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Inhaltsverzeichnis

Das Stift feierte eines der hohen katholischen Kirchenfeste, und wie stets bei solchen Gelegenheiten, bot die große prachtvolle Stiftskirche den Mittelpunkt und Versammlungsort für die Andächtigen der ganzen Umgegend.

Die weiten Hallen der Kirche vermochten kaum die herbeigeströmte Menge zu fassen, die sich dort Kopf an Kopf drängte. Der Prälat, unter Assistenz der gesammten Geistlichkeit seines Stiftes, hielt heute selbst das Hochamt, mit all dem kirchlichen Pomp und Glanz, der dem hohen Festtage ziemte. Von draußen her fiel der helle Sonnenschein durch die hohen Bogenfenster und die prachtvollen Glasmalereien warfen purpurfarbene und tiefblaue Lichter auf den Marmorboden. Vom Chore hernieder rauschte die Musik in vollen mächtigen Accorden, und der Gesang wehte an den hohen Wölbungen hin, dazwischen knisterte leise die schwere Seide der Kirchenfahnen, im Hintergrunde aber flammte der Hochaltar, von hundertfachem Kerzenglanze umstrahlt, von Weihrauchwolken umzogen, überragt von dem Bilde des Gekreuzigten und umgeben von der Priesterschaar, ein unnahbares, gottgeweihtes Heiligthum.

Auf seinen Stufen stehend vollzog der Prälat die heilige Handlung. Und wahrlich, hier war der Ort, wo seine Erscheinung zur vollsten Geltung kam, es lag etwas Erhabenes in der stolzen feierlichen Würde, mit der er die vorgeschriebenen Ceremonien verrichtete. Jetzt hob er die Monstranz, und auf die Kniee nieder stürzte Hoch und Niedrig und beugte demuthsvoll das Haupt zur Erde, nur die Priester standen aufrecht da und blickten nieder auf die knieende Menge, die sich vor dem Allerheiligsten beugte, es sah fast aus, als beugte sie sich jenen allein.

Unmittelbar an der Seite des Prälaten befand sich Benedict; auch er trug heut’ nicht das schwarze Ordensgewand, sondern war, wie alle Uebrigen, im vollen priesterlichen Ornate. Die kostbaren, reichgestickten und golddurchwirkten Gewänder hoben seine Erscheinung mächtig und wirkungsvoll, und sie verlor nichts durch die Blässe der Züge, die unter dem dunkeln Lockenhaar hervorleuchtete; manches Auge aus den Reihen der Andächtigen hing an dem jungen Priester, mancher Blick heftete sich bewundernd auf ihn, er aber sah kalt und unbewegt auf die Menge, die Ceremonie, bei der auch er betheiligt war, schien ihn allein zu beschäftigen.

Und doch waren seine Gedanken weit weg von dem Hochamt und dem geweihten Raume, sie suchten fern eine stille Waldeseinsamkeit; lauter rauschte die Musik vom Chore hernieder, dichter stieg der Weihrauch vom Altare empor, aber mitten in den jubelnden Tönen klang das leise träumerische Rieseln einer Quelle, aus den Weihrauchwolken hervor dämmerte ein rosiges Kinderantlitz mit langen braunen Locken, und ein Paar große blaue Augen blickten ihn bestürzt und thränenvoll an – die Lippen des Priesters zuckten, er rang sich gewaltsam los von diesen Bildern, die ihn Tag und Nacht umdrängten, die ihm selbst hier am Altar keine Ruhe mehr ließen, er war ja ein Mönch, und jene Bilder waren ein Verbrechen!

Die übrigen Geistlichen schienen es weniger gewissenhaft mit der Heiligkeit des Ortes und der Stunde zu nehmen, die lange Gewohnheit hatte sie abgestumpft dagegen. Zwar bewahrten auch sie die volle äußere Würde, aber als die Musik nun wieder mit vollster Macht einsetzend all die leiseren Töne verschlang, und die jetzt folgenden Ceremonien ihre Aufmerksamkeit nicht mehr so ausschließlich in Anspruch nahmen, da bewegte sich manche Lippe, und leise, fast unhörbar flog Rede und Gegenrede zum Nachbar hinüber und wieder herüber, die hochwürdigen Herren waren längst an diese Art der Unterhaltung gewöhnt, von der man freilich in der Kirche nichts bemerkte.

