Читать книгу Herz-Sammelband: Elisabeth Bürstenbinder Liebesromane - Elisabeth Bürstenbinder - Страница 20
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ОглавлениеDie nächsten drei Jahre waren so rasch dahingerollt, waren so inhaltsvoll und thatenreich gewesen, wie es die Jahre in unserer Zeit eben zu sein pflegen, wo all die gährenden Elemente empordrängen, um sich im Kampfe, sei’s nach innen oder nach außen, Luft und Klärung zu schaffen. Das Drama, welches sich an das einst so hochgeehrte Stift und dessen Bewohner knüpfte, hatte sich doch nicht so schnell verwischen und in Vergessenheit bringen lassen, als man es dort vielleicht gehofft. Hätte es in niederen Kreisen gespielt, es wäre vielleicht möglich gewesen, aber der Name und die Bedeutung des Grafen Rhaneck, die Stellung des Prälaten und dunkle Gerüchte von den wahren Beziehungen des jungen Pater Benedict zu dem Rhaneck’schen Hause brachten die Angelegenheit vor das Forum der Residenz und des Hofes, von dort fand es einen Wiederhall im ganzen Lande, und der Umstand, daß der mit so großer Spannung erwartete Proceß in der That nicht stattfand, erbitterte die schon aufgereizten Gemüther auf’s Höchste. Die Voraussetzung, daß der Orden dem Lande um keinen Preis der Welt ein Schauspiel gönnen werde, das in jetziger Zeit geradezu vernichtend für ihn wirken mußte, erwies sich als richtig. Man hatte nicht gezögert, dem Abte die formelle Genugthuung zu geben, und den Prior bei der nächsten Vernehmung jedes Wort, das er gesprochen, feierlichst widerrufen zu lassen, aber nur die Wenigsten ließen sich jetzt noch dadurch täuschen, und als der Schuldige in der Nacht, bevor er den Gerichten übergeben wurde, wirklich dem Klostergewahrsam entfloh, als sich jede Nachforschung nach ihm als vergeblich erwies und er verschwunden war und blieb, wahrscheinlich längst in dem Schutze irgend eines fernen Klosters geborgen, da richtete sich der Sturm des allgemeinen Unwillens gegen den Prälaten. Es war unmöglich, ihn der furchtbar erregten öffentlichen Meinung gegenüber zu halten, obgleich der Versuch dazu gemacht wurde. Das Ansehen, ja die Existenz des Stiftes, an dessen Spitze er stand, wurde dadurch auf’s Spiel gesetzt, und so entschloß man sich denn endlich widerstrebend, ihn zu entfernen, selbstverständlich nur zu einem anderen Amte, das seinem Range und seinen Verdiensten entsprach. Rom hatte der hohen Kirchenstellungen genug für einen Priester, der sich in seinem Dienste geopfert, und man war dort keineswegs gewillt, auf die fernere Thätigkeit eines Mannes zu verzichten, dessen Geist und Charakter sich von jeher als eine der festesten Stützen der Kirche erwiesen hatten. Er ward all den „gehässigen Angriffen“ entzogen, um an der Tiber einen neuen Wirkungskreis zu finden, da sich ihm der Bischofsstuhl des Landes, für den man ihn schon früher in Aussicht genommen, nach den letzten Ereignissen doch wohl für immer verschloß.
Im Stifte selbst wurde Pater Eusebius durch die Wahl der Mönche zum Abte erhoben, aber es zeigte sich bald genug, was selbst hier in dem streng geregelten Convent die Persönlichkeit eines Einzelnen vermocht hatte. Mit dem Prälaten war auch jener mächtige und trotz alledem großartige Geist gewichen, der es verstanden hatte, dem Kloster ein halbes Menschenalter hindurch die unbedingteste Verehrung zu sichern und es über alle Klippen hinweg siegreich im Kampfe gegen die Neuzeit anzuführen. Der neue Abt, ein mäßig begabter und der römischen Kirche treu ergebener Priester, hatte gleichwohl nicht einen Hauch von der Energie und dem Herrschertalent seines Vorgängers in sich, und war jedenfalls nicht der Mann, die tiefe Wunde zu heilen, welche jene Vorgänge dem Ansehen und der Ehre des Stiftes geschlagen hatten. Der Riß erweiterte sich unmerklich, aber unaufhörlich, das Kloster bestand noch, aber es war vorbei mit der alten Macht und der alten Herrschaft über die Gemüther; verstand es der jetzige Prälat doch kaum, seine eigenen Mönche zu beherrschen, die, wohl fühlend, daß sie der gewohnten festen Leitung entbehrten, sich allerlei persönliche Uebergriffe erlaubten, die sie früher nie hätten wagen dürfen und die man ihnen jetzt stillschweigend hingehen ließ, sobald sie nur ihr Verhältniß zur Kirche nicht berührten.
