Читать книгу Herz-Sammelband: Elisabeth Bürstenbinder Liebesromane - Elisabeth Bürstenbinder - Страница 19
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ОглавлениеNoch am Abend desselben Tages kehrte Günther nach Dobra zurück. Nach dem letzten Ereigniß und der schonungslos mit allen Details gegebenen Aussage des Pater Benedict hatte man keinen Anstand genommen, ihn sofort seiner Haft zu entlassen; er befand sich jetzt auf der Fahrt nach Hause, wohin ihm die Nachricht seiner Ankunft bereits vorangegangen war.
Neben ihm im Wagen saß sein junger Befreier; er hatte Günther’s Bitte, sein Gast zu sein, entschieden abgelehnt. „Ich habe versprochen, Sie frei nach Dobra zurückzubringen, und halte mein Versprechen, mehr verlangen Sie nicht von mir!“ Das war seine ganze Antwort gewesen.
„Versprochen? Wem?“ Günther lächelte. „Ich kann es mir denken! Jedenfalls meiner tapferen Hausgenossin Fräulein Reich. Ohne Zweifel war sie es, die Ihnen die Nachricht meiner Verhaftung brachte und Sie zur Rettung anstiftete; wenn es mir auch unbegreiflich bleibt, wie sie erfuhr, daß die Macht dazu grade in Ihren Händen lag.“
Bruno senkte das Auge. „Sie irren! Ich kenne jene Dame nicht einmal. Die Nachricht und der Ruf zur Rettung kamen von – von Ihrer Schwester.“
„Von Lucien?“ rief Bernhard mit unverstelltem Erstaunen. „Hat sich das Kind in diese ernste Sache eingemischt? Wie in aller Welt –“ er schwieg plötzlich, denn die Flamme, welche schon einmal den Prälaten so bedenklich gemacht, schlug wieder hell auf in dem Antlitz des jungen Mannes, und auch in Günther’s Kopf begann jetzt eine Ahnung aufzudämmern, aber er sah es an der finsteren Stirn und den festgeschlossenen Lippen Bruno’s, daß dieser sich kein Geständniß werde entreißen lassen, und entschlossen, keine Offenheit zu erzwingen, die ihm nicht freiwillig geboten ward, forschte er für jetzt nicht weiter. Dennoch war es ein fast peinliches Nachdenken, das ihm die unerwartete Entdeckung aufzwang. Seine rosige kinderfrohe Lucie und diese düstere vulcanische Natur! Unmöglich! Und doch mußte bereits ein Einverständniß zwischen ihnen bestehen, wer lehrte sie sonst im Augenblicke der höchsten Gefahr bei ihm Schutz und Hülfe suchen? Auch Bruno mochte wohl fühlen, daß er sich verrathen hatte, aber er schwieg beharrlich und so ward die Fahrt meist stumm zurückgelegt. Erst als das Schloß von Dobra vor ihnen auftauchte, wandte sich Günther wieder an seinen jungen Nachbar:
„Sie haben es mir verweigert, mein Haus als das Ihrige anzusehen, und doch hätte ich jetzt unter Allen wohl das erste Recht, Ihnen dort ein vorläufiges Asyl zu bieten. Ihre Rückkehr nach dem Stifte ist mit dem heutigen Tage eine Unmöglichkeit geworden, dies öffentliche Preisgeben der Klosterehre verzeiht man Ihnen nie. Soll ich nicht einmal wissen, wohin Sie zunächst Ihre Schritte lenken wollen?“
„Ich wollte für’s Erste nach N. zurück, und dann –“
„Nach N.?“ unterbrach ihn Günther rasch. „Um Gotteswillen nicht! Es liegt noch im Bereich des Stiftes, haben Sie nicht genug an der einen Erfahrung? Wollen Sie einen zweiten – Unglücksfall abwarten?“
