofort gegenübertreten zu müssen. Ihr Flug war sehr früh gegangen, die ganze Reise anstrengend und sehr aufregend gewesen. Sie sehnte sich nach einer Verschnaufpause.

Ohne zu duschen, legte sie sich aufs Bett.

Der charmante Fremde und die menschlichen Leichenteile im schmutzigen Hafenwasser von Piräus geisterten durch ihren Kopf. Sie fühlte sich relativ nüchtern, hatte den ganzen Tag nur ein Glas Wein und zwei Metaxa getrunken, der Alkohol hatte sich bestimmt längst verflüchtigt. Kurz überlegte sie aufzustehen und sich aus der Bar unten einen Schlummertrunk zu holen, war aber zu faul. Sie hoffte, auch ohne Drink in Morpheus’ Arme flüchten zu können.

***

Sie schlief vier Stunden durch. Als sie erwachte, versank die Sonne gerade in der Ägäis.

Theo empfing Laura unten auf der Terrasse wie eine langvermisste Geliebte. Er herzte und küsste sie mehrmals. Auch sie freute sich, den alten Freund wiederzusehen, obwohl sie seinen Gefühlsausbruch übertrieben fand. Aber so war Theo eben. Spontan und liebevoll, andererseits auch ungeduldig und jähzornig. Als sich Philip zu ihnen gesellte, versteifte sich Theo und ließ sie los.

Der junge Grieche umarmte sie ebenfalls stürmisch, fing jedoch zu jammern an, als sie ihn fragte, wie es ihm gehe.

„Halt endlich den Mund. Ich kann dein Gejeier nicht mehr ertragen“, schnauzte Theo seinen Freund an, als dieser begann, Laura all seine Allergien zu schildern.

„Glaub ihm kein Wort. Ja, er ist ständig verschnupft, aber von wegen allergisch, er kokst wie ein Verrückter.“

Sie betrachtete Philip genauer. Er hatte abgenommen, war gertenschlank, fast zu dünn. Die dunklen Schatten unter seinen Augen ließen ihn alt aussehen. Obwohl er fünfzehn Jahre jünger war als Theo, wirkten die beiden fast gleich alt.

„Da redet der Richtige. Ich bin mit einem Alkoholiker verheiratet“, wehrte sich Philip.

„Verheiratet? Habe ich da was verpasst?“, fragte Laura.

„Als wir letztes Jahr ein paar Tage in Kopenhagen waren, haben wir uns vermählt. Ohne großes Tamtam, nur im kleinen Kreis“, murmelte Theo. „War ein Riesenfehler, seither habe ich ein zickiges, ewig greinendes Eheweib am Hals.“

Die Ehekrise der beiden ließ sich beim besten Willen nicht ignorieren.

„Bitte reißt euch zusammen, ihr beiden Streithansl. Mir zuliebe“, bat Laura.

Was ist bloß mit Theo los, fragte sie sich. Er hatte im Gegensatz zu den meisten Menschen, die sie kannte, seine Träume realisiert, lebte in einer Art Paradies und wirkte trotzdem unheimlich frustriert.

„Wir haben dich zum Mittagessen erwartet. Die Fähre hatte wieder einmal eine ordentliche Verspätung, oder?“ Theo erwartete keine Antwort, sondern winkte einen Bediensteten heran. Es war derselbe Mann, der Laura empfangen und auf ihr Zimmer gebracht hatte.

„Worauf hast du Lust? Tintenfisch, Garnelen oder Steak? Ich halte momentan Diät, esse nur Salat, harte Eier und einmal in der Woche ein mageres Steak.“

„Ein Griechischer Salat wäre wunderbar, und gegen ein Steak hätte ich auch nichts einzuwenden.“ Laura hatte seit dem jämmerlichen Sandwich im Flieger noch keinen Bissen gegessen.

Der Bursche brachte eine Flasche Dom Pérignon und einen Kübel voller Eis.

„Oh, là, là. Mir zu Ehren? Das ist lieb von dir“, sagte sie zu Theo.

„Ich muss dich enttäuschen. Den macht er nicht für dich auf. Seit er auf Diät ist, säuft er nur mehr Champagner, Whisky und Gin Tonic“, lästerte Philip.

Theo hatte tatsächlich ziemlich zugelegt. Sein Bauch war nicht zu übersehen, obwohl er ein langes weitgeschnittenes Hawaiihemd über seinen hellblauen Jeans trug. Er war nicht sehr groß und wirkte eher gedrungen. Mittlerweile hatte er richtige Hamsterbacken. Außerdem hatte er sich einen Vollbart zugelegt. Ein bisschen erinnerte er sie an einen Waldschrat oder einen von den sieben Zwergen. Seine schmalen Augen wirkten winzig in dem runden Gesicht. In Gedanken verglich sie ihn mit dem schlanken, sportlich-elegant gekleideten Mann, den sie auf der Fähre kennengelernt hatte. Alexander und Theo waren ungefähr im gleichen Alter. Fit und dynamisch der eine, schlapp und fertig der andere.

