Читать книгу Herz-Sammelband: Elisabeth Bürstenbinder Liebesromane - Elisabeth Bürstenbinder - Страница 9
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ОглавлениеGolden lag der Sonnenschein auf Berg und Thal, der Mittag sandte sein heißes glänzendes Licht weithin über die Erde, nur der Schatten des Waldes bot noch Kühlung und Schutz vor den sengenden Strahlen, in deren Gluth draußen Alles flimmerte und leuchtete. Auf einem der Seitenwege, die von Dobra aus hinein in die Forsten führten, flog Lucie Günther dahin; es war ihr freilich verboten, allein und ohne die schützende Begleitung ihrer Erzieherin sich so weit zu wagen, aber wann hätte Lucie je nach der Erlaubniß gefragt, wo es die Befriedigung einer augenblicklichen Laune galt! Ein so weiter Spaziergang lag allerdings nicht in ihrem Plane, sie war auf’s Feld hinausgegangen, um ihren Bruder abzuholen, und verspürte, als sie von den Arbeitern vernahm, daß er bereits fort sei, nicht die mindeste Lust, in der Mittagshitze sogleich wieder umzukehren, sie ging lieber in den Forst, vorläufig nur in der Absicht, am Rande desselben einige Blumen zu pflücken, aber dabei kam sie einen Schritt nach dem andern vorwärts, und gerieth endlich tief hinein.
Es liegt ein eigenthümlicher Zauber in der Waldeseinsamkeit, sie lockt und winkt unwiderstehlich, und wer sich ihr erst einmal hingegeben, den läßt sie sobald nicht wieder los. Auch Lucie unterlag diesem Zauber, sie liebte den Wald ja so leidenschaftlich, und heute rauschte er ihr so duftig kühl entgegen, es zog sie weiter und weiter, vorüber an stürzenden Bächen, an dunkeln Felswänden und dichtverschlungenem Gebüsch, immer weiter hinein in die grünen Tiefen, die sich endlos vor ihr aufthaten.
Länger als eine halbe Stunde war sie so vorwärts gelaufen, dem Fußpfade folgend, der sich vor ihr hinschlängelte, aber ohne im Ganzen viel auf Weg und Steg zu achten, da ward es auf einmal lichter um sie her, und aus den dichten Bäumen heraustretend, gewahrte sie eine jener stillen grünen Bergwiesen, wie sie der Wald oft in seinem tiefsten Schooße birgt. Die Felswand stieg hier plötzlich jäh und schroff empor und ragte weit hinaus über die Wipfel der Bäume, aber zu ihren Füßen schmiegte sich weicher grüner Rasenteppich, und über das dunkle Gestein rieselte es silberhell, ein Quellchen wand sich murmelnd und blinkend daraus hervor, und überall ringsum wehten und winkten die grünen Arme der Waldrebe, die in seltener Pracht und Fülle hier gedieh. Wie ein undurchdringliches Netz umflochten die dichten blätterreichen Ranken Bäume, Gesträuch und Felsgestein und erfüllten, mit Tausenden von weißen Blüten überdeckt, den ganzen Raum mit ihrem leise berauschenden Duft.
Es war ein lieblicher Ort zum Ausruhen, und Lucie beschloß, sofort davon Gebrauch zu machen, sie warf sich am Rande der Quelle nieder, lehnte den Kopf an die moosigen Steine, schloß die Augen, und fühlte mit kindischer Freude, wie die kühlen duftigen Ranken sich ihr auf die heiße Stirn und um die erhitzten Wangen legten.
Aber lange in dieser ruhig träumerischen Stellung auszuharren, lag nicht in dem Temperament des jungen Mädchens, schon nach wenigen Minuten richtete sie sich wieder empor, und da entdeckte sie denn etwas, was sich hier mitten im Walde allerdings seltsam genug ausnahm; nicht weit von ihr im Grase lag ein Buch, ein dicker, sehr verdächtig gelehrt aussehender Band, dessen Aeußeres hinreichend verrieth, daß er oft und viel benutzt wurde. Neugierig griff sie danach und schlug es auf, sie kannte zufällig den Titel, eben dies Buch war kürzlich Gegenstand eines heftigen Streites zwischen Fräulein Reich und ihrem Bruder gewesen, der es in seiner Bibliothek hatte. Franziska hatte die Lectüre eine „himmelschreiende“ genannt, Bernhard dagegen die Achseln gezuckt und ihr den Rath gegeben, das Werk doch einfach erst einmal zu lesen. Diese Zumuthung aber hatte das Fräulein mit vollster Entrüstung zurückgewiesen und ihn ersucht, sich doch gefälligst zu erinnern, daß sie eine christliche Pfarrerstochter und kein so ausgemachter Freigeist wie Herr Bernhard Günther auf Dobra sei. Lucie achtete sonst nicht viel auf dergleichen Gespräche, die sie nicht im mindesten interessirten; aber jetzt kam ihr doch eine dunkle Erinnerung daran und sie begann in dem Werke zu blättern, um womöglich das „Himmelschreiende“ herauszufinden, aber bald genug gab sie die Mühe auf. Weltgeist! Natur! Ursprung des Menschen! Gott, mit was für entsetzlichen Dingen füllten diese Männer nicht ihre Köpfe an! Fräulein Reich hatte ganz Recht, wenn sie eine solche Lectüre zurückwies, und ihr Zögling zerbrach sich nur den Kopf darüber, welcher ausgemachte Freigeist außer ihrem Bruder denn hier in der streng katholischen Umgegend lebe, der an solchen Studien Gefallen fand.
Sie hielt den Fund noch geöffnet in der Hand, als ein Schatten auf die hellen Blätter fiel, Lucie blickte auf und fuhr mit einem leisen Schrei des Entsetzens empor. Da stand er wieder vor ihr, der finstere Mönch, der unheimliche Pater Benedict, und sah sie mit seinen großen dunklen Augen an. Sie wich zurück, so weit als es die Felswand nur gestattete, die Linke griff wie Schutz suchend in die grünen Ranken, während sie mit der Rechten das Buch mechanisch an sich preßte. Sie wußte jetzt freilich, daß es nicht der Währwolf im Märchen war, sondern ein Mensch von Fleisch und Blut, ein Geistlicher des Stiftes, aber das half alles nichts, es legte sich ihr genau so angstvoll und beklemmend auf’s Herz, wie das erste Mal. Hier war kein Entrinnen möglich, er stand ihr dicht gegenüber und jetzt öffnete er gar die Lippen zu einem Worte, jedenfalls so finster und feindselig, wie seine ganze Erscheinung war.