Bruno schüttelte den Kopf. „Fürchten Sie nichts, die Verfolgung hat ihren Zweck verloren. Als es sich darum handelte, meinen Abfall zu verhindern, mein Schweigen um jeden Preis zu wahren, da war ich in Gefahr, da konnte man beides nöthigenfalls mit meinem Tode erkaufen; jetzt, wo der eine unwiderruflich vollzogen und das zweite öffentlich gebrochen ist, jetzt bin ich sicher!“
„Auch vor der Rache des Abtes? Sie führten einen tödlichen Streich gegen ihn, die Worte des Priors haben ihn moralisch vernichtet.“
„Ich ahnte es beinahe, wie der Elende sich rächen würde!“ sagte Bruno finster. „Hätte ich’s abwenden können, es wäre geschehen, aber ich mußte den Prälaten dem Aeußersten preisgeben, um Sie zu retten – es ist mir so schwer geworden, wie vielleicht ihm, als er mich preisgab!“
Bernhard sah ihn mit dem Ausdruck äußerster Befremdung an. „Ich begreife Sie nicht, Bruno! So sprechen Sie von dem Manne, der Ihren Tod befahl?“
„Er opferte mich seiner Ueberzeugung, wie er seinen Bruder, wie er dessen Sohn geopfert hätte, wären sie ihm feindlich in den Weg getreten. Er kennt eben nur Eins, die Macht und Ehre seiner Kirche, und vor dem Priester muß jede Regung des Menschen nieder in den Staub. Ich kann sein Handeln begreifen, auch wenn ich es verurtheilen muß, und mich wird er in Zukunft nicht mehr angreifen. Mit nutzlosen Verbrechen befleckt sich dieser Mann nicht, er steht eben so hoch über gemeiner Rache, als er von jeher über gemeinem Hasse stand.“
„Das war wieder einmal der Rhaneck, den man jetzt hörte!“ In Günther’s Stimme klang ein leiser Vorwurf mit durch. „Sie haben auch etwas von der rücksichtslosen Härte des Geschlechtes, Bruno, das alles niedertreten möchte, wo es sein eignes Wollen gilt! Sie sind weit mehr der Neffe Ihres Oheims, als Sie je der Sohn Ihres Vaters waren. Wollen Sie dem Prälaten auch die Eingriffe in das Leben Ihrer Mutter verzeihen?“
Ein Strahl von Haß blitzte wieder auf in dem Auge des jungen Mannes. „Ihm? Er hat sie nie gekannt! Ihm war sie eine Fremde, Eingedrungene in den Namen und Rang seiner Familie, er hatte keinen Schwur zu wahren, keine Gelübde zu halten; wenn er sie vernichtete, so geschah es mit jener eisernen Consequenz, die nun einmal die Grundlage seines Charakters bildet; ihn klage ich am wenigsten an. Auf den Gatten, der sein Weib zu vertreten und zu schützen berufen war, und der es statt dessen in solcher Weise preisgab, aus diesen allein fällt der größte Theil der Schuld!“
„Haben Sie eine Erklärung mit Ihrem Vater gehabt?“ fragte Günther forschend.
„Mit dem Herrn Grafen Rhaneck, meinen Sie?“ es lag eine schneidende Zurechtweisung in dem Tone. „Ich glaube, er war nicht abgeneigt, jenen Titel auch gegen mich geltend zu machen. Ich habe ihm gezeigt, daß ich das Andenken meiner Mutter zu ehren weiß und daß unsere Wege in alle Ewigkeit aus einander gehen.“
„Sie gehen zu weit! Graf Rhaneck hat dennoch –“
„Ich bitte, schweigen Sie davon!“ unterbrach ihn Bruno heftig. „Ich kann bei dem Namen nun einmal nichts fühlen als Haß und Erbitterung, und ich will keine Beziehung zu ihm anerkennen, weder dem Grafen noch einem Anderen gegenüber.“
Bernhard schwieg, er sah wohl, daß er diesen Punkt nicht berühren dürfe, wenigstens jetzt noch nicht.