Auch Schloß Rhaneck lag jetzt einsam und verödet und selbst in den Sommermonaten, die ihm sonst stets den glänzenden gräflichen Haushalt zuführten, wurde es nicht mehr bewohnt. Vielleicht war es das tragische Geschick seines Sohnes oder die Entfernung seines Bruders, vielleicht auch das furchtbare Aufsehen, welches Beides in der Umgegend gemacht, was den Grafen bestimmte, sein Stammschloß fortan zu meiden, er hatte es noch nicht wieder betreten. Der Tod Ottfried’s hatte das rein äußerliche Band, das zwischen ihm und seiner Gemahlin bestand, noch mehr gelockert. Die Gräfin, fast immer kränklich, lebte meistentheils ihrer Gesundheit wegen auf den anderen Gütern, der Graf nach wie vor in der Residenz, sie sahen sich oft wochen- und monatelang nicht, und wenn es wirklich geschah, so fehlte diesen flüchtigen kalten Begegnungen auch die leiseste Spur einer Zuneigung, die freilich niemals in Wirklichkeit bestanden, deren Anschein man aber doch der Welt gegenüber aufrecht erhalten hatte, so lange der Sohn und Erbe Beiden wenigstens noch ein gemeinschaftliches Interesse gab.
Jetzt zum ersten Male nach drei Jahren sah Schloß Rhaneck seinen Herrn wieder. Der Graf war unerwartet, allein und nur von einem Diener begleitet, dort eingetroffen, und hatte Befehl gegeben, seine Anwesenheit möglichst zu verschweigen, da er während der kurzen Zeit seines Aufenthaltes keine der Beziehungen zu der Nachbarschaft wieder aufzunehmen gedenke. Was ihn nach so langer Zeit wieder hergeführt, das wußte Niemand.
Rhaneck saß in seinem Arbeitszimmer vor dem Schreibtische, einen geöffneten Brief in der Hand, der soeben aus Rom eingetroffen war. Der Graf hatte sehr gealtert in diesen letzten Jahren, das Haar war grau geworden, das Antlitz tief gefaltet und auch in dem Auge sprühte nicht mehr das alte Feuer, es lag ein bitterer, tief schmerzlicher Zug darin, der einst nicht dagewesen, und er verschwand auch nicht beim Lesen des Briefes. Es waren die festen kraftvollen Schriftzüge des Prälaten, auf denen sein Blick haftete, aber er überflog schnell die Eingangsworte, um desto länger auf einer Stelle zu verweilen, die ihn augenscheinlich am meisten interessirte:
„Ich würde mich über Dein langes Schweigen beklagen, wüßte ich nicht längst, daß eine Entfremdung zwischen uns eingetreten ist, die die Zeit nicht heilen wird. Du hättest mir Alles verziehen, selbst den Tod Ottfried’s, den ich unwissentlich verschuldete. Daß ich die Hand an Deinen Bruno legen wollte, verzeihst Du mir nie. Sei’s drum! Jenes unselige Wagniß hat mich mehr gekostet als nur die Liebe meines Bruders!
Was ich von dem Stifte höre, überrascht mich nicht, wenn es mir auch bitter ist, eine Schöpfung verfallen zu sehen, an die ich dreißig Jahre lang die beste Kraft meines Lebens gesetzt habe. Unter Eusebius’ Regiment war nichts Anderes zu erwarten, und von all den Uebrigen ist Keiner im Stande, Besseres zu leisten. Du weißt, wen ich mir zum Nachfolger ausersehen hatte, wenn ich früher oder später den Bischofsstuhl bestieg. Den Mönchen imponiren und die Zügel der Herrschaft mit einer Hand festhalten, wie die meine war, konnte nur Einer, und der ist jetzt drüben im Lager unserer Feinde! Du wirfst mir mit Unrecht Haß gegen ihn vor, ich habe ihn nie gehaßt, selbst da nicht, als ich ihn opfern wollte, und in diesen letzten drei Jahren habe ich ihn fast bewundern gelernt. Was ist von unserer Seite nicht versucht worden, ihm die Bahn zu kreuzen, den Weg zu hindern und in der Dunkelheit und Vergessenheit die Gefahr zu begraben, die für uns in diesem Kopfe lag – er wußte Allem die Stirn zu bieten, Alles niederzutreten, was ihm im Wege stand, und jetzt hat er sich zu einer Bedeutung aufgeschwungen, die jeden Versuch, sie ihm noch ferner abzustreifen, thöricht erscheinen läßt. Die –sche Universität war uns von jeher ein Pfahl im Fleische; daß man ihn dorthin berufen, ihn mit solcher Acclamation dort empfangen konnte, beweist am besten, wie ohnmächtig wir geworden sind in einem Lande, wo sonst Alles in unseren Händen lag. Man konnte uns nicht offener den Krieg erklären, als indem man diesen Mann auf’s Schild hob. Ich weiß am besten, was sie an ihm besitzen, denn ich habe diese Kraft wachsen sehen und kann es noch heute nicht verschmerzen, daß sie uns verloren ging. Ottfried war der schwächliche, verweichlichte Sproß seiner unbedeutenden Mutter, Bruno war unser Blut, und wenn er zehnmal in stolzem Trotze den Namen zurückweist, er hat es gezeigt, daß er ein Rhaneck ist!