„Der Benedict sieht heute prachtvoll aus!“ flüsterte Pater Eusebius dem Prior zu, der an seiner Seite stand „Im einfachen schwarzen Talar sollte man nicht glauben, daß er sich so ausnehmen könnte. Das ist eine Erscheinung, die unserm ganzen Stifte Ehre macht!“

„Einer Uniform würde er noch mehr Ehre machen!“ gab der Prior boshaft, aber ebenso leise zurück, während sein Blick nach dem Betstuhl der Rhaneck’schen Familie hinüberflog, wo neben den Epauletten des Grafen die seines Sohnes glänzten.

„Warum nicht gar!“ murmelte Eusebius.

„Und sieh nur, wie Graf Rhaneck zu ihm hinüberblickt; mir scheint, er sieht von der ganzen hochwürdigen Assistenz nur den Einen! Aber seltsam ernst und finster ist heute das Gesicht des Grafen, findest Du nicht?“

Das widrige Lächeln zuckte wieder um den Mund des Priors, während er zugleich in vorgeschriebener Weise den Kopf tief herabbeugte und die Hände ineinander legte.

„Seine gräfliche Gnaden zögen es vielleicht vor, Pater Benedict als Majoratserben an seiner Rechten zu haben, und dafür den Grafen Ottfried am Altare zu sehen. Wer weiß es!“

„Thorheit!“ flüsterte Eusebius, die Bewegung des Priors nachahmend, „glaubst Du etwa auch gewissen dunklen Gerüchten?“

„Ich glaube nur meinen eignen Augen und die sehen ziemlich scharf. Hüte Dich übrigens, daß jene Gerüchte Benedict nicht zu Ohren kommen, er ist schon hochmüthig genug, und wenn –“

Die laute volltönende Stimme des Prälaten unterbrach ihn, er sprach die Worte des Segens, die beiden Priester schwiegen, Todtenstille legte sich über die ganze Versammlung.

Das Hochamt war zu Ende, die Menge drängte nach den Kirchthüren und auch die vornehmeren Zuhörer erhoben sich aus ihren Stühlen, während der Prälat mit seiner Geistlichkeit sich zurückzog. In der gleichfalls leeren Sacristei lehnte Benedict am Fenster, er trug noch die kirchlichen Gewänder und schien gar nicht daran zu denken, daß er sie ablegen mußte. Den Kopf in die Hand gestützt, blickte er hinaus in die sonnige Welt da draußen, nach den Bergen hinüber, die in voller Majestät dort in der Ferne aufstiegen; da ward eine der Seitenthüren geöffnet und der Prior trat ein.

„Wie, Pater Benedict, noch im vollen Ornate?“ fragte er scharf. „Die Messe ist längst vorüber, warum legen Sie die Gewänder nicht ab?“

„Ich hatte es vergessen. Ich werde sogleich –“ Benedict wollte sich entfernen, doch der Prior hielt ihn zurück.

„Sie haben vorhin den Herrn Prälaten um eine Unterredung ersucht?“

„Ja!“

„Und das gerade heut an diesem vielbeschäftigten Tage? Ihr Anliegen scheint sehr dringender Art zu sein.“

„Interessirt Sie das, Hochwürden?“ fragte der junge Priester ruhig.

Der Prior sah mit der ganzen hochmüthigen Ueberlegenheit des Vorgesetzten auf Benedict nieder. „Sie scheinen zu vergessen, daß ich das vermittelnde Glied zwischen dem Abte und den Klostergeistlichen bin,“ sagte er streng. „Es ist durchaus unstatthaft, daß man sich mit Umgehung meiner Person direct an Seine Gnaden wendet.“

„Ich habe die Regel nicht als ein Gebot angesehen!“ erklärte Benedict noch immer gelassen; „auch scheint der Herr Prälat es nicht so aufzufassen, da er meine Bitte sofort gewährte. Euer Hochwürden mögen übrigens wegen der Audienz unbesorgt sein, sie betrifft nur meine Privatangelegenheit und nicht etwa – andere Dinge.“

Der Ton der letzten Worte war so eigenthümlich, daß der Prior aufmerksam wurde. „Was meinen Sie damit?“ fragte er noch strenger; aber ein schneller stechender Blick traf dabei die Züge des jungen Mönches.