„Sie werden für’s Erste doch wohl hier bleiben müssen,“ begann er nach einer Pause von neuem. „Ihr persönliches Zeugniß wird bei dem nun beginnenden Processe nicht entbehrt werden können.“
Bruno lächelte bitter. „Mein Zeugniß ist mit meinem heutigen Auftreten und meiner den Gerichtsbeamten gegebenen Erklärung zu Ende. Der Proceß wird nicht stattfinden!“
„Weshalb?“ fuhr Günther betroffen auf. „Sie wollen doch nicht behaupten, daß man es wagen könnte, jetzt noch die Sache niederzuschlagen, nun sie einmal in den Händen der Richter ist?“
„Nein! So weit reicht der Arm des Stiftes denn doch nicht, und selbst die Allmacht Roms würde daran scheitern. Aber Sie vergessen, daß der Prior sich vorläufig noch im Klostergewahrsam befindet, bis die Formalitäten seiner Auslieferung erfüllt sind. Man wird ihm gerade noch Zeit lassen, das Geständniß und vor allem die Anklage gegen den Abt zu widerrufen, und dann wird man – unachtsam sein. Er wäre der erste Mönch, der in solchem Falle nicht Thür und Thor zur Flucht offen gefunden hätte; jedes ferne Kloster öffnet dem Schuldigen seine Pforten, wenn es sich darum handelt, ihn der so sehr gehaßten weltlichen Gerichtsbarkeit zu entziehen.“
„Möglich! Man müßte also versuchen, den Landrichter –“
„Versuchen Sie nichts! Es scheitert alles, wenn der Orden ihn retten will, und er wird um keinen Preis dem Lande das Schauspiel eines solchen Processes gönnen. Glauben Sie denn, ich hätte es gewagt, die Gedächtnißfeier eines Todten mit meiner Anklage zu entweihen, hätte ich die Zeugenschaft Anderer dabei entbehren können? Er wäre vorher geflohen; nun geschieht es wenigstens nach dem Geständniß, das Ihre Ehre reinigt von jedem Verdachte.“
„Jedenfalls werde ich dennoch dem Landrichter die nöthigen Winke geben!“ sagte Bernhard lebhaft. „Uebrigens, was auch geschehen mag, der Eindruck jenes ersten Geständnisses und jener Worte gegen den Abt bleibt ungeschwächt. Das Verbrechen an sich würde man vielleicht mit der Zeit vergessen, aber daß es befohlen ward, befohlen werden konnte, das erschüttert die Macht des Stiftes bis in ihre innersten Grundvesten hinein. Die blinde Verehrung dafür ist zu Ende für alle Zeit!“
Die Ankunft in Dobra machte der weiteren Unterredung ein Ende. Hier wurde Günther bereits erwartet, der Landrichter hatte seine „Abscheulichkeit von vorgestern“, wie Fräulein Reich noch immer hartnäckig die Verhaftung nannte, dadurch wieder gut gemacht, daß er sofort vom Stifte zu den Damen herübergekommen war, ihnen die betreffenden Nachrichten zu bringen. Lucie hing noch in stürmischer Zärtlichkeit am Halse ihres Bruders, Franziska dagegen wandte sich sogleich nach der ersten warmen Begrüßung an dessen jungen Begleiter.
„Sie sind jedenfalls Herr Pater Benedict, von dem der Landrichter uns erzählt hat!“ begann sie in ihrer ungenirten Weise. „Ich kann es mir denken! Einen Anderen von der Sippschaft drüben hätte uns Herr Günther schwerlich mitgebracht. Ich habe sonst eine entschiedene Antipathie gegen Alles, was Kutten trägt, denn – entschuldigen Sie, Hochwürden – es steckt gewöhnlich nichts Gutes dahinter; Sie aber sind eine Ausnahme, Sie sind ohne Zweifel ein vortrefflicher Mensch, obgleich man es Ihrem Gesicht und Ihrer Kleidung nach eigentlich nicht vermuthen sollte; – ich freue mich außerordentlich, Ihre Bekanntschaft zu machen.“
Bruno nahm diese seltsame, aus Sottisen und Complimenten gemischte Begrüßung der ihm ganz unbekannten Dame mit sichtbarer Befremdung auf. Er verneigte sich schweigend, ohne Erwiderung und näherte sich dann dem jungen Mädchen.
„Ich habe versprochen, Ihnen den Bruder frei zurückzugeben, Lucie – hier ist er!“
Franziska, die noch ziemlich entrüstet dastand ob dieser kühlen Aufnahme der Versicherung ihres Wohlwollens, fuhr jetzt plötzlich mit dem Ausdrucke grenzenlosen Erstaunens herum. Dies „Lucie“, mit dem man ihren Zögling zu tituliren wagte, und das glühende Erröthen desselben brachte sie ganz und gar aus der Fassung. Bernhard beugte sich forschend zu seiner Schwester nieder.
„Ich wußte nicht, daß ich Deinem Vorgehen allein meine Rettung danke, Lucie! Du suchtest Bruno aus und bestimmtest ihn zum Handeln, und ich ahnte kaum, daß Ihr Euch überhaupt kanntet.“
Das junge Mädchen gab keine Antwort, sie sah zu Boden, an ihrer Stelle aber nahm jetzt Bruno das Wort.
