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Inhaltsverzeichnis

Das Fest, mit welchem Baron Brankow seinen Namenstag feierte, hatte bereits seinen Anfang genommen. Das dortige Herrenhaus konnte nun freilich nicht im Entferntesten mit dem großartigen Aufwande, der in der Prälatur des Stifts, oder der schweren alterthümlichen Pracht, die in Schloß Rhaneck herrschte, den Vergleich aushalten, es war eben nur der einfache Sitz eines Landedelmannes aus gutem alten Hause; aber dies Haus war reich und gastfrei, und hatte sich dadurch zu einer Art von Mittelpunkt für die Geselligkeit der Umgegend gemacht. Man kam gern zu diesen Festen, und auch heute war die zahlreich geladene Gesellschaft ebenso zahlreich erschienen. Baron Brankow, ein kleiner freundlicher Herr, gutmüthig, eifrig und herzlich, ohne besondere aristokratische Würde, aber dafür mit allen Eigenschaften eines guten Wirthes begabt, empfing seine Gäste und geleitete soeben den Prälaten, der vor wenig Minuten angekommen war, zu einem Sessel am oberen Ende des Saales.

Der Abt des ersten und bedeutendsten Stiftes im Lande, das durch seinen Reichthum und seinen Einfluß eine fast fürstliche Stellung einnahm, pflegte mit seinen Besuchen sehr sparsam zu sein. Er erschien nur da, wo er wirklich auszeichnen wollte, und es gab nicht Viele, die sich rühmen konnten, ihn als Gast bei sich gesehen zu haben. Die Haltung des Barons und seiner Familie zeigte denn auch, daß sie diese Auszeichnung im vollsten Maße zu würdigen wußten, und die ganze übrige Gesellschaft empfing den hochgestellten Geistlichen mit der ihm gebührenden ehrfurchtsvollen Aufmerksamkeit.

Unmittelbar hinter seinem Oberen schritt Pater Benedict. Der Prälat fuhr niemals allein zu solchen Festen, er pflegte stets einen der Stiftsherren mit sich zu nehmen, die sich seiner besondern Gunst erfreuten, Es schien aber nicht, als ob der junge Priester den Vorzug zu würdigen wisse, der ihm zu Theil geworden, sein Antlitz trug den gewöhnlichen Ausdruck kalter Verschlossenheit und finster, fast feindselig blickte er auf das festliche Wogen und Treiben.

Dies Wogen und Treiben hatte übrigens heute nicht seine gewöhnliche, sich immer gleich bleibende Physiognomie, es lag eine leichte Aufregung darin, eine gewisse Unruhe, die bald genug auffiel. Man blickte oft nach der Thür, man flüsterte in Gruppen zusammen, irgend etwas Besonderes schien erwartet zu werden, irgend etwas Ungewöhnliches im Werke zu sein, und doch war dies nicht das Erscheinen des Grafen Rhaneck, der unmittelbar nach seinem Bruder eintrat, seine Gemahlin führend, während der junge Graf Ottfried den Beiden folgte. Zwar gab sich auch bei ihrer Ankunft die gleiche Bewegung kund, wie beim Eintritt des Prälaten; Rhaneck’s Stellung in der Residenz war eine zu bedeutende, um ihn nicht hier zu einer Autorität ersten Ranges zu machen, ganz abgesehen davon, daß er der reichste und vornehmste unter all’ den Nachbarn war; man empfing auch ihn mit der gleichen Ehrerbietung, wie seinen Bruder.

Die Gräfin war eine jener Erscheinungen, wie sie häufig genug vorkommen, vornehm, unbedeutend, langweilig, jedenfalls nicht die Frau, die einen Mann wie ihren Gemahl zu fesseln verstand. Ihr Sohn Ottfried trug unverkennbar die Rhaneck’schen Familienzüge, er glich äußerlich sehr dem Vater, aber ihm fehlte die feurige Lebhaftigkeit desselben, ebenso sehr wie die energische Ruhe des Oheims, sein ganzes Wesen verrieth eine Blasirtheit, in der alle anderen, vielleicht besseren Eigenschaften zu Grunde gegangen waren. Der noch so junge Mann hatte augenscheinlich schon alle Freuden des Lebens ausgekostet und war ihrer überdrüssig geworden, da war auch kein Hauch mehr von jener Kraft und jenem Feuer, das der alte Graf sich bis in seine späteren Jahre hinein bewahrt hatte, der schmächtige junge Officier mit den schlaffen Zügen und den matten Augen nahm sich neben der stattlichen Erscheinung des Vaters ziemlich unvortheilhaft aus.

