Читать книгу Herz-Sammelband: Elisabeth Bürstenbinder Liebesromane - Elisabeth Bürstenbinder - Страница 14

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Inhaltsverzeichnis

„Nehmen Sie es mir nicht übel, Herr Pfarrer, aber das ist ja ein ganz schändliches Wehen hier oben auf Ihren Bergen! Man möchte zehn Hände haben, um Hut und Shawl und Schirm, und noch zehn andere Dinge fest zu halten, sonst tanzen sie in der nächsten Minute um die Schneegipfel droben. Und seine eigene Person auf den Füßen zu erhalten hat man auch Mühe genug, sonst nimmt sie der Wind und setzt sie ohne Weiteres in eine von den verhexten Schluchten nieder, wohin nicht Sonne noch Mond scheint, und wo man sich, wie Ihre frommen Kalenderheiligen, von Eidechsen und Tannenzapfen ernähren muß, bis einen endlich irgend ein mitleidiger Bauer findet und wieder zur Menschheit zurückbringt. Die abscheulichen Wege hier haben uns schon unseren Wagen gekostet, die Räder waren vernünftiger als wir, sie wollten nicht weiter und zogen es vor, entzwei zu brechen, wir selbst sind halbtodt von dem Heraufklettern auf diesem Dinge, das sich ein Fahrweg nennt, und dabei Löcher und Untiefen hat, groß genug, um eine vierspännige Extrapost mit Mann und Maus zu verschlingen. Geh mir einer mit der Schönheit der Gebirge! Ich bleibe dabei, sie sind vom lieben Herrgott eigens erschaffen, um seinen Creaturen das Leben schwer zu machen, was nun einmal hier auf Erden nothwendig zu sein scheint.“

Pfarrer Clemens, der, im Begriff wieder in sein Haus zu treten, sich plötzlich vom Rücken her in dieser Weise anreden hörte, wendete sich hastig um und blickte erschrocken die Dame an, welche ihm im Tone einer nachdrücklichen Strafpredigt diese Rede hielt. Ihr Gesichtsausdruck war dabei so zornig, ihre Bewegungen so energisch, als sei der arme Geistliche allein verantwortlich für alle die eben geschilderten Unannehmlichkeiten, und dieser fühlte sich wirklich in der ersten Ueberraschung und Bestürzung als der schuldige Theil.

„Ich bedauere sehr –“ sagte er verlegen und ängstlich, „es thut mir leid, aber ich – ich kann wirklich nicht dafür, daß das Klima auf unseren Bergen so rauh ist.“

Die Dame lachte laut auf bei dieser Entschuldigung und trat ihm vertraulich einen Schritt näher.

„Nein, Hochwürden, dafür können Sie in der That nicht!“ sagte sie gutmüthig. „Ich meinte auch nicht Sie, Gott behüte! Nichts für ungut, daß ich Sie so anfuhr. Wir kommen als zwei hülflose Frauen zu Ihnen und bitten um Schutz und Obdach für einige Stunden. Sie brauchen sich nicht zu ängstigen.“

Trotz dieser Versicherung retirirte der Pfarrer doch etwas näher nach der Thür hin, während er schüchtern zu der Erscheinung emporblickte, die allerdings dem Bilde, das man sich von einer „hülflosen Frau“ zu machen pflegt, so wenig entsprach, als der Ton, mit dem sie sich eingeführt, der Bitte.

Es war eine große, kräftige Gestalt, sie trug einen eleganten dicken Reiseshawl, der in allerdings mehr stürmischer als malerischer Drapirung um die Schultern geworfen war. Mit der Linken hielt sie ihren Hut, der, seiner schiefen Stellung und den bedenklichen Wellenlinien seines Schirmes nach zu urtheilen, schon mehrmals den Versuch gemacht hatte, dem Orte, an den er von Rechtswegen gehörte, zu entfliehen, an beiden Bändern auf dem Kopfe fest, mit der Rechten stützte sie sich auf einen großen Regenschirm, der auch schon vom Sturme arg mitgenommen war, und überdies die Spuren des lehmigen Felsbodens zeigte, auf dem er als Alpenstock gedient hatte. Hinter ihr ward jetzt eine kleinere, zartere Figur sichtbar, ganz in einen grauen Regenmantel gehüllt, der die feine Gestalt vom Halse an bis herab zu den Füßen umschloß. Sie hatte es vorgezogen, ihren Hut ganz abzunehmen, statt ihn fortwährend festhalten zu müssen, und während sie ihn in der Hand trug, flatterten die Locken, dem Winde preisgegeben, nach allen Richtungen. Das „schändliche Wehen“, das ihre Gefährtin so aufbrachte, schien ihr weit weniger Kummer zu verursachen, das frische, von der scharfen Bergluft angehauchte Gesichtchen drückte eher Vergnügen aus über die ganze abenteuerliche Fahrt, und es zuckte wie mühsam unterdrücktes Lachen um den kleinen Mund bei den komischen Vorwürfen, mit denen ihre Begleiterin auf den armen Pfarrer einstürmte, und bei der sichtbaren Angst des hochwürdigen Herrn vor der resoluten Dame.

Er lud sie nichtsdestoweniger ein, in’s Haus zu treten, und sie folgte auch dieser Aufforderung, blieb aber plötzlich auf der Schwelle stehen und sagte in scharfem Tone:

„Ehe wir aber eintreten, möchte ich Ihnen doch mittheilen, daß wir Protestanten sind. Verstehen Sie? Ketzer von der echtesten Sorte, da oben aus Norddeutschland! Täuschen wollen wir Sie nicht und bekehren lassen wir uns auf keinen Fall. Wenn Sie uns also darauf hin hinauswerfen wollen, so sagen Sie es lieber gleich, wir müssen dann zusehen, ob wir in dem sogenannten Wirthshause ein Unterkommen finden, obgleich ein anständiger Mensch es nicht ansehen, geschweige denn betreten kann, ohne daß sich sein ganzes Reinlichkeitsgefühl dagegen empört.“

Der Pfarrer mußte doch lächeln über dies seltsame Glaubensbekenntniß zwischen Thür und Angel. „Ich pflege meine Gäste nicht nach ihrer Religion zu fragen,“ entgegnete er freundlich, „und stelle mein einfaches Haus gern jedem Fremden zur Verfügung, weß Glaubens er auch sei.“

„So? Nun da sind Sie eine Ausnahme von Ihren Collegen!“ meinte die Dame trocken. „Entschuldigen Sie, daß es mir so herausfuhr, aber wie gesagt, bekehren lassen wir uns nicht, und man muß sich vorsehen hier zu Lande, ich traue den Katholischen nun einmal nicht. – Wenn ich nur wüßte, was es wieder dabei zu lachen giebt, Lucie! Ich glaube, Sie sind unvernünftig genug, an der ganzen abscheulichen Partie noch Vergnügen zu finden. Wie eine Gemse sind Sie vor mir her den Berg heraufgesprungen, während ich –“ sie sah wehmüthig herab auf die Trümmer ihres Regenschirms – „ohne den da wäre ich verloren gewesen!“

Man war inzwischen in’s Haus getreten und Franziska begann sogleich Shawl und Hut abzulegen, wobei sie ihrem Wirthe ausführlicher erzählte, daß sie von einer kleinen Reise nach A. zurückkäme, daß sie der Kürze wegen den Weg über das Gebirge gewählt hätten, und daß ihr Begleiter, der sich noch unten bei dem übel zugerichteten Wagen befinde, seine Schwester und sie einstweilen vorausgesandt habe, um im nächsten Dorfe auf ihn zu warten, wo sie ein Fuhrwerk zu erhalten hofften, das, da die Pferde zum Glück unverletzt seien, sie noch heute bis Dobra bringen könne.