Auch Philip war in ihren Augen unmöglich angezogen. Seine dünnen langen Beine steckten in hautengen weißen Röhrenjeans, und sein rosafarbenes mit Comics bedrucktes T-Shirt hätte wohl besser einem kleinen Jungen als einem fünfunddreißigjährigen Mann gepasst. Außerdem trug er eine lange schwere Kette mit bunten Steinen um den Hals. Mehrere Armreifen und Armbänder baumelten an seinen Handgelenken. Alles farblich völlig unpassend in ihren Augen.

Als das Essen kam, befahl Theo dem Boy, eine zweite Flasche Champagner zu bringen.

***

Philip stocherte in dem köstlichen Salat nur herum, pickte sich die Tomaten heraus, den Rest ließ er stehen. Theo rührte seinen Salat erst gar nicht an, hielt sich lieber an das Weißbrot. Laura aß mit großem Appetit.

Eigentlich wollte sie ihren Freunden von dem schrecklichen Unfall auf der Fähre erzählen, aber sie kam nicht zu Wort. Während sie sich dem saftigen Steak widmete, begann Theo zu reden.

„Das Hotel ist momentan fast leer. Ich habe einige Suiten über den Winter renovieren lassen und will erst zu Pfingsten, also nächstes Wochenende, wiedereröffnen. Ein Paar aus Amsterdam auf Hochzeitsreise, sie sind seit Jahren Stammgäste, habe ich nicht abweisen können …“

„Freunde von mir“, warf Philip trotzig ein.

Laura war erst einmal im Flamingo abgestiegen, vor sechs Jahren zur Eröffnung des Hotels. Es war die letzte gemeinsame Reise mit ihrem Mann gewesen. Auch andere Freunde aus Wien waren übers Wochenende angereist. Von der Insel hatte sie damals nicht viel gesehen, nur den fantastischen Blick von Theos Hotelterrasse aus genossen.

„Du bist zu früh dran. Jetzt ist noch nicht viel los. In den Sommermonaten herrscht aber nach wie vor ausgelassene Partystimmung“, sagte Theo. „Mykonos gilt als die Partyinsel Griechenlands. In den Clubs und Diskotheken um den Hafen und in der Xenias-Straße, etwas außerhalb hinter den Windmühlen, legen die berühmtesten DJs der Welt auf. Die Szene wandert von einer Bar zur nächsten. Es wird getanzt bis in die frühen Morgenstunden. Tagsüber wird geschlafen, am späten Nachmittag ein bisschen gebadet. Und am nächsten Abend beginnt das Ritual von Neuem.“

„Und du denkst, darauf wäre ich scharf?“

Wie lange kannten Theo und sie sich? Mindestens zwanzig Jahre. Er hatte zu ihrer Clique an der Kunsthochschule in Wien gehört, obwohl er einige Jahre älter war als die meisten ihrer Studienkollegen. Schon damals hatte er begonnen mit Kunst zu handeln und so manch jungen unbekannten Maler mit seinen Ankäufen über Wasser gehalten. Theo war immer sehr großzügig und vor allem ein perfekter Gastgeber gewesen. In seiner riesigen Altbauwohnung in der Bäckerstraße, die er von seinen Eltern geerbt hatte, veranstaltete er die ausgelassensten Künstlerfeste der Stadt. Doch die emotionalen Bedürfnisse anderer Menschen hatten ihn nie besonders interessiert.

„Der ganze Trubel hat mit Aristoteles Onassis begonnen“, fuhr er fort. „In seinem Schlepptau sind in den Fünfzigerjahren die Yachten vieler reicher Athener die Insel angelaufen. Einer der Strände ist sogar nach Jackie Kennedy Onassis benannt worden. Die berühmte Hollywoodschauspielerin Elizabeth Taylor soll sogar eine heimliche Affäre mit einem Tavernenbesitzer auf Mykonos gehabt haben …“

Im Gegensatz zu Theo interessierte sich Laura nicht besonders für Klatsch und Tratsch über Promis.

Er schien zu merken, dass sie ihm nicht mehr zuhörte. „Glamour hält nicht ewig an“, sagte er etwas lauter. „In den Achtzigern und Neunzigern ist die High Society eher ferngeblieben. Krethi und Plethi sind, gemeinsam mit Rucksacktouristen, in Chartermaschinen angerückt und haben die rund zweihundert Strände besetzt. Zum Glück für Mykonos haben sich aber viele Homosexuelle für den Zauber unserer Insel begeistern können. Die Gay-Community hat die einsamen Berghänge und Küsten mit schicken Hotels, avantgardistisch gestalteten Lounges, Designerläden und Privatvillen besiedelt. Fast alle haben die für die Kykladen typische Architektur nachgeahmt. Überall findest du die weißen Häuser mit Flachdächern, farbigen Holztüren und blauen Fenstern sowie mit Blumen geschmückte Balkone. Ich habe es ja genauso gemacht. Jeder hat sich bemüht, die neuen Bauten den typischen Inselhäusern nachzuempfinden.“

