Читать книгу Perfect Game - Elmar Paulke - Страница 5
ОглавлениеEs ist Anfang April 2020. Deutschland geht in die vierte Woche des Coronavirus-Lockdowns. Meine letzte Darts-Übertragung fand vor etwa drei Wochen am 12. März 2020 statt: der sechste Spieltag der Premier League Darts, bei dem ich für DAZN live von der Veranstaltung aus Liverpool berichtete. Es war einer dieser Premier-League-Abende, die in einer riesigen Multifunktionsarena stattfinden, mit einer Kapazität von rund 10 000 Zuschauern. An diesem Abend hatten einige hundert Fans ihr Eintrittsticket nicht wahrgenommen, aus Sorge, sich mit dem Virus anzustecken.
Es kursieren verschiedenste Szenarien: Die einen hoffen, dass es in ein paar Wochen wieder losgeht, andere vermuten, dass es 2020 zu keiner einzigen Großveranstaltung kommt. Die größten Pessimisten befürchten, dass Großevents in der Art, wie wir sie kennen, nie mehr stattfinden werden.
Wie erlebt der Dartsport die Corona-Krise? Wie viel Schaden richtet diese womöglich monatelange Pause an? Zumindest droht eine Kettenreaktion, die die Verluste besonders groß werden lassen könnte. Auch wenn die PDC bereits signalisiert hat, dass die Preisgelder über Jahre hinweg sicher wären: Irgendwann geht es nicht mehr ohne Sponsoren, denn bei sämtlichen Major-Turnieren sind Wettanbieter als Titel-Sponsoren die größten Geldgeber. Und auch diese Branche erwischt es mit voller Breitseite, weil es eben keinen Live-Sport gibt. Sollten Sponsoren in diesen Zeiten tatsächlich abspringen, könnte das am Ende einen direkten Einfluss auf die Anzahl an Profispielern bei der PDC haben.
Könnte der Profisport Darts an dieser Pandemie eventuell zugrunde gehen oder zumindest weit nach hinten geworfen werden? Wandert „the funny old game“ zurück in die Kneipe, dorthin, wo alles begann? Das wäre der „worst case“. Es spricht vieles dagegen, doch auch solche Gedanken flackern in diesen Tagen der Ungewissheit auf. Viele Sportverbände signalisieren große finanzielle Einbußen und sorgen sich vor allem um ihren Profibereich. Man darf nicht vergessen: Darts ist ein Individualsport. Anders als im Mannschaftssport, im Fußball, Eishockey oder Handball, wo ich Angestellter eines Vereins bin und mich der Verein selbstverständlich auch bezahlt, ist ein Dartprofi soloselbstständig, vergleichbar mit einem freischaffenden Künstler. Als Nummer 60 der Welt hast du in den letzten zwei Jahren vielleicht 50 000 Pfund eingespielt. Davon wurden sämtliche Reisekosten beglichen und so ganz nebenbei ja auch noch Steuern gezahlt. Wir reden von 25 000 Pfund im Jahr, rund 2000 Pfund im Monat. Brutto.
Profispieler außerhalb der Top 50 kämpfen bereits jetzt, nach nur vier Wochen, ums finanzielle Überleben. Keine Turniere bedeutet keine Preisgelder, sprich null Einnahmen. Die PDC hat schnell reagiert. Noch im März 2020 schüttete PDC-Chef Barry Hearn eine Soforthilfe von 1000 Pfund für jeden Spieler aus; ein Betrag, der unbürokratisch helfen sollte und nicht zurückgezahlt werden muss. Kurze Zeit später gab es das Angebot von Krediten, die Tour-Card-Besitzer beim Verband aufnehmen konnten. Kredite, die man später über sein eingespieltes Preisgeld tilgen kann. Wer die Notbremse zieht und in seinen alten Job zurückkehren oder auf eine neue Tätigkeit ausweichen will, merkt schnell, dass es in der aktuellen wirtschaftlichen Situation unglaublich schwierig ist, Jobs zu finden.
Not macht erfinderisch
Auch für mich persönlich fühlt es sich an, als habe jemand die Pausetaste gedrückt. Gerade in meiner Berufsbranche geht aktuell gar nichts mehr: Sämtliche Veranstaltungen wurden abgesagt, auch kleinere Firmenevents. Damit steht meine Auftragslage bei ziemlich genau null. Für mich als selbstständigen Reporter, Moderator und Eventmanager bedeutet das: Ich muss in nächster Zeit von meinen Rücklagen leben. Als Vater von drei Kindern bin ich beunruhigt. Ich setze mich an den Schreibtisch und versuche auszurechnen, wie lange ich ohne Aufträge durchkommen würde, welche Geldquellen es noch anzuzapfen gäbe, im Notfall.
