Читать книгу Herz-Sammelband: Elisabeth Bürstenbinder Liebesromane - Elisabeth Bürstenbinder - Страница 12
9
ОглавлениеMehr als drei Monate waren vergangen, der Sommer hatte Abschied genommen und die Herbststürme brausten rauh und wild über das Gebirge hin. Was nicht jahraus jahrein auf seinen Gütern lebte, machte Anstalt wieder in die Stadt zurückzukehren, und auch auf Schloß Rhaneck traf man Vorbereitungen zur Uebersiedlung der gräflichen Familie in die Residenz; der Graf war ohnehin in der letzten Zeit nicht hier gewesen, schon im vergangenen Monat hatte seine Stellung ihn an die Seite seines Souverains gerufen, von wo er erst jetzt zurückkehrte, nur auf einige Tage, um Gemahlin und Sohn abzuholen.
Er war gleich am Morgen nach seiner Ankunft nach dem Stifte geritten und die Brüder befanden sich wieder im Arbeitszimmer des Prälaten. Wie damals saß der Abt im Lehnstuhl und der Graf stand ihm gegenüber, auf seinen Sessel gestützt, es war dasselbe Gemach mit den dunklen, sammetüberzogenen Möbeln und den schweren purpurrothen Seidenvorhängen, aber es fehlte die Sonnengluth, die damals auf dem Thale ruhte und bis in die geschützten Räume der Abtei drang, es fehlte der Sommerglanz und die Sommerfülle auf der Landschaft draußen, jetzt lag sie düster, nebelumschleiert da und das Gebirge, das einst so duftig blau emporstieg, verschwand heute ganz in den Wolken.
„Nun aber genug von der Politik und der Residenz!“ brach der Graf das eben geführte Gespräch ab. „Ich komme mir Nachrichten über Bruno zu holen. Er ist doch noch in N.? Wie geht es ihm?“
„Er ist gesund!“ erwiderte der Prälat lakonisch.
„Und eifrig in seinem neuen Amte?“
„Sehr eifrig!“
Rhaneck stutzte bei dem Tone. „Was hast Du? Was ist mit Bruno? Soll ich etwa Schlimmes hören?“
„Auf Gutes mache Dich nicht gefaßt.“
Der Graf richtete sich heftig empor. „Nun, was ist’s mit ihm? Ich bitte Dich, rede!“
„Pater Benedict hat all Deine und meine Erwartungen weit hinter sich zurückgelassen!“ sagte der Prälat mit unverkennbarem Hohne. „In den drei Monaten, während welcher er den Pfarrer Clemens vertritt, hat er sich bereits zum Apostel des Gebirges aufgeschwungen und das abgelegene N. zu einem Wallfahrtsorte gemacht, wohin man stunden- und tageweit wandert, und ihn nur zu hören. Er predigt aber auch in der That ganz wundersame Dinge, es bedarf nur noch eines Anstoßes, und unsere Gegenpartei begrüßt ihn als einen der Ihrigen und hebt ihn als solchen auf den Schild.“
„Um Gotteswillen!“ fiel der Graf ihm entsetzt in’s Wort, „und das duldest Du? Warum hast Du ihm nicht Einhalt gethan?“
„Weil ich die Größe der Gefahr verkannte! Für gefährlich hielt ich Benedict immer; daß er mir so schnell, so riesig entwachsen würde, habe ich doch nicht gedacht.“
„Und Du bist nicht eingeschritten?“
„Das Nothwendige ist geschehen,“ sagte der Prälat finster, „aber es ist zu spät geschehen, er hatte Zeit den Zündstoff in’s Volk zu werfen. Ich schonte ihn zu lange, um Deinetwillen und auch um meiner selbst willen, denn ich wollte dem Orden um jeden Preis diese Kraft erhalten. Es ist das erste Mal in meinem Leben, daß ich einen derartigen Fehler beging, er hat sich bitter gerächt.“
„Aber was hat denn Bruno eigentlich begangen?“ fragte der Graf unruhig. „Als ich abreiste, schienst Du ja ganz einverstanden mit seinem Auftreten.“