„Ich möchte Sie bitten, Herr Günther, mir noch eine Unterredung mit Ihrer Schwester allein zu gestatten. Sie brauchen den Ausgang derselben nicht zu fürchten. Lucie hat von jeher so vor mir gezittert, daß sie aufathmen wird bei der Nachricht von meiner Entfernung aus der Gegend und aus dem Lande überhaupt.“
Sie klangen wieder sehr bitter, diese letzten Worte; aber Lucie war erbleichend aufgefahren, als er von seiner „Entfernung“ sprach, und ihr Antlitz verrieth einen so tödtlichen Schrecken, eine so angstvolle Frage, daß Bernhard auch über sie nicht länger mehr im Zweifel war, als er mit einer bejahenden Bewegung ihre Hände losließ.
„Was ist denn das?“ fragte Franziska, die noch immer starr vor Staunen dastand, halblaut, während Bruno dem jungen Mädchen in’s Nebenzimmer folgte.
„Etwas, das selbst Sie mit all Ihrer Klugheit nicht herausgefunden haben!“ sagte Günther lakonisch, indem er die Thür hinter den Beiden schloß, „aber beruhigen Sie sich, Franziska, ich hatte auch keine Ahnung davon, und Lucie hat sich in der ganzen Sache von Anfang an so eigenmächtig benommen, daß ich ihr auch wohl die schließliche Entscheidung allein überlassen muß. Das ‚Kind‘, das wir Beide für so unmündig hielten, hat uns einen argen Streich gespielt. Es wußte mehr zu tragen und zu verschweigen und im gegebenen Momente richtiger zu handeln, als wir Alle zusammen. Wir wollen jetzt abwarten, ob die Unterredung drinnen wirklich nur mit einem Lebewohl endigt oder mit etwas Anderm. Ich fürchte ganz entschieden das Letztere!“ –
Bruno war inzwischen, als er die Thür geschlossen sah, rasch auf das junge Mädchen zugetreten.
„Ich habe noch eine Frage an Sie, Lucie, die Sie mir beantworten müssen, ehe ich gehe, denn noch liegt für mich ein räthselhaftes Dunkel auf Ihrem Eingreifen in das Drama, das soeben sein Ende erreicht hat. Wer wies Sie vorgestern zu mir? Sie wußten damals bereits, was alle Welt nur ahnte, daß Graf Rhaneck gemordet war, wußten, daß nur mein Zeugniß allein Ihren Bruder befreien konnte, und doch ist das Geheimniß nur einmal über meine Lippen gekommen, dem Prälaten gegenüber. Außer dem Prior und uns Beiden konnte es Niemand wissen – wer hat es Ihnen verrathen?“
Lucie hob zaghaft das Auge zu ihm empor; es lag wieder eine tiefe Blässe auf dem lieblichen Gesichte, als sie zögernd entgegnete:
„Ich wußte nichts, ich ahnte nur, und Gott sei gedankt, daß die Ahnung mich trog! Ich fürchtete ja eine andere schrecklichere Lösung – ich glaubte, Sie müßten sich selber opfern, um Bernhard zu retten.“
Bruno trat betroffen einen Schritt zurück. „Mich selbst? Das heißt also, Sie hielten mich für den Schuldigen?“
Das junge Mädchen gab keine Antwort, sondern senkte nur schuldbewußt das Haupt.
„Ich muß doch wohl etwas vom Mörder an mir haben!“ sagte er bitter. „Auch Graf Rhaneck hegte den gleichen Argwohn. Darum also bebten Sie so entsetzt zurück, als meine Hand es wagte, Sie zu berühren? Freilich in Ihren Augen war sie ja voll Blut!“
„O, Sie sahen so entsetzlich aus, als Sie damals in der Kirche von mir gingen!“ Luciens Stimme bebte wieder bei der Erinnerung an jene Stunden. „Ich konnte Ihren Blick, Ihren Ton nicht vergessen! und gleich darauf fiel der Graf, fiel auf Ihrem Wege, und dann – das Zusammentreffen aller Umstände, Ihr räthselhaftes Schweigen – wenn Sie gewußt hätten, was damals auf Ihrer Stirn geschrieben stand, als Sie mich verließen! Sie würden mich nicht schelten wegen eines Irrthums, den ich selbst am schwersten gebüßt habe!“
Sie grub sich auch jetzt wieder in seine Stirn, die drohende Falte, welche sie damals so erschreckt hatte. Die ganze Härte und Verschlossenheit des jungen Mannes schien zurückgekehrt, als er finster, halb abgewendet von ihr dastand, als könne er den Verdacht nicht verzeihen; aber als sich Lucie nun an seine Seite stahl und er seinen Namen zum ersten Male von ihren Lippen vernahm, als dies leise bittende „Bruno!“ sein Ohr berührte und ihre Augen zu ihm aufblickten, da löste sich jene Falte, der herbe Zug verschwand, und das ganze Antlitz verlor seinen Ausdruck düsterer Erbitterung, als habe eine Hand glättend und besänftigend darüber hingestrichen. Diese blauen Augen waren vielleicht das Einzige auf Erden, was Macht hatte über diese starre Natur, aber sie waren hier auch allmächtig.