Rhaneck hatte kaum den Bruder begrüßt und mit der Frau vom Hause gesprochen, als er sich auch bereits von allen Seiten in Anspruch genommen sah. Auch Ottfried befand sich bald genug in einem Kreise von Altersgenossen, die ihn mit Fragen und Erkundigungen nach der Residenz bestürmten. Die Gräfin dagegen saß im Kreise der Damen, ließ ihre reiche Toilette glänzen bewegte den Fächer langsam auf und nieder, und ließ nur sehr selten eine Bemerkung laut werden, sie hatte das Möglichste durch ihr Erscheinen hier gethan, und die Gesellschaft konnte und mußte es sich an dieser Ehre genug sein lassen.

„Aber, bester Brankow“ – der Graf hielt den Baron, der an ihm vorüber wollte, auf einen Moment lang fest – „sagen Sie mir nur, was ist das heute mit Ihren Gästen? Das ist eine Unruhe, eine Zerstreutheit überall! Erwartet man Jemand, oder haben Sie uns irgend eine Ueberraschung aufbehalten?“

Der Baron lächelte etwas gezwungen. „Beides vielleicht! Aber dieser Herr Günther scheint den Vornehmen spielen zu wollen, er läßt sich lange erwarten!“

Der Graf fuhr auf, als habe er unversehens einen Schlag erhalten.

„Wer?“

„Nun, unser Nachbar von Dobra! Sie wissen doch, daß er eingeladen ist?“

Graf Rhaneck trat einen Schritt zurück und sah den Baron von oben bis unten an. Die verbindliche Artigkeit in seinem Gesichte machte einem wahrhaft eisigen Ausdruck Platz.

„Man muß gestehen, Brankow, Sie muthen Ihren Gästen sehr viel zu!“ sagte er kalt.

„Aber mein Gott!“ rief der Baron befremdet, „sind Sie denn davon nicht unterrichtet? Die Einladung geschah ja doch auf speziellen Wunsch des hochwürdigsten Herrn Prälaten.“

„Meines Bruders?“ In der Stimme des Grafen mischten sich Unglaube und Zorn miteinander.

„Gewiß! Ich meinerseits hätte sicher nicht die Initiative in einer so delicaten Angelegenheit ergriffen; aber der Herr Prälat schien so großen Werth auf die Erfüllung seines Wunsches zu legen, machte sie so zu sagen zur Bedingung seines Erscheinens, daß ich nicht umhin konnte, diesen, ich gestehe es, mir sehr unangenehmen Schritt zu thun.“

Der Graf stand starr wie eine Bildsäule; als eben in diesem Augenblicke Brankow von anderer Seile her angesprochen ward, drehte er sich kurz um, ging auf seinen Bruder zu und zog ihn hastig mit sich in eine Fensternische.

„Weißt Du, daß man diesen Günther von Dobra heute hier erwartet?“

„Allerdings!“ Die Antwort des Prälaten klang sehr bestimmt, er hatte den Sturm kommen sehen.

„Und ist es wahr, was Brankow behauptet, daß die Einladung auf Deine Veranlassung, auf Deinen speciellen Wunsch geschehen ist?“

„Auch das ist wahr.“

„Nun, das begreife ein Anderer, mir fehlt jedes Verständniß dafür!“ rief der Graf empört und schlug leise, aber heftig mit seinem Fuße den Boden, daß die Sporen klirrten.

Der Prälat zuckte leicht die Achseln. „Du weißt, daß ich meine Gründe habe, den Mann kennen zu lernen. Ich muß ihn Auge im Auge sehen, muß ein Urtheil über seine Persönlichkeit haben, um zu wissen, was von ihm zu erwarten ist. Mir in meiner Stellung war jede Annäherung unmöglich; ich konnte ihm nur auf neutralem Boden begegnen, also mußte sich Brankow dazu hergeben.“

„Du ordnest wie gewöhnlich Deinen ‚höheren Gründen‘ alle und jede Rücksicht unter“, sagte der Graf bitter, „und scheinst ganz zu vergessen, daß Du dem Menschen mit dieser Einladung den Weg in unsere Kreise bahnst, die ihm bisher verschlossen waren, daß Du der ganzen Nachbarschaft ein höchst gefährliches Beispiel, ein unbegreifliches Aergerniß giebst.“

Ein kaum bemerkbares Spottlächeln spielte um die Lippen des Prälaten, während sein Blick die Gesellschaft überflog.