„Ich war es auch anfangs. Er bestand seine ersten Rednerproben glänzend, etwas zu kühn vielleicht, aber ich hatte es so erwartet und gewünscht. Unsere Art zu predigen hat sich längst überlebt, es nützt nichts mehr, dies starre Festhalten an den alten Traditionen. Wir brauchen mehr als je feurige energische Redner, die es verstehen, sich die jetzige Richtung, vor der das Volk nun einmal nicht mehr zu schützen ist, dienstbar zu machen, um uns in der neuen Zeit die alte Macht zu wahren, und Benedict wäre der Mann dazu gewesen, zumal er die seltene Gabe besitzt, auf die Massen zu wirken und, trotz seiner geistigen Ueberlegenheit, sich in Verständniß mit ihnen zu setzen. Ich sah das mit steigendem Interesse, aber bald ging er zu weit; ich warnte ihn, einmal, zweimal, er ließ sich immer wieder fortreißen; ich beschloß endlich ihn zurückzurufen, denn die Sache wurde mir bedenklich, da kommt er mir zuvor und schleudert am letzten Kirchentage, wo das ganze Gebirge zum alljährlichen Wallfahrtsfeste in N. zusammenströmt, eine Predigt in das Volk, eine Predigt –“ der Prälat ballte unwillkürlich die Hand. „Was hat sich der Tollkopf eigentlich gedacht, als er es wagte, das auf der Kanzel zu sprechen, er mußte doch wissen, daß es ihn in’s Verderben bringt!“
Der Graf entfärbte sich leicht. „Die Rede war – ketzerisch?“
„Schlimmer als das, sie war revolutionär. Die Empörung, die ihm sein Eid verbietet, die predigt er den Anderen, und ich fürchte, es hat bereits gezündet. Die Aelpler da oben sind eine trotzig wilde Race, die wir immer nur mit Noth und Mühe zu zügeln vermochten. Im ewigen Kampf mit ihrer Bergnatur lernen sie den Widerstand gegen Alles, selbst gegen Beichtstuhl und Kirche; der schwachköpfige Clemens hat ihnen allzu viel Willen gelassen, ebenso wie die übrigen Pfarrer, und nun noch dazu ein Lehrmeister wie Benedict – es sollte mich gar nicht wundern, wenn es einmal unter ihnen losbräche, und wenn, während wir hier alle Kräfte anspannen müssen, um die gährenden Elemente niederzuhalten und der immer mehr herandrängenden Bewegung die Stirn zu bieten, sich dort oben der Abfall in Masse vollzieht!“
Der Prälat hatte sich erhoben und schritt in unverkennbarer Erregung im Zimmer auf und nieder, seine ganze Ruhe schien ihn verlassen zu haben, der Graf stützte sich schwer auf den Sessel.
„Und was hast Du hinsichtlich Bruno’s beschlossen?“ fragte er scheinbar gelassen, aber sein Auge folgte unruhig dem auf- und abschreitenden Bruder.
„Ich habe ihm natürlich sofort jedes fernere Predigen untersagt und ihn zur Verantwortung hergerufen. Ich zweifle nicht, daß er gehorchen wird, und erwarte ihn in einigen Tagen; ihn sofort zurück zu fordern, wagte ich nicht, die Bauern hängen mit einer förmlich fanatischen Begeisterung an ihrem Caplan, sie wären im Stande, sich zusammen zu rotten und mit Gewalt zurückzuhalten, ahnten sie, was ihm bevorstände.“
Der Graf zuckte leise zusammen bei den letzten Worten. „Was willst Du thun?“ fragte er gepreßt.
„Was die Ordensregel in diesem Falle befiehlt. Benedict hat das geistliche Gericht herausgefordert, er wird seine ganze Strenge empfinden.“
„Bruder, um Gottes willen, Du wirst doch nicht – ?“
„Was werde ich nicht?“ fragte der Prälat stehen bleibend.