„Das Verbrechen galt mir, Lucie!“ sagte er leise. „Ich war das auserkorene Opfer! Die dämmernde Schlucht führte die mörderische Hand irre und die Aehnlichkeit unserer Gestalt, der dunkle Mantel, den wir Beide trugen, wurden dem Grafen zum Verhängniß. Es war die Stunde und der Moment, wo ich die Kluft passiren mußte; wäre ich zur gewöhnlichen Zeit gegangen, hätte ich Ottfried überholt, nur um Minuten vielleicht, ich wäre an seiner Statt gefallen. Was mich in der Kirche zurückhielt, was mich rettete –“
„Ich weiß es!“ unterbrach ihn Lucie kaum hörbar. Sie wußte es freilich, jenes glühende leidenschaftliche Geständniß seiner Liebe, das allein ihm zur Rettung geworden, es war ja während der ganzen Zeit nicht einen Moment lang aus ihrer Erinnerung gewichen.
„Ich erreichte die Brücke in dem Momente, wo der Graf hinabgestürzt ward!“ fuhr er gepreßt fort. „Zu spät, um den Mord zu verhindern, und früh genug, um den Mörder noch zu erkennen, der sich beim Nahen meiner Schritte zur Flucht wandte. Es war keine Zeit, ihm zu folgen und ihn zur Rede zu stellen; ich rief die Nächstwohnenden herbei, um mit ihnen in die Schlucht einzudringen. Die Hülfe kam zu spät, ich wußte es, aber sie mußte doch wenigstens versucht werden, und ihr mußte alles Andere nachstehen. Am nächsten Tage erfuhr der Prälat aus meinem Munde, was ihm kein Geheimniß mehr sein konnte, denn ich war auch nicht einen Augenblick im Zweifel darüber gewesen, wer statt seines Neffen gemeint war. Er befahl mir zu schweigen mit dem Hinweis darauf, daß hier doch nichts mehr zu retten sei; noch einmal, zum letzten Male, schlug er mich in die Fesseln des blinden Gehorsams, und ich gehorchte ihm bis zu dem Augenblicke, wo ich durch Sie erfuhr, was auf dem Spiele stand.“
Bruno athmete tief auf und sein Antlitz verdüsterte sich wieder, während das junge Mädchen in athemloser Spannung seinen Worten zuhörte.
„Man wollte mich auch jetzt noch zum Schweigen zwingen!“ sagte er mit zusammengebissenen Zähnen. „Hören Sie, Lucie? auch jetzt noch! Und mit dieser schmachvollen Zumuthung riß denn endlich das letzte Band entzwei, mit dem mich Gewohnheit und Erziehung an Jene dort knüpften. Wir sind fertig mit einander! Sie werden mir den Wortbrüchigen, den Meineidigen nachschleudern mein ganzes Leben lang – ich habe lange genug gezittert vor dem Schreckbilde dieses Wortes, jetzt will ich ihm einmal in’s Auge sehen!“
Lucie hob mit einer raschen Bewegung das Haupt empor. „Sie wollen sich lossagen? Auch von Ihrer Kirche?“
„Ich muß! Mir bleibt keine andere Wahl, will ich nicht künftig rechtlos dastehen im Leben. Die katholische Kirche erkennt meine Lossagung nie an, giebt den einmal Geweihten niemals frei, ihr bleibe ich ewig der entflohene, der verfehmte Mönch, welche Stellung in der Welt ich mir auch erobern mag. Es giebt für mich nun einmal keine Freiheit in diesem Glauben und jeder halbe Schritt wird mir zum Verderben. Ich kehre in das Bekenntniß zurück, in dem ich geboren und getauft bin; mögen es die verantworten, die mich ihm ohne mein Wissen entrissen, die mich blind machten mit ihrer Sclavenerziehung, bis ich selbst der Fessel die Hand bot – ich weiß jetzt, wohin ich gehöre – und wo allein meine Zukunft liegt!“
Lucie hatte keine Erwiderung auf diesen mit vollster Energie kundgegebenen Entschluß, aber sie widerstrebte auch nicht mehr, als er jetzt ihre Hand ergriff und sie leidenschaftlich zu sich zog.