„Meinst Du?“ entgegnete der Prälat seinem Bruder. „Ich fürchte das Gegentheil. Man brennt vor Neugierde, diesen neuen Herrn von Dobra kennen zu lernen, und da man sich sehr bequem mit meiner Verantwortung decken kann, so glaube ich eher, auf die allgemeine Dankbarkeit rechnen zu dürfen.“

„Wie es Dir beliebt!“ erklärte der Graf kalt. „Zum Mindesten wirst Du es begreiflich finden, wenn ich und die Meinigen diesem – Herrn möglichst fern bleiben. Ich liebe nicht die Berührung mit Emporkömmlingen solcher Art.“

„Hattest Du immer eine so entschiedene Antipathie gegen das Bürgerthum?“ fragte der Prälat leise und hohnvoll.

Rhaneck wollte auffahren. „Bruder!“

„Ruhig, Ottfried! Du vergißt, daß wir nicht allein sind und daß alle Welt uns beobachtet. Ich kann die Widersprüche in Deinem Charakter nicht leiden, sonst hätte ich Dir die Erinnerung erspart. – Uebrigens habe ich Dir Benedict mitgebracht. Sprachst Du ihn schon?“

Der Prälat hatte das rechte Beruhigungsmittel ergriffen. Die Züge des Grafen wurden sofort sanfter, als er den Genannten erblickte, der in einiger Entfernung von ihnen stand. Ueberdies machte das Hervortreten des jungen Grafen dem Gespräch jetzt ein Ende; der Prälat wandte sich zu seinem Neffen.

„Nun, wie findest Du Dich in unsere Bergeseinsamkeit nach Deinem Residenzleben?“ fragte er halb scherzend.

Auf dem Gesichte Ottfried’s stand deutlich geschrieben, daß ihm Eins so langweilig erschien wie das Andere; indessen dem Oheim gegenüber wagte er doch nicht, seine ganze Blasirtheit zur Schau zu tragen.

„Nun, es ist immerhin eine Abwechslung! Allerdings haben mich die Berge nicht sehr freundlich empfangen bei dem ersten Besuch, den ich ihnen gestern abstatten wollte. Ich ritt über die untere Brücke, von wo der Paß hinein in’s Gebirge führt, da scheut mein Pferd plötzlich, ohne irgend eine äußere Veranlassung, und ist nicht zu bewegen, auch nur einen Schritt vorwärts zu thun. Als ich das Thier schließlich zwingen will, bäumt es und stürzt mit mir, so daß ich von Glück sagen kann, unverletzt davongekommen zu sein. Der alte Florian, der hinter mir ritt, und der den Kopf immer voll Aberglauben und Spukgeschichten hat, behauptet steif und fest, Almansor habe irgend etwas Entsetzliches gesehen, und prophezeit mir alles mögliche Unheil. Nun, ich muß gestehen, glückverkündend war das Omen gerade nicht.“

Er sagte das lachend und spöttisch, aber der Graf, der die Erzählung seines Sohnes mit angehört hatte, runzelte leicht die Stirn.

„An der ganzen Sache wird wohl nur Dein wildes Reiten schuld sein. Du solltest Deine Gesundheit besser in Acht nehmen, Du weißt doch, wie sehr Du sie zu schonen hast.“

Sein Auge glitt dabei flüchtig über die matten Züge des Sohnes, aber in dem Blick lag keine Spur von jener angstvollen Zärtlichkeit, mit der er noch vor kurzem die Blässe eines anderen Gesichtes geprüft, und auch der Ton hatte mehr von Vorwurf als von Besorgniß.

„Noch eins!“ fuhr er rascher fort, „ich wollte Dir bei Gelegenheit des heutigen Festes den Pater Benedict zuführen. Du erinnerst Dich doch noch seiner?“

„Pater Benedict? Nein!“ sagte Ottfried gleichgültig.

„Du mußt Dich doch des Knaben Bruno entsinnen,“ nahm jetzt der Prälat das Wort. „Er kam, so viel ich weiß, öfter in Euer Haus, als er noch das Seminar in der Residenz besuchte.“

Ottfried sah aus, als halte er es für eine starke Zumuthung, seinen Kopf mit dergleichen Nichtigkeiten anzustrengen, indessen die Worte des Oheims schienen doch eine Erinnerung in ihm wachzurufen.

„Ah so, der junge Mensch, den Papa erziehen und ausbilden ließ! Richtig, der scheue störrische Bube, der nie zum Reden oder Spielen zu bringen war! Papa überhäufte ihn mit Wohlthaten, aber er zeigte sich nie besonders dankbar dafür, er mußte immer erst halb gezwungen werden, in’s Palais zu kommen. Ein unerträglicher Bursche!“

Der leise Hohn schwebte wieder um die Lippen des Prälaten, als er schweigend den Bruder ansah, über dessen Stirn aufs neue der schnell verschwindende rothe Schein lief.