„Das Fuhrwerk wird wohl zu erhalten sein,“ erklärte der Pfarrer bereitwillig, „vorausgesetzt, daß Ihr Begleiter bald eintrifft, sonst möchte es nicht rathsam sein, noch heute den Rückweg anzutreten, da die Nacht Sie noch im Gebirge überfallen würde. Sie müßten in diesem Falle mit meiner Gastfreundschaft fürlieb nehmen. Das Gastzimmer ist zwar schon seit einigen Monaten von meinem jungen Caplan eingenommen, indeß er wird gern den Damen weichen, und auch für den fremden Herrn wird Unterkommen geschafft werden.“

Lucie hatte bisher ihren Mantel noch nicht abgelegt, sondern sich mit großen Augen in der Studirstube umgesehen, die zugleich das Staats- und Empfangszimmer des hochwürdigen Herrn bildeten. Sie musterte unbefangen die alten einfachen Möbel, die nicht allzu zahlreichen Bücher und die vergilbten Stahlstiche an den Wänden, welche Heiligenbilder oder Scenen aus Legenden darstellten, bei den letzten Worten aber wurde sie plötzlich aufmerksam.

„Wo befinden wir uns denn eigentlich, Hochwürden?“ fragte sie schnell, und der Pfarrer wunderte sich, weshalb das junge Mädchen bei der so einfachen Frage bis an die Schläfe erröthete.

„Ja wohl, wie heißt denn das Nest? – ich bitte um Entschuldigung, ich meine Ihren Pfarrbezirk,“ fiel auch Franziska jetzt ein. „Man hat uns nur nach dem nächsten Dorfe gewiesen, ohne uns den Namen zu nennen.“

„Sie befinden sich in N.“

Es war gut, daß der Pfarrer sich dabei an Franziska wandte, und diese ihn wieder ansah, so entging Beiden die Purpurgluth, welche jetzt das Antlitz Luciens noch dunkler färbte. Sie gab auf einmal all’ ihre kleinen Beobachtungen im Zimmer auf und flüchtete an’s Fenster, wo sie verharrte, den Blick fortwährend auf die Thür gerichtet, als erwarte sie jeden Augenblick dort etwas eintreten zu sehen, das ihr Angst mache.

Fräulein Reich hatte sich indessen bequem im Lehnstuhl zurechtgesetzt und begann nun mit ihrem Wirthe eine Art von Verhör anzustellen, wie lange er schon hier wohne, welches Einkommen er habe, wie er mit seiner Gemeinde stehe und dergleichen. Der alte Pfarrer, völlig eingeschüchtert durch den inquisitorischen Ton der Dame, stand demüthig und ängstlich vor ihr, und bemühte sich, auf all ihre Fragen so genau und pünktlich zu antworten, als stehe er vor seinem Decan, von dessen Wohlwollen seine ganze Stellung abhinge. Das Resultat des Examens war endlich ein halb ärgerliches, halb mitleidiges Kopfschütteln von Seiten Franziska’s.

Ich möchte nicht an Ihrer Stelle sein, Hochwürden!“ erklärte sie sehr entschieden. „Im Sommer mag das noch zu ertragen sein, aber wie halten Sie nur den ganzen langen Winter hier oben aus, so mutterseelenallein, ohne Weib und Kind?“

Der alte Priester lächelte, aber diesmal war es ein trauriges Lächeln und es lag etwas wie schmerzliche Resignation in dem Blicke, der über die kräftige lebensvolle Gestalt der vor ihm Sitzenden hinglitt und dann auf dem lieblichen Antlitz des jungen Mädchens haften blieb, das in diesem Augenblick zu ihnen herüberschaute. „Das bringt unser Stand so mit sich,“ entgegnete er sanft.

„Das ist aber, nehmen Sie mir’s nicht übel, eine höchst langweilige Einrichtung Ihrer Kirche,“ fuhr Franziska mit ihrer entsetzlichen Aufrichtigkeit ganz ungenirt fort. „Bei uns daheim hat jeder rechtschaffene Pfarrer Frau und Kinder, ein halbes Dutzend von den letzteren gewöhnlich! Wir haben es noch weiter gebracht: wir waren unser Zwölf im Pfarrhause, und wenn die heilige Apostelzahl meinem Vater auch oft genug Kopfzerbrechen machte – ein Landpfarrer hat bei uns gerade auch kein Ministereinkommen –, ich versichere Sie, es lebt und predigt sich so doch besser, wenn auch die ganze geistliche Nachkommenschaft neben dem Studirzimmer lärmt, als in solchem öden todtenstillen Hause, wo keine Maus sich regt. Mein Vater hätte kein einziges von uns missen mögen; wir sind ja auch Gott sei Dank Alle gerathen und wie gerathen!“

Bei den letzten Worten richtete sie sich zu ihrer ganzen stattlichen Höhe empor und blickte den vor ihr stehenden hochwürdigen Herrn so herausfordernd an, als wolle sie fragen, ob er nicht meine, sie ihrerseits sei außerordentlich gut gerathen, und ob er sich etwa erlaube, nach diesem Beispiele noch an dem exemplarischen Gedeihen der übrigen elf Pfarrerssprößlinge zu zweifeln. Zum Glück fiel dem guten Geistlichen Dergleichen nicht entfernt ein. Er machte eine tiefe höfliche Verbeugung, welche mehr als Worte seinen großen Respect vor der Dame und ihrer ganzen Familie auszudrücken bestimmt war, und dadurch zufriedengestellt, setzte sich diese wieder nieder.

„Ich begreife nicht, weshalb Bernhard noch immer nicht kommt!“ mischte sich jetzt Lucie in’s Gespräch. „Er müßte längst hier sein; ich möchte ihm lieber entgegengehen.“

Die Erzieherin schüttelte mißbilligend den Kopf. „Warum nicht gar! Haben Sie etwa noch nicht genug an unserer Kletterpartie, Lucie? Wollen Sie sich durchaus fortwehen lassen?“

„Ich gehe ja nicht weit,“ versicherte das junge Mädchen, „und verfehlen kann ich ihn nicht, wenn ich dem Wege folge, den wir heraufgekommen sind.“

Franziska blieb bei ihrem Kopfschütteln. Der Pfarrer aber, dem die geheime Unruhe der Dame nicht entging und der sie natürlich der Sorge um den abwesenden Bruder zuschrieb, legte sich jetzt in’s Mittel.