„Meinst Du vielleicht, ich könnte jetzt noch irgend eine Rücksicht walten lassen? Dir freilich ist dieser Bruno von jeher Alles gewesen – Deinen Ottfried hast Du nie geliebt!“
Rhaneck wendete sich ab.
„Daß die, Gräfin Dir keine Neigung einflößte, habe ich begreiflich gefunden,“ fuhr Jener fort; „sie war nicht die Frau, die Dich fesseln konnte, und Du brachtest dem Glanz unseres Hauses ein Opfer mit der Verbindung; daß Du aber für den einzigen Sohn und Erben, den sie Dir schenkte, für Deinen Sohn immer nur diese tödtliche Gleichgültigkeit hattest, das ist’s, was ich Dir zum Vorwurf mache, was ich nicht begreifen kann.“
„Ottfried’s verweichlichte egoistische Natur ist mir nicht sympathisch,“ vertheidigte sich der Graf finster, „er trägt meine Züge, aber er hat auch nicht eine Ader von meinem Temperament in sich.“
Der Prälat trat ihm einen Schritt näher und stützte die Hand auf den Tisch. „Ich weiß, wer Dein Temperament hat, wenn er auch Deine Züge nicht trägt! Nimm Dich in Acht, Ottfried! Dies Temperament stürzte Dich einst in endlose Verirrung, aus der nur meine Hand Dich emporriß, es wird auch sein Verderben! Wenn jene Liebschaft Dich früher –“
„Schweig!“ fuhr Rhaneck heftig und drohend auf, „sprich das Wort nicht aus, Du weißt es, Du am besten, daß es eine Ehe war!“
Der Prälat zuckte verächtlich die Achseln. „Eine Ehe! Zwischen verschiedenen Confessionen, im Auslande geschlossen, ohne Einwilligung des Vaters, ohne die in solchem Falle nöthigen Formalitäten! Die Kirche hat diese protestantische Trauung nie anerkannt, das Gesetz erklärte sie später für nichtig!“
„Gleichviel, ich dulde es nicht, daß Du einen Schatten auf Anna wirfst! Sie ward mein vor dem Altar, mir durchs Priesterhand vermählt. Was wußte das achtzehnjährige Mädchen davon, daß das Gesetz bei uns noch andere Formalitäten verlangte? Was ich später that, gezwungen durch die Verhältnisse, getrieben von Deinem unaufhörlichen Drängen, aufgestachelt durch jenes furchtbare Ereigniß, das fällt nicht auf sie, das – mag mir Gott verzeihen!“
Er preßte leidenschaftlich die Hand gegen die Stirn, der Prälat blickte völlig unbewegt auf ihn hin.
„Du thatest, was der Name und die Ehre unseres Hauses gebieterisch von Dir forderten. Was bei dem jungen unbedeutenden Officier in fremden Diensten eine Thorheit war, das wurde zum Verbrechen, als das Schicksal Dich unerwartet zum Erben und Herrn von Rhaneck machte. Warum wagte es das Bürgermädchen, die Hand nach einer Grafenkrone auszustrecken! Sie ging zu Grunde daran! Ein Glück für Dich, daß sie starb, Du hattest ohnehin genug an dem Kinde.“
„Ich habe es ja nie besitzen dürfen!“ brach der Graf in überwallender Bitterkeit aus. „Du fordertest ja den Knaben sofort für die Kirche, Du übernahmst die Sorge für seine Erziehung, seine Ausbildung, kaum, daß ich ihn hin und wieder einmal sehen durfte!“
„Sollte ich ihn Dir vielleicht lassen, damit Deine wahnsinnige Zärtlichkeit für den Buben aller Welt das Geheimniß verriethe, dessen Schleier schon allzu sehr gelüftet war? Welche Stellung hätte er Deiner Gemahlin, Deinem Sohne gegenüber eingenommen? Die Kirche war der einzige Ort, wo seine Geburt gesühnt werden konnte, die einzige Bahn zu Ansehen und Ehre, die Du nun einmal durchaus für ihn haben wolltest. Du weißt, welche Pläne wir mit ihm hatten! Ist es unsere Schuld, wenn er in seiner Verblendung die Hand zurückstößt, die ihn erbeben wollte, und sich in den Abgrund stürzt?“
„Er hat sich in einem unglücklichen Augenblick hinreißen lassen, er wird sich besinnen, wird umkehren –“
Der Prälat schüttelte den Kopf. „Der kehrt nicht mehr zurück, der ist uns unwiederbringlich verloren! Zu sehr hat er sich verrathen – das ist das alte trotzige Protestantenblut, das uns einst die Reformation schuf und uns durch Jahrhunderte zu schaffen machte, es fließt auch in seinen Adern und es rächt sich jetzt dafür, daß wir es in die Kutte gezwungen haben.“
Er nahm seinen Gang durch das Zimmer wieder auf, Rhaneck folgte ihm und legte wie beschwörend die Hand auf seinen Arm.