„Ich habe nie begreifen können, wie Papa mir einen solchen Spielgefährten zumuthen konnte!“ fuhr der junge Graf fort, den Kopf hochmüthig zurückwerfend. „Er war ja wohl der Sohn irgend eines Bedienten, von einem unserer Güter.“

Rhaneck hatte stumm die Lippen zusammengepreßt, bei den letzten Worten aber zuckte er zornig auf.

„Was Pater Benedict gewesen ist, kommt für Dich jetzt nicht mehr in Betracht. Gegenwärtig ist er Priester, gehört er demselben Stande an, wie Dein Oheim, und Du wirst auch ihm die Achtung und Ehrfurcht zollen, die diesem Stande gebührt; ich verlange das ganz entschieden von Dir.“

Die Zurechtweisung, obwohl mit gedämpfter Stimme gesprochen, klang schneidend scharf, aber freilich die Rhanecks waren streng katholisch, waren es von jeher gewesen, und der Prälat sorgte schon dafür, daß diese Sitte erhalten blieb. Ein Priester nahm dem sonst so ahnenstolzen Geschlecht gegenüber allerdings eine unantastbare Stellung ein, und auch Ottfried war in unbedingter Ehrfurcht vor dem Priestergewande und vor den äußeren Ceremonien der Religion erzogen, so wenig er auch sonst davon in sich tragen mochte. Die heftige Parteinahme des Vaters befremdete ihn deshalb nicht besonders, auch schien dieser seine Erregung bereits zu bereuen, denn seine Stimme war um vieles milder geworden, als er nach einer augenblicklichen Pause hinzusetzte:

„Benedict hat den Erwartungen, die ich bei seiner Ausbildung hegte, in jeder Hinsicht entsprochen. Ich wünsche, daß Du für die Zeit unseres Hierseins ihn zu Deinem Beichtiger erwählst und möglichst bei ihm die Messe hörst, und ich will hoffen, daß sich dadurch ein freundlicheres Verhältniß zwischen Euch anbahnt, als es in Eurer Kinderzeit der Fall war.“

Ottfried schwieg, die äußeren Formen der Ehrerbietung und Rücksicht wurden im Rhaneck’schen Hause streng aufrecht erhalten, aber die Formen waren hier eben auch alles, sie mußten das Herz ersetzen, das nun einmal in allen Beziehungen dieser Familie zu einander zu fehlen schien. Der junge Graf widersprach mit keiner Sylbe dem so bestimmt kundgegebenen Wunsche des Vaters, wenn sein Gesicht auch deutlich verrieth, wie mißfällig ihm derselbe war.

Der Prälat hatte inzwischen durch einen Wink den jungen Priester an seine Seite gerufen und Rhaneck führte ihn seinem Sohne zu, aber zu dem „freundlicheren Verhältniß“, das sich zwischen den Beiden anbahnen sollte, zeigte sich wenig Aussicht. Ottfried, der so eben empfangenen Zurechtweisung eingedenk, zwang sich zur Artigkeit, Benedict blieb kalt und gemessen, es war, als fühlten die jungen Männer instinctmäßig, daß eine weite Kluft zwischen ihnen lag, die wohl nie ausgefüllt werden konnte.

Da gab sich von neuem eine allgemeine Bewegung im Saale kund, ein allgemeines Flüstern und sich Umwenden, alle Blicke waren plötzlich nach der Thür gerichtet, durch die jetzt endlich der längst erwartete neue Gutsherr von Dobra eintrat und, seine Schwester am Arme, sich dem Wirthe näherte, der in der Nähe des Einganges stand.

Der Baron war in der That in einiger Verlegenheit dem Mann gegenüber, der sich so stolz von der ganzen Nachbarschaft abgesondert, und dem gegenüber er gleichwohl, durch höheren Einfluß gedrängt, den ersten Schritt zur Annäherung gethan. Er zog sich indessen noch ziemlich gut aus der Sache, die Bewillkommnung war, wenn auch etwas gezwungen, doch artig, übrigens kürzte er sie so viel als möglich ab und beeilte sich, „Herrn Günther auf Dobra“ seiner Gemahlin vorzustellen. Die Baronin machte es in ähnlicher Weise, sie that, was als Frau vom Hause ihre Schuldigkeit war, aber auch nicht mehr, und so kam es, daß Günther sich, sobald die erste Begrüßung vorüber war, fast gänzlich isolirt neben dem Sessel seiner Schwester fand; die Gesellschaft verharrte vorläufig noch in vollster Ablehnung des fremden, ihr aufgedrungenen Elementes.