„Lassen Sie das Fräulein immerhin gehen,“ sagte er freundlich. „Es geschieht ihr nichts hier oben auf unseren Bergen, und Schluchten und Abgründe, in die sie stürzen könnte, giebt es auch nicht in unmittelbarer Nähe von N., vorausgesetzt, daß die Dame den Fahrweg nicht verläßt.“

Franziska zuckte die Achseln. „Da sehen Sie das sechszehnjährige Blut, Hochwürden! Nicht eine Viertelstunde lang kann es im Zimmer aushalten, das muß durchaus wieder hinaus in Wind und Wetter! Meinetwegen denn, aber gehen Sie ja nicht zu weit. Herr Günther wird Sie auslachen bei seiner Ankunft; er ist auch gerade der Mann, um den man sich ängstigen müßte!“

Lucie hörte die letzten Worte gar nicht mehr, sie war schon aus der Thür, auf der Schwelle hielt sie noch einmal zögernd inne; aber ein Schritt, der die Treppe herunterkam und von dem sie freilich nicht wissen konnte, daß es nur der der alten Magd war, scheuchte sie rasch in’s Freie an den wenigen Häusern vorüber, bis zum Ausgange des Dorfes.

Erst am Ausgange des Dorfes hielt Lucie in der halb unwillkürlichen Flucht inne, wußte sie doch selbst kaum, wovor sie eigentlich floh, oder wollte es sich vielmehr nicht eingestehen; aber die bloße Vorstellung schon, daß die scharfen Augen Franziska’s und die des Pfarrers auf ihr ruhen würden, wenn die Thür sich öffnete und jene hohe finstere Gestalt eintrat, drohte sie um alle Fassung zu bringen. Der bloße Gedanke an die Nähe dieses Mannes weckte Alles wieder auf, was im Laufe der letzten Monate eingeschlummert war, so daß sie nur noch bisweilen, wie an einen schweren, ängstlichen Traum daran zurückdachte, die räthselhafte Angst, das quälende Weh, den ganzen finsteren Bann, der sie bereits wieder magnetisch umfing. Sie wollte diesem Banne entfliehen und ahnte nicht, daß sie eben dadurch erst in den gefürchteten Zauberkreis eintrat, daß die Gefahr, die sie hinter sich wähnte, vor ihr lag.

Am Fahrwege angelangt überblickte Lucie vergeblich die ihr sichtbaren Windungen desselben, weder Bernhard, noch der Kutscher mit den Pferden war zu entdecken. Sie beschloß, dem Bruder ein Stück entgegenzugehen, verfehlen konnte sie ihn ja hier nicht und es lag ihr vor allen Dingen daran, dem Pfarrhause so lange als möglich fern zu bleiben.

Das junge Mädchen war schon einige Minuten lang bergabwärts gestiegen; der Weg, der Fräulein Reich so viele Mühe gekostet, machte ihren leichten Füßen nicht die geringste Beschwerde, als sie auf einmal Schritte hinter sich vernahm. Sie wandte sich um und blieb einen Moment lang in zitterndem Schreck stehen, aber auch nur einen Moment, da entdeckte sie bereits, daß es blonde Haare seien, die auf den dunklen Mantelkragen des Fremden herabfielen, der in diesem Augenblick, schon aus der Ferne grüßend, den Hut zog. Lucie athmete tief auf. Graf Rhaneck! Sie hatte ihn, durch Gang und Haltung getäuscht, für einen – Anderen gehalten, es war seltsam, wie er in Beidem diesem Anderen glich.

Mit wenigen raschen Schritten war Ottfried an ihrer Seite. „Das sind in der That halsbrechende Bergpartien hier oben! Wer doch auch Ihren Elfenfuß hätte, mein Fräulein, der so leicht über diese Steine hinweggleitet, wie über eine bethaute Wiese. Wir armen Sterblichen haben es nicht so gut wie die Elfen, uns hält die nasse Erde unerbittlich fest, und wahrlich, nur die Hoffnung, ein solches Feenkind zu erreichen, konnte mich veranlassen, Ihnen auf diesem entsetzlichen Wege zu folgen.“

Mit dieser kecken Galanterie schloß er sich ihr ohne Weiteres an und blieb, als habe er ein Recht dazu, dicht neben ihr. Lucie wich unwillkürlich etwas seitwärts, so daß der Raum zwischen ihnen weiter ward.

„Mich erreichen?“ fragte sie ziemlich kühl. „Wußten Sie denn überhaupt, daß ich hier sei?“

Der Graf lächelte. „Ich sah Sie bereits vor einer halben Stunde, Sie traten soeben mit ihrer Begleiterin in’s Pfarrhaus, als wir nach dem Dorfe zurückkehrten. Schon hatte ich alle Hoffnung aufgegeben, Sie zu sprechen, als mir der Zufall unerwartet sich so hold erwies.“

Er hätte hinzufügen können, daß er sich in der Nähe Franziska’s, die er in gleicher Weise wie Bernhard, aber mit größerem Rechte den „Cerberus“ nannte, nicht an sie gewagt, dagegen den ersten besten Vorwand erfunden hatte, seinen Vater zu bestimmen, allein vorauszufahren, und ihn noch einige Stunden in N. zu lassen, aber er unterließ wohlweislich diese Auseinandersetzungen und begehrte statt dessen, zu wissen, welchem Zufall er das Glück verdanke, Fräulein Günther hier zu sehen.

Lucie erzählte, etwas einsilbig und zurückgehalten, daß sie von A. kämen, welcher Unfall sie betroffen und daß sie im Begriff stehe, ihren Bruder aufzusuchen, der wahrscheinlich noch drunten im Thale sei. Bei der Erwähnung Bernhard’s verfinsterten sich die Züge des Grafen auffallend, und er warf höhnisch die Lippen auf.

„In Bezug auf Herrn Günther erlauben Sie mir wohl eine Frage, mein Fräulein. Ihr Herr Bruder hat mich vor einiger Zeit mit einem Briefe beehrt, der – darf ich fragen, ob Sie überhaupt davon unterrichtet sind?“

„Ich? Nein!“ Lucie sah ihn verwundert an; sie begriff nicht, wie Bernhard, der sich bei jeder Gelegenheit so eingenommen gegen den Grafen zeigte, dazu kam, an ihn zu schreiben. Ottfried lächelte wieder, diesmal aber mit dem Ausdrucke tiefster Befriedigung.