„Schone ihn! Noch kannst Du es, denn noch bist Du der alleinige Richter. Schone,“ seine Stimme sank zum Flüstern herab, „mein Blut in ihm, es ist ja auch das Deine.“
„Ich würde Dich nicht schonen, Ottfried, ständest Du mir so gegenüber!“ sagte der Prälat eiskalt. „Du weißt nicht, wie weit er bereits gegangen ist. Da lies,“ er zog rasch aus einer auf dem Schreibtisch liegenden Mappe einige Papiere hervor und hielt sie dem Bruder hin, „hier hast Du seine letzte Predigt Wort für Wort, hier das Verzeichniß der Bücher, in denen er Nachts studirt, der ganze Index ist darauf zu finden!“
Der Graf schob mit einer heftigen Bewegung die Papiere zurück. „Ich sehe wenigstens, daß Ihr ihn hinreichend mit Spionen umgeben habt!“ entgegnete er bitter.
„Traust Du mir im Ernst die Thorheit zu, einen solchen Charakter unbeobachtet zu lassen? Und meinst Du, ich könnte jetzt noch diese Kraft in die Welt hinauslassen, damit sie sich gegen uns wendet? Benedict in den Reihen unserer Gegner ist eine unberechenbare Gefahr: mit seinem Beispiel, mit seiner glühenden Rednergabe wird er Hunderte uns entreißen, er hat den Haß gegen Mönchthum und Kirche auf der hohen Schule studirt – im Kloster selber.“
„Was hast Du vor mit Bruno?“ fragte der Graf in steigender Angst.
Der Prälat lächelte unheimlich. „Lebst Du schon in Todesangst um Deinen Liebling? Beruhige Dich, wir sind nicht mehr im Mittelalter; die Zeit ist vorbei, wo man ungehorsame Mönche einmauerte oder mit der Folter zum Widerrufe zwang, wir müssen der weltlichen Macht jetzt Rechenschaft ablegen über jedes Mitglied unseres Ordens, sie hat uns die Grenzen eng genug gezogen.“
„Ich weiß es,“ sagte Rhaneck düster, „aber ich weiß auch, daß Ihr Mittel genug habt, Eure Opfer dieser weltlichen Macht zu entziehen. Ihr erklärt es einfach für wahnsinnig und laßt es dann aus den Augen der Menschen verschwinden. Der Vorwand deckt ja jede Grausamkeit, jede Körper- und Geistesfolter. Wie viele von denen, die Ihr für wahnsinnig ausgebt, waren es wirklich, wie viele wurden es erst unter Euren Händen? Sprich mir nicht von der Barmherzigkeit der Klöster! Ich frage Dich noch einmal, was willst Du thun?“
Der Prälat sah ihn an, es war ein eisiger, mitleidloser Blick. „Was ich auch über Benedict beschlossen habe, Du wirst mich an Nichts hindern. Du begabst Dich Deiner Rechte auf ihn, als Du ihn der Kirche weihtest, das Mönchsgelübde zerreißt jedes andere weltliche Band. Jetzt gehört er mir, seinem Abte, und ich werde mit ihm verfahren, wie es mir gut dünkt.“
„Nun und nimmermehr!“ rief der Graf auflodernd. „Ich dulde es nicht, daß er geopfert wird! Zu viel schon habe ich mich von Dir leiten lassen, zu oft schon mich Deinem starren Willen gebeugt, aber jetzt stehen wir an der Grenze. Ich sage Dir, rühre mir Bruno nicht an, oder ich nehme vor aller Welt mein Recht in Anspruch, ihn zu schützen, und gebe Dich und Dein ganzes Kloster preis!“
Der Prälat trat zurück, auch auf seiner Stirn erschien jetzt die Falte, die längst drohend auf der Rhaneck’s stand, aber seine Stimme klang noch in vernichtender Ruhe.