Es war kein leichter Stand dieser stummen Opposition des ganzen Kreises und all den neugierigen, mißgünstigen und hämischen Blicken gegenüber, die von allen Seiten des Saales her sich auf diesen einen Mittelpunkt richteten; aber Günther ertrug Eins wie das Andere mit bewunderungswürdiger Gelassenheit. Das war nicht die Haltung eines Mannes, der eine unverdiente Ehre empfängt oder eine unverdiente Kränkung erleidet, Beides schien gleich wirkungslos an dieser gleichgültigen Ruhe abzugleiten, mit der er seinerseits die Gesellschaft musterte, und in dem Blick, der langsam aber forschend darüber hinschweifte, lag nur die eine Frage, die wahrscheinlich allein ihn zur Annahme der Einladung veranlaßt hatte: „Was wollt Ihr eigentlich von mir?“

Jugend und Schönheit haben es überall leicht, selbst dem angestammten Vorurtheile gegenüber, Lucie entwaffnete schon durch ihr bloßes Erscheinen selbst die hartnäckigsten Gegner. Die Herren hatten es bald genug herausgefunden, daß alle übrigen Damen weit hinter dieser lieblichen Erscheinung zurückblieben, und die jüngeren unter ihnen zeigten bereits bedenkliche Neigung, den aristokratischen Principien untreu zu werden. Noch hielt die Furcht vor dem Zorne der respectiven Väter und Mütter die Ueberläufer in Schranken, aber wider alles Erwarten war es diesmal der junge Graf Rhaneck, der das Zeichen zur Fahnenflucht gab.

„Das Mädchen ist reizend!“ rief er mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit, „ich werde mir einen Tanz sichern!“

„Aber Rhaneck,“ mahnte einer seiner Nachbarn, „bedenke doch, eine Mademoiselle Günther, die Schwester dieses –“

„Ah bah! Sie sind Gäste des Barons, sind auf Wunsch meines Oheims eingeladen! Er mag die Verantwortung dafür tragen!“

Damit näherte sich Ottfried ohne Weiteres dem Kreise der Damen, ließ sich Lucie vorstellen, und erbat sich ihre Hand für den soeben beginnenden Tanz.

Günther hatte gleichgültig die Annäherung des jungen Officiers gesehen, als jedoch der Name Rhaneck genannt ward, stutzte er und eine sichtlich unangenehme Ueberraschung spiegelte sich auf seinem Gesicht. Er machte unwillkürlich eine Bewegung, wie um seine Schwester zurückzuhalten, im nächsten Augenblick jedoch schien er sich zu erinnern, daß die Aufforderung sich ohne directe Beleidigung nicht ablehnen ließ. Er ließ es geschehen, daß der junge Graf Lucie in die Reihen der Tanzenden führte, die sich im Nebensaal ordneten, aber sein Blick folgte mit einem Gemisch von Unmuth und Besorgniß den Beiden.

„Wollen Sie mir erlauben, Herr Günther, Ihre Bekanntschaft mit dem hochwürdigsten Abt unseres Stiftes zu vermitteln?“ tönte in diesem Augenblick die Stimme des Barons dicht neben ihm, und als Günther sich umwandte, sah er sich plötzlich dem Prälaten gegenüber.

Einen Moment lang maßen die beiden Männer schweigend einander; der scharfe Blick des Geistlichen drang forschend tief in die Züge seines Gegenüber, als wolle er sofort aus ihnen herauslesen, was eigentlich an dem Manne sei, aber er traf hier auf dieselbe eherne Stirn, auf dieselbe kalte, überlegene Ruhe, die sein eigenes Antlitz kennzeichneten, und dies Antlitz mußte vor jenen prüfenden Augen die gleiche Musterung bestehen. Der eine Blick genügte Beiden, Günther lächelte fast unmerklich, als er das erwartungsvolle Herandrängen der Gesellschaft bemerkte, er wußte jetzt, von wem diese räthselhafte Einladung eigentlich ausging, aber auch der Prälat hatte bereits Stellung genommen – er erwies dem Fremden die Ehre, ihn für einen Gegner anzuerkennen.