„Ich meine gewisse Klosterangelegenheiten, zum Beispiel die Auskunft über den Verbleib eines Theiles der Stiftsgelder, die der Herr Prälat dringend wünscht und die er nicht erhalten kann, weil der Rentmeister die Bücher in einer unverantwortlich nachlässigen Weise geführt hat.“

Ueber das Gesicht des Priors flog ein plötzliches Erbleichen, seine stechenden Augen hefteten sich jetzt lauernd auf Benedict.

„Und wären Sie vielleicht im Stande, ihm diese Auskunft zu geben?“

„Die Auskunft selbst nicht, wohl aber einen Wink, wo sie zu erlangen wäre. Hochwürden werden sich erinnern, daß der Rentmeister kurz vor seiner Entlassung plötzlich schwer erkrankte. Sie, sein ausschließlicher Gewissensrath, waren gerade abwesend, und so rief man mich zur Beichte.“

Die Blässe auf dem Gesichte des Priors war fahler geworden. „Ah so! Er hat Ihnen Geständnisse gemacht?“

„Genannt hat er Niemanden!“ sagte Benedict kalt. „Der Mann ist zu gut geschult, und ich mochte nicht noch mit weiteren Fragen in den Schwerkranken dringen, sein Zustand war ohnehin gefährlich genug. Ich habe aber bei der Gelegenheit den Eindruck empfangen, daß der Rentmeister nur das Werkzeug in fremder Hand war und die fehlenden Gelder nicht in seinem Interesse verwendet sind. Ich bin überzeugt, wenn der Prälat mit der vollen Macht seiner Persönlichkeit einen Druck auf ihn übte, so wäre es nicht schwer, umfassende Geständnisse von ihm zu erlangen.“

„Da haben Sie in der That wichtige Entdeckungen gemacht!“ Der Prior vermochte es doch nicht, das Auge seines jungen Untergebenen auszuhalten, das fest und drohend auf ihn gerichtet war. Seine Stimme klang heiser, als er schnell hinzu setzte:

„Ich bewundere nur, daß Sie den Herrn Prälaten nicht sogleich davon unterrichtet haben, die Sache ist ja schon wochenlang her.“

„Wenn es mir nicht so sehr widerstrebte, den Angeber zu machen, so hätte ich es gethan. Ich beschloß, die Angelegenheit ruhen zu lassen, als ich sah, daß der Schaden nicht zu ersetzen war, und daß das sofortige energische Einschreiten unseres Abtes das Stiftsvermögen vor weiteren Angriffen sicherstellte. Der Punkt wäre auch heute nicht berührt worden, sähe ich mich nicht zu der Bitte gezwungen, daß Euer Hochwürden endlich einmal mit den kleinlichen Quälereien und endlosen Verfolgungen aufhören mögen, deren Zielpunkt ich seit der ganzen Zeit meines Hierseins bin und zu denen Sie Ihre Macht als mein Vorgesetzter mißbrauchen. Es sind allerdings nur Nadelstiche, aber man kann Jemand zu Tode hetzen mit solchen Nadelstichen, und ich bin jetzt auf den Punkt gekommen, wo ich sie nicht mehr ertragen kann. Ich bitte dringend um Schonung; es giebt Manchen im Kloster, der mehr zu verantworten hat, als ich.“

Wäre Benedict nur etwas weniger stolz und menschenverachtend gewesen, so hätte er den Blick verstanden, der in giftigem, tödtlichem Haß ihm entgegensprühte. In dem Blicke stand sein Verderben; aber der junge Priester wandte sich verachtungsvoll ab und ging, das Ornat wieder mit dem Ordenskleide zu vertauschen – er ahnte doch wohl nicht, wie grenzenlos unvorsichtig er gehandelt und welchen Feind er gereizt hatte.