Wie ich höre, stehst Du im Begriff, nach unserem Stammschlosse aufzubrechen; ich ahne, was Dich dorthin führt, grade in dem Augenblick, wo Bruno das Siegel auf seinen Abfall drückt und Günther’s Schwester zum Altar führt. Aber nimm Dich in Acht vor Deinem Sohne, Ottfried, wenn Du etwa versuchen wolltest, den zärtlichen Vater zu spielen. Ich sage Dir, er kann seine Mutter nicht vergessen, und er wird Dir ihr Andenken wieder ebenso vernichtend in’s Antlitz schleudern, wie damals, wo Du zum ersten Male die Arme nach ihm ausstrecktest. Weichherzigkeit war nie der Fehler unseres Geschlechtes! Du wirfst mir in Deinem letzten Briefe vor, daß ich es war, der im Grunde das Ganze verschuldete; nun, so solltest Du auch bedenken, daß die Folgen mich am schwersten trafen. Ich entriß den Knaben seiner Heimath und seinem Glauben, um ihn zur Ehre der Kirche und unseres Klosters zu erziehen, und dieser Knabe stürzte mich, vernichtete die Macht des Stiftes und steht jetzt an der Spitze unserer Gegner, bereit, uns den Kampf auf Leben und Tod zu bieten. Ich dachte den angeerbten trotzigen Ketzergeist zu bändigen mit der Priestererziehung, und vergaß, daß ihm der Freiheitsdrang im Blute liegt. Das war mein Mißgriff und wurde mein Verhängniß.
Von meinem römischen Aufenthalt kann ich Dir nichts Neues berichten; auch hier wächst und drängt die Bewegung mit jedem Tage, und mit jedem Tage reißt sie uns ein Stück von dem Boden weg, auf dem wir stehen. Wir stemmen uns dagegen mit der ganzen geschlossenen Macht, die Jahrhunderte lang allen Stürmen getrotzt und die Reformation überdauert hat, aber – ich habe es stets für Schwäche gehalten, sich die Wahrheit zu verhehlen, selbst wenn sie vernichtet – ich fürchte, unsere Zeit ist vorbei! Im Einzelnen mögen wir noch die Gewalt behaupten, die Weltmacht geht uns verloren – und Dein Bruno ist auch Einer von denen, die sich einst rühmen können, sie uns entrissen zu haben!“ –
Der Graf überflog noch rasch die Schlußworte des Briefes, dann faltete er ihn zusammen und schob ihn von sich. Die Art, wie dies geschah, zeigte zur Genüge, daß die Versöhnung zwischen den beiden Brüdern nur eine äußerliche gewesen war, und daß Rhaneck wenigstens nie das tiefe Grauen überwunden hatte, das er seit jener Zeit vor dem Prälaten empfand. Er stand auf und trat an’s Fenster; es war so einsam in dem Schlosse, so gespenstig öde in all diesen düsteren Räumen und hallenden Gängen, und es war so kalt und leer in den weiten Sälen und Gemächern des gräflichen Palais in der Residenz, das der alternde Mann jetzt ganz allein bewohnte. Der schmerzlich bittere Zug in seinem Antlitz trat schärfer hervor, als er nach Dobra hinüberblickte, wo jetzt das Einzige weilte, was er auf Erden noch liebte – vielleicht hatte der Prälat dennoch Recht gehabt mit seiner Vermuthung. –
Auch in Dobra hatte während der letzten Zeit eine große und tief eingreifende Veränderung stattgefunden. Fräulein Franziska Reich, gegenwärtig Frau Franziska Günther, residirte dort bereits seit länger als zwei Jahren als Gutsherrin an der Seite ihres Gatten. Die alte Jugendliebe hatte bei Beiden schließlich doch gesiegt, wenn dieser Sieg sich auch freilich auf etwas originelle Weise vollzog und jedenfalls keine Spur jener Romantik an sich hatte, an der Luciens Neigung so reich war, die aber Bernhard sowohl als Franziska für sehr überflüssig hielten. Eine jener häufigen Debatten, die, wie gewöhnlich von irgend einem geringfügigen Anlasse ausgehend, sich bis zum hitzigsten Streite steigerten, in dem Fräulein Reich die ganze Heftigkeit ihres heißblütigen Temperaments entfaltete, während Günther seinerseits es sich angelegen sein ließ, sie mit seiner spöttischen Ruhe auf’s Aeußerste zu reizen, hatte ganz urplötzlich mit einer Verlobung geendigt. Bernhard hatte mitten im ärgsten Wortgefecht plötzlich seine Hand auf die ihre gelegt und mit seiner ganzen unverwüstlichen Gelassenheit gesagt: „Franziska, wir müssen endlich einmal dem ewigen Streite ein Ende machen – das Vernünftigste wäre eigentlich, wir heiratheten uns!“
„Das nennen Sie dem Streite ein Ende machen?“ war die in höchster Entrüstung gegebene Antwort gewesen.
„Sie meinen, er würde dann erst recht beginnen? Allerdings keine besonders angenehme Aussicht für mich, indessen ich will es einmal darauf hin wagen. Die Hauptfrage ist nur: wollen Sie mich, Franziska?“
Die mit diesem lakonischen Antrag Beehrte war anfangs noch immer ziemlich entrüstet über die Idee, ihr mitten im Zanke einen Heirathsvorschlag zu machen, ließ sich aber doch schließlich überzeugen, daß es wirklich „das Vernünftigste sei“, und Lucie war nicht wenig überrascht, als ihr der Bruder die Erzieherin, die sie eben noch in der hitzigsten Debatte mit ihm verlassen, zehn Minuten später als seine Braut und ihre künftige Schwägerin vorstellte. Drei Monate später hatte Franziska das Regiment in Dobra angetreten, wie es Günther spottweise nannte, indessen war es Thatsache, daß er und ganz Dobra sich nicht schlechter befanden unter diesem Regiment, obgleich die neue Herrin auch als Frau ihr früheres resolutes Wesen nicht verleugnete.