„Du bist von Sinnen, Ottfried, sonst würdest Du mir nicht so drohen. Wer wird in solchem Falle preisgegeben? Bin ich es etwa, dessen Name und Ehre auf dem Spiele steht, wenn Du eine Sache an’s Licht ziehst, die jetzt schwerlich so beurtheilt werden würde, wie vor fünfundzwanzig Jahren? Versuche es doch, entdecke Dich zuvörderst Deinem Bruno – die erste Frage wird nach seiner Mutter sein!“
Der Graf erbleichte, langsam ließ er die drohend erhobene Hand wieder sinken.
„Bruno hat Dich nie geliebt!“ fuhr der Prälat erbarmungslos fort, „all Deine Sorge, Deine Zärtlichkeit für ihn hat immer nur dies scheue Ausweichen, diese instinctmäßige Abneigung gefunden. Sprich das verhängnißvolle Wort aus, und sein Haß ist Dir gewiß!“
Der Prälat hatte das rechte Mittel ergriffen, den Ungestüm des Bruders zu zügeln, durch die Züge des Grafen ging ein schmerzliches Zucken.
„Ich weiß es!“ sagte er tonlos, „und das ist’s, was ich nicht ertragen kann. Du hast mir von jeher diese Liebe zum Vorwurf gemacht, es ist das Einzige, was ich mir aus jenem Jugendtraum gerettet habe, und, was Du auch sagen magst, es ist das Beste an mir. Aber noch einmal, Bruder,“ er richtete sich hoch und fest auf, hier ist die Grenze, wo ich Dir Trotz biete. Wenn Bruno gefehlt hat, so laß ihn sich verantworten, strafe ihn, so weit Deine Stellung als Abt und die weltliche Macht es erlaubt, aber hüte Dich, ihn dem Arme dieser Macht zu entziehen, der ihn vor dem Schlimmsten schützt. Euerer Mönchsrache werde ich ihn nie auf Gnade und Ungnade preisgeben! Hüte Dich, ihn aus meinen Augen verschwinden zu lassen; ich werde seine Spur finden und will dann nicht umsonst der mächtige einflußreiche Graf Rhaneck sein. Auch Deine Priestergewalt hat ein Ende, und ich schone nichts mehr, wenn Du mich zum Aeußersten treibst! Leb wohl!“
Er ging, er hatte ruhiger gesprochen als vorhin, ohne jenes wilde Aufbrausen, aber eben deshalb wirkte die Drohung diesmal mehr. Der Prälat blickte ihm finster nach, er sah die Macht, die er mit der Ueberlegenheit eines kalten unbewegten Charakters von jeher über den leidenschaftlichen Bruder ausgeübt, in Trümmer gehen, er wußte besser als der Graf selbst, daß hier ihre Grenze war. Er war noch ganz in dies finstere Nachdenken versunken, als der Pater Prior gemeldet ward, der gleich darauf eintrat und sich mit seinem gewöhnlichen schleichend demüthigen Wesen ihm näherte.