Der Prior blickte ihm einige Secunden lang stumm nach. „Steht es so?“ murmelte er endlich. „Du wagst es, mir zu drohen? Der Schwachkopf von Rentmeister muß ihm die Augen geöffnet haben; ich werde sorgen, daß er sich nicht noch mehr verräth. – Hüten Sie sich, Herr Pater Benedict! Bisher waren Sie nur unbequem, jetzt fangen Sie an, gefährlich zu werden; es wird Zeit, daß man Sie beseitigt!“

Die große, mit aller Pracht und allem Ueberfluß reichlich versehene Conventstafel, die dem Hochamte folgte, war vorüber. Das Stift liebte es, an solchen Tagen den vollen Glanz seines Reichthums zu entfalten und eine wahrhaft verschwenderische Gastfreundschaft gegen Hoch und Niedrig zu üben. Jetzt war die Tafel aufgehoben, die Gäste hatten sich zum größten Theil bereits entfernt und auch der Prälat hatte sich zurückgezogen, da der weit einfachere Nachmittagsgottesdienst von den untergeordneteren Geistlichen celebrirt ward.

Zur festgesetzten Stunde betrat Benedict die Gemächer des Abtes; aber der Kammerdiener führte ihn nicht dort hinein, sondern in den Garten hinunter, wo der Prälat nach den mancherlei Anstrengungen des Tages sich im Freien erging. Langsam wandelte die hohe Gestalt in den Gängen auf und nieder; auf dem schwarzen Talar blitzten die Diamanten des großen Kreuzes, das er auf der Brust trug, während ein schwarzes Sammetkäppchen die Tonsur und das bereits ergraute, aber noch volle Haupthaar bedeckte. Der weite, reichgepflegte Stiftsgarten mit seinen parkartigen Anlagen war in ebenso großartigem Stile angelegt wie die Abtei selbst, die einem königlichen Schlosse keine Schande gemacht hätte. Es gab überhaupt nur wenige Schlösser im Lande, die sich mit ihr messen konnten, und es lag auch etwas von beinahe königlichem Bewußtsein in der Haltung des Prälaten. Der ehemalige Graf Rhaneck hatte wahrlich keine Erniedrigung gewählt, als er sein Leben der Kirche weihte; selbst die Ehren und Güter seines Bruders, des jetzigen Majoratsherrn, reichten nicht an die Machtvollkommenheit und an das souveraine Bewußtsein des Abtes, der sich als unumschränkter Herr und Herrscher fühlte auf dem Boden, wo er stand.

Nicht Jeder ist empfänglich für Eindrücke, wie sie der Prälat in diesem Moment augenscheinlich empfand. Zum mindesten schien es Benedict nicht zu sein, obgleich man gerade ihm die Macht und den Glanz einer solchen Stellung von jeher als Zielpunkt seiner Laufbahn gezeigt hatte. War vielleicht die Zeit schon vorüber, wo Ehrgeiz und Schwärmerei ihm dies Ziel begehrenswerth erscheinen ließen – er blickte so kalt und unbewegt auf die stolze Umgebung und auf seinen Abt, wie am heutigen Morgen auf die Menge, die knieend vor ihm niedersank, um seinen Segen zu erbitten.

Der Prälat schien heute sehr gnädig; er winkte den jungen, in ehrfurchtsvoller Haltung vor ihm stehenden Mönch an seine Seite und setzte langsam den Weg mit ihm fort.

„Sie haben eine Unterredung mit mir gewünscht, Pater Benedict. Betrifft es irgend ein Anliegen? Ich bin bereit, Sie zu hören!“

„Ich habe eine Bitte an Sie, Hochwürdigster!“

Der Prälat sah mit einer leichten Befremdung auf; es war das erste Mal, daß eine Bitte aus diesem Munde kam, der sich stets nur zu den nothwendigsten Antworten öffnete und sonst immer in stummem Gehorchen schwieg.