„Ich ahnte es! Dann fällt die Sache natürlich nicht auf Sie, und ich will Sie nicht weiter damit behelligen, obgleich ich allen Grund hätte, die Grausamkeit anzuklagen, die mir Ihren Anblick Monate lang entzog! O mein Fräulein –“

Er war jetzt völlig wieder in dem alten Fahrwasser und ließ auf’s Neue alle jene Künste der Schmeichelei und Galanterie spielen, mit denen er einst auf dem Balle das sechszehnjährige Mädchen bezaubert hatte. Aber seltsam, das einst so bewährte Mittel wollte nicht mehr wirken, seit damals im Walde eine fremde Hand das Netz zerrissen, das er mit seinen Schmeichelworten um das Herz des unerfahrenen Kindes gewoben, seit diese Hand sich so ernst gebietend auf ihren Arm gelegt und sie weggerissen hatte aus der gefährlichen Nähe. Vielleicht war es auch eine unbewußte Vergleichung, bei der Ottfried verlor, denn wenn er auch jetzt das ganze Feuer verschwendete, das seinen matten Augen noch zu Gebote stand, sie kamen doch nicht auf gegen jenen dunkelglühenden Blick, der sich strafend, und doch mit so räthselhaft zwingender Gewalt in das Innere des jungen Mädchens gesenkt. Franziska hatte Recht. Lucie war eine Andere geworden seit jenem Tage; mit Gleichgültigkeit, ja mit Widerwillen wendete sie sich von einer Sprache ab, die sie einst mit so vielem Vergnügen angehört.

Dem Grafen entging es nicht, daß die junge Dame heute auffallend kühl und ernst aus den blauen Augen schaute, daß sie ihren Schritt auffallend beschleunigte und nur sehr einsilbige Antworten gab; aber an dem Eindrucke seiner Persönlichkeit zu zweifeln, fiel ihm natürlich nicht ein. Er schob dies veränderte Wesen gänzlich auf Einschüchterung von Seiten des Bruders und der Erzieherin und wurde allmählich kecker in Ton und Worten. Er klagte leidenschaftlich über die lange Trennung, verschwur sich hoch und theuer, daß keine Macht der Erde ihn zwingen werde, Rhaneck zu verlassen und nach der Residenz zurückzukehren, wenn er nur die Hoffnung habe, sie öfter sehen und sprechen zu dürfen, und war eben im Begriff, seine frühere Liebeserklärung, wenn auch mit Rücksicht auf den feuchten Lehmboden diesmal ohne Fußfall, zu wiederholen, als Lucie ihn auf einmal unterbrach.

„Ich bitte, schweigen Sie davon, Herr Graf! Ich will das nicht hören!“

Ottfried stutzte, er hatte diesen entschiedenen Ton gar nicht in dem jungen Mädchen gesucht. „Sie wollen es nicht hören?“ wiederholte er langsam, während sich ein leiser Hohn in seine Stimme mischte. „O mein Fräulein, könnten Sie wirklich so hart sein, mir jetzt ein Gehör zu verweigern, das ich doch einst bei Ihnen fand?“

Lucie erröthete, aber es war die Röthe der Scham und des Unwillens, die ihr das Blut in die Wangen trieb; zum ersten Male empfand sie jetzt das Beleidigende in dieser Art von Annäherung, das bisher ihrer Unerfahrenheit völlig entgangen war; aber mit dem Bewußtsein der Beleidigung kam auch der Stolz.

„Ich werde doch wohl die Freiheit haben, zu thun, was mir beliebt!“ entgegnete sie mit vollster Heftigkeit, „und ich erkläre Ihnen jetzt, Herr Graf, daß ich Sie nicht länger anhören mag. Verlassen Sie mich!“

Lucie irrte sehr, wenn sie glaubte, den Grafen dadurch zurückzuscheuchen; er war nicht der Mann, sich durch eine wenn auch noch so entschiedene Abweisung schrecken zu lassen, und der unerwartete Widerstand, der plötzlich hervorbrechende Trotz des jungen Mädchens, das er schon ganz in seinen Banden wähnte, gab ihr nur einen Reiz mehr in seinen Augen.

„Wie allerliebst Ihnen der Trotz zu Gesichte steht!“ sagte er mit malitiösem Lächeln. „Sie vergessen nur, daß wir allein sind und daß ich nicht der Thor sein werde, Ihnen zu gehorchen, wenigstens nicht, ohne vorher diesen reizenden kleinen Mund geküßt zu haben, der auf einmal so harte Worte spricht.“

Er beugte sich zu ihr nieder; aber in demselben Moment war Lucie auch schon drüben auf der andern Seite der Straße; glühend vor Zorn und Entrüstung blieb sie hier einen Augenblick stehen. Sie befanden sich gerade in jenem Punkte, wo der kürzere und freilich auch gefährlichere Weg, der von N. herab über die „Wilde Klamm“ führte, in die Fahrstraße mündete; seitwärts durch die Tannen schimmerten die weißen Mauern eines Gebäudes, der Wallfahrtskirche, die sie schon beim Heraufsteigen bemerkt hatten und die kaum hundert Schritte abseits vom Wege lag. Der Blick des jungen Mädchens überflog den letztern, ob der Bruder noch nicht nahe, und als nichts dort zu erblicken war, faßte sie rasch ihren Entschluß. Ohne ein Wort, ohne einen Blick weiter kehrte sie plötzlich dem Grafen den Rücken und schlug den Seitenpfad ein.

Ottfried stand anfangs betroffen von dieser Bewegung, die er sich nicht zu erklären wußte; gereizt folgte er ihr nach Verlauf von einigen Secunden, aber es war bereits zu spät. Aus den Tannen heraustretend, gewahrte auch er die vor ihm liegende Kirche und sah gerade noch, wie Lucie die Stufen hinaufschritt und in das offene kleine Gotteshaus eintrat.

Der junge Graf biß sich auf die Lippen. Er war doch zu sehr Katholik, zu sehr von Vater und Oheim in den Formen seiner Religion geschult, um nicht, wenn auch nur äußerlich, den Ort zu respectiren, wohin sich das junge Mädchen vor ihm geflüchtet. Mußte diese – unbequeme Kirche auch gerade hier am Wege liegen! Aber das Zurückbleiben hätte der Niederlage auf ein Haar gleich gesehen, und diesen Gedanken ertrug Ottfried nicht. Seine Weltgewandtheit kam ihm dabei zu Hülfe; er trat gleichfalls ein, bekreuzigte sich in vorgeschriebener Weise, machte dem Hochaltar eine ehrfurchtsvolle Verbeugung und gesellte sich dann zu Lucie, indem er ruhig und artig, als sei nicht das Geringste vorgefallen, als sei ihr Gespräch nur eine harmlose Plauderei und das Benehmen, das er sich erlaubt, nur ein flüchtiger Scherz gewesen, fragte, ob Fräulein Günther nicht auch finde, daß die Kirchen hier zu Lande sehr schön seien.