„Die Häuser in der Altstadt sehen, zumindest von hier oben, sehr traditionell aus.“

„Das täuscht. Auch unten in der Chora ist fast alles Fake-Architektur. Viele der Häuser sind neu, selbst wenn sie alt aussehen. Auch die Auffangbecken. Auf den Flachdächern der Häuser hat man früher das Regenwasser gesammelt. Durch eine Öffnung ist es in eine Zisterne neben dem Haus geronnen. Wir haben auch so ein Becken. Ich war ja immer schon ein großer Anhänger der ökologischen Bewegung.“ Beifallsheischend sah er Laura an.

„Bravo“, sagte sie und klatschte gelangweilt in die Hände.

Er fühlte sich zu Recht verarscht. „Wir gießen mit dem Regenwasser die Pflanzen rund um das Hotel“, beteuerte er.

„Wir gießen“, spottete Philip und begann zu kichern. „Der kleine, dicke Theo und seine Gießkanne …“

Theo holte aus, wollte seinem Mann eine Ohrfeige versetzen. Philip hielt die Hände schützend vors Gesicht, kicherte aber weiter.

Da Laura Angst hatte, Theo würde tatsächlich zuschlagen, schritt sie ein. „Schluss jetzt, ihr beiden! Das ist ja ein schöner Empfang. Ich werde meine Sachen packen und mir ein Hotel unten in der Stadt suchen.“

„Viel Glück!“, murmelte Theo, stand auf und holte sich eine Flasche Whisky.

Laura lehnte ab, als er ihr einschenken wollte. „Hast du keinen Wodka?“

„Ach ja, du und dein Mann seid ja immer scharf auf diesen billigen Fusel gewesen. Wie hat das Zeug noch einmal geheißen? Stolichnaya? So was habe ich nicht im Haus. Aber ich kann dir mit einem ausgezeichneten Grey Goose dienen.“

Er rief nach dem Boy. Der schien ihn nicht zu hören.

„Alles muss man hier selber machen“, schimpfte er und ging noch einmal ins Haus.

„Er ist total kaputt, deswegen verzeihe ich ihm immer wieder“, sagte Philip leise zu Laura. „Wir können das Hotel nicht mehr lange halten, müssen unbedingt verkaufen. Unsere Schulden bei der Bank sind exorbitant. Er hat sich mit dem ganzen Projekt total übernommen.“

„Wer hat sich übernommen?“, schrie Theo und schwang die Wodkaflasche wie eine Keule über seinem Kopf.

Bevor er mit der Flasche auf Philip losgehen würde, riss Laura sie ihm aus der Hand, schenkte sich ein und trank ex. Das Glas warf sie schwungvoll über ihre Schulter.

Das leise Klirren, als es auf den Marmorfliesen zerbarst, und Theos verblüffter Gesichtsausdruck bereiteten ihr Genugtuung. „Gute Nacht, ihr Lieben! Schlagt euch von mir aus die Köpfe ein. Ich will euch dabei nicht zusehen.“ Sie schnappte sich die Wodkaflasche und begab sich auf ihr Zimmer.

***

Angezogen warf sich Laura aufs Bett und nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche. An diesem verkorksten Abend hatte sie öfters an die unzähligen Streitereien mit Lorenz, ihrem verstorbenen Mann, denken müssen. Auch dabei war meist jede Menge Alkohol geflossen.

Sie sehnte sich nach einer Amnesie, wollte, dass der Alkohol alles ausradierte, was passiert war, wollte vor allem die Erinnerung an den schrecklichen Unfall für immer löschen. Doch sie wusste aus Erfahrung, dass ihre Dämonen nie ganz verschwinden würden, egal wie viel sie trank.

Der Schlaf, dieser treulose Freund, wollte sich nicht einstellen. Vielleicht weil sie nachmittags so lange geschlafen hatte?

Theo würde sicher Schlaftabletten im Haus haben. Seit dem Unfall hatte sie keine mehr genommen. Wenn sie jetzt etwas dabeigehabt hätte, wäre sie in dieser Nacht rückfällig geworden. Der Wodka muss genügen, dachte sie und trank weiter.

Kaum hatte sie das Licht abgedreht, vernahm sie ein verdächtiges Geräusch.

„Scheiße“, schimpfte sie und machte sich auf die Jagd.

Nachdem sie zwei Gelsen gekillt hatte, schloss sie das Badezimmerfenster und schaltete die Klimaanlage ein. Jetzt hörte sie wenigstens das grässliche Surren nicht mehr. Bestimmt hatte sie nicht alle Biester erwischt. Morgen würde sie aussehen, als hätte sie die Masern oder die Windpocken. Wenigstens die Gelsen lieben mich, dachte sie im Halbschlaf. Wahrscheinlich sind Gelsen lesbisch …

Wellengrab

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