Augenblicklich befand sich der Gutsherr in seinem Zimmer und hatte sich dort in die Zeitungen vertieft, als seine Frau eintrat, sehr erhitzt, sehr eifrig, und fast erdrückt von der Last und Wichtigkeit all der Geschäfte, welche Luciens morgen bevorstehende Trauung nothwendig machte, obgleich diese Trauung in aller Stille und nur vor wenig Zeugen stattfinden sollte.
„Es ist vier Uhr, Bernhard!“ sagte sie mahnend, „Du wirst Dich wohl jetzt fertig machen müssen, um nach der Bahnstation zu fahren.“
Günther ließ etwas überrascht die Zeitung sinken. „Ich nach der Bahnstation? Weshalb?“
„Nun, Du weißt doch, daß wir den Herrn Pastor aus der Residenz heute Abend erwarten. Oder willst Du vielleicht einen der Stiftsherren von drüben zu dem feierlichen Acte morgen herüberholen lassen? Das würde einen schönen Lärm geben, wir erlebten statt der Hochzeit eine neue Auflage der Excommunication!“
„Liebes Kind, das Abholen ist Bruno’s Sache,“ erklärte Bernhard sehr gleichmüthig. „Er hat den ihm befreundeten Geistlichen gebeten, die Trauung zu vollziehen, also schickt es sich auch wohl, daß er ihn bei der Ankunft in Empfang nimmt.“
Franziska zuckte die Achseln. „Bruno? Als ob der im Stande wäre, jetzt irgend etwas Anderes zu sehen und zu denken als nur seine Lucie, oder auch nur eine Viertelstunde von ihrer Seite fortzugehen, nachdem er heute Morgen erst angekommen ist! Du wirst wohl selbst hinfahren und den geistlichen Herrn empfangen müssen, er thut es bestimmt nicht und ein Bräutigam ist ja auch immer entschuldigt.“
„Ja, Bruno ist jetzt wirklich etwas sehr langweilig für alle Anderen!“ meinte Günther trocken, indem er seine Blätter zusammenlegte.
„Ich weiß nicht, ob es gerade langweilig ist, wenn Jemand seine künftige Frau anbetet – es giebt mehrere Männer, die sich ein Beispiel daran nehmen könnten!“ sagte Frau Franziska höchst anzüglich.
„Ich hoffe, Du sprachst nur im Allgemeinen! Oder sollte mir vielleicht diese freundliche Bemerkung gelten?“
„Wie Du es nehmen willst! So viel steht fest, daß ich mich während meines Brautstandes über eine ähnliche ‚Langweiligkeit‘ Deinerseits nicht zu beklagen hatte.“
„Ja, beste Franziska, verzeih’, aber Du bist auch nicht –“
„‚Du bist auch nicht darnach, um angebetet zu werden!‘ willst Du wohl sagen?“ unterbrach ihn Franziska neckend.
„Bewahre! Wie Du mir die Worte auslegst! Ich meinte nur, ich bin nicht darnach, solche ‚Langweiligkeiten‘ zu begehen, und das wirst Du wohl selbst zugeben müssen. Stelle Dir einmal vor, ich wäre Dir zu Füßen gefallen und hätte Dir eine ideal-romantische Scene, so etwa in Bruno’s Stil, vorgespielt, ich glaube, Du hättest mir in’s Gesicht gelacht.“
Franziska wandte sich ab, um das verrätherische Zucken ihrer Mundwinkel zu verbergen, als sie sich ihren Gemahl in der eben geschilderten Situation vergegenwärtigte, wenn sie auch um keinen Preis zeigen wollte, wie unendlich komisch sie ihr vorkam.
„Du weißt nichts als spotten!“ entgegnete sie ärgerlich. „Und sogar der Landrichter sagt –“
„Schweige mir von dem Landrichter! Er vergilt die Gastfreundschaft, die er so oft hier in Dobra genießt, auf höchst abscheuliche Weise, indem er überall Verleumdungen, zumal über Dich, ausstreut. Er behauptet öffentlich, Du commandirtest ganz Dobra, mich mit eingerechnet.“
Franziska, die bei den ersten Worten sich sehr kampfbereit aufgerichtet hatte, ließ jetzt beruhigt den Kopf wieder sinken.