Sie sah ihn im ersten Augenblick ganz fassungslos an. Wenn sie auch fühlte, daß er sofort den Ton geändert und daß sie hier wohl vor weiteren Zudringlichkeiten sicher war, diese Art, das Vorgefallene gänzlich zu ignoriren, verletzte sie fast noch mehr, als eine Erneuerung seiner Unverschämtheit es gethan hätte; ohne ihn einer Antwort zu würdigen, wendete sie ihm den Rücken.

Die Kirche war völlig leer, die Andächtigen hatten sie bereits sämmtlich verlassen und soeben trat auch der Priester aus der Sacristei, wo er die gottesdienstlichen Gewänder abgelegt hatte, hinter ihm kam der Meßner, der mit einem verwunderten Blick die Fremden maß und dann an ihnen vorüberging, um die Kirche zu verlassen und sich in seine dicht daneben gelegene Wohnung zu begeben; Benedict, der noch einige Minuten in der Nähe des Altars verweilte, wendete sich jetzt ebenfalls dem Ausgange zu.

Als sei der Blitz vor ihm niedergefahren und habe ihm für Minuten Sprache und Bewegung geraubt, so regungslos stand er da beim Anblick der Beiden, die er wohl unter Allen auf Erden hier am wenigsten vermuthet. In dem Moment, wo er Lucie erblickte, sah er auch den Grafen an ihrer Seite, und Alles, was dies Wiedersehen sonst vielleicht wach gerufen, erstarrte in einer tiefen tödtlichen Bitterkeit, aber die Hand ballte sich krampfhaft unter dem dunklen faltigen Gewande Das also hatte seine Warnung gewirkt!

Ottfried war nicht minder peinlich berührt durch das unerwartete Zusammentreffen. Der Zufall schien sich heute ganz und gar gegen ihn verschworen zu haben, aber er war gewohnt sich in ähnlichen Lagen rasch zu fassen und fühlte, daß er seine Niederlage hier um keinen Preis verrathen dürfe. Auf Luciens eigene ihm wohlbekannte Scheu vor dem düsteren Mönche bauend, grüßte er nachlässig und sagte scheinbar mit vollkommener Ruhe:

„Entschuldigen Sie, Hochwürden! Fräulein Günther wünschte auf einige Minuten hier einzutreten, Sie gestatten uns doch die Besichtigung Ihrer Kirche?“

Lucie erbleichte, diese kecke Unverschämtheit raubte ihr für den Augenblick nicht allein die Fassung, sondern auch die Kraft, sich dagegen zu erheben. Noch bleicher als sie aber war der junge Priester geworden, der Blick, der sie jetzt traf, war voll eisiger niederschmetternder Verachtung und doch barg sich tief dahinter etwas wie verzweifeltes Weh. Ohne auch nur ein einziges Wort an sie zu richten, wandte er sich dem Grafen zu.

Unser einfaches Gotteshaus bietet keine Merkwürdigkeiten! Mir scheint, Herr Graf, Sie hätten draußen hinreichende und für Sie passende Unterhaltung genug gefunden, um die Kirche entbehren zu können!“

Was der Blick begonnen, das vollendete der schneidende Ton dieser Worte, sie gaben Lucie die Besinnung und die Sprache zurück, sie fühlte dunkel, daß sie Alles ertragen könne, nur nicht die Verachtung auf diesem Antlitz.

„Graf Rhaneck spricht die Unwahrheit!“ erklärte sie entschlossen, aber mit bebender Stimme, und es war nicht Ottfried’s Nähe, die sie jetzt erbeben machte. „Ich habe mich hierher flüchten müssen vor seiner Zudringlichkeit. Ich hoffte, die Kirche würde mir Schutz gewähren – Graf Rhaneck ist mir dennoch gefolgt!“

Ein Aufflammen brach glühend und leidenschaftlich hervor aus den Zügen, die eben noch wie zu Stein erstarrt schienen, in der nächsten Secunde stand Benedict bereits neben dem jungen Mädchen und legte schützend die Hand auf ihren Arm.

„Mein Fräulein!“ rief Ottfried, schwankend zwischen Zorn und Verlegenheit, „Sie geben meinen harmlosen Galanterien eine eigenthümliche Auslegung. Hätte ich ahnen können, daß Sie einen Scherz –“

„Genug!“ unterbrach ihn Benedict mit dumpfer, noch mühsam beherrschter Stimme. „Das Fräulein steht unter meinem Schutze. Verlassen Sie die Kirche, Graf Rhaneck!“

Ottfried wurde blaß vor Wut bei diesen im Tone eines Befehls ihm zugeschleuderten Worten.

„Herr Pater Benedict,“ Sie haben das seltene Glück, stets unangreifbar zu sein, und pochen darauf, wie es scheint. Früher schützte Sie das Gewand, jetzt der Ort, wo wir stehen. Hüten Sie sich, auch meine Geduld könnte ein Ende erreichen.“

Benedict trat dicht an ihn heran. „Sie werden dies Gewand und diesen Ort ehren, wenn Sie auch die Nähe einer Frau nicht zu ehren wußten. Noch bin ich Priester und ich weise Sie als solcher von der Schwelle meiner Kirche, sie dient nicht Ihrem Zeitvertreib.“

„Noch sind Sie es!“ Ottfried nahm seine Zuflucht zum Hohne, denn er wußte aus Erfahrung, daß diese Waffe den Gegner am schärfsten traf. „Ueben Sie nur ja noch heute Ihre Priestergewalt, es möchte das letzte Mal sein, daß man Ihnen erlaubt, im Namen der Kirche zu sprechen, die Sie in Ihren Predigten so unverantwortlich preisgaben, und die mein Oheim hoffentlich vor Angriffen zu schützen wissen wird.“

Die Lippen des jungen Priesters zuckten verächtlich. „Das Strafgericht des Prälaten kommt Ihnen wohl sehr gelegen, Graf Rhaneck? Lassen Sie den Hohn! Wir stehen hier auf geweihtem Boden, sonst –“ er vollendete nicht, aber der Blick, der die Worte ergänzte, machte Lucie zusammenschauern, das war wieder jenes furchtbare Auflodern, das sie einst im Tanze von der Seite des Grafen emporgeschreckt und von dem Ottfried spottend behauptet, „der Fanatiker wolle ihn damit in die fernste Tiefe schleudern.“ Jetzt flammte jener Blick wieder in dem dunklen Auge und die Tiefe – war nicht weit!

