Читать книгу Strafrecht für Polizeibeamte - Elmar Erhardt - Страница 14
Kapitel 2:Deliktsaufbau und Einführung in die Falllösungstechnik I.Grundbegriffe der Fallbearbeitung 1.Sachverhalt und Gutachten
Оглавление16Ausgangspunkt einer jeden Einführung in die Methodik der Fallbearbeitung ist der Begriff des Sachverhalts, der in dreifacher Hinsicht von Bedeutung ist: Der Praktiker vor Ort findet einen echten Lebenssachverhalt vor, die Leser eines Lehrbuches haben es mit einem meist vereinfachten Übungssachverhalt zu tun und Prüfungskandidaten müssen in einer Klausur einen Sachverhalt als Prüfungsaufgabe bearbeiten. Studierende des Strafrechts sollten sich von Anfang an darüber im Klaren sein, dass man in der Vorlesung oder in einem Lehrbuch keine realen Fälle behandeln kann, weil es schlicht unmöglich ist, jedes Mal den Fall erst konkret zu ermitteln. Tatortarbeit, Spurensicherung, Zeugenvernehmung, Aktenlesen usw. gehören natürlich zu den Hauptaufgaben der ermittelnden Polizeibeamten. Häufig werden gerade darin die eigentlichen Schwierigkeiten des Falles liegen. Nur gehören diese praktischen Fragen nicht in den Bereich des materiellen Strafrechts, wo es ausschließlich um rechtliche Fragestellungen geht. Um diese erläutern und üben zu können, werden fertige, d. h. abschließend ermittelte Fälle zugrunde gelegt. Wann immer es möglich ist, werden dazu in diesem Lehrbuch konkrete Rechtsprechungsfälle ausgewählt. Studierende Polizeibeamte mögen sich dabei immer wieder vor Augen führen, dass alle diese von den Gerichten entschiedenen Fälle, mögen sie manchmal noch so kurios und zuweilen sogar grotesk erscheinen, in ihrem Ausgangspunkt polizeiliche Fälle gewesen sind. Denn die Ermittlung des Lebenssachverhalts, der dann von der Justiz abgeurteilt wird, leisten die Polizeibeamten vor Ort. Sachverhalte in Prüfungsarbeiten wiederum haben eine ganz andere Funktion. Der Aufgabensteller in einer Klausur will strafrechtliches Wissen und Verständnis überprüfen und ganz bestimmte Themen des materiellen Strafrechts „abfragen“. Dazu gibt er einen Sachverhalt vor, der als Grundlage für die eigentliche „Aufgabe“ zu begreifen ist.
Diese Aufgabe, die üblicherweise als Fallfrage formuliert wird, besteht in der Beurteilung der möglichen Strafbarkeit der am Fall beteiligten Personen. Im Zentrum der Fragestellung steht damit allein die Strafbarkeit der Beteiligten, während Schadensersatzansprüche, versicherungsrechtliche Fragen oder auch polizeiliche Aspekte usw. ausgeklammert bleiben.
Mit welcher Methode ist nun diese Fallfrage zu beantworten? In manchen Klausuren wird die Aufgabe wie folgt formuliert: „Prüfen Sie bitte in einem Rechtsgutachten die Strafbarkeit der Beteiligten!“ Damit ist die Methode ausdrücklich benannt: In Klausuren und sonstigen Prüfungen ist stets ein Rechtsgutachten17 zu erstellen. Im Gegensatz zum Gutachten wird in einem Urteil das Ergebnis der rechtlichen Überprüfung im sog. Urteilstenor ganz an den Anfang gestellt („Der Angeklagte A. wird wegen Diebstahls gem. § 242 I zu […] verurteilt.“). Es folgt dann in einzelnen logischen Schritten die Begründung des Urteils. Die Gutachtenmethode geht den umgekehrten Weg, indem der Fallbearbeiter zuerst eine Frage aufwirft und den Straftatbestand benennt, der geprüft werden soll („A. könnte einen Diebstahl gem. § 242 begangen haben“). Dieser erste Arbeitsschritt bei der Erstellung eines Gutachtens folgt zwingend aus dem Bestimmtheitsgrundsatz („Keine Strafe ohne Gesetz“), denn wenn die Strafbarkeit eines bestimmten menschlichen Verhaltens überprüft werden soll, muss es einen gesetzlichen Straftatbestand geben, der auf dieses Verhalten passen könnte. Als weiterer logischer Schritt werden in einem Gutachten sodann die einzelnen Voraussetzungen des Tatbestandes („Wegnahme, fremde bewegliche Sache, Vorsatz, Zueignungsabsicht usw.“) sowie der Rechtswidrigkeit und Schuld überprüft. Am Ende dieser Erörterung folgt dann die Beantwortung der eingangs gestellten Frage. Anders als bei der Urteilsmethode steht somit das gefundene Ergebnis nicht am Anfang, sondern am Schluss der Ausführungen („A. hat sich somit [nicht] wegen Diebstahls nach § 242 I strafbar gemacht“).