Читать книгу Ein Coach für alle Fälle - Erna Hüls - Страница 15

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9 ELTERN
Eine Begegnung mit Respekt

Sabine, 42 Jahre alt, streitet mit ihrer Mutter, sooft sie sich sehen. Kaum ist sie bei ihren Eltern zu Besuch, gehen die Unstimmigkeiten los. Sie kritisiert ihre Mutter für das, was sie alles falsch an ihrer Lebenseinstellung findet, und schreibt ihr vor, was sie tun müsse, damit es ihr besser ginge. Zu ihrer Verteidigung beteuert Sabine in der Beratung: „Dabei will ich ihr doch nur helfen. Ich liebe meine Mutter!“ Und damit sind wir schon bei dem ersten Missverständnis, denn die Eltern zu korrigieren hat nichts mit Liebe zu tun. Wenn sie ihre Mutter wirklich lieben würde, könnte sie diese so lassen, wie sie ist. Aber das kann Sabine nicht. Sie ärgert sich maßlos darüber, wie ihre Mutter ihr Leben und vor allem ihre Partnerschaft gestaltet. Schon als Kind musste Sabine mit ansehen, wie ihre Mutter von der eigenen Schwiegermutter und ihrem eigenen Mann „untergebuttert“ wurde. Ihre Mutter habe sich nie gewehrt, sondern sich immer wie ein Opfer verhalten. Und das sei bis heute so. „Sie will es immer allen recht machen“, das sei ihre Devise, bekundet Sabine. Dieses Verhalten sei für alle offensichtlich und sie schämt sich für ihre Mutter, weil sie so unterwürfig sei und sich alles gefallen ließe. Deshalb lässt Sabine keine Gelegenheit aus, ihre Mutter mit den Worten „Du musst dich mal wehren! Tu mal etwas für dich! Lass dir nicht alles gefallen!“ zurechtzuweisen.

Die Botschaft, die Sabine ihrer Mutter dadurch zusätzlich übermittelt, ohne dies wortwörtlich auszudrücken, lautet: „Du bist nicht in Ordnung so, wie du bist.“ Diese innere Haltung spiegelt sich in ihrem Verhalten gegenüber der Mutter wieder. So etwas teilt sich auf der Beziehungsebene mit, die unser Unterbewusstsein sehr genau wahrnimmt. Wir spüren, was andere Menschen von uns denken, auch ohne Worte. Wie würden Sie reagieren, wenn ein anderer Mensch – und dann auch noch ihr eigenes Kind – Ihnen permanent suggeriert, dass Sie nicht in Ordnung sind? Richtig, Sie bauen Widerstand auf, reagieren mit Ablehnung, bauen eine Schutzmauer auf oder schalten auf Durchzug. Wundern Sie sich immer noch, dass Ihr Vater oder Ihre Mutter mit Ablehnung oder Sturheit reagieren, wenn Sie ihnen mit dieser Haltung gegenübertreten? Ich nicht.

„Aber ich will doch nur, dass meine Mutter glücklich ist!“ beteuert Sabine. Ja richtig, das ist die unbewusste, gute Absicht dahinter. Nur: gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht. Und wer hat ihr den Auftrag dazu gegeben? Hat die Mutter etwa gesagt: „Mein liebes Kind, ich habe zwar den Krieg überlebt, vier Kinder zur Welt gebracht, ein Zuhause mit aufgebaut, Krankheiten und Schicksalsschläge überstanden … aber sage du mir jetzt bitte einmal, was ich in meinem Leben besser machen kann?“ Sicher nicht. Und damit sind wir bei der kindlichen Arroganz, nämlich zu glauben, wir hätten als Kinder das Recht, unsere Eltern zurechtzuweisen. Damit stellen wir uns unbewusst über sie. Wir werden zu Erwachsenen, zu Erziehern und machen unsere Eltern zu Kindern, denen wir etwas beizubringen haben. Wenn Eltern hilfsbedürftig oder sogar dement sind, mag die Sachlage eine andere sein, aber selbst dann sollten wir ihnen mit Respekt und Achtsamkeit begegnen.

Wenn ich die Personen, die zu diesem Thema meinen Rat suchen, damit konfrontiere, entsteht oftmals eine große Betroffenheit. Den Töchtern oder Söhnen wird bewusst, wie ungerecht und überheblich sie sich ihren Eltern gegenüber eigentlich verhalten. Sämtliche Situationen, in denen sie ihre Eltern oft auch vor anderen kritisiert haben, kommen ihnen wieder ins Gedächtnis. In dem Moment erinnern sie sich wieder, dass sie die Kinder ihrer Eltern sind – und nicht umgekehrt. Ich kann dann in der Beratung förmlich dabei zusehen, wie sich die gesamte Physiologie meiner Klienten verändert. Denn so, wie sich die kindliche Arroganz in der Körpersprache, Mimik und im Tonfall widerspiegelt, ist auch eine Haltung der liebevollen Akzeptanz sofort sichtbar und spürbar. Nachdem Sabine das verstanden und ihr Verhalten gegenüber ihrer Mutter geändert hatte, schrieb sie mir nach einiger Zeit in einem Brief: „Die Aggressionen gegen meine Mutter haben sich in Luft aufgelöst. Wir verbringen nun sehr entspannte Zeiten miteinander. Meine Mutter äußerte sich zu meinem Bruder: Die Sabine ist so anders.“

Den Eltern liebevolle Akzeptanz entgegenzubringen, ist besonders schwierig, wenn es einem oder beiden Elternteilen emotional schlecht geht. Sofern Ihre Eltern gesund sind, helfen Sie, wenn es nötig und gewollt ist, aber nehmen Sie Ihnen nicht die Verantwortung für ihr Leben ab. Das entmündigt und schwächt sie nur zusätzlich. Muten Sie Ihren Eltern Ihre Art zu leben und auch Ihr Schicksal zu. Mischen Sie sich bitte auch nicht in die Ehe Ihrer Eltern ein. Ich halte das für übergriffig. Wer sind wir denn, dass wir uns ein Urteil darüber erlauben, was gut oder schlecht für deren Seelenfrieden ist? Wir sind nur deren Kinder – und das sollten wir nicht durch Überheblichkeit und Besserwisserei, sondern durch liebevolle Akzeptanz und Dankbarkeit zum Ausdruck bringen.

REFLEXION

• Sie sind das Kind Ihrer Eltern, nicht deren Erzieher.

• Selbst gut gemeinte Kritik ist kein Liebesbeweis.

• Behandeln Sie Ihre Eltern nicht wie bedürftige Kinder, wenn sie krank oder auf Ihre Hilfe angewiesen sind.

• Pflegen Sie einen achtsamen und respektvollen Umgang mit ihnen.

• Nehmen Sie Ihren Eltern nicht die Verantwortung für ihr Leben ab.

• Mischen Sie sich nicht in die Beziehung Ihrer Eltern ein.

• Liebevolle Akzeptanz tut Ihrer erwachsenen Eltern-Kind-Beziehung gut.

Ein Coach für alle Fälle

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