Ottfried mochte wohl fühlen, daß er in diesem Streite den Kürzeren ziehen werde, und zog es deshalb vor, ihn zu endigen. Er erklärte kurz und hochmüthig: „Wir sprechen uns noch, Herr Pater Benedict!“ und verließ dann wirklich die Kirche, erst draußen ließ er seinem Grimm die Zügel schießen. Der Wind hatte sich inzwischen gelegt, aber das Gebirge begann sich zu umschleiern. Tief und tiefer senkten sich die Wolken in’s Thal herab, während die höher gelegenen Berge schon in einer dichten Nebelschicht verschwanden. Der Graf blickte den Weg hinunter, es fehlte nur, daß jetzt auch noch dieser Günther erschien, um ihn zur Rede zu stellen! Wenn Ottfried ein solches Zusammentreffen auch nicht gerade fürchtete – als er Lucie hinabbegleitete, stand es ja jeden Augenblick zu erwarten – so wünschte er es doch jetzt noch viel weniger. Was blieb denn am Ende diesem Menschen gegenüber übrig, wenn er sich mündlich Unarten erlaubte, wie er es bereits schriftlich gethan! Fordern konnte man ihn doch nicht. Graf Rhaneck und der Sohn eines Unterförsters! Also that man am besten, die etwaige Begegnung zu vermeiden, besonders nach dem, was jetzt geschehen war. Mit einem erbitterten Blick nach der Kirche zurück wandte sich der junge Graf an den Meßner, der vor seinem Hause stand und nach dem Wetter sah. „Giebt es keinen Weg nach N. zurück, als diesen hier?“

Der alte Mann kam näher. „Gewiß, Euer Gnaden! Der Fußweg da bringt Sie in der halben Zeit nach dem Dorfe.“

Der Gebirgsbewohner dachte natürlich nicht daran, daß der Weg, den er stets mit solcher Gemüthsruhe ging, für die verwöhnten Füße eines Städters bedenklich sein könnte. Ottfried war aber nicht in der Stimmung, viel danach zu fragen, ob der Pfad bequem oder unbequem sei, er winkte dem Meßner mit der Hand einen vornehm nachlässigen Dank zu und verschwand zwischen den Felsen, in der angewiesenen Richtung.

Benedict war an der Seite des jungen Mädchens in der Kirche zurückgeblieben. Er hatte Recht, es war nur ein einfaches kleines Gotteshaus, gleichwohl hatte es die Andacht der armen Gebirgsbewohner mit Allem geschmückt, was ihren dürftigen Mitteln nur zu Gebote stand. Noch schwebte der Weihrauchsduft durch den dämmernden Raum, das trübe Tageslicht draußen fiel gedämpft durch die schmalen, längst erblindeten Kirchenfenster und hüllte Altar und Seitenpfeiler in ein mystisches Halbdunkel, während die Wölbung oben schon im tiefen Schatten verschwamm. Verblaßte Bilder, halbverwischte Inschriften ringsum an den Wänden, dazwischen Todtenkränze, reich mit Bändern und Flittergold aufgeputzt, und statt der Blumen, die der rauhe Herbst hier oben nicht mehr zu geben vermochte, frisches Immergrün zu den Füßen des Madonnenbildes. Ueber dem Hochaltar aber schwankte dunkelroth die Ampel mit dem ewigen Lichte, die Ketten, welche sie trugen, verschwanden im Dunkel der Wölbung, es sah aus, als schwebe ein großes glühendes Auge da oben, das unverwandt auf die Beiden niederblicke.

Der junge Priester hatte nicht gefragt, wie Lucie hierhergekommen und welcher Zufall sie allein mit dem Grafen zusammengeführt, ihm genügte es, daß dies Beisammensein ein erzwungenes war, und daß sie sich davor in seinen Schutz geflüchtet. Dies Wiedersehen riß ja ohnedies die letzte Hülle von der Wahrheit, die mit jeder Stunde, mit jedem Tage hier oben sich deutlicher vor ihm erhob, daß es umsonst gewesen war, all dies Fliehen und Kämpfen, daß er hier in der Ferne und Einsamkeit noch tiefer im Banne der Leidenschaft lag, als drunten im Stifte. Dies junge Wesen, das so gar nicht fähig schien, die Tiefen seines Innern zu verstehen oder auch nur zu ahnen, das mit seinen blauen Kinderaugen nur in eine Welt voll Sonnenschein und Freudenglanz blickte, dessen blumiger Weg so weit ab lag von der Bahn, die der finstere einsame Mönch von jeher gegangen, es hatte gleichwohl eine Gewalt über ihn errungen, vor der jede andere Empfindung machtlos zusammensank, vor der jede Willenskraft sich ohnmächtig beugte.

Lucie stand scheu und ängstlich neben ihm, sie ahnte freilich nichts von dem Sturme, der sich unter dieser kalten Verschlossenheit barg, aber sie hatte freier geathmet in der Gegenwart Ottfried’s, selbst da, wo sein Wesen sich ihr in seiner ganzen Widerwärtigkeit enthüllte. Die Empörung darüber rief ihren ganzen Trotz und Stolz wach, gezittert hatte sie vor ihm auch in jenem Augenblicke nicht, aber hier, in dem sichern Schutz des blassen strengen Priesters, da zitterte sie. Es gab nur ein Auge, das im Stande war, ihr Furcht zu machen, und das Auge war jetzt wieder auf sie gerichtet, und sie wieder in dem alten Bann.

Das leise Beben des jungen Mädchens entging Benedict nicht.

„Fürchten Sie nichts, mein Fräulein!“ sagte er fest. „Ich bleibe an Ihrer Seite, bis ich Sie in sicherer Obhut weiß. Der Graf wird Sie nicht weiter behelligen!“

Lucie hob unwillkürlich das Auge empor, es war etwas in seiner Stimme, was ihr Angst einflößte, und in seiner Miene fand sie denselben Ausdruck wieder, der sie in den Worten erschreckt hatte; stand doch eine tiefe drohende Falte auf seiner Stirn, die sie niemals dort gesehen.

„Es thut mir leid, daß Sie dem Grafen meinetwegen so feindlich gegenübertraten,“ sagte sie leise. „Er wird es Ihnen schwerlich verzeihen.“

Benedict lächelte verächtlich. „Beruhigen Sie sich! Die Feindschaft zwischen Graf Rhaneck und mir datirt nicht erst von heute. Er hat mich von jeher mit seinem Hasse beehrt!“

„Aber“ – Lucie stockte und sie konnte doch die Frage nicht zurückhalten – „was meinte er mit seinen räthselhaften Worten, es sei zu Ende mit Ihrer Priestergewalt? Wollen Sie nicht mehr Priester bleiben?“

Ein Ausdruck tiefster Bitterkeit überflog seine Züge. „Ob ich will? Meine Gelübde sind unauflöslich! Unsere Kirche giebt ihre Geweihten niemals frei, es ist nur die Frage, ob ich mich noch ferner zu ihnen zählen darf!

Erschreckt und fragend richteten sich die Augen des jungen Mädchens auf ihn, er schüttelte finster das Haupt.