„Ich bitte um Verzeihung, wenn ich Sie erschreckt habe, mein Fräulein! Ich kehrte um, etwas Vergessenes zu holen, Sie sahen mich nicht, als ich über die Wiese schritt.“
Es war das erste Mal, daß Lucie seine Stimme vernahm, sie athmete tief auf und ließ die Hände sinken. Die Stimme klang ganz anders, als sie geglaubt, es war ein weicher voller Klang, der sympathisch ihr Ohr berührte, und als sie etwas ermuthigt dadurch einen Blick in sein Gesicht wagte, da erschienen ihr auch die Augen ganz anders, als sonst. Sie blickten wohl noch ernst und düster auf sie hin, aber die unheimliche Gluth darin war gemildert, war tief zurückgedrängt. Luciens Angst begann zu weichen, sie machte allmählich der entgegengesetzten Empfindung Platz. Nichts lag dem Charakter des jungen Mädchens ferner, als eigentliche Furchtsamkeit; im Gegentheil, sie war meist nur allzu keck und übermüthig. Wie oft war sie lachend und spottend Dem entgegengetreten, was Anderen als eine Gefahr erschien; wie oft hatte sie dem drohenden Stirnrunzeln von Madame Schwarz und den Strafpredigten von Fräulein Reich die Stirn geboten, wie oft sogar dem Zorn des Bruders getrotzt, den doch ganz Dobra fürchtete; warum hatte denn nur dieser Mann allein auf der ganzen Welt die Macht, sie durch seinen bloßen Anblick schon zu schrecken und zu ängstigen? Der Zorn darüber wallte heiß in ihr empor, sie wollte sich nicht mehr schrecken lassen, sie wollte der lächerlichen Furcht Herr werden, um jeden Preis! Entschlossen gab sie ihre Vertheidigungsstellung auf, warf die Locken zurück und trat einen Schritt vorwärts.
Jetzt erst bemerkte Benedict das Buch, das sie noch immer festhielt, und etwas, das beinahe einem Lächeln glich, flog über seine Züge.
„Was soll denn Spinoza in Ihren Händen?“ fragte er halb mitleidig, halb vorwurfsvoll, „für Sie passen doch solche Schriften sicher nicht!“
Er hätte Luciens heroischen Entschluß nicht wirksamer unterstützen können, als durch diese Bemerkung; wo ihr kindisches Selbstgefühl verletzt ward, trat für sie alles Andere in den Hintergrund. Sie fand sich tief gekränkt durch diese Worte, sie klangen aber auch gar zu mitleidig herablassend, ihr Zorn schlug in hellen Flammen auf, und ihm den Vorwurf sofort zurückgebend, entgegnete sie sehr entschieden:
„Nun, für Sie paßt das Buch doch wohl noch viel weniger!“
Benedict wich einen Schritt zurück bei diesem ganz unerwarteten Ausfall und sah sie halb erstaunt an. „Weshalb?“ fragte er endlich.
„Weil Sie ein Mönch sind!“ erklärte Lucie, genau den verächtlichen Nachdruck auf das Wort legend, mit dem ihr Bruder es auszusprechen pflegte.
Benedict zuckte leise zusammen. Fort war auf einmal der mildere Ausdruck der Züge, der alte Schatten und die alte Feindseligkeit standen wieder drohend dort und auch die Stimme hatte den weichen sympathischen Klang verloren, als er finster fragte:
„Sie verachten wohl die Mönche recht sehr?“
Lucie fühlte unklar, daß sie mit ihrem Worte irgend eine dunkle Tiefe aufgerissen, die besser verschlossen geblieben wäre, aber sie kämpfte schon wieder gegen die alte Angst an, die sich auf’s Neue zu regen begann, und in ihrem Widerstande dagegen ging sie schleunigst in’s Extrem über, und reizte nun selbst den Gefürchteten nach Kräften.
„Ich mag sie auch nicht!“ erklärte sie mit der ganzen Freiheit und der ganzen Unart eines Kindes, „und ich kann überhaupt nicht begreifen, wie ein Mensch es vermag, sich sein Leben lang im Kloster einzusperren und seine Zeit immer nur mit Beten und Büßen hinzubringen, während draußen die Welt so schön ist!“
Benedict lächelte wieder, diesmal aber lag eine unendliche Bitterkeit in seinem Lächeln.
„Sie können es auch nicht begreifen, weil Sie in Freiheit erzogen und aufgewachsen sind. Hätte man Sie schon als Kind mit Leib und Seele in die Gewalt der Priester gegeben, so wären Sie auch in’s Kloster gegangen. Ich sage Ihnen, Sie hätten es gethan!“ wiederholte er nachdrücklicher, als sie eine heftige Bewegung machte, „unter der eisernen Zuchtruthe bricht jeder Trotz und jede Willenskraft, unter ihr lernt sich Alles, und wenn es auch dem ganzen Wesen des Menschen im tiefsten Innern widerstrebt!“
Es bebte wie dumpfer, mühsam verhaltener Groll aus diesen Worten, aber Lucie geriet förmlich außer sich darüber. Ihr zu sagen, sie wäre auch in’s Kloster gegangen! Der Mann schien eine ganz eigenthümliche Vorstellung von seiner priesterlichen Gewalt zu haben, am Ende versuchte er noch gar, die „Zuchtruthe“ auch gegen sie geltend zu machen, sie erwartete nichts Geringeres, als einen vollständigen Bekehrungsversuch.
Aber nichts dergleichen erfolgte. „Wollen Sie mir jetzt mein Eigenthum zurückgeben?“ fragte Benedict nach einer augenblicklichen Pause wieder vollkommen ruhig.
Stumm reichte ihm Lucie das Buch hin, dabei berührte seine Hand einen Moment lang die ihrige, sie zuckte unwillkürlich zurück, er bemerkte es.
„Sie fürchten sich vor mir?“ fragte er leise.
Das junge Mädchen antwortete nicht.
Benedict trat rasch einige Schritte zurück, so daß ein weiterer Raum zwischen ihnen blieb; das eben noch geforderte Buch fiel unbeachtet zu Boden.
„Sie brauchen mich doch wahrlich nicht zu fürchten!“ sagte er bitter. „Ich werde selten genug in Ihren Gesichtskreis kommen. Ein so frohes, sinniges Schmetterlingsdasein und meine Bahn, die liegen allzuweit von einander – hoffentlich berühren sie sich nie!“
Das war doch nun entsetzlich beleidigend und rücksichtslos! Als ob Lucie diese Begegnung gesucht oder gewünscht hätte, als ob sie sie nicht noch ängstlicher mied als der Herr Pater, der so entschieden hoffte, mit ihr nie wieder in Berührung zu kommen! Das war ihr allzuviel, sie brach in vollste Heftigkeit aus.