„Lucie! In Deinem Glauben bricht mit all den anderen Ketten auch die Fessel, die mich bisher von jedem Glücke schied. Du hast vor mir gezittert, von dem ersten Augenblicke an, wo ich Dir entgegentrat, Du hast mich gemieden und geflohen, hast mich des Furchtbarsten für fähig gehalten, und doch weiß ich’s seit jener Stunde gestern im Gebirge, daß es nicht Haß war, der Dich von mir entfernte, daß ich nicht hoffnungslos liebte. Kannst Du einem Manne vertrauen, der sein neues Leben mit einem Wortbruche anfängt, anfangen muß, wenn er überhaupt noch eine Zukunft haben will? Kannst Du ein Schicksal theilen, das vielleicht emporführt, und vielleicht auch zum Untergange? Du mußt Dein frohes, sonniges Kinderglück, die sichere Heimath, den Bruder, mußt Alles aufgeben, um mir zu folgen und ich kann Dich nur mit hineinreißen in Kampf und Streit. Sie werden mich ihren Haß fühlen lassen, bei jedem Schritte auf der neuen Bahn, jeden Fuß breit werde ich mir erst erkämpfen müssen, ich hab’s nun einmal gewagt und nehme die ganze Last und die ganze Verantwortung auf mich allein; aber Du, Lucie? Wirst Du nicht zittern an meiner Seite vor einem solchen Loose und vielleicht auch wieder – vor mir?“
Sein Ton war furchtbar ernst geworden bei den letzten Worten, und sie hatten wenig von den beglückenden Verheißungen eines Liebenden, diese Zukunft, wie er sie dem jungen Mädchen ausmalte, dessen Leben bisher in so ganz anderen Bahnen dahingeflossen war. Die düstere, fast dämonische Natur dieses Mannes verleugnete sich selbst in dem Momente nicht, da er um seine Braut warb, aber er warb auch nicht um das Kind mehr, das einst in kindischer Furcht vor dem finsteren Mönche geflohen war. Jene Stunde am Altar, da sein wahres Wesen sich ihr zum ersten Male in seiner ganzen Tiefe enthüllte, hatte auch in ihr das Weib wachgerufen, und die Todesangst der letzten Tage das einmal Erweckte schneller gereift, als es Jahre ruhigen Dahinlebens vermocht hätten. Es war die ganze liebende und unerschütterliche Hingebung des Weibes, mit der Lucie jetzt zu ihm emporblickte und lächelte, während doch zugleich ein paar heiße Thränen in ihren Augen standen.
„Ich hielt Dich gestern noch für schuldig, Bruno! Ich hatte fast die Gewißheit, daß der Graf von Deiner Hand gefallen sei, und mit dem vollen Bewußtsein davon habe ich damals den Kopf an Deine Brust gelegt und nicht gezittert, als Du mich in den Armen hieltest. Willst Du noch eine andere Bürgschaft? Ich glaube doch, meine Liebe zu Dir hat in jenem Augenblick die schwerste Probe bestanden!“
Mit einer leidenschaftlichen Bewegung zog er sie fester in seine Arme, während seine Lippen zum ersten Male die ihrigen berührten. Sie hatte Recht, die Probe war bestanden, und mit der stürmischen, nie gekannten Glückseligkeit, die jetzt schrankenlos aus dem ganzen Wesen Bruno’s hervorbrach, bebte wohl noch etwas Anderes durch seine Seele bei diesem ersten Kuß. Er fühlte jetzt erst, daß die Schranke niedergerissen war, die den Mönch, den römischen Priester von den heiligsten und süßesten Banden schied, die die Menschen auf Erden aneinander fesseln, von Weib und Heimath und Familie!