„So? Das ist also die ganze Verleumdung?“
„Ich hoffe, Du bist äußerst entrüstet darüber.“
Die Gefragte stieß einen kläglichen Seufzer aus. „Ich wollte, er hätte Recht! Du lieber Himmel, ich einen Mann commandiren, der mit jedem Tage unserer Ehe den Despoten mehr herauskehrt! Wenn ich sehe, wie Lucie diesen starren eigenwilligen Bruno mit einem einzigen Blicke lenkt –“
„Ich finde, es wird wirklich Zeit, daß Lucie jetzt heirathet!“ unterbrach sie Günther lächelnd. „Bruno verdirbt mir sonst mit seiner überspannen Leidenschaft noch den ganzen Hausfrieden. Du ziehst fortwährend Vergleiche, und wenn es auch fraglos ist, daß dieselben stets zu meinem Vortheil ausfallen müssen, so sind sie doch bisweilen etwas unbequem.“
Frau Franziska schien diese letzte Bemerkung ihres Gatten überhören zu wollen. „Ich habe es nie für möglich gehalten, daß Lucie sich so entwickeln könnte, wie es in diesen drei Jahren der Fall gewesen ist!“ sagte sie ernster. „Es ist kaum zu glauben, was er aus ihr gemacht hat und mit welcher Hingebung sie an diesem düstern Manne hängt. Freilich, sie vermag Alles über ihn, und er wird ja jetzt überall als etwas Großartiges und Unerreichbares gepriesen, aber –“
„Aber Dein Geschmack wäre er nicht!“ ergänzte Bernhard wieder neckend. „Sehr begreiflich, da Du mich vorher kanntest. Also gönne ihn Lucien immerhin und tröste Dich mit der unumstößlichen Thatsache, daß Du jedenfalls den besten Mann von Euch Beiden besitzest.“
Das war für Franziska zu viel, sie sprang heftig auf. „Bernhard, ich glaube, Du bist im Stande, Dir im vollen Ernste Dergleichen einzubilden! Uebrigens wollte ich Dich bei Gelegenheit des morgenden Festes doch einmal fragen, wer von uns Beiden damals Recht hatte in Bezug auf Luciens sogenannte Liebe zu dem Grafen, die Du so bestimmt behauptetest und die ich so entschieden in Abrede stellte.“
„Du hattest Recht, liebe Franziska, wie Du ja überhaupt immer Recht hast – wohin willst Du denn auf einmal?“
„Aus Deiner Nähe! Wenn Du anfängst, Complimente zu machen, kann ich stets auf irgend eine kleine Bosheit gefaßt sein. Aber ich wiederhole es Dir, Bruno ist heute zu nichts Vernünftigem fähig; also mache Dich fertig und fahre an seiner Statt nach E. hinüber. Ich kann nicht all die Last und Sorge auf mich allein nehmen; Du kannst mir auch dabei helfen!“
Mit diesen etwas dictatorischen Worten eilte Frau Franziska hinab in die Wirthschaftsräume, während Bernhard wirklich aufstand, seine Zeitungen im Stiche ließ und sich als gehorsamer Ehemann anschickte, den Anordnungen seiner Frau Gemahlin nachzukommen. –
Es war am zweiten Tage nach der soeben geschilderten Scene, noch sehr früh am Morgen, als ein leichter offener Wagen auf dem Fahrwege hielt, der nach dem Gebirgsdorf N. hinaufführte. Die Insassen des Wagens waren ausgestiegen, um den Rest des Weges zu Fuße zurückzulegen und unbemerkt das Pfarrhaus zu erreichen, wo sie schon erwartet zu werden schienen, denn Pfarrer Clemens empfing sie bereits an der Thür.
Der Greis war noch müder und hinfälliger geworden während dieser letzten Jahre, und sein ganzes Aussehen verrieth, daß ihm die fernere Lebensdauer nur auf Monate, vielleicht nur auf Wochen noch zugemessen war. Er hatte schon längst sein Amt in die Hände eines Caplans niederlegen müssen, und wenn man ihn dem Namen nach noch im Besitze seiner Pfarre ließ und ihm noch einige leichte Amtshandlungen gestattete, so verdankte er diese Vergünstigung nur seinem langjährigen Wirken und der Anhänglichkeit seiner Gemeinde, die von ihrem alten, treu bewährten Seelsorger nicht lassen wollte, vielleicht auch dem Umstande, daß es nicht Viele gab, die sich zu dieser dürftigen Stellung gedrängt hätten.
Es war wohl nicht bloßer Zufall, daß dieser Besuch gerade jetzt stattfand, wo der Caplan auf einige Tage abwesend war. In dem Studirzimmer, wo sich sonst täglich die kleine, runde und wohlgenährte Figur dieses Herrn bewegte, dem gutes Essen und Trinken über Alles ging, und der jedesmal seufzte, wenn irgend eine priesterliche Verrichtung ihn hinausrief, stand jetzt die hohe Gestalt seines Vorgängers. Bruno hatte sich wenig verändert, nur ernster, ruhiger war er geworden, die düstere Gluth des jungen Mönches, dessen Inneres sich so leidenschaftlich gegen die Fesseln seines Standes aufbäumte, war der Festigkeit des Mannes gewichen, der sich bereits im Kampfe mit dem Leben versucht hatte. Die dunklen Locken bedeckten dicht und üppig auch jene Stelle des Hauptes, die einst die Tonsur getragen, und damit schien auch der letzte Rest des Mönchthums abgestreift von der stolzen Erscheinung, der man es nicht mehr ansah, daß sie sich einst im Ordensgewande mit den vorgeschriebenen Zeichen äußerer Demuth gebeugt hatte.
An der jungen, kaum neunzehnjährigen Frau an seiner Seite waren die drei Jahre fast spurlos vorübergegangen. Die langen braunen Locken wallten noch wie einst über Hals und Schultern, in den blauen Augen lächelte wieder das ganze sonnige Glück früherer Tage und das rosige Antlitz hatte den vollen Zauber der Kindlichkeit behalten, aber es lag doch ein Hauch von Ernst auf ihrem ganzen Wesen, der verrieth, daß sie jetzt wohl etwas Anderes kennen gelernt, als Kinderspiele und Kinderthorheiten, und daß sie keine unwürdige Gefährtin des Mannes sein werde, der nun wirklich gekommen war, sie „mit hineinzureißen in sein Leben voll Kampf und Streit“.