„Ich komme, die Befehle meines hochwürdigsten Abtes in Bezug auf Pater Benedict in Empfang zu nehmen,“ begann er feierlich. „Wir können ihn von morgen an jeden Tag erwarten. Reverendissimus wünschen wohl jedenfalls erst seine Verantwortung zu hören?“
„Verantwortung?“ fragte der Prälat scharf; „deren bedarf es hier nicht mehr! Wenn er sich, wie ich nicht zweifle, zu seinen Worten bekennt, so bleibt nur noch übrig, Gericht über ihn zu halten. Ich habe über den Fall bereits an den Erzbischof berichtet und erwarte stündlich seine Antwort. Indeß ich weiß im Voraus, was ich zu thun habe, und daß man mir vollkommen freie Hand lassen wird.“
„Auch ich bin überzeugt, daß man uns die unbeschränkteste Vollmacht ertheilt!“ bestätigte der Prior mit einem frommen Aufblick nach oben. „Es gilt, den Frechen zu strafen, und die schwer beleidigte Kirche durch Reue und Büßung wieder zu versöhnen, damit ihr Heil –“
Der Prälat machte eine ungeduldige Bewegung. „Lassen Sie den salbungsvollen Ton! Sie wissen, ich liebe das Frömmeln nicht, am wenigsten, wenn wir unter uns sind. Es handelt sich nicht darum, die Kirche zu versöhnen, sondern sie vor einer Gefahr zu schützen, hier wo das Beispiel des Einzelnen verhängnißvoll werden könnte für den ganzen Stand. Ich bin entschlossen, die vollste Strenge walten zu lassen!“
Ein triumphirender Blick schoß aus den Augen des Priors, aber er senkte sie sofort wieder demüthigst zu Boden. Man durfte heute dem Prälaten nur mit Vorsicht nahen, es geschah selten, daß er sich in so scharfen rücksichtslosen Worten gehen ließ, wie eben jetzt, irgend etwas mußte ihn furchtbar gereizt haben und es ward dem schlauen Mönche nicht schwer, diese Gereiztheit mit dem vorhergegangenen Besuch des Grafen und dem wahrscheinlichen Gegenstande der Erörterung zwischen den Brüdern in Verbindung zu bringen.
„Die vollste Strenge!“ wiederholte er langsam. „Ohne Zweifel! Wenn nur der Herr Graf Rhaneck nicht Einspruch thut! Ich meine,“ verbesserte er sich schnell, „er wird seinen ganzen Einfluß zu Gunsten seines Schützlings aufbieten.“
„Ich bin in solchen Dingen dem Einfluß meines Bruders nicht zugänglich!“ erklärte der Prälat hart und entschieden.
Ich weiß, Hochwürdigster, ich weiß!“ stimmte der Prior bei. „Aber es könnte doch sein. Der Herr Graf hegt ein großes, ein ganz ungewöhnliches Interesse für Pater Benedict – wenn er es versuchte, gegen Ihren Willen –“
Weiter zu gehen in seinen Andeutungen wagte er nicht, ihm war es schon genug, daß der Prälat schwieg und ihn nicht vornehm zurückwies, was sonst unfehlbar geschehen wäre. Also, schloß der Prior weiter, es hatte bereits Streit deswegen zwischen den Brüdern gegeben, Rhaneck hatte vermuthlich gedroht, da galt es zu stacheln, der Prior kannte seinen Abt.
„Der Herr Graf weiß oder ahnt doch wenigstens, was seinem Schützlinge bevorsteht,“ fuhr er leiser fort, „er wird ihn schwerlich preisgeben, und wenn er nicht will –“
„Wenn mein Bruder nicht will?“ der Prälat hob mit einem zornigen Aufblick das Haupt. „Sie vergessen wohl, daß ich hier allein zu wollen habe!“
„Keineswegs, Hochwürdigster! Es handelt sich ja auch nur darum, was dem Pater Benedict eigentlich auferlegt wird, und wie weit Reverendissimus zu gehen beabsichtigen. Uebergriffe freilich könnten jetzt bedenklich, ja gefährlich werden. Was man hin und wieder einzelnen ungehorsamen Mönchen gegenüber wagte, nach denen Niemand fragte, und deren fromme Angehörige sich auf das bloße Zeugniß des Klosters hin beruhigten, das dürfen wir hier nicht wagen, wo ein so mächtiger Protector wie Graf Rhaneck im Wege steht. Der Graf ist sehr angesehen, sehr einflußreich bei Hofe und unser allergnädigster Souverain sehr bedenklich freisinnig in solchen Dingen; wenn die Sache dort zur Sprache käme – ein einziger Schritt über die uns gezogenen Grenzen hinaus könnte verderblich werden.“
Der Prior wußte sehr wohl, was er that, als er langsam einen Stachel nach dem andern in die Seele des Prälaten senkte. Er konnte ihm freilich nichts sagen, was jener nicht schon längst bei sich selber erwogen hatte, aber es klang ihm doch anders aus fremdem Munde, mit dieser leisen Beimischung von Hohn, mit diesem fortwährenden Herausheben des Bruders als einer überlegenen Macht, der man sich zu beugen habe – der stolze Priester richtete sich hoch auf.