„Meinen Sie etwa, ich hätte eine Todsünde begangen? Ich habe gepredigt, wie es mich die Begeisterung des Augenblicks und ein warmes Herz für meine unterdrückten Brüder lehrte, nicht wie Roms Kirche es vorschreibt. Das fordert Sühne, man hat im Stifte bereits über mich zu Gericht gesessen, ich weiß es! Ich habe nur noch mein Urtheil zu empfangen.“

„Und was kann man Ihnen denn anthun?“

„Alles!“

Lucie machte eine unwillkürliche Bewegung des Schreckens. „Mein Bruder sagt,“ begann sie schüchtern, „es sei gefährlich, die Herren im Stifte zu reizen. Wenn Sie sie gereizt haben – o mein Gott, so kehren Sie doch nicht zu ihnen zurück! Bleiben Sie hier oder fliehen Sie! es kann Sie ja in’s Verderben bringen.“

Sie hatte keine Ahnung davon, daß die unbewußte Angst, welche sie auf einmal mit dem Gedanken seiner Gefahr überkam, sich auch in ihrer Stimme verrieth, daß sie dabei die Hand wie flehend auf seinen Arm gelegt; erst als die seinige diese Hand plötzlich umschloß, wollte sie zurückweichen, aber er gab sie nicht mehr frei.

„Schon zwei Mal habe ich heute die gleiche Warnung erhalten, die dritte und letzte kommt aus Ihrem Munde. Ich kann auch dieser letzten nicht folgen, ich kann nicht, Lucie! Aber – ich danke Ihnen!“

Das junge Mädchen schauerte leise zusammen unter diesen weichen bebenden Lauten, unter dem Klange ihres Namens, den sie zum ersten Male von diesen gefürchteten Lippen vernahm, sie hatte nicht den Muth, ihm die Hand zu entziehen.

„Herr Pater Benedict –“

Sie vollendete nicht, denn sie fühlte, wie seine Hand zuckte und die ihrige plötzlich fallen ließ.

„Pater Benedict!“ wiederholte er langsam. „Sie haben Recht, mein Fräulein, mich daran zu erinnern, wer ich bin. Ich stand im Begriff, es zu vergessen!“

„Heißen Sie denn nicht so?“ fragte Lucie betreten.

„Im Kloster, im Mönchsgewande – ja! Man läßt uns ja nicht einmal den Namen, der uns an die Zeit der Freiheit erinnern könnte! Auch ich habe den weltlichen Namen ‚Bruno‘ mit dem heiligen ‚Benedictus‘ vertauschen müssen, gesegnet ist dieser Tausch für mich nicht gewesen!“

Er schwieg plötzlich, auch Lucie wagte keine Erwiderung. Draußen jagten düstere Wolkenschatten vorüber und die Nebel legten sich dicht und dichter um das kleine Gotteshaus. Durch eines der offenen Kirchenfenster wehte der Luftzug herein und flüsterte leise in den welken Blättern der Todtenkränze, dunkler glühte das ewige Licht in der zunehmenden Dämmerung und warf seinen rothen Schein auf die Stufen des Altars, an dem die Beiden standen.

„Sie lieben das Kloster nicht?“ fragte Lucie endlich leise.

„Ich hasse es!“

Das junge Mädchen hob mit einem Anfluge von ihrem früheren Trotze das Haupt. „Und warum sagen Sie sich denn nicht los davon?“

Die dunkeln Augen des jungen Priesters hefteten sich fest auf ihr Antlitz, noch ahnte sie nicht, was diesen Blick so seltsam aufglühen machte.

„Würden Sie sich so leicht von einem Bande lossagen, an das ein Schwur Sie fesselt, oder einem Manne vertrauen, der es gethan? Würden Sie zum Beispiel diesem Manne hier am Altare Ihre Hand reichen für das Leben?“

Lucie schwieg, betroffen durch die seltsame Frage und mehr noch durch den Ton derselben. Es klang etwas daraus wie Todesangst, wie das athemlose Forschen eines Verurtheilten, der in einem einzigen Worte Begnadigung oder Verdammniß erwartet.

„Ich weiß nicht!“ stammelte sie endlich. „Ich –“

„Sie würden es nicht thun!“ ergänzte er, aber die Stimme war auf einmal matt und klanglos geworden. „Ich wußte es! Schrecken Sie doch nicht so vor mir zurück!“ fuhr er mit ausbrechender Heftigkeit fort, als sie in der That, erschreckt durch sein räthselhaftes Wesen, einen Schritt zurückwich. „Ich will ja diese Hand nicht an mich reißen! Dem Priester Roms ist ja ewig versagt, was den Dienern Ihrer Kirche gewährt wird. Der Altar, an dem sie frei und offen vor aller Welt ihr Weib empfangen, er steht auf ewig zwischen uns und jedem Lebensglück. Uns ist nur die Wahl gestellt zwischen Entsagung oder Verbrechen, und wenn man nicht entsagen kann und das Geliebte nicht entweihen will, dann bleibt nur Eines übrig – der Untergang!“

Regungslos stand Lucie vor ihm, entsetzt, betäubt von der Ahnung, die jetzt endlich in ihr aufdämmerte. Allmächtiger Gott, was war das? Sollten diese Worte ihr gelten?

Sie blieb nicht lange im Zweifel, der Strom hatte seine Ufer einmal gebrochen, und nun zwang ihn auch nichts mehr zurück in die alten Grenzen, aber selbst in diesem jähen Hervorbrechen eines mondenlang streng behüteten Geheimnisses war noch etwas von dem Zügel, den die Nähe des Altars und die Gewohnheit steter Beherrschung dem Priester auferlegte. Wie fest gewurzelt stand er auf feinem Platze, drei Schritte von ihr entfernt, und machte auch nicht den leisesten Versuch, sich ihr zu nähern.

„Ich habe Sie geliebt, Lucie, von dem ersten Moment an, wo Sie ahnungslos, wie ein jauchzendes Kind, an mir vorüberflogen. Was es war, das mich wie mit Naturgewalt gerade zu Ihnen zog, deren ganzes Sein und Wesen so fernab liegt von dem meinen, ich weiß es nicht, aber diese Liebe ist mir zum Verhängniß geworden. Ich habe dagegen gekämpft mit der ganzen Willenskraft des Mannes, mit der ganzen Gewissensangst des Priesters, ich bin davor geflohen bis in die fernste Einsamkeit, es war alles umsonst! wie ein Dämon hing sich diese Leidenschaft an jeden meiner Gedanken, stahl sie sich in jeden meiner Träume und wühlte jede Faser meines Innern auf, wenn ich scheinbar kalt und verschlossen meiner Umgebung gegenüberstand. Was ein Mensch nur ringen und streiten kann, das habe ich gethan, aber es giebt eine Grenze auch für die menschliche Willenskraft, und die meinige hat jetzt ihr Ende erreicht! Ich unterliege!“