Bruno hatte ihre Hand ergriffen und führte sie dem Pfarrer zu. „Mein Weib!“ sagte er einfach, aber es lag eine ganze Welt von Leidenschaft und Zärtlichkeit in dem einen Worte. „Ich konnte nicht abreisen, Hochwürden, ohne Ihnen meine Lucie zuzuführen. Sie wollte mich nicht allein in’s Gebirge lassen, denn sie kann noch immer nicht vergessen, was mir einst hier drohte, und ich –“ er beugte sich zu ihr nieder und sah ihr tief in’s Auge, „ich wäre auch schwerlich ohne sie gegangen!“
In dem Gesichte des alten Pfarrers zeigte sich eine gewisse zaghafte Verlegenheit bei dieser Vorstellung; für den katholischen Priester haftete doch noch immer etwas von einem Sacrilegium an dieser Vermählung des einstigen Mönches, als aber Lucie halb schüchtern, halb freundlich zu ihm aufblickte und ihm mit kindlicher Vertraulichkeit die Hand hinstreckte, da siegte das Herz des alten Mannes über alle priesterliche Bedenken, er faßte die Hand der jungen Frau und drückte sie herzlich in der seinen.
„Wir sind gestern noch bis A. gefahren,“ fuhr Bruno fort, „um heute in aller Frühe hier zu sein und Sie möglichst unbemerkt aufsuchen zu können. Ihres freundlichen Empfanges war ich zwar sicher, aber ich möchte nicht, daß mein Besuch, wenn er bekannt würde, Ihnen Ungelegenheiten dem Stifte gegenüber bereitet. “
Der Greis lächelte. „Fürchten Sie nichts! Ich bin Jenen zu unbedeutend, als daß sie sich viel um mein Thun und Lassen kümmern sollten; das geschah nur, so lange Sie unter meinem Dache weilten. Ueberdies wird das Regiment im Stifte nicht mehr mit der alten Strenge gehandhabt, es wird jetzt Manches geduldet, was früher nicht ungestraft hätte hingehen dürfen.“
„Ich weiß es! Mit dem Prälaten ist die eigentliche Seele des Klosters gewichen, dessen Macht sich jetzt reißend schnell ihrem Ende zuneigt. Daß jener mächtige Arm auch noch aus Rom herüberreichen kann, habe ich erfahren! Manches Hemmniß, mancher Stein in meinem Wege kam unzweifelhaft von seiner Hand – es ist ihm dennoch nicht gelungen, mich unschädlich zu machen!“
Er wandte sich nach dem Fenster und blickte hinaus auf die Häuser des Dorfes, in die er als Priester so oft eingetreten war; der Pfarrer benutzte diese Bewegung, sich Lucie zu nähern und ihr hastig einige Worte zuzuflüstern, es schien fast eine Bitte zu sein. Die junge Frau fuhr überrascht auf und warf einen besorgten Blick auf ihren Gatten, erst nach einer wiederholten leisen Bitte des alten Geistlichen näherte sie sich ihm.
„Bruno, unser Hiersein ist doch nicht so ganz verborgen geblieben, als wir glaubten; der Herr Pfarrer hat bereits seit gestern Abend einen Gast im Hause, der Dich zu sprechen wünscht.“
„Mich zu sprechen?“ wiederholte Bruno befremdet und völlig ahnungslos, „und dazu wählt man diesen Ort und diese Stunde? Warum nicht Dobra, wo ich doch ganz offen zu finden war?“
Der Pfarrer schwieg verlegen, muthiges persönliches Eingreifen war seine Sache nicht und er mochte auch wohl von früheren Zeiten her den Starrsinn seines ehemaligen Caplans zur Genüge kennen, aber Lucie kam ihm zu Hülfe. Sie ergriff Bruno’s Hand und zog ihn rasch zu der Thür des Nebenzimmers, die in diesem Augenblick geöffnet ward – Graf Rhaneck stand auf der Schwelle.
Ein leichtes Zucken flog über sein Antlitz hin, als er die Beiden vor sich sah. Der Graf hatte vielleicht noch niemals so bitter seine Vereinsamung gefühlt, so tief die Oede und Leere seines jetzigen Lebens empfunden, wie hier beim Anblick seines Sohnes und des lieblichen jungen Wesens, das sich an dessen Seite schmiegte. Bruno dagegen war zurückgewichen, die Ueberraschung schien ihm im höchsten Grade peinlich zu sein, und als Lucie jetzt Miene machte, sich zu entfernen, hielt er sie heftig zurück.
„Du bleibst, Lucie! Ich habe keine Geheimnisse vor Dir, am allerwenigsten mit dem Herrn Grafen Rhaneck.“
Die junge Frau legte leise den Kopf an seine Schulter. „Laß mich gehen, Bruno!“ flüsterte sie bittend. „Dies einzige Mal muß ich Dich doch wohl Deinem Vater lassen, es würde ihm wehe thun, stände ich jetzt zwischen Euch!“
Ohne eine Antwort abzuwarten, zog sie ihren Arm aus dem seinigen und in der nächsten Secunde waren die Beiden allein. Der Graf kam langsam näher.
„Wir haben uns lange nicht gesehen, Bruno! Hat mein Sohn auch jetzt keinen Gruß, kein einzigem Wort für seinen Vater?“
Bruno schwieg, er schickte nur einen unruhigen und ungeduldigen Blick nach der Thür hinüber, in der Lucie mit dem Pfarrer verschwunden war, als wolle er sie selbst für diese kurze Zeit nicht im Schutze eines Anderen wissen; der Graf fing diesen Blick auf.