Der Baron athmete förmlich auf, als der Anstifter der ganzen fatalen Angelegenheit endlich Miene machte, persönlich in die Sache einzutreten, und damit den Alp wegzunehmen, der seit Günther’s Eintritt auf der ganzen Versammlung zu lasten schien. War diese übrigens schon durch den seltsamen Wunsch Seiner Hochwürden, der natürlich kein Geheimniß blieb, alarmirt worden, so wurde sie es noch mehr beim Anblick der sichtbaren Auszeichnung, deren sich der „Emporkömmling“ erfreute. Wenn der Baron artig gewesen war, so zeigte sich der Prälat geradezu verbindlich; er verstand es sonst meisterhaft, sich in seiner geistlichen Würde unnahbar zu machen, und damit eine unübersteigliche Schranke zwischen sich und jedem anderen Sterblichen aufzurichten; dem Protestanten gegenüber, der schwerlich geneigt war, diese Unnahbarkeit zu respectiren, fiel diese Schranke unmerklich, aber sofort, hier war es nur der vornehme Weltmann, der sich mit ebenso viel Tact als Artigkeit bemühte, den Fremden in’s Gespräch zu ziehen und ihm die Einführung in die Gesellschaft zu erleichtern.

Diese fing bereits an dem allmächtigen Einfluß des Abtes nachzugeben. Man brannte in der That vor Neugierde, diesen Günther persönlich kennen zu lernen, und half sich dabei genau so, wie der junge Graf Rhaneck. Man deckte sich für alle Fälle mit der Verantwortlichkeit des Prälaten, um ungescheut seinem Beispiel folgen zu können, man wurde gleichfalls artig, gleichfalls verbindlich, und es dauerte nicht lange, so war der Gutsherr von Dobra aus seiner anfänglichen Isolirtheit zu einer Art von Mittelpunkt geworden.

Inzwischen feierte Lucie im Tanzsaale einen ähnlichen Triumph, obgleich sie sich zur Zeit noch nicht viel darum kümmerte. Ihr war in der Freude am Tanzen alles Andere untergegangen, und mit vollster Seele gab sie sich dem ihr so neuen Vergnügen hin. Es war das erste Mal, daß das junge Mädchen überhaupt in eine größere Gesellschaft kam, daß sie aus der „Kinderstube“, in die der strenge Bruder sie verwiesen, in den Salon trat, und entzückt und geblendet blickte sie in die fremde glänzende Welt. Sie sah nur den Kerzenglanz, die bunte, festlich geschmückte Menge, hörte nur die rauschende Musik, alles Andere existirte nicht für sie. Der rosige Mousselin wogte leicht und luftig um die kleine Elfengestalt. Die Rosen in den Locken dufteten und zitterten, als sie so in den Armen des Grafen dahinschwebte. Das jugendliche Wesen war ganz aufgelöst in Freude und Tanzlust und hatte kaum eine Ahnung davon, wie bezaubernd lieblich es in dieser Erregung erschien.

Ihr Tänzer hatte und so mehr Augen dafür. Der junge Graf, gewohnt, überall nur der Coquetterie und Berechnung zu begegnen, deren Ziel meistentheils seine Hand war, schien seltsam angezogen von diesem Kinde, das sich noch so ganz kindlich und unbefangen gab, gar nicht daran dachte, sein Entzücken an dem Feste zu verhehlen, und sicher mit dem jüngsten Sohne irgend eines unbedeutenden Landedelmannes ebenso gern tanzte wie mit dem Erben von Rhaneck. Es war einmal etwas Neues, Ungewöhnliches, dem seine gleichgültige Blasirtheit allmählich zu weichen begann. Die schlaffen Züge Ottfried’s gewannen Leben, in seine matten Augen kehrte das Feuer zurück, während er sich in Artigkeiten und Aufmerksamkeiten aller Art erschöpfte und nicht ohne Erfolg. Der Graf hatte nicht umsonst die hohe Schule in den Salons der Residenz durchgemacht und sich dort in den Ruf der Unwiderstehlichkeit gebracht, um diesen Ruf einem sechszehnjährigen Mädchen gegenüber nicht mit Glück zu behaupten; er konnte glänzen mit seiner Unterhaltungsgabe, wenn er wollte, und heute wollte er es entschieden. Immer kühner und kühner drangen seine Schmeicheleien in Luciens Ohr. Noch lachte sie unbefangen dazu; aber ihr Köpfchen begann bereits zu wirbeln; allerlei romantische Pensionsideen flatterten darin auf. Der gewandte, in allen Künsten der Eroberung erfahrene Weltmann war auf dem besten Wege, das junge unerfahrene Herz in seine gefährlichen Netze zu ziehen.

Da auf einmal zuckte das junge Mädchen leise zusammen und hielt mitten im Tanze inne. Der Graf bemerkte es.