„Ja, das hoffe ich gleichfalls! Ich weiß ja, daß Sie Alles hassen, was Freude und Sonnenschein heißt, und daß Sie vor allen Dingen mich hassen, ich habe es deutlich genug gesehen!“
Eine tiefe Gluth überdeckte auf einmal Benedict’s Züge, während er den Blick fest auf sie richtete.
„Wo haben Sie das gesehen?“
„Vorgestern auf dem Feste des Baron Brankow! O, und ich nicht allein!“ Lucie war jetzt einmal im Zuge, und nun fiel es ihr auch nicht ein, sich noch irgend einen Zwang aufzuerlegen. „Graf Rhaneck hat es auch bemerkt, wie feindselig Sie uns im Tanze beobachteten; er sagte, Sie sähen aus, als wollten Sie uns Beide in die fernsten Tiefen der Verdammniß schleudern!“
Die dunkle Gluth lag noch immer heiß auf Benedict’s Antlitz, sie schien noch tiefer zu werden bei den letzten Worten, unverwandt blickte er das junge Mädchen an.
„Also auch Graf Rhaneck!“ sagte er bitter. „Ja freilich, dessen Beobachtungen sind auf jeden Fall unfehlbar, zumal für Sie! Sie haben vollkommen Recht, mein Fräulein! Verabscheuen Sie in mir immerhin den finstern Fanatiker, der Ihnen keine Freude und keine Jugendlust gönnt, hassen Sie ihn nach Kräften – es ist am besten so!“
Er wandte sich heftig ab; Lucie stand betreten da, eine solche Antwort hatte sie am wenigsten erwartet. Zwar verstand sie gar nicht die räthselhaften Worte, aber Eines verstand sie doch, den Klang derselben, das tiefe, schneidende Weh, das aus ihnen hervorbrach, und groß und verwundert schaute sie ihn an. Es war ein eigenthümlich ernster und nachdenklicher Blick, wie er nicht oft in diese immer lachenden Kinderaugen trat; sie hatte auf einmal alle Lust zum fernern Streite verloren.
Langsam ließ sie sich wieder auf die moosigen Steine nieder und pflückte einige von den überhängenden Ranken der Waldrebe, die sie fast mechanisch zu einem dichten Gewinde ineinanderschlang; sie hoffte, Pater Benedict würde sich nun endlich entfernen, aber er blieb, er verharrte unbeweglich auf seinem Platze. Vielleicht empfand der finstere Fanatiker doch in diesem Augenblicke etwas von dem bezaubernden Liebreiz des jungen Wesens, das wie eine Elfe dort am Rande der Quelle saß, umwogt von der braunen Lockenfülle, umschattet von den blühenden Ranken, Hände und Schooß voll Blumen. Sie blickte nicht ein einziges Mal auf von ihrer Beschäftigung, denn wenn sie es auch nicht wußte, sie fühlte doch, daß seine Augen wieder auf ihr ruhten, fühlte es an jener leise quälenden Empfindung, die sie neulich bis in den Traum hinein verfolgt hatte; sie wachte immer nur auf unter diesem Blicke.
Tiefe schweigende Mittagsstille ringsum im Walde. Nur das Quellchen sang seine einförmige träumerische Melodie, als wolle es Alles ringsumher einsingen in Schlaf und Traum. Leise rieselte der silberne Strahl vom Fels hernieder, leise rauschte der Wald und leis und mild dufteten die weißen Blüthen, auf der Wiese leuchtete und flimmerte das Sonnengold und dahinter ruhten die tiefen Waldgründe, noch unberührt von den Strahlen, im grünen, duftigen Dämmerschein. Es wehte seltsam daraus hervor, der Waldeszauber hatte sich aufgethan und umfing den Ort mit seiner ganzen geheimnißvollen Gewalt, umfing auch die Beiden auf der stillen Bergwiese. Er nahm sanft und unwiderstehlich von dem finstern Antlitz des jungen Priesters all den Haß und all die Bitterkeit, die so oft dort eingegraben standen, und legte dafür auf das rosige Kindergesicht des jungen Mädchens einen milden träumerischen Ernst, wie er selten dort weilte; er spann leise, unsichtbare Fäden hinüber und herüber von Einem zum Andern, ein zartes luftiges Gewebe; er wob es fest und fester, und zwischen ihnen rieselte fort und fort der silberne Strahl und flüsterte ihnen die uralte ewige Melodie, die so oft schon zwei Menschenherzen in den Traum gesungen oder – daraus erweckt hat.
Da auf einmal brach der Bann, der ganze Zauber zerrann, das luftige Gewebe aus Sonnengold, aus Blumenduft und Quellenrauschen zerriß, als habe eine fremde Hand jäh hineingegriffen. Benedict war plötzlich aufgefahren, und als Lucie bei seiner heftigen Bewegung emporsah, da traf sie wieder jener wild flammende Blick, wie neulich mitten im Tanze, traf sie nur einen Moment lang, um sich dann sprühend wieder nach der andern Seite zu wenden. Erschreckt folgte sie der Richtung seines Auges; drüben am Rande der Wiese war der junge Graf Rhaneck soeben aus dem Walde hervorgetreten und blieb in sichtlich unangenehmer Ueberraschung stehen, als er das schwarze Benedictinergewand neben der hellen Gestalt des jungen Mädchens erblickte.
Halb überrascht, halb bestürzt erhob sich Lucie; aber sie athmete tief auf beim Anblick des Grafen, seine Erscheinung löste den seltsam beängstigenden Traum, der sie so fest umstrickt gehalten, daß sie alles Andere darüber vergaß. Unwillkürlich that sie einen Schritt ihm entgegen. Benedict sah es; er wurde auf einmal todtenbleich und trat langsam noch weiter zurück, bis tief in den Schatten der Felswand.
Ottfried hatte indessen auch bemerkt, daß er gesehen worden sei; er kam rasch über die Wiese und näherte sich den Beiden.
„Ah, mein Fräulein, welch ein unverhofftes Glück, Sie hier zu finden! Sieh da, Hochwürden!“ Er grüßte mit einer kalten Verneigung den jungen Priester und wandte sich dann sofort wieder zu Lucie. Wie hätte ich ahnen können, daß meine einsamen Jagdstreifereien mir zu einer solchen Begegnung verhelfen würden! Noch war es mir nicht vergönnt, Sie nach dem Feste begrüßen zu dürfen; ich danke doppelt dem Zufall, der mir heute diese Gunst gewährt.“
Ottfried wußte diese galanten Phrasen so unbefangen hinzuwerfen, als sei es in der That nur der Zufall, der ihn hergeführt, als habe er nicht bereits gestern und heute das ganze Gebiet von Dobra umstreift, um ein solches Zusammentreffen herbeizuführen, als sei er nicht seit einer vollen Stunde unterwegs, um Lucien, die auf’s Gerathewohl in den Wald gelaufen war, auf den verschlungenen Pfaden desselben zu folgen, bis er sie endlich, nach mancher Mühe und manchem Abirren von der rechten Spur, auffand. Lucie selbst hatte freilich keine Ahnung hiervon; desto richtiger schien Pater Benedict den „Zufall“ aufzufassen; er hatte den Gruß des Grafen stumm erwidert und lehnte jetzt drüben an der Felswand, das Auge mit einem durchbohrenden Ausdrucke auf die Beiden gerichtet.