„Nun, so reden Sie!“

„Der Herr Pfarrer Clemens war vor einigen Wochen hier, um eine zeitweilige Unterstützung in seiner Seelsorge zu erbitten, die er bei zunehmendem Alter und Kränklichkeit nicht mehr allein verwalten kann. Noch ist nichts darüber bestimmt, wer die bereits bewilligte Aushülfe zu leisten hat –“

„Nein! Ich habe mir die Entscheidung noch vorbehalten.“

„So bitte ich, mir dies Amt zu übertragen.“

Der Prälat blieb plötzlich stehen: „Ihnen? Weshalb? Aus welchem Grunde?“

Benedict sah zu Boden; er konnte es nicht hindern, daß ihm unter den forschenden Blicken die helle Flamme in’s Antlitz schlug.

„Ich – ich sehne mich nach Thätigkeit. Das Leben im Stifte bietet mir wenig Gelegenheit dazu, da ich als der Jüngste meist von den priesterlichen Verrichtungen ausgeschlossen werde, und die Klosterregel läßt mir so viel Zeit übrig –“

„Die Sie doch gerade am besten auszufüllen wissen!“ unterbrach ihn der Prälat. „Das Studium beschäftigt Sie ja Tag und Nacht. Haben Sie auf einmal den Geschmack daran verloren?“

Benedict gab keine Antwort, aber die Flamme loderte noch immer auf seiner Stirn. Er konnte und durfte ja den Grund nicht sagen, der ihn das Stift und seine Umgebung fliehen hieß; er fühlte nur, daß er fort mußte, fort um jeden Preis.

„Es ist die elendeste von all’ unseren Stiftspfarren,“ fuhr der Prälat fort. „Sie sind dort hoch oben im Gebirge, abgeschnitten von Welt und Menschheit, nur auf den Verkehr mit einem armseligen Dorfe angewiesen, und müssen auf jeden Umgang, auf jede Bequemlichkeit verzichten, an die Sie hier im Stifte gewöhnt sind, Pfarrer Clemens ist gering dotirt, er wird Ihnen kaum das Nothwendigste gewähren können.“

„Ich bin jung und nicht verweichlicht, auch handelt es sich vorläufig nur um die Aushülfe während einiger Monate, zumal beim Eintritt der rauheren Jahreszeit,“ sagte der junge Priester leise.

„Seltsam!“ Der Blick des Prälaten forschte noch immer in seinen Zügen. „Ich beabsichtigte das Amt vorkommenden Falles als eine Art von Strafe zu dictiren, und dachte wahrlich nicht, daß einer meiner Geistlichen sich dazu drängen würde. Ich werde die Sache in Ueberlegung ziehen!“

Benedict verneigte sich stumm; da er kein Zeichen der Entlassung erhielt, so blieb er an der Seite des Prälaten und schweigend setzten Beide ihren Weg einige Minuten lang fort. Doch der junge Mönch schien noch etwas auf dem Herzen zu haben, er kämpfte augenscheinlich mit sich selber, endlich begann er doch.

„Hochwürdigster!“

„Wünschen Sie noch etwas?“

„Die Frau des Ignaz Lank war heute Morgen bei mir. Ihr Mann ist auf den Tod erkrankt und sehnt sich nach Spendung der heiligen Sacramente, das arme Weib bat und flehte in Todesangst, nur diesmal eine Ausnahme zu machen.“

„Sie haben sie doch mit vollster Strenge zurückgewiesen?“ fragte der Prälat kalt. „Sie wissen, der Mann ist ein Abtrünniger, er hat sich als einer der Ersten der Bewegung angeschlossen, die gegen uns gerichtet ist.“

„Ignaz Lank ist der bravste Bauer weithin in der Runde,“ es bebte eine unterdrückte Bewegung in dem Ton des Sprechenden, „er hat dem Stift stets Ehrfurcht bewiesen und noch kürzlich dem Pater Eusebius das Leben gerettet, als dieser in Gefahr des Ertrinkens kam.“

„Hat er sich bekehrt?“

„Nein!“

„So versagen Sie ihm die Sacramente, und wenn er sterben sollte, verweigern Sie ihm auch den Segen und das Geleit zum Grabe.“

„Hochwürdigster!“

„Pater Benedict, Sie gehorchen und schweigen!“

Benedict schwieg in der That, aber seine Hand ballte sich krampfhaft in den Falten des Talars, dem Auge des Prälaten entging auch diese Bewegung nicht.