„In dem Punkte, wo es sich um meine geistliche Obergewalt handelt, weiche ich weder meinem Bruder, noch weiche ich überhaupt Jemandem, er stehe so hoch er wolle! Dreißig Jahre lang habe ich dies Stift geleitet, und dreißig Jahre lang ist es dem Lande ein Vorbild gewesen, auf das auch nicht der leiseste Schatten fiel! Wenn in den anderen Klöstern ringsum sich Schwäche, Abfall und Verrath kund gab, ich habe das meinige rein zu erhalten gewußt und, was auch geschehen mag, ein Abtrünniger wird aus seinen Mauern nie hervorgehen! Nie, sage ich! Benedict widerruft entweder, oder er verfällt seinem Schicksal! An dem Beschluß wird Graf Rhaneck, wird selbst der Souverain nichts ändern, sie sind nur Menschen, und in unseren Händen liegt die höchste Gewalt auf Erden, die des Priesters, der auch sie sich zu beugen haben – ich erkenne nur Rom als meinen Herrn an!“
Er stand hoch aufgerichtet da, in beinahe königlicher Haltung. Das war wieder der allmächtige gebietende Abt, der nichts über sich erkennen wollte, und im Vollbewußtsein seiner Herrschaft Allem Trotz zu bieten bereit war; der Prior senkte in einer Art von scheuer Bewunderung die Augen.
„Es wäre aber doch zu viel gewagt,“ begann er von Neuem, „wollte man den Ruf, vielleicht die Existenz des ganzen Klosters auf’s Spiel setzen, eines Einzigen wegen! Pater Benedict stürzt uns ist einen schweren Conflict bei seiner Rückkehr, das Beste wäre – er käme gar nicht wieder.“
„Er wird kommen!“ sagte der Prälat entschieden. „Er wird mir gegenüber treten und sich zu jedem einzelnen seiner Worte bekennen. Ich weiß es!“
„Wenn es in seinem Willen liegt, gewiß! Aber könnte nicht irgend ein Zufall – das Gebirge ist jetzt sehr gefährlich, die Regengüsse der letzten Wochen haben die Bergströme entfesselt und die Stürme einzelne Punkte vollends unwegsam gemacht. Pater Benedict kümmert sich sehr wenig um solche Gefahren, er geht stundenweit allein, wenn seine Pflicht ihn zu einem Kranken oder nach der fernen Wallfahrtscapelle ruft … wenn er einmal dabei – verunglückte!“
Der Prälat sah den Sprechenden einen Moment lang groß und starr an, dann plötzlich wendete er ihm den Rücken und trat an’s Fenster, wo er stehen blieb, die Arme verschränkt und das Auge auf die umschleierte Landschaft draußen gerichtet. Der Prior folgte ihm.
„Ich spreche natürlich nur von einem Zufall, von einer bloßen Möglichkeit aber es ist nicht zu leugnen, daß sie uns einer schweren Bedrängniß entreißen würde. Zum Widerruf wird unser junger Mitbruder unter keinen Umständen zu bewegen sein; ihn gewähren lassen oder mit einer vorübergehenden Buße abfinden, hieße der Ketzerei Thür und Thor öffnen; wenn wir ernstlich einschreiten wollen, steht uns Graf Rhaneck im Wege – es ist eine böse, böse Sache! Ich sehe in der That keinen Ausweg daraus!“
Der Prälat antwortete nicht, der Prior trat ihm noch einen Schritt näher.