Er wartete vergebens auf eine Antwort. Lucie hatte beide Hände vor das Gesicht geschlagen, die blendende Helle, welche auf einmal niederfloß, traf sie mit der ganzen schmerzenden Gewalt wie der erste Lichtstrahl den blind Gewesenen. Geliebt von diesem Manne! Ihr galten die Regungen dieser dämonischen Tiefe, die sich so jäh ihr und nur ihr allein entschleierte! Es war das zweite Mal in ihrem Leben, daß man es wagte, dem jungen Mädchen von Liebe zu sprechen. Einst hatte Graf Ottfried vor ihr auf den Knieen gelegen und um Erhörung gefleht, und während seine Schmeichelworte ihr Ohr betäubten und ihre kindische Eitelkeit in dem Triumphe schwelgte, tönte die rauschende Musik aus dem hell erleuchteten Ballsaal herüber, wo die Paare vorüberschwebten. Hier – rauschte nur der Wind in den Todtenkränzen und das ewige Licht glühte nieder auf die Beiden, die eben jener Ort für ewig trennte, der sonst zwei Menschen eint für das ganze Leben. Hier kniete Niemand vor ihr, aufrecht stand jene hohe Gestalt ihr gegenüber, und die dunkelglühende Leidenschaft, welche ihr entgegenfluthete, hatte nichts gemein mit den Tändeleien des Grafen. Schien es doch fast, als sei sie dem Hasse verwandt, als sei jedes dieser Worte, die dumpf und gepreßt von seinen Lippen kamen, nur dem innern Widerstreben abgerungen, das sich noch immer empörte gegen die „Naturgewalt“, die ihn zu ihr zog. Und doch wühlte es ihre ganze Seele auf bis in die tiefsten Tiefen. Ihr war, als sänke die ganze Vergangenheit hinab auf Nimmerwiederkehr und mit ihr auch das Kind, das bisher spielend Alles hingenommen, Alles weggelacht und weggescherzt hatte, als sei das ganze Leben nur eine sonnige Wiese, über die man hinwegtanzen könne, und was sich statt dessen vor ihr erhob, so ernst, so geheimnißvoll und feierlich, das war nicht jene Liebe, die sie sich geträumt, aber es nahm mit räthselhafter Gewalt ihr ganzes Wesen gefangen. Der Schatten, den jene dunkle Gestalt von jeher auf ihren Weg geworfen, gewann jetzt Form und Leben, sie wußte jetzt auch, weshalb sie diese Augen geflohen hatte und daß die Flucht umsonst gewesen war. – Es war todtenstill in dem düstern Raume, langsam verließ Benedict seinen Platz und trat an ihre Seite.

„Sie schweigen?“ sagte er ruhiger, aber tonlos. „Ich wußte es, daß mein Bekenntniß Ihnen nur Schrecken und Abscheu einflößen konnte, aber einmal mußte die Last herunter von der Brust! Vielleicht gehe ich nun leichter in die Entscheidung, die meiner wartet, und dem Verurteilten ist ja noch ein letztes freies Wort erlaubt. Ich habe Ihren Frieden gestört, aber glauben Sie mir, Lucie: was ich ertragen habe, ehe es so weit kam, ist wohl die paar Thränen werth, welche Ihnen diese Stunde kostet, die vielleicht schon morgen vergessen ist. Leben Sie wohl!“

Es schien, als wolle sich beim Abschied die frühere Weichheit noch einmal Bahn brechen, aber das Lebewohl überfluthete schon wieder die ganze Bitterkeit des Mannes, der sich unverstanden wähnte. Er wandte sich stürmisch ab und ließ sie allein. Aber mit seiner Entfernung löste sich auch der Bann, der das junge Mädchen regungslos gefesselt hielt, sie fuhr auf und machte eine Bewegung, ihm nachzueilen.

„Bruno!“

Es war ein Laut flehender, unaussprechlicher Angst, mit welchem Bruno’s Name an die Wände schlug, ein Ton, wie er noch niemals aus diesem Kindesmunde gekommen; aber es war zu spät, der junge Priester befand sich bereits draußen im Freien. Sie sah sich allein in der dämmernden Kirche, stärker schwankte die Ampel über dem Hochaltar, stärker wehte der Luftzug herein und wie von Geisterhand berührt löste sich einer der Todtenkränze von der Wand und fiel schwer zu Boden – Lucie schauerte zusammen. –

Eine fremde Gestalt erschien nunmehr in der Kirchenthür und in der nächsten Minute stand ein kleiner alter Mann an der Seite des jungen Mädchens.

„Wenn es dem Fräulein jetzt gefällig wäre, ich stehe zu Diensten,“ begann er höflich.

Lucie sah ihn verstört an. „Wer sind Sie?“

„Ich bin der Meßner! Hochwürden der Herr Caplan hat mir befohlen, bei dem jungen Fräulein zu bleiben und es sicher zurückzubringen nach –?“

„Nach N.!“ war die leise halb erstickte Antwort.

„Nach N.?“ wiederholte der Alte verwundert. „Dahin geht der Herr Caplan ja eben auch, da hätte er das selbst thun können! Nun, er meint vielleicht, der Weg über die wilde Klamm ist nicht für solche Füßchen, wie die Ihrigen; wir gehen natürlich die Fahrstraße.“

Lucie erwiderte nichts, mechanisch folgte sie dem Manne, in dessen Schutz sie Benedict gegeben, aber sie ging wie im Traume befangen an seiner Seite und hörte kein Wort von allem, was ihr der redselige Alte über das Gebirge und den Herbst und Winter hier oben erzählte – Er kehrte also auch nach N. zurück! –

Benedict hatte in der That den Felspfad eingeschlagen, den vor ihm auch Ottfried gegangen war. Er freilich kam auf diesem Wege schneller vorwärts, als die verwöhnten und unsicheren Füße des jungen Grafen es vermochten, schon nach wenigen Minuten lag die Wallfahrtskirche hinter ihm.

– – Die hohen Gebirgshäupter haben sich längst wieder in ihr Nebelgewand gehüllt, nur bisweilen schimmern die weißen Schneegipfel hindurch, um sich gleich darauf wieder zu verschleiern. Aus den Schluchten heben sich die Wolken empor, und ziehen hin und her, und lagern sich auf den Pfad des Wanderers, als wollten sie ihn zurückscheuchen. …

Ueber der „wilden Klamm“ zieht es sich drohend zusammen, und das düstere Sturmgewölk, das langsam am Horizonte emporsteigt, hüllt die schon dämmernde Schlucht in noch tiefere Schatten. Als wolle der ganze Himmel herabstürzen in jenen Schlund, so schwer und düster hängt es über jenen Klippen, und unten in der Tiefe kocht und zischt das Gewässer und rauscht triumphirend auf – das ersehnte Opfer ist ihm ja nun endlich geworden! Zerbrochen hängen die Trümmer des Geländers herab von der Brücke und die Wellen schäumen hinweg über ein jugendliches Haupt, das blutig, zerschmettert im Sturze, in ihrem kalten Schooße sein Grab gefunden!

Herz-Sammelband: Elisabeth Bürstenbinder Liebesromane

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