„Wünschen Sie aufzuhören, mein Fräulein?“ fragte er artig. Lucie schüttelte leise das Haupt und tanzte weiter; aber das, was sie vorhin wie ein jäher Stich durchfahren, schmerzte noch, als Ottfried, nachdem er nochmals den Saal mit ihr umkreist hatte, jetzt von selber innehielt. Sie war wieder den „Gespensteraugen“ begegnet, die sie schon einmal so sehr erschreckt hatten, und wendete jetzt langsam und scheu ihren Blick dem Orte zu, wo sie leuchteten.

Der Graf fing diesen Blick auf, dessen Ausdruck nicht mißzuverstehen war. „Pater Benedict scheint Ihnen Furcht einzuflößen, mein Fräulein,“ sagte er spöttisch. „Ich muß bekennen, daß auch mich in seiner Nähe ein gewisses Unbehagen beschleicht, trotzdem er der erklärte Günstling meines Vaters und Oheims ist. Der Fanatiker haßt Alles, was Freude und Jugendlust heißt! Sieht er nicht aus, als wollte er das ganze Tanzgewühl und vor Allem uns Beide bis in die fernsten Tiefen der Verdammniß schmettern?“

Lucie hätte bei jeder andern Gelegenheit mitgelacht und mitgespottet, in diesem Augenblicke aber vermochte sie es nicht. Die hohe finstere Gestalt, welche dort an der Thür lehnte, einsam inmitten der bunten hin- und herfluthenden Menge, von der Keiner Lust bezeigte, sich dem düstern einsilbigen Gaste zu nahen, übte einen beängstigenden Einfluß auf sie aus. Das Antlitz des jungen Mönches hatte freilich nicht mehr jenen kalt verächtlichen Ausdruck, mit dem er beim Beginn des Festes das profane Gewühl um sich her betrachtete. War es Einbildung? Aber es schien Lucien, als suchten jene düster brennenden Blicke einzig sie und ihren Tänzer in diesem Gewühl, als folgten sie ihnen durch alle Verschlingungen des Tanzes, und als Ottfried jetzt auf’s Neue den Arm um sie legte und ihre langen braunen Locken dabei seine Schulter berührten, da flammten die unheimlichen Augen plötzlich auf, nur einen Moment lang; aber das junge Mädchen schmiegte sich, wie Schutz suchend, fester an den Arm des Grafen – er hatte Recht, der Fanatiker dort hätte sie Beide am liebsten zerschmettert mit diesem Blick!

Ottfried mißverstand natürlich diese Bewegung und er mißverstand auch völlig die Befangenheit, die sich seiner Tänzerin auf einmal bemächtigte und ihrem eben noch so frohen Lachen, ihren bisher so neckischen Antworten etwas eigenthümlich Gezwungenes gab. Er hielt für seinen Triumph, was doch nur jene räthselhafte Angst war, die Lucie hier in dem hellen menschenvollen Saale mit derselben Gewalt überkam, wie einst mitten in der Einsamkeit des Waldes. Ihr Vergnügen am Tanze war gestört; sie war unruhig, zerstreut und athmete erst auf, als nach Beendigung des Walzers der Gegenstand ihrer Furcht verschwand und statt dessen die Gestalt ihres Bruders sich in der Nähe zeigte.

Ottfried führte sie zu einem Sitz, und das junge Mädchen hatte kaum dort Platz genommen, als mehrere Herren, durch das Beispiel des Grafen ihren aristokratischen Zweifeln entrissen, ebenfalls hereintraten, um sich um die nachfolgenden Tänze zu bewerben. Es schien, als hätte ihnen Ottfried gern den Vorzug streitig gemacht; aber der Sohn des Grafen Rhaneck hatte gesellschaftliche Verpflichtungen gegen verschiedene vornehme Damen, denen er nachkommen mußte, wollte er nicht den Zorn des Vaters auf sich laden, der jedenfalls schon die Freiheit, die er sich genommen, mit Mißfallen betrachtete. Mit einem kaum verhehlten Unmuthe trat er zurück, verneigte sich vor Lucie und ging, eine schon etwas verblühte Comteß aufzufordern, die sofort das ganze Feuer ihrer Coquetterie auf ihn spielen ließ, aber ohne allen Erfolg. Der junge Graf hatte sich noch nie so unempfindlich gezeigt wie gerade heute. Er entledigte sich so schnell wie möglich der Etiquettenpflichten, und es glückte ihm wirklich, im Laufe des Abends noch mehrere Male jenes reizende kleine Wesen in die Reihen zu führen, das, zur großen Indignation der übrigen Damen, ihn gänzlich bezaubert zu haben schien.