„Ein Unglück freilich, das zur rechten Zeit käme, würde viel, würde Alles lösen. Es befreite unser Kloster von der noch nie erlebten Schande, einen Abtrünnigen unter die Seinigen zählen zu müssen, es ersparte uns die Nothwendigkeit, durch allzu strenges Gericht mit der weltlichen Macht in Conflict zu gerathen. Auch Graf Rhaneck würde sich zufrieden geben müssen, denn wer kann am Ende für einen Zufall! Es wäre hier von unberechenbarem Vortheile.“ Er sprach langsam, leise, aber jedes Wort betonend, der Prälat stand noch immer unbeweglich, die eiserne Ruhe seiner Züge verrieth nichts, aber es war doch etwas wie innerer Kampf in dem Blicke, der auf dem wolkenumhüllten Gebirge in der Ferne haftete.
„Wann kommt Benedict zurück?“ fragte er endlich.
„Ich denke, übermorgen!“
Eine lange schwere Pause! Der Prälat wendete sich langsam um, auf seinem Antlitz lag ein starrer, eisiger Ausdruck.
„Sie haben Recht! Es wäre die beste Lösung von allen. Aber können wir dem Zufall gebieten?“
„Hochwürdigster –“ Der Prior sagte nichts weiter, aber sein Auge heftete sich wie in gierigem Forschen auf das Gesicht seines Oberen, als wolle er jedes Wort, jeden Gedanken von dessen Lippen ablesen. Der Blick des Abtes glitt unwillkürlich nieder auf den neben ihm befindlichen Schreibtisch, wo noch die Papiere lagen, die er vorhin dem Grafen entgegengehalten, er stützte die Hand schwer auf die letzte Rede Benedict’s – der stolze Priester hatte nicht umsonst das Bewußtsein, daß „die höchste Gewalt auf Erden in seine Hände gelegt war“, er fühlte sich als Richter über Leben und Tod.
„Herr Pater Prior! Ich befehle nichts und lasse nichts zu! Merken Sie sich das! Was zum Heile der Kirche geschieht, werde ich – absolviren.“
Der Prior verneigte sich stumm, er wußte genug. Er eilte, mit einigen gleichgültigen Reden sich zu verabschieden, und verließ dann das Gemach. Der Prälat stand noch immer am Schreibtisch, die Hand auf den verhängnißvollen Bericht gestützt, als aber die Thür hinter Jenem zufiel, zuckte der Ausdruck einer grenzenlosen Verachtung durch seine Züge.
„Elender! Wolltest Du mich zum Werkzeuge Deines Privathasses machen? Nimm es auf Dein Herz allein! Und wenn Benedict uns verloren ging, und wenn er fallen muß, er wiegt im Falle noch zehn Deinesgleichen, ich hätte sie mit leichterem Herzen geopfert als gerade ihn!“ –
Draußen in dem Kreuzgange, der die Prälatur mit dem Kloster verband, stand der Prior. Auch er sah nach den wolkenumlagerten Bergen hinüber und sein Blick sprühte wieder in jenem giftigen, tödtlichen Hasse, wie damals in der Sacristei.
„Also endlich wären wir so weit! Es war keine gute Stunde, in welcher er es wagte, mir zu drohen. Soll ich ihn vielleicht zurückkehren lassen, damit er noch im Sturze mich verräth? Lieber mag der Sturz – anderswo erfolgen. Der Prälat will sich decken, einerlei! er muß mich im schlimmsten Falle schützen, er schützt in mir die Ehre seines Stiftes. Herr Pater Benedict, Sie haben so großartige Anlagen zum Freiheitsapostel – ich fürchte, Sie werden zum Märtyrer Ihrer Lehre!“