„Wie kommt es denn,“ begann er wieder, „daß man sich bei all’ solchen Vorkommnissen immer gerade an Sie wendet? Warum nicht an den Pater Eusebius, warum nicht an die anderen Geistlichen, von denen doch keiner so finster und unzugänglich ist den Leuten gegenüber, als gerade Sie?“

„Vielleicht weil sie trotz alledem fühlen, daß ich der Einzige bin, der hier ein Herz hat!“

Das unvorsichtige Wort war heraus. Dem Prior und jedem Anderen gegenüber hätte es Benedict die schönste Rüge zugezogen, der Prälat blickte gelassen auf ihn nieder, aber es lag Schlimmeres in dem Ton seiner Antwort, als bloße Rüge.

„Nehmen Sie sich vor Ihrem Herzen in Acht, und ich möchte hinzufügen, auch vor Ihrem Kopfe! Das erste ist hier nicht von Nöthen, und der zweite nur da, wo er im Dienste der Kirche gefordert wird. Vergessen Sie nicht, daß Sie dieser unbedingten Gehorsam gelobten, und lehren Sie bei Zeiten Kopf und Herz sich diesem Gelübde beugen, ehe man sie dazu zwingt.“

Benedict erwiderte nichts, was hätte er auch sagen sollen! Der Prälat aber brach plötzlich von dem Gegenstande ab.

„Was die Sache mit dem Pfarrer Clemens betrifft, so habe ich sie mir bereits überlegt und bin geneigt, Ihren Wunsch zu erfüllen. Sie mögen ihm die erbetene Unterstützung leisten, machen Sie sich bereit, übermorgen in das Gebirge abzugehen.“

„Ich danke, Hochwürdigster!“ Der junge Priester wollte sich zurückziehen, als der Prälat plötzlich dicht vor ihn hintrat.

„Ich entlasse Sie damit vorläufig aus meiner Aufsicht und aus der des Klosters überhaupt. Sie kennen die Hoffnungen, die mein Bruder und auch ich auf Ihre Zukunft setzen, Sie sind die jüngste, sind weitaus die bedeutendste Kraft des Stiftes, ich wünschte nicht, daß sie uns verloren ginge. Pater Benedict!“ – er legte schwer die Hand auf dessen Schulter und sah ihm fest in’s Auge, „dort drinnen am Altar haben Sie sich der Kirche zugeschworen mit Leib und Seele, der Eid bindet Sie für Zeit und Ewigkeit. Gedenken Sie dessen, wenn die Versuchung Ihnen nahe tritt, ich lasse Sie gehen, denn ich weiß, daß Sie zu Allem fähig sind, nur nicht zum Meineid!“

Benedict war todtenbleich geworden, aber er hielt den Blick aus. Es geschah selten, daß der Prälat Jemand in solcher Weise lobte, noch seltener, daß er zu Jemand in diesem feierlich mahnenden Tone sprach; der stolze Abt begnügte sich gewöhnlich, Befehle zu ertheilen oder Vergebungen zu strafen, zu Warnungen ließ er sich fast nie herab. Der junge Priester fühlte mitten durch die finstere Drohung hindurch, daß sie mehr bedeutete, als die leutseligste Herablassung gegen Andere, es war darin etwas von der Art, wie man zu Ebenbürtigen spricht.