Bei jeder andern Gelegenheit hätte Lucie eine solche Begegnung mit großer Genugthuung begrüßt; sie war nun einmal entschlossen, dem Verbot des Bruders, das ihr jeden fernern Verkehr mit dem Grafen untersagte, ganz offen zu trotzen, und es traf sich sehr glücklich, daß dieser sich ihr gerade hier nahte, wo Bernhard weder sich einmischen, noch es verhindern konnte; aber sie kam heute nicht zur Freude und Genugthuung darüber, der finstere Beobachter dort drüben peinigte sie unaussprechlich, das Bewußtsein seiner Nähe raubte ihr allen Halt und alle Unbefangenheit; sie konnte den harmlos neckischen Ton nicht wiederfinden, in welchem sie neulich mit Ottfried verkehrt hatte, und antwortete nur verlegen und zerstreut auf seine wieder reichlich aufgebotenen Galanterien.
Auch der junge Graf schien sich unbehaglich zu fühlen in der Nähe jenes stummen Zuschauers, der ihm einen sichtlichen Zwang auferlegte. All’ seine Artigkeiten und Liebenswürdigkeiten gingen nur bis zu der Schranke, die man einer fremden Bekanntschaft gegenüber beobachtet, aber der Zwang war ihm augenscheinlich sehr lästig, und er machte einen kecken Versuch, ihn abzuschütteln.
„Wie ich sehe, mein Fräulein, waren Sie soeben im Begriff, zu gehen! Sie erlauben doch, daß ich Sie durch den Wald geleite? Wir stören ohnedies hier Herrn Pater Benedict“ – er warf einen Blick auf das noch immer am Boden liegende Buch –, „der mit wichtigen Studien beschäftigt scheint. Sie werden erfreut sein, die nöthige Ruhe und Muße zurück zu erhalten, Hochwürden. Darf ich bitten, mein Fräulein?“
Lucie war im Begriff, das Anerbieten anzunehmen, Ottfried stand bereits an ihrer Seite und wies nach dem Fußpfade hinüber – da auf einmal trat der junge Priester zwischen sie. Seine Hand legte sich schwer und kalt auf den Arm des jungen Mädchens, sie schauerte leise zusammen unter der Berührung.
„Sie thun besser, den Rückweg allein anzutreten, mein Fräulein! Der Wald ist sicher, vertrauen Sie sich immerhin seinem Schutze!“
Ottfried wendete sich bei der unerwarteten Einmischung hastig um, und maß den Störer mit einem halb zornigen, halb ironischen Blick.
„Ich habe nicht geglaubt, Hochwürden, daß irgend eine weltliche Angelegenheit im Stande wäre, Ihr Interesse zu erregen!“ sagte er spöttisch. „Bitte, bedenken Sie, daß die junge Dame nicht zu Ihren Beichtkindern gehört, und daß ihr jedenfalls allein das Recht zusteht, meine Begleitung anzunehmen oder abzulehnen.“
Die Hand Benedict’s lag noch immer schwer und kalt auf Luciens Arm, seine Stimme war tonlos, aber sie hatte eine eiserne Festigkeit:
„Ich zweifle ebenso sehr daran, daß der Bruder Fräulein Günther’s von diesem – Zusammentreffen und von dieser Begleitung unterrichtet ist, als daß er sie billigt, und ich glaube in seinem Namen zu handeln, wenn ich beides verhindere. Die junge Dame kehrt entweder allein nach Dobra zurück, oder sie geht unter meinem Schutze, nicht unter dem Ihrigen.“
„In der That, Sie maßen sich eine eigenthümliche Bevormundung über uns Beide an!“ rief Ottfried gereizt. „Wer giebt Ihnen das Recht zu solchen Befehlen, dem Fräulein und mir gegenüber?“
„Der Ruf, in dem Sie stehen, Herr Graf!“ gab Benedict eisig zurück.
„Herr Pater Benedict!“ fuhr Ottfried wütend auf.
„Herr Graf Rhaneck!“
Rede und Gegenrede klangen gleich drohend und herausfordernd. Bebend vor Zorn wandte sich Ottfried jetzt an Lucie.
„So muß ich Sie bitten, mein Fräulein, diesen unerhörten Eingriff in Ihren Willen zurückzuweisen! Sagen Sie dem Herrn Pater, daß Sie sich meinem Schutze allein anvertrauen, und nicht gesonnen sind, sich darüber Vorschriften machen zu lassen.“
Lucie – sagte gar nichts. Sie fand den Eingriff freilich auch unerhört, und jedem Andern gegenüber hätte sie sich mit vollster Heftigkeit dagegen erhoben, aber ihr sonst immer reger Trotz und Eigenwille sank hier machtlos zusammen. Sie konnte nicht trotzen diesem Manne gegenüber, der jetzt mit so furchtbarem Ernste auf sie niederschaute, aber sie fühlte mit tiefer Bitterkeit, ja mit einer Art von Verzweiflung, daß sie es nicht konnte. Ihre Ahnung, die sie gleich beim ersten Male diese „Gespensteraugen“ fliehen hieß, hatte sie nicht getäuscht, er bannte sie ja förmlich mit diesen Augen, er legte ihren ganzen Willen damit in Fesseln und lähmte ihr das Wort auf der Zunge.
Lucie hoffte trotzdem, der Graf werde ihr zu Hülfe kommen, und sie war entschlossen, sich dann auf seine Seite zu stellen; jedoch der Graf schien keine Lust zu irgend einem Gewaltstreich zu haben, er schoß einen haßerfüllten Blick auf den jungen Priester, aber er trat zurück.
„Sie werden die Güte haben, mir eine Erklärung über dies Benehmen zu geben, Hochwürden!“
„Sobald wir uns allein gegenüberstehen – zu jeder Stunde!“
Lucie fühlte, wie ihr Arm fester gefaßt wurde, sie sah sich fortgezogen, in der nächsten Minute lag die sonnige Wiese bereits hinter ihnen, und der tiefe Schatten des Waldes nahm sie auf.
Das junge Mädchen eilte mit raschen Schritten vorwärts, sie wollte so bald als möglich der unwillkommenen Begleitung ledig werden, die sie gleichwohl nicht zu verweigern wagte. Benedict hatte ihre Hand in dem Momente losgelassen, als sie in den Wald eintraten, aber er blieb dicht an ihrer Seite. Nicht ein einziges Wort fiel zwischen ihnen während des ganzen, länger als eine halbe Stunde dauernden Weges, und wenn irgend etwas im Stande war, Lucie noch mehr zu erbittern, so that es dies eisige Schweigen, denn sie fühlte ganz richtig heraus, daß eine Verurtheilung darin lag. Sie ging ja hier gerade wie eine Verbrecherin, die man nicht einmal mehr des Wortes würdigt, und doch war sie die Gekränkte, Beleidigte. Ihr Herz war zum Zerspringen voll von einer Bitterkeit, die sich jetzt zum Theil auch gegen den Grafen richtete. Warum ließ er sie so ohne Weiteres in der Gewalt dieses entsetzlichen Menschen, warum behauptete er nicht unter allen Umständen seinen Ritterdienst bei ihr? Er mußte es ja doch sehen, daß sie nur halb gezwungen folgte, und er stand doch sicher nicht unter jenem lähmenden Einflusse, dem sie fast willenlos sich beugte. Dem jungen Mädchen waren die Thränen nahe, es bedurfte nur noch eines einzigen Anstoßes, und sie brachen hervor.
Da endlich lag der Ausgang des Waldes vor ihnen, hier begann bereits das Gebiet von Dobra, von drüben schimmerte das Dach des Schlosses hinüber, und auf dem Felde waren eine Menge von Arbeitern beschäftigt; Benedict blieb stehen.
„Ich habe Sie, wie es scheint, sehr gegen Ihren Willen jener Gesellschaft entzogen, mein Fräulein. Sie werden den Eingriff wohl auch ‚unerhört‘ finden, ich habe ihn mir nichtsdestoweniger nun einmal erlaubt, und ich erlaube mir sogar noch eine Warnung, auf die Gefahr hin, daß Sie diese ebenso sehr verachten wie den – Mönch, aus dessen Munde sie kommt. Meiden Sie künftig dergleichen Verabredungen, Graf Rhaneck ist nicht der Mann, an dessen Seite der Ruf eines jungen Mädchens vor Verleumdungen sicher ist, selbst wenn sie es verstehen sollte, ihn in Schranken zu halten. Sie handelten sehr unvorsichtig, als Sie ihm diese Zusammenkunft bewilligten.“
Er stand mit der ganzen Strenge eines Richters vor ihr, das war zu viel und Lucie fuhr empört auf.
„Eine Zusammenkunft bewilligen? Habe ich etwa den Grafen nach dem Walde gerufen?“
„Wollen Sie mich vielleicht glauben machen, daß sein Erscheinen Ihnen unerwartet war?“ Es grollte dumpf und drohend in seiner Stimme, und seine Augen hefteten sich wieder so durchbohrend wie vorhin auf sie, aber jetzt hatten sie ihre Macht verloren, das Gefühl einer unverdienten Kränkung überwog bei Lucie jede Furcht, heiß und ungestüm brachen ihre Thränen hervor, mit ihnen aber auch der Zorn.
„Ich will Sie gar nichts glauben machen!“ rief sie in vollster Heftigkeit, „aber ich lasse mich auch nicht von Ihnen beleidigen, wie Graf Rhaneck es sich gefallen läßt. Ich will nicht!“ – sie stampfte zornig mit dem Fuße – „und solche ungerechte Vorwürfe ertrage ich nicht, nie, niemals –“
Das Weitere erstickte in ihrem Schluchzen, Benedict sah sie starr an.
„Nicht?“ wiederholte er langsam. „Sie haben den Grafen nicht erwartet?“
Lucie gab keine Antwort, sie weinte leidenschaftlich, aber es lag eine überzeugende Gewalt in diesem so plötzlich hervorbrechenden Trotze. Er trat ihr mit einer stürmischen Bewegung näher und faßte ihre beiden Hände, trotz ihrer eigenen Erregung sah sie doch, daß er sich in einer noch furchtbareren befand. Die Hände, welche die ihrigen festhielten, bebten, sein Blick senkte sich flammend tief in ihr Auge, und seine Stimme klang dumpf, gepreßt, als fehle ihm der Athem.
„Antworten Sie mir, Lucie! Bei Allem, was Ihnen heilig ist – Sie haben den Grafen nicht erwartet?“
„Nein!“ rief Lucie, außer sich gebracht durch dies Examen, und in diesem Moment war es wieder einmal Bernhard’s Schwester, die über das Kind siegte, so energisch und leidenschaftlich schleuderte sie ihm das Nein entgegen.
Ein tiefer, tiefer Athemzug hob Benedict’s Brust und ein schnelles blitzähnliches Aufleuchten flog über seine Züge; er ließ ihre Hände los und trat zurück.
„So bitte ich um Verzeihung!“ sagte er leise.
Lucie hielt plötzlich mit Weinen inne, ebenso sehr über diese ganz unerwartete Wendung, wie über den Ton seiner Stimme betroffen, die auf einmal von der rauhesten Härte zur vollsten Weichheit umschlug. Halb bestürzt blickte sie ihn mit den großen thränenvollen Augen an. Sein Blick hing jetzt wieder fest an diesen Augen; aber er machte keinen Versuch, sich ihr auf’s Neue zu nahen; im Gegentheil, es schien, als wolle er noch weiter zurückweichen.
„Ich habe Ihnen wehe gethan mit meinem Verdachte, ich sehe es! Aber ich hatte allen Grund dazu. Graf Rhaneck hat Ihnen schon einmal von Liebe gesprochen, und Sie wiesen ihn nicht zurück!“ – Lucie machte unwillkürlich eine Bewegung des Schreckens. War denn dieser Mann allwissend? – „Aber was Sie Liebe nennen, kann der Graf nicht mehr empfinden, wenn er es überhaupt jemals empfunden hat. Er ist einer reinen Zuneigung nicht werth. Glauben Sie mir das, mein Fräulein, und gestatten Sie ihm keine weitere Annäherung; ich warne Sie davor, ich – ich bitte Sie darum!“
Er sprach noch leise, aber in einem eigenthümlichen erschütternden Tone, der die innere mühsam gebändigte Bewegung verrieth. Es war dieselbe Warnung, die Lucie vorgestern aus dem Munde des Bruders gehört; aber wenn Bernhard’s herrisches Verbot ihren ganzen Trotz wach rief, dies hier wirkte anders. Das „Ich bitte Sie darum!“, das fast unhörbar an ihrem Ohre hinwehte, weckte wieder jenen schmerzenden Stich, der ihr bis in’s innerste Herz drang; sie wußte nicht weshalb und woher, sie fühlte nur, daß es wehe that.
Das junge Mädchen senkte lautlos den Kopf und trocknete sich die Thränen ab. Sie gab keine Antwort, gab auch kein Versprechen; aber man sah es, die heutige Warnung war tiefer gegangen als jene erste. Stumm wendete sie sich zum Gehen. Benedict machte eine Bewegung, es sah fast aus, als wolle er ihr nachstürzen, aber plötzlich schlug er krampfhaft den Arm um den Stamm des Baumes, an dem er stand, und blieb unbeweglich in dieser Stellung. Lucie wandte sich noch einmal um, wie mit einem halben Gruße; es schien, als erwarte sie noch ein Abschiedswort oder ein Lebewohl, aber nichts dergleichen kam von den festgeschlossenen Lippen des jungen Priesters, nur sein Blick folgte ihr, als sie über den Abhang schritt und durch die Felder eilte, folgte ihr so lange, bis die helle Gestalt zwischen den Gebüschen verschwand, welche dort hinten die Wiese säumten.
Da tönten Schritte hinter ihm, und aufblickend gewahrte Benedict den Grafen, der jetzt gleichfalls aus dem Walde hervortrat. Ob er ihnen in einiger Entfernung gefolgt war oder ob er sich nur auf dem Rückwege nach Rhaneck befand, dessen Gebiet hier das von Dobra berührte, blieb unentschieden; jedenfalls sah er den jungen Geistlichen und näherte sich ihm rasch.
Benedict schien der nun unvermeidlich folgenden Erklärung sehr gelassen entgegenzusehen; er lehnte sich an den Baum und erwartete ruhig den Kommenden. Ein halb verächtlicher Ausdruck lag dabei auf seinem Gesichte; aber der Angriff sollte mit einer Waffe geführt werden, an die er nicht gedacht.
Ottfried trat ihm keineswegs in hellem Zorn entgegen; im Gegentheil, sein Gesicht war wieder vollkommen glatt und ruhig; aber ein boshaftes Lächeln spielte um seine Lippen und mit einem unverkennbaren Hohne begann er:
„Erlauben Sie mir, Hochwürden, Ihnen etwas zurückzustellen, was Sie im Eifer Ihrer Beschützerrolle ganz und gar vergessen zu haben scheinen. Das Werk hier ist doch wohl Ihr Eigenthum, oder ziehen Sie es vor, zu behaupten, daß Fräulein Günther sich auf ihrem Waldspaziergange mit Spinoza beschäftigt hat?“
Der Stich traf doch. Benedict erbleichte einen Moment lang und ein heftiger Blick glitt über den verrätherischen Band, den Ottfried in Händen hielt; aber er faßte sich sofort wieder.
„Das Buch gehört mir!“ sagte er ruhig, die Hand danach ausstreckend.
Ottfried jedoch schien die Herausgabe vorläufig noch weigern zu wollen.
„Ein höchst interessantes Studium ohne Zweifel!“ fuhr er boshaft fort. „Nur ist die Beschäftigung damit, so viel ich weiß, im Kloster auf’s Strengste verboten und mit den schwersten Bannstrafen belegt; oder sollte ich mich irren? Vielleicht können Sie mir darüber Auskunft geben, Hochwürden.“
Zu der Verachtung in Benedict’s Antlitz gesellte sich jetzt ein leiser Zug von Ironie, als er entgegnete: „Sie haben vollkommen Recht, Herr Graf. Sie sehen, ich lese das Buch auch nicht im Kloster; ich nehme es mit mir in den Wald hinaus. Uebrigens steht es Ihnen frei, bei dem Herrn Prälaten den Angeber zu machen, wenn Sie sich sonst mit diesem ritterlichen Geschäft befassen wollen.“
„Herr Pater, ich verbitte mir dergleichen beleidigende Aeußerungen!“ sagte der Graf in hohem Tone.
„In Ihren Worten sollte doch wohl eine solche Drohung liegen,“ gab Benedict kalt zurück. „Ich habe nur diese eine Antwort darauf!“
Ottfried hatte jedenfalls geglaubt, einen ausgezeichneten Trumpf in der Hand zu haben; er sah jetzt, daß auf diesem Wege nichts zu erreichen war, und ließ deshalb den Gegenstand fallen.
„Es handelt sich nicht darum,“ sagte er scharf, „sondern um Ihre unberufene Einmischung in meine Angelegenheiten. Ich weiß, daß mein Vater Sie zu meinem Beichtiger bestimmt hat, und diese Bestimmung gab jedenfalls den alleinigen Anlaß dazu; aber ich möchte Sie denn doch darauf aufmerksam machen, Hochwürden, daß ich Ihnen außerhalb des Beichtstuhls keine Befugniß zuerkenne, mein Thun und Lassen einer Kritik zu unterziehen, am allerwenigsten in der Art und Weise, wie es vorhin geschah. Den Bauern mag dies unfehlbare Auftreten imponiren, und ihnen gegenüber mag es auch am Platze sein – ich beanspruche andere Rücksichten!“
Die dunklen Augen Benedict’s richteten sich fest und stolz auf den Grafen. „Was mir das Recht zum Einschreiten bei den Bauern giebt, wird wohl auch Ihnen gegenüber am Platze sein, Graf Rhaneck. Uebrigens handelte ich diesmal nicht in meiner Eigenschaft als Priester, ich erfüllte einfach meine Pflicht als Mann, indem ich ein junges, unerfahrenes Kind vor Einflüsterungen und Betheuerungen bewahrte, denen es wahrscheinlich geglaubt hätte, und die in Ihren Augen jedenfalls so leicht wiegen, daß sie nicht über die Zeit Ihres Aufenthaltes hier hinausreichen. Wenn Sie sich überhaupt im Rechte fühlten, warum wichen Sie dann meiner Autorität? Ihrer Bewerbung steht ja wohl der Weg nach Dobra offen, ich bezweifle aber, daß Sie eine solche beabsichtigten.“
„Ich werde Sie schwerlich zum Vertrauten meiner Entschlüsse machen!“ unterbrach ihn Ottfried hochfahrend, „und ich wiederhole es Ihnen, ich dulde fernerhin dergleichen Einmischungen nicht. Wenn ich mich diesmal fügte, so geschah es aus Rücksicht für meinen Vater und meinen Oheim, nicht aus Rücksicht für Sie.“
„Ich weiß es! Auch beanspruche ich weder, noch wünsche ich eine Rücksicht von Ihnen, Herr Graf!“
Der kalte verächtliche Nachdruck, den Benedict auf die letzten Worte legte, hätte wohl auch einen Anderen als Ottfried gereizt, den jungen Grafen, der gewohnt war, sich für unnahbar anzusehen, empörte er.
„Erinnern Sie sich gefälligst, mit wem Sie sprechen, Herr – Bruno. Sie scheinen ganz zu vergessen, daß Sie das Priestergewand, das Sie allein so kühn macht, einzig der Gnade meines Vaters danken. Ohne diese Gnade ständen Sie jetzt im Bedientenrock hinter meinem Stuhle und müßten meiner Befehle gewärtig sein.“
Ottfried hatte, als er diese verletzenden Worte hinwarf, doch wohl nicht geahnt, welche furchtbare Wirkung sie hervorbrachten. Benedict war leichenblaß geworden, seine Hände ballten sich krampfhaft und seine Augen schossen einen Blick, daß der Graf einen Schritt zurücktrat und unwillkürlich sein Gewehr fester faßte.
„Sie werden diese Beleidigung zurücknehmen!“ stieß er heraus und der kochende Ingrimm erstickte fast seine Stimme. „Hier auf der Stelle werden Sie das thun!“
Ottfried hatte inzwischen seine augenblickliche Bestürzung überwunden und sich wieder gefaßt. „Ei, Hochwürden, das ist ja ein recht priesterliches Benehmen!“ höhnte er. „Wollen Sie mich nicht lieber gleich auf Pistolen fordern? Ihr Aussehen ist ganz darnach!“
Was die Beleidigung begonnen, das vollendete der Hohn: außer sich gebracht, that Benedict einen Schritt ihm entgegen und der Ausdruck seines Gesichtes war derart, daß Ottfried’s Hand nach dem Hirschfänger an der Seite zuckte, aber er hätte nichts Schlimmeres thun können, als gerade dies. Der junge Mönch sah die Bewegung und im nächsten Moment hatte er sich auf den Grafen gestürzt, ihm mit einem einzigen kraftvollen Griffe die Waffe entrissen und ihn selbst zurückgeschleudert, so daß er gegen die nächsten Bäume taumelte.
Jetzt aber wurde Ottfried’s Antlitz auch leichenhaft. Der Schimpf, der ihm soeben widerfahren, raubte ihm alle Besinnung, er riß die Büchse von der Schulter und legte an.
Da auf einmal ward der Lauf des Gewehrs zur Seite geschlagen und sein Arm mit Gewalt zurückgehalten „Bruno – Ottfried – auseinander!“ tönte eine fremde Stimme, und der alte Graf Rhaneck trat zwischen sie.
Der Graf war gleichfalls im Jagdanzuge, die laut streitenden Stimmen mochten ihn wohl herbeigezogen haben, er kam gerade im Moment, um ein Unglück zu verhüten.
„Auseinander, sage ich!“ wiederholte er gebietend, aber noch bebte die Todesangst in seiner Stimme. „Was ist vorgefallen? Was gab es zwischen Euch?“
Die beiden jungen Männer schwiegen, aber das Erscheinen Rhaneck’s wirkte sehr verschieden auf sie. Ottfried, gewohnt sich der Autorität des Vaters zu fügen, hatte die Büchse gesenkt und war gehorsam einige Schritte zurückgetreten, Benedict stand noch immer da wie ein gereizter Löwe, die Waffe in der hocherhobenen Hand, das Auge sprühend und zwischen seine Brauen grub sich tief die verhängnißvolle Falte. Nicht auf der des Majoratserben, auf seiner Stirn stand der finstere Familienzug des Rhaneck’schen Geschlechts, stand jetzt auch die ganze Härte und Grausamkeit desselben: so mußte der Graf, so der Prälat aussehen, im Momente der höchsten Erregung; die eine Linie veränderte auf einmal den ganzen Charakter des Gesichts und zeichnete dort eine Aehnlichkeit, die sich sonst nie in der leisesten Spur verrieth.
Auch Rhaneck sah sie und trotz Zorn und Angst glitt doch eine Secunde lang ein Ausdruck von Stolz und Zärtlichkeit über seine Züge, aber sie wurden sofort wieder ernst, als er sich dem noch immer trotzig Dastehenden näherte.
„Bruno, was soll die Waffe in Deiner Hand?“ fragte er mit schwerer Betonung.
Der junge Priester zuckte zusammen, er verstand die Mahnung, stumm blickte er wieder auf sein Ordensgewand und langsam entsank das Messer seinen Händen.
„Ihr waret im Streite!“ begann der Graf von Neuem, „was war die Veranlassung dazu, wer von Euch hat ihn angefangen?“
Stumme Pause, keiner der Beiden regte sich.
„Bruno!“ er wendete sich vorwurfsvoll an diesen, „Du zum Mindesten hättest das bedenken sollen, was Du Deinem Stande schuldig bist. Ziemt dieser wilde Jähzorn dem geweihten Priester?“
Benedict blickte finster auf. „Legt mein Stand mir auch die Verpflichtung auf, zu dulden, daß Graf Ottfried ihn mir als eine Gnade seiner Familie vorwirft? zu dulden, daß er mir die Bedientenstelle hinter seinem Stuhle zuweist?“
Der Graf fuhr auf. „Ottfried, das hast Du gewagt?“ Ein Blick glühenden Zornes traf den Sohn, aber dieser hob jetzt auch trotzig das Haupt.
„Ich habe Herrn Pater Benedict an die Schranken erinnert, die er mir gegenüber vergessen hat!“
„Wenn Du wirklich diese Worte ausgesprochen hast, so wirst Du sie zurücknehmen und Bruno um Verzeihung bitten!“ befahl der Graf mit einer Härte, die wenig Väterliches hatte.
„Mein Vater!“
„Ottfried, Du wirst!“
„Nun und nimmermehr!“ rief Ottfried heftig und der Blick, den er dabei auf seinen Gegner schoß, war so voll Haß, daß der Graf einsah, er dürfe den Conflict nicht bis zum Aeußersten treiben. Er trat zu Benedict und legte die Hand auf dessen Arm.
„Ottfried ist jetzt zu gereizt, er wird sich besinnen und in einer ruhigen Stunde Dir die Abbitte leisten. Gieb Dich zufrieden, Bruno, ich sage Dir, es wird geschehen.“
Benedict zog kalt den Arm zurück. „Herr Graf ich verzichte auf eine erzwungene Genugthuung! Ich stand im Begriff, mir gegen eine Beleidigung selbst Recht zu schaffen, fremdem Einfluß mag ich es nicht danken.“
„Fremdem? Bruno!“
Der Vorwurf klang beinahe schmerzlich, aber der Graf richtete nun einmal nichts aus mit dieser Milde seinem Schützlinge gegenüber, in dessen Auge lag wieder der alte Widerwille, die geheime Abneigung, mit der er jede Annäherung, jede Zärtlichkeit, die von dieser Seite kam, zurückwies.
„Ich muß jetzt wohl wünschen, Sie wären mir fremd geblieben mit Ihrer Gnade und Ihren Wohlthaten, Herr Graf!“ sagte er hart. „Ich habe diese Wohlthaten von jeher gehaßt: sie wurden mir aufgezwungen, als ich noch ein Kind war, und als ich zum Bewußtsein erwachte, hatte man bereits Sorge getragen, daß mir jeder andere Lebensweg verschlossen blieb. Ich konnte und kann nichts von dem Empfangenen zurückzahlen, ich muß es zeitlebens als eine Schuld mit mir herumtragen, das ist auch eins von den gepriesenen Vorrechten meines Standes, der jede Selbstständigkeit vernichtet. Aber,“ hier brach eine heiße Bitterkeit mitten durch die erzwungene Ruhe, „aber ich wollte, Sie hätten mich nicht der Sphäre entrissen, für die ich geboren ward, ich wollte, Sie hätten mich zum Bauer, zum Tagelöhner werden lassen, der im Schweiße seines Angesichts das saure Brod verdienen muß, es wäre besser gewesen und ich hätte es Ihnen mehr gedankt, als dies Leben – am Altar!“
Ottfried hörte fast erstarrt zu, das schien ihm denn doch jedes Maß der Undankbarkeit und Unverschämtheit zu übersteigen, und sein Vater, an den sich all diese Beleidigungen richteten, der seine Gnade verschmäht, seine Wohlthaten mit Füßen getreten sah, Graf Rhaneck stand da, ohne sich zu regen, ohne auch nur mit einem Worte den wilden Ausbruch zu zügeln. Kein Zorn, nur eine immer zunehmende Angst sprach aus seinem Antlitz, als thue sich etwas Niegeahntes, Furchtbares vor ihm auf, und als Benedict die letzten Worte mit unverkennbarem Hasse herausschleuderte, da wendete er sich erbleichend ab und legte die Hand über die Augen.
Aber wenn irgend etwas im Stande war, Benedict zur Besinnung zu bringen, so that es dies stumme Abwenden, seine Lippen zuckten.
„Sie werden meine Undankbarkeit himmelschreiend nennen, und Sie thun Recht daran!“ sagte er ruhiger. „Ich habe nur Gutes von Ihnen empfangen und lohne Ihnen so dafür, es ist verdammungswerth, ich weiß es, aber ich kann nicht anders!“
Er neigte sich gegen den Grafen und wandte dann den Beiden den Rücken, Ottfried sah ihm nach, sah dann auf den Vater und schüttelte den Kopf, die Scene blieb ihm unbegreiflich.
„Papa, ist es möglich, das läßt Du Dir sagen! Du? – und schweigst dazu?“
Der Graf richtete sich auf, er hatte auf einmal seine ganze Energie wieder. „Schweig Du selbst, Ottfried!“ sagte er befehlend, „das sind Dinge, über die nur mir allein die Beurtheilung zusteht, aber vor Einem will ich Dich doch noch warnen. Du wirst Bruno nie wieder feindlich gegenübertreten, hörst Du? Niemals! Ich werde sorgen, daß es auch von seiner Seite nicht mehr geschieht. Wenn Ihr Euch nun einmal durchaus nicht vertragen könnt, so bleibt fern von einander, hassen dürft und sollt Ihr Euch nicht, und beleidigen,“ hier flammte sein Blick auf’s Neue drohend, „beleidigen wirst Du ihn nicht wieder, oder ich fordere Rechenschaft von Dir.“
Ottfried schwieg, aber zum ersten Male stieg ein argwöhnisches, grübelndes Nachdenken in ihm auf, welchen Grund denn sein Vater hatte, diesen seinen Schützling fortwährend mit einer Schonung und Nachsicht zu behandeln, die sonst keineswegs in seinem Charakter lag und deren sich der eigne Sohn fast niemals erfreute. Er und Benedict waren sich sonst stets fremd geblieben, nur in der Kinderzeit hatte man sie bisweilen zusammengeführt, und Ottfried hatte nie erfahren, wie weit die Fürsorge des Vaters für Jenen eigentlich ging. Jetzt zum ersten Male sah er sich gegen den Fremden offenbar zurückgesetzt, sah, wie mit augenscheinlicher Vorliebe für diesen Partei genommen ward, gegen ihn. – Was war es denn eigentlich mit diesem Benedict?
„Und jetzt komm!“ schloß der Graf hastig, als wolle er den Eindruck der eben durchlebten Scene verwischen, „laß uns nach Rhaneck zurückkehren, es ist hohe Zeit!“
Ottfried gehorchte, zuvor jedoch nahm er Benedict’s Spinoza von dem Feldsteine, auf dem er bisher gelegen, und schickte sich mit einiger Ostentation an, den Band in seine Jagdtasche zu stecken.
„Was hast Du da?“ fragte der Graf zerstreut.
„Die Lieblingslectüre des Herrn Pater Benedict!“ entgegnete Ottfried boshaft, ihm das Buch hinüberreichend.
Der Graf schlug den Titel auf und fuhr zurück. „Auch das noch! Allmächtiger Gott, was soll daraus werden!“
Er steckte das Buch zu sich und wendete sich dann kurz zu seinem Sohne. „Du schweigst gegen den Oheim, ich werde selbst mit Bruno darüber sprechen! Jetzt laß uns gehen.“
Ottfried folgte mit verbissenem Zorn, er sah, daß dem gehaßten Mönche nicht beizukommen war, der Vater war offenbar entschlossen, ihn mit seiner ganzen Macht zu schützen. –
Lucie hatte inzwischen den Garten von Dobra erreicht, wo Fräulein Reich sie mit einer Strafpredigt über ihr eigenmächtiges Davonlaufen und allzu langes Ausbleiben empfing, aber schon bei dem ersten Satze stockte Franziska, als sie die verweinten Augen und die niedergeschlagene Miene des jungen Mädchens gewahrte.
„Um Gottes willen, Kind, was ist denn vorgefallen?“ rief sie erschreckt. „Ist etwas passirt? Hat Ihnen Jemand irgend etwas zu Leide gethan?“
Lucie schüttelte den Kopf, sie wollte den alten übermüthigen Ton wieder anschlagen, wollte mit irgend einem Scherz ausweichen, aber die Lippen versagten ebenso sehr das Lächeln, als die Stimme den Scherz. Sie warf noch einen Blick zurück nach dem Walde, dann schlang sie plötzlich beide Arme um den Hals Franziskas, verbarg den Kopf an deren Brust, und brach ohne ein Wort, ohne eine Erklärung auf’s Neue in ein bitterliches Weinen aus.