„Deine Gattin hat es herausgefühlt, wie furchtbar schwer es mir geworden wäre, Dir in ihrer Gegenwart zu nahen,“ sagte er ernst, „Du freilich hättest mir diese Demüthigung nicht erspart!“
Bruno sah in der That nicht aus, als wolle er dem Grafen irgend etwas ersparen oder irgend etwas gewähren. Vielleicht hätte Lucie doch besser gethan zu bleiben, der so lange verbannt gewesene feindselige Zug auf seiner Stirn regte sich wieder, auch nicht einen Schritt that er dem Vater entgegen.
„Jedenfalls habe ich diese Demüthigung nicht verschuldet!“ erwiderte er kalt, „denn ich habe diese Begegnung weder begehrt noch gesucht.“
„Ich wollte Dich wiedersehen!“ entgegnete Rhaneck weich. „Und um so mehr, als ich hörte, daß Du Dich vermähltest.“
Die Weichheit hatte hier stets die entgegengesetzte Wirkung, Bruno flammte wieder trotzig auf bei diesen Worten. „Ja, ich bin vermählt, und unsere protestantische Ehe wird nicht anzufechten sein! Wenn ich auch die Mönchsgelübde brach, meinem Weibe werde ich die Treue zu halten wissen, die ich ihr am Altare schwur!“
Die Lippen des Grafen zuckten wieder bei dieser schonungslosen Erinnerung. „Du kannst mir nicht verzeihen, was ich Dir und Deiner Mutter gethan!“ sagte er leise. „Hätte ich es wieder gut machen können, es wäre längst geschehen, aber meine zweite Ehe bindet mir ja die Hände bei jedem Schritt. Die erste anerkennen hieße Ottfried im Grabe und die Gräfin an meiner Seite rechtlos machen. Du mußt das doch begreifen.“
„Daß die hochgeborene Gräfin Rhaneck und ihr Sohn andere Rücksichten verdienen, als meine bürgerliche Mutter, die man ungestraft rechtlos machen durfte – nein, Herr Graf, das begreife ich nicht und werde es nie begreifen!“
„Bruno!“ Die ganze innere Qual lag in dem Tone, Rhaneck drängte sie nur mühsam zurück, als er gefaßter hinzusetzte: „Und wollte ich selbst das Aeußerste versuchen, Du hast den Namen Rhaneck stets von Dir gewiesen, Du würdest die Anerkennung von meiner Hand nicht einmal nehmen wollen.“
„Nein, niemals!“ erklärte Bruno mit unversöhnlicher Härte. „Was Sie mir thaten, deshalb klage ich Sie nicht an, wir waren quitt in dem Momente, wo ich die Fesseln brach, in die man schon meine Kindheit geschmiedet. Auch ohne den Grafentitel der Rhaneck habe ich mir einen Namen und eine Stellung in der Welt errungen, und vielleicht wäre auch ich an den Folgen einer vornehmen Erziehung geistig zu Grunde gegangen, wie Graf Ottfried. Ich habe nichts mehr von Ihnen zu verlangen, seit ich frei bin, aber was Sie meiner Mutter thaten, läßt sich nicht mehr sühnen. Ihr ist das Herz darüber gebrochen, und das ist’s, was ewig zwischen uns steht!“
„Sie hätte die Vergeltung in keine besseren Hände legen können!“ sagte der Graf bitter, „und vielleicht war es ihre Rache, die mir diese leidenschaftliche unbezwingliche Liebe zu Dir in’s Herz senkte, der ich jetzt opfere, was ich noch Keinem auf der Welt geopfert, meinen ganzen Stolz. Ich habe Dich des Namens und Rechtes Deiner Geburt beraubt – ja! Und doch habe ich nichts so sehr auf Erden geliebt, als mein beraubtes, mein verstoßenes Kind. So oft Du äußerlich Deinem Bruder nachgesetzt wurdest, senkte sich der Stachel tief in mein Innerstes, und es blutete zehnfach unter diesem Stachel, wenn ich bei Dir nur den dunkeln instinctmäßigen Regungen des Hasses begegnete, wo ich mit der ganzen Leidenschaft des Vaters Liebe forderte. Dein mühsam verhehlter Widerwille, Dein ewiges Zurückweichen vor meiner Zärtlichkeit ist mir eine Strafe gewesen, wie sie bitterer nicht gefunden werden konnte. In Ottfried erzog ich mir den Erben meines Namens und meiner Güter – was Du mir warst, ist er mir nie gewesen! Jetzt ist auch dieser Erbe mir genommen, dem Bruder bin ich auf immer entfremdet, ein kaltes verhaßtes Band fesselt mich an eine ungeliebte Frau, während mein Name und mein Geschlecht mit mir zu Grabe geht, und mein geliebtester, jetzt mein einziger Sohn wendet sich in Haß und Bitterkeit von mir – ich glaube, Bruno, Deine Mutter ist gerächt!“
Er hatte mit ruhigem, aber erschütterndem Vorwurf gesprochen und wandte sich jetzt zum Gehen. Bruno stand da im heftigsten Kampfe, plötzlich aber eilte er ihm nach.