„Ich weiß, was ich geschworen,“ sagte er dumpf, „und was ich zu halten habe!“

„Es ist gut!“ Der Prälat fiel wieder in seinen gewöhnlichen Ton zurück. „Ich erwarte den Pater Prior und werde ihn von Ihrer veränderten Bestimmung benachrichtigen. Gehen Sie jetzt und halten Sie sich übermorgen zu der Reise bereit.“ –

Benedict hatte erst wenige Minuten den Stiftsgarten verlassen, als der Pater Prior dort eintrat und sich mit viel größerer Demuth und Unterwürfigkeit, als sie seinem Amte zukam, dem hohen Vorgesetzten näherte. In seinem Gesicht stand noch der lauernde Zug, er mochte doch wohl fürchten, daß in der Audienz von „gewissen anderen Dingen“ die Rede gewesen sei, aber seine Besorgniß schwand bald. Der Prälat zeigte sich auch gegen ihn sehr gnädig, redete gleichgültig von einigen Vorkommnissen des Tages, ließ sich über verschiedene Dinge Bericht erstatten und sagte endlich wie beiläufig: „Noch Eins! Pater Benedict wird uns in diesen Tagen verlassen, er geht in’s Gebirge, um auf seinen Wunsch dem Pfarrer Clemens die erbetene Aushülfe in der Seelsorge zu leisten.“

„Auf seinen Wunsch?“ Dem Prior blieb vor Erstaunen das Wort im Munde stecken.

„Sie sind überrascht? Ich war es gleichfalls, der Posten ist nicht danach, daß ihn Jemand wünschen sollte! Haben Sie irgend eine Ahnung, welches der Grund dieser seltsamen Bitte sein könnte?“

„Nicht die geringste! Es müßte denn sein“ – der Prior konnte unmöglich die Gelegenheit vorbeilassen, dem Gehaßten hinterrücks einen Hieb zu versetzen – „es müßte denn sein, daß ihm die strenge Klosterzucht unbequem wäre, und er sich nach einer größeren Freiheit sehnte.“

Der Prälat schüttelte den Kopf. „Das ist’s nicht! Daher stammte nicht die Flamme auf seiner Stirn. Haben Sie bemerkt, daß er sich in letzter Zeit an irgend Jemand näher anschloß, daß er Umgang mit den Familien der Nachbarschaft hatte, vielleicht mit Frauen in Berührung kam?“

„Nein, durchaus nicht. Er sucht auf seinen Spaziergängen geflissentlich die Einsamkeit und betritt nie eine fremde Schwelle, wenn man ihn nicht in seiner priesterlichen Eigenschaft verlangt.“

„Ich kann mich irren,“ sagte der Prälat gedankenvoll. „Möglicherweise will er sich eine neue Art von Pönitenz damit auferlegen, Entsagung genug fordert jene Stellung.“

„Mit der Pönitenzsucht des Paters Benedict ist es schon längst vorbei!“ warf der Prior hämisch ein. „Schon seit Wochen hat er alle die Buß- und Betübungen, denen er sonst so eifrig oblag, völlig aufgegeben. Das nahm alles wie mit einem Schlage ein Ende.“

„Er wird eingesehen haben, daß sie nutzlos und,“ meinte der Prälat kühl, „und er hat Recht, ich tadle gerade das am wenigsten. Sonst haben Sie keine Klage über ihn?“

Der Prior zögerte, gern hätte er seinem Hasse Luft gemacht, aber er wußte zu gut, daß er für jedes seiner Worte einzustehen hatte. Der Prälat war nicht der Mann, ihnen blindlings zu glauben, ohne Untersuchung. „Nein!“ sagte er endlich.

„So mag die Sache vorläufig auf sich beruhen. Benachrichtigen Sie inzwischen den Pfarrer.“

„Hochwürdigster,“ begann der Prior wieder mit seiner kriechenden Demuth. „Es ziemt mir freilich nicht, einen Rath ertheilen zu wollen, wo Reverendissimus bereits entschieden haben, aber diese Bestimmung – ohne dem Pater Benedict nahe treten zu wollen – ich zweifle dennoch an seiner Zuverlässigkeit.“