Günther, der nur erschienen war, um sich zu vergewissern, daß seine Schwester nicht etwa an der Seite ihres Tänzers blieb, kehrte, als er sie anderweitig versagt wußte und nachdem er sie einer der älteren Damen mit einigen Worten empfohlen, wieder zu der übrigen Gesellschaft zurück, wo er bald auf’s Neue von dem Prälaten in ein eingehendes Gespräch verwickelt und dabei festgehalten wurde. Drinnen im Tanzsaal war schon seit einiger Zeit eine größere Pause eingetreten, als es ihm endlich gelang, sich loszumachen und nach Lucie zu sehen. Sie war nicht im Saale, und auch auf der Terrasse, von woher ihm das Lachen und Plaudern der anderen Paare entgegenscholl, die dort promenirten, konnte er sie nicht entdecken. Unruhig darüber, wollte er seine Nachforschungen eben weiter ausdehnen, als die Gesuchte plötzlich eintrat, allerdings auch von der Terrasse her, und zwar am Arme des Grafen Ottfried, der seit dem letzten Tanze nicht von ihrer Seite gewichen war.

Das Antlitz des jungen Mädchens zeigte nichts mehr von jener augenblicklichen Befangenheit und Zerstreutheit, das war längst vorüber; jetzt strahlte dort unverkennbar ein kindischer Triumph, und es glühte dunkel auf unter dem Auge des Bruders, der sie und den Grafen mit einem scharfen Blick musterte. Er trat rasch auf sie zu.

„Wo warst Du?“ fragte er kurz, „ich habe Dich überall gesucht!“

„Ach, Herr Günther,“ Ottfried konnte auch gegen Bürgerliche verbindlich sein, wenn sie schöne Schwestern besaßen, „das dürfen Sie der jungen Dame nicht zum Vorwurf machen. Ich führte sie ein wenig auf die Terrasse hinaus und war eben so glücklich, auch die Zusage des nächsten Tanzes von ihr zu erhalten.“

„Das bedauere ich, Herr Graf.“ Günther zog ruhig den Arm seiner Schwester aus dem des Grafen und legte ihn in den seinigen. „Lucie tanzt heute zum ersten Male und ich wünsche nicht, daß sie es übertreibt. Sie ist erhitzt und ermüdet, und wird für diesmal aufhören, wir fahren ohnedies bald.“

„Aber, mein Herr!“ Die Stimme Ottfried’s nahm einige Schärfe an. „Das Fräulein hat bereits über den Tanz disponirt und ich habe doch wohl das Recht –“

„Gewiß, Herr Graf! Aber Sie werden dies Recht sicher nicht in Anspruch nehmen, da Sie hören, daß ich von dem allzuvielen Tanzen nachtheilige Folgen für meine Schwester befürchte. Sie gestatten wohl, daß ich sie mit mir nehme.“

Die Entgegnung klang sehr höflich, aber sie schnitt alle und jede Einwendung von vornherein ab. Ottfried biß sich auf die Lippen und trat zurück, vorher jedoch wechselte er noch einen Blick offenbaren Einverständnisses mit Lucie. Diese war im ersten Moment ganz starr vor Staunen und Schrecken über diesen unerwarteten Eingriff des Bruders, und schien sehr geneigt, sich dagegen aufzulehnen, aber ein Blick auf sein Gesicht ließ sie davon abstehen. Wenn Bernhard so aussah, war keine Nachgiebigkeit von ihm zu erwarten, man that dann am besten, ihm unbedingt zu gehorchen, das junge Mädchen fügte sich, aber es standen Thränen in ihren Augen, als der rücksichtslose Bruder sie so ohne allen Grund von dem ersehnten Vergnügen und von der Seite des liebenswürdigen Tänzers fortriß. Sie konnte nicht begreifen, weshalb er dem Grafen in einer so schroffen, fast beleidigenden Weise entgegentrat, er war heute überhaupt in einer abscheulichen Laune, und während drinnen die verlockenden Tanzweisen auf’s Neue erklangen, führte er sie wirklich fort, mitten unter die alten Damen und Herren, die an den Spieltischen saßen oder in steifer Unterhaltung begriffen waren, und stellte sich wie zur Wache neben ihrem Sessel auf – ein Glück wenigstens, daß jener unheimliche Pater Benedict nicht mehr im Saale zu erblicken war! Hätten diese dunklen Augen sie nun auch noch gequält und gepeinigt, sie wäre sicher in Thränen ausgebrochen.

Herz-Sammelband: Elisabeth Bürstenbinder Liebesromane

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