Ich habe mich im April 2016 selbstständig gemacht, damals meine 18-jährige Festanstellung bei SPORT1 gekündigt, weil ich an die Entwicklung im Dartsport geglaubt habe und rauswollte aus den Fängen einer Festanstellung. Meine Mutter fragte mich gestern tatsächlich noch, ob ich diesen Schritt jetzt bereuen würde. Auf keinen Fall! Auch wenn für wichtige Auftraggeber wie die PDC Europe oder gerade auch für DAZN, den Livestream-Sender, diese Situation der Super-GAU ist. Da glaubst du an die Idee, dass Live-Sport die Menschen fasziniert, dass du sie durch Live-Übertragungen an deinen Sender bindest, und dann findet weltweit kein einziges Sportevent statt. Über Wochen, Monate.
Aber Hause rumsitzen und abwarten, dass etwas passiert, ist nicht mein Ding. Corona hat auch seine guten Seiten, weil man plötzlich Zeit für andere Projekte hat. Der Wunsch, aktiv zu sein, regt die Fantasie und Kreativität an. So rufe ich Ende März die „Elmar Paulke’s Lonely Darts Club Show“ ins Leben, eine YouTube-Live-Show mit folgendem Grundgedanken: Da einerseits Darts eine der ganz wenigen Sportarten ist, die zu Hause von jedem betrieben werden können, und andererseits zurzeit keine Profiturniere stattfinden, warum nicht die Gelegenheit nutzen und etwas kreieren, was im Tour-Alltag nicht möglich ist: Fans und Profis zusammen ans Board bringen? Ohne Turniere, ohne Tour ist der Profi am Ende ja auch nur ein „Normalo“, dem die Arbeit entzogen wurde und der deshalb wie alle anderen zu Hause festsitzt und sich langweilt. Zweimal die Woche einen Moment schaffen, bei dem wir nicht an Corona und seine Auswirkungen denken, das ist die Idee. Als ich meinem Freund Thomas Scherer davon erzähle, ist er nicht nur begeistert, er stellt mir auch seinen Chefgrafiker Franz Hoegl und den Marketingexperten Florian Wirthgen zur Verfügung, sodass wir innerhalb von ein paar Tagen starten können. Sechs Profis müssen nicht lange überzeugt werden: Michael Smith, Weltmeister Stephen Bunting, Joe Cullen, Gabriel Clemens, Max Hopp und „Shorty“ Seyler. Sie bilden mit jeweils zwei Fans ein Team und treten gegeneinander an. Die Zuschauer können durch ihr Voting ebenfalls mitmischen. Das ist zwar alles mit einer Menge Aufwand verbunden, aber insgesamt eine wunderbare Ablenkung.
Und dann gibt es da noch die Idee zu diesem Buch, die ich bereits seit einigen Monaten in mir trage. Entstanden ist sie nach der letzten WM, als der fünfmalige Weltmeister Raymond van Barneveld seinen Abschied nahm. Nachdem der große Phil Taylor sich schon 2018 verabschiedet hatte, ging damit endgültig eine Ära zu Ende. Und gleichzeitig wächst eine neue Generation hungriger junger Spieler heran – die „jungen Wilden“. Es hat sich unheimlich viel getan in den letzten Jahren im Dartsport. Diese Entwicklung wollte ich in einem Buch aufzeigen, die neuen Stars am Darts-Himmel vorstellen und etwas näher unter die Lupe nehmen. Vor Corona hatte ich dafür keine Zeit, aber jetzt heißt es: Game on!
Doch im Moment sind die Superstars von morgen weniger damit beschäftigt, einer neuen Ära ihren Stempel aufzudrücken als sich, wie wir alle, zu fragen, wie es weitergeht. Wenn dieses Buch erscheint, Anfang Dezember, wissen wir hoffentlich, dass es die Weltmeisterschaft im Ally Pally geben wird. Und wenn nicht im Alexandra Palace, dann womöglich woanders. Vielleicht wird es aber auch eine WM ohne Zuschauer sein. Ist das im Darts auf Dauer vorstellbar? Könnte der Profibereich der Sportart Darts ohne Publikum überleben? Ohne dieses Wechselspiel Partystimmung vs. Mentalsport? Es würde meiner Meinung nach seine Massenkompatibilität verlieren. Da bin ich mir sogar ziemlich sicher. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Partie Darts ohne Jubel, ohne Gesänge, ohne Schilder, ohne Kostüme ein Millionenpublikum erreicht. Die Faszination umfasst mehr als den reinen Sport, das Darts-Paket für den Fan ist größer und deshalb auch besonders geil. Momentan wissen wir tatsächlich sehr wenig. Werner von Moltke, der CEO der PDC Europe, hat zuletzt im Interview gesagt, dass er keine Prognosen abgeben könne. Alles ist möglich und damit auch nichts. Die PDC Europe ist angewiesen auf den Ticketverkauf – die Bedrohung ist existenziell. Wie lange der Verband, die PDC, diesen Zustand überbrücken kann? Das werden uns PDC-Chef Barry Hearn und sein engster Kreis nicht verraten.