„Ich habe längst daran gezweifelt!“ sagte der Prälat kalt, „und eben deshalb soll er fort. Hier im Convent hütet er Blick und Wort wohlweislich, weil er weiß, daß jede Miene beobachtet wird; hier ist dieser Verschlossenheit nichts zu entreißen. Wir wollen es einmal mit der Freiheit versuchen, vielleicht zeigt sich da eher, was eigentlich an ihm ist. Selbstverständlich wird für die nöthige Ueberwachung gesorgt. Sie haben doch zuverlässige Leute an jenem Orte?“

„Den Schullehrer, auf den ich mich in jeder Hinsicht verlassen kann. Von dem alten schwachköpfigen Pfarrer Clemens konnte er freilich nicht viel berichten, in Bezug auf Pater Benedict stehe ich dafür, daß uns auch nicht eine Silbe von seinem Thun und Lassen verborgen bleibt.“

„Es ist gut. Instruiren Sie den Mann genau, ich werde persönlich seine Berichte empfangen. Sollte Benedict seine Freiheit mißbrauchen, so nehme ich ihn wieder in strenge Zucht.“

„Wenn es nur dann nicht zu spät ist!“ wagte der Prior zu bemerken. „Das Nachbarstift hat in dieser Beziehung schlimme Erfahrungen mit einem seiner jungen Mönche gemacht, dem eine ähnliche Stellung zur heimlichen Flucht aus dem Orden verhalf.“

„Das Nachbarstift verdankt diese Erfahrung seiner laxen Zucht und der Schwäche seines Prälaten, ich habe meine Mönche besser im Zügel!“

„Aber gerade Benedict –“

„Herr Pater Prior,“ unterbrach ihn der Prälat mit stolzer, beinahe verächtlicher Ueberlegenheit, „wenn Sie es doch mir überlassen wollten, für die Richtigkeit meiner Maßregeln einzustehen. Gerade bei Benedict kann ich das wagen, denn er besitzt etwas, das freilich Sie gewohnt sind immer in den Hintergrund zu stellen, das aber bei solchen Experimenten schwer in’s Gewicht fällt, ein Gewissen. Ihm sind Gelübde und Eidschwur nicht bloße Worte, wie so vielen Anderen, er ist noch Schwärmer genug, ihre ganze Wucht zu empfinden. Der vernichtet sich vielleicht selbst, wenn es zum Aeußersten kommt, oder liefert sich in offenem Trotz in unsere Hände, in feiger heimlicher Flucht wird er uns niemals den Rücken kehren, darauf kenne ich ihn!“

Der Prior verneigte sich unterwürfig, er schluckte die bittere Pille hinunter, die der Prälat mit dem „Gewissen“ auch ihm zu kosten gegeben, im Grunde war es ja sein Vortheil, wenn Benedict auf einige Zeit entfernt ward, er hatte mehr der Form wegen opponirt. –

Der junge Priester stand in seinem Gemach und blickte hinüber, wo aus den Laubkronen der Bäume das Dach des Schlosses von Dobra auftauchte. Ob er sich wirklich eine Pönitenz auferlegte mit dem rasch gefaßten Entschluß? Der Prior hatte Recht: es war längst vorbei mit den früheren Bet- und Bußübungen; den Kopf hatte er zur Noth noch damit betäuben können, als aber das Herz sich zu regen begann, sah er ein, daß „sie nichts mehr nützten“. Der Kampf war ein anderer geworden von dem Tage an, wo er am Rande des Baches liegend zum ersten Male jene rosige kleine Elfengestalt erblickte, freilich leichter war er darum nicht geworden, und jetzt galt es sich ihm mit einem Gewaltstreiche zu entreißen. Benedict setzte energisch das Messer an die Wunde; mochte sie zucken und bluten, gleichviel, wenn er nur den Pfeil mit herauszog. Dort oben im Gebirge war er sicher vor einem erneuten Zusammentreffen und vor der gefährlichen traumhaften Poesie der Waldeinsamkeit, sicher hoffentlich auch vor den Träumen, vor denen er selbst an den Stufen des Altars vergebens Rettung gesucht, denn auch der schützte ihn nicht mehr – da galt es, sich selbst zu helfen!

Herz-Sammelband: Elisabeth Bürstenbinder Liebesromane

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