„Mein Vater!“
Der Graf blieb wie gebannt stehen, als er zum ersten Male den Vaternamen von diesen Lippen hörte; stumm, aber mit leidenschaftlicher Zärtlichkeit streckte er die Arme nach seinem Sohne aus, noch einen Moment lang zögerte dieser, dann warf er sich an seine Brust, die Versöhnung war geschlossen. –
Bruno richtete sich zuerst wieder empor, er machte sich sanft los aus den Armen, die ihn noch immer umschlungen hielten.
„Wir müssen scheiden, Vater!“ sagte er fest. „Oeffentlich können und dürfen wir einander nicht begegnen, auch um Deinetwillen. Du kennst meine Stellung Deiner Kirche gegenüber, sie bannt mich aus Deinen Kreisen, denen ich so wenig nahen kann, als Du den meinen. Laß es genug sein mit der Erinnerung an diese Stunde, bis auf bessere Zeiten!“
Rhaneck trat mit dem Ausdrucke der Resignation zurück. „Bis auf bessere Zeiten! Und Deine Gattin?“
„Lucie soll auch den Vater umarmen. Sie hat meinen Widerstand gegen Dich stets Härte genannt. Ich gehe sie zu holen!“
Eine halbe Stunde später trat das junge Paar den Rückweg an. Der Graf war im Pfarrhause zurückgeblieben. Der alte Pfarrer aber hatte es sich nicht nehmen lassen, seine Gäste zu begleiten, so weit seine schwachen Kräfte es noch zuließen. Am Crucifix angelangt, von wo aus Bruno einst den verhängnißvollen Gang nach der Wallfahrtskirche angetreten hatte, blieb dieser jetzt stehen und reichte dem Geistlichen Abschied nehmend die Hand.
„Leben Sie wohl, Hochwürden! Ich habe Lucien versprochen, daß sie im Herbste die Ihrigen wiedersehen soll. Auf Wiedersehen also auch uns Beiden!“
Der Greis lächelte traurig. „Wir werden uns schon auf längere Zeit Lebewohl sagen müssen! Im Herbste werden Sie mich wohl dort drüben finden.“ Er wies nach dem kleinen Friedhofe des Dorfes hinüber. „Ich habe wenig mehr zu schaffen auf der Welt und bin nur eine unnütze Last noch, aber es freut mich doch, daß ich vor meinem Tode noch ein volles, warmes Menschenglück gesehen habe! Sie haben sich losgerissen von unserem Stifte, von unserer heiligen Kirche sogar, und ich sollte Sie wohl auch verdammen deshalb, aber es muß ja ein Jeder selbst am besten wissen, wie er mit sich und seinem Gott fertig wird. Ich habe von jeher herzlich gern mit meinen Mitbrüdern gesegnet, mit ihnen fluchen habe ich nie gekonnt, und wenn ich Ihr junges Weib ansehe, kann ich’s vollends nicht, also – der Herr segne Euch Beide!“
Er drückte Bruno noch einmal herzlich die Hand und küßte die junge Frau auf die Stirn. Bruno’s Auge schimmerte feucht, als er das letzte Lebewohl zurückwinkte nach dem Kreuze, an dem die verfallene, schon halb gebrochene Gestalt des alten Pfarrers lehnte – auch er wußte, daß er zum letzten Male in diese freundlich milden Augen geblickt hatte.
Durch den blauen Morgennebel dämmerten jetzt allmählich die hohen Schneegebirge, noch umwoben von dem rosigen duftigen Hauch der ersten Frühe, während das einsame Dörfchen bald ihren Blicken entschwand. Der helle klare Sonnentag, den jener Morgenduft verhieß, stieg jetzt glänzend herauf über dem Gebirge, während der Wagen des jungen Paares dahinrollte, vorüber an den thaufrischen Matten, an den dunklen Tannenwäldern und den mächtigen Felsgruppen, immer an dem brausenden Bergstrom entlang, der sie hinableitete bis in die Ebene.
Als sie diese wieder erreichten und, ohne Dobra nochmals zu berühren, die Richtung nach E. einschlugen, begann der Morgen schon den heißeren Strahlen des Tages zu weichen. Langsam fuhr der Wagen die Waldhöhe hinauf, von der aus Lucie zum ersten Male das Thal gesehen. Wie damals lag es im hellen Sonnenstrahl zu ihren Füßen, mit seinen Flecken und Dörfern, seinen Bergen und Wäldern, mit dem rauschenden Strom in der Mitte und dem blauen Gebirge in der Ferne. Aus seinem Tannendunkel ragte Schloß Rhaneck empor, und ihm gegenüber lag die Benedictiner-Abtei da, in ihrer ganzen stolzen Pracht. Wieder leuchteten die weißen Thürme und glänzten die langen Fensterreihen des mächtigen Gebäudes, dessen Mauern wie für die Ewigkeit gegründet schienen, aber Einen wenigstens hatten sie frei geben müssen, und wo erst Einer die Kette bricht, da ist sie auch gebrochen für Jeden, der ein festes Wollen einzusetzen hat. Bruno blickte hinüber nach jenen Mauern und dann hinauf zu den Lerchen, die liederfröhlich über seinem Haupte schwebten, er wußte ja jetzt auch wie sie, was Freiheit hieß. An dem Orte, der ihn einst schied von Leben und Glück, am Altare hatte er gestern die Hand seiner Braut empfangen und eilte jetzt der neuen Zukunft entgegen, sein junges Weib neben sich, vor sich die blaue duftige Ferne und über sich die schmetternden Lerchen, deren Lied hoch oben verklang im blauen